Nachdem wir alle Sachen für das Venom-Kostüm hatten, gingen wir zur Kasse. Lorcan und ich einigten uns darauf, dass er die Hälfte zahlen durfte. Warum ich nachgab, wusste ich selbst nicht genau. Allerdings war es ja auch nur die Hälfte. Bevor wir allerdings den Laden verließen, kaufte ich noch eine kleine Stofffledermaus, die eigentlich total süß war. Sie war allerdings nicht für mich, sondern für das Mädchen, dass heute Geburtstag hatte. Lorcan war sich sicher, dass es ihr gefallen würde.
Mark war so nett und gab uns beiden noch eine Tüte mit Süßigkeiten mit, dann gingen wir zum Jeep zurück. Noch immer hatten wir nicht über den Satz gesprochen, dass ein Lächeln von mir für ihn als Rückgabe zählen würde. Ich wollte allerdings auch nicht darüber sprechen. Meine Angst davor war viel zu groß. Vielleicht war ich auch einfach nur nervös, ich wusste es nicht. Auch während der Fahrt war es still. Nur im Radio lief ein etwas jüngerer Song. Doch so leise, dass selbst ich es kaum verstand.
Nervös knetete ich meine Hände und sah während der Fahr nach draußen. Auch hier, fernab der Hauptstraße waren die Häuser schön dekoriert. Eines schöner als das andere. Ein kleines Lächeln legte sich auf meine Lippen. Hier wurden die Werwölfe akzeptiert, im Gegensatz zu unserem Dorf. Früher hatte mich das nicht gestört, da ich seit Liam auch etwas gegen sie gehabt hatte, aber jetzt... jetzt kam es mir dumm vor.
Alle glaubten diesen alten Legenden und gaben den Werwölfen keine Chance. Gut, ich war einige Zeit auch nicht besser gewesen. Ich war blind vor Schmerz und Wut gewesen, doch diese Leute glaubten einfach irgendwelchen Geschichten, ohne selbst Erfahrung zu haben. Es machte mich traurig. Schon allein, wenn ich daran dachte, wie nett alle zu mir waren. Ich wusste, dass nicht alle Werwölfe so wie dieses Rudel sein konnten.
Das war mir klar. Und dennoch konnte ich mir nicht vorstellen, dass sie alle so blutrünstig waren und Menschen töteten. Das machte keinen Sinn. Doch in meiner alten... „Heimat" schienen das alle zu glauben. »Über was denkst du nach?«, unterbrach Lorcan meine wirren Gedanken. Mein Blick schnellte zu ihm. Sein Blick war noch immer auf die Straße gerichtet. »Ich denke nur darüber nach, dass Werwölfe hier willkommen sind und in meinem alten Dorf nicht«, antwortete ich ihm.
Nun sah Lorcan mich an. »Das ist normal. Das war schon immer so, weil manche Geschichten eben stimmen. Vor vielen Jahren haben Werwölfe noch Menschen getötet. Nicht alle, aber viele. Hier in Mistfall war es nie weit verbreitet, aber bei euch schon«, entgegnete Lorcan und ich spürte, wie mir eiskalt wurde. Die Vorstellung, dass Werwölfe Menschen töteten, setzte mir zu. Eine schöne Schauergeschichte zu Halloween.
»Das heißt, es war wirklich so?«, fragte ich leise nach. Lorcan nickte. »Vor vier Generationen. Es ist also schon lange her, doch die Menschen haben es sicher einfach weiter erzählt und haben sich nicht die Mühe gemacht zu beachten, dass in den letzten 30 Jahren keine Menschen mehr von Werwölfen getötet worden sind, sondern Werwölfe von Jägern.« Sein letzter Satz brachte die Kälte zurück in meinen Körper.
Es war einfach nicht gerecht, dass sich diese Jäger es herausnahmen, Werwölfe zu töten und zu jagen. Sie waren eben von Geburt an so, so wie manche Menschen schwarz oder weiß oder sonstige Hautfarben hatten. Es war doch vollkommen egal. So lange sie niemanden töteten und sich friedlich verhielten, konnte man sie doch tolerieren. »Bei uns bekommen sie das nicht so mit, weil sie jegliche Themen mit Werwölfen aus der Zeitung haben streichen lassen«, erwiderte ich nur.
Auch ich hatte die letzten Jahre nicht viel mitbekommen. Deswegen war ich auch so überrascht. Jegliche Themen mit Werwölfen waren aus der Zeitung gestrichen worden. Es interessierte bei uns ja so oder so niemanden. Jetzt wünschte ich mir, sie hätten es nicht getan. So würden sie wissen, wie es wirklich um Werwölfe stand. Aber vielleicht waren ja auch welche von ihnen Werwolfjäger. Vorstellen könnte ich es mir.
Es stimmte mich traurig, nur daran zu denken. »Lass uns über was anderes reden«, lenkte Lorcan dann von diesem Thema weg, worüber ich dankbar war. Die Stimmung war nur durch dieses eine Thema total gekippt. Jetzt kam ich mir wie eine Verräterin war. Auch ich hatte lange Zeit nur schlecht von Werwölfen gedacht. Zwar nicht wegen diesen Geschichten, aber ich war lange Zeit auch nicht besser gewesen. Schulgefühle schnürten mir die Kehle zu und ich wagte es nicht, ihn anzusehen.
Ich wusste genau, was ich am Anfang von ihm gedacht hatte. Ich hatte erwartet, er würde wie Liam sein. Ich hatte gedacht, dass er lügen würde. Dass er das alles nur erfand, um mir danach wehzutun. Das hatte ich gedacht. Ich hatte keinem von ihnen getraut. Am Anfang. Jetzt sah das anders aus. In diesem Moment legte Lorcan seine Hand auf meine. Ein Schauer durchzuckte mich und ein heißes Kribbeln jagte von der Stelle, wo er mich berührte, nach oben bis zu meinem Nacken. Von dort aus ging es auch über meinen Rücken.
Langsam drehte ich meinen Blick zu ihm und stellte fest, dass er etwas verschwommen war. Tränen verschleierten mir die Sicht. Tränen, die ich nicht bemerkt hatte. »Nera...«, wisperte er meinen Namen. Ich war unfähig etwas zu sagen, da der Kloß in meinem Hals mir die Kehle zuschnürte. Stattdessen spürte ich, wie eine Träne meine Wangen hinabrollte. Der Wagen kam am Straßenrand zum Stehen und ich hörte das Geräusch des Blinkers. All diese Eindrücke gerieten allerdings in den Hintergrund, als Lorcans Finger zart über meine Wange strich.
Dabei lag seine ganze Handfläche an meiner Wange. Seine Haut war rau. Rauer als die von Liam oder Phil und doch fühlte sich seine Berührung so viel sanfter an, so viel zärtlicher. Genießerisch schmiegte ich mich an seine Hand und genoss die kreisenden Bewegungen, die er mit seinem Daumen machte. »Hör auf, dich schuldig zu fühlen. Jeder Mensch hätte so gehandelt wie du. Wenn wir verletzt werden, dauert es eine Weile, bis wir uns Neuem wieder öffnen. Das ist ganz natürlich«, hauchte er.
Ich nickte. Tief in mir wusste ich es ja, was meine Lage aber auch nicht besser machte. Ich wollte nicht so sein. Ich hatte anders sein wollen und doch war ich nicht anders gewesen. Ich war genauso wie die Leute in meinem Dorf gewesen. Das wusste ich. »Du musst es sagen, damit du dir selbst glauben kannst«, sagte Lorcan leise. Ich sah ihn an. Ich wollte es ja sagen, aber die Worte fühlen sich falsch an. So falsch.
Ich öffnete den Mund, doch es kam einfach kein Wort heraus. Lorcan sah mich weiterhin an. Schien darauf zu warten, doch ich konnte es einfach nicht sagen. Es fühlte sich so falsch an. Ich hatte schlecht von ihnen allen gedacht, ohne sie wirklich zu kennen. Ich wusste, dass das nur ein Ergebnis aus meinem Schmerz gewesen war und dennoch... Ich hatte so schlecht von ihnen gedacht. Mehr als das. »Ich... ich kann das nicht sagen...«, brachte ich heiser hervor, während Lorcans Daumen noch immer Kreise auf meiner Wange malte.
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Lorcan - "Sie will zu mir" ✔
Loup-garouAls Phil, Neras Freund, ihr einen Antrag macht, kann sie nicht ja sagen. Etwas hindert sie daran. Sie weiß nur nicht genau was. Kaum hat sie sich versehen, läuft sie weg und folgt einem inneren Trieb, den sie sich nicht erklären kann. Kurz darauf fi...