20. „Sugar, We're Goin Down"

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Heute würden sie nach dem Frühstück zurückfahren. Sie lächelte auf Jonathan hinunter. Er schlief auf dem Bauch und hatte die Hände unter seinem Kopf verschränkt. Unwillkürlich wollte sie über seine wirren Haare streicheln, zog ihre Hand jedoch im letzten Moment zurück. Sie mussten noch nicht los, also warum ihm wecken.

Trotz ihrer selbstauferlegten Digitaldiät nahm sie ihr iPad in die Hand, setzte sich noch etwas aufrechter hin und scrollte durch ihre  Timeline bei Instagram. Eines der ersten Videos war ein Post der Bears in dem Jace in den Bus zum Auswärtsspiel stieg, einige Fragen beantwortete und dann den Arm zum Gruß an die Fans hob.#Bears #holtdenSiegnachHause #JaceAdams #welovefootball
Dabei sah er ständig auf sein Handy und Ella fragte sich, was deine Aufmerksamkeit so fesselte. Es tat ihr weh, dass er ihr nicht geantwortet hatte. Darla musste sich geirrt haben. Eine Entschuldigung war es nicht was er wollte.

Vorsichtig, um Jonathan nicht zu wecken, griff sie nach ihrem Handy und einsperrte es. Sofort fiel ihr der kleine rote Kreis an der Messenger App auf, der anzeigte, dass neue Nachrichten da waren.

Jace Adams: Ella, ich will mit dir reden.

Jace Adams: Sag mir wo du bist und ich hole dich, Baby.

Die Nachrichten waren von Freitag. Er hatte ihr nicht mal fünf Minuten nach ihrer Nachricht geantwortet. Sie ärgerte sich, dass sie nicht doch nachgesehen und sich darauf verlassen hatte, dass neue Nachrichten auf dem Sperrbildschirm angezeigt würden.

Ihr Daumen schwebte über den Nachrichten.

Ella: Jace, ich habe deine Nachricht erst jetzt gelesen. Es tut mir leid. Mein Handy scheint zu spinnen.

Ella: Wann bist du zurück, können wir uns sehen?

Ella: Ich wünsche euch viel Erfolg heute.

Sie seufzte. Ihre Nachrichten hatten nur einen Haken. Vielleicht war sein Handy ausgeschaltet.
Was tat sie da eigentlich? Sie lag mit dem perfekten Jonathan im Bett, nach einem wundervollen Wochenende und schrieb einem anderen Kerl?

***

Nora saß ihrer Tochter beim Frühstück gegenüber und überlegte noch, ob sie den verheimlichten Unfall ansprechen sollte oder nicht. Sie wollte allerdings unter keinen Umständen riskieren, dass die Vertrautheit zwischen Ella und Jonathan unter einem Familienstreit litt. Sie war hoch zufrieden, dass die beiden sich anscheinend doch wieder näher gekommen waren. Sie grinste ihren Mann an und deutete mit den Augen auf die ineinander verschlungenen Hände.

Benjamin biss missmutig von seinem Croissant ab und beobachtete Jonathan und Ella genau. Er war sich sicher, dass der Anwalt bis über beide Ohren in seine wunderschöne Tochter verliebt war, aber Ellas Lächeln erreichte ihre Augen nicht. Wusste er es doch. Der Junge war nix.

In den letzten Jahren hatte er viel von Ella erwartet, hatte sie gezwungen ohne Hilfe ihr Studium zu finanzieren, eine Wohnung zu finden und sich in der Hierarchie der Astrid-Lindgren-Zentren hochzuarbeiten. Alles was sie hatte, dort wo sie war, war sie aus eigener Kraft. Sie war stark und unabhängig, krisenfest. Er war verdammt stolz auf sein kleines Mädchen. Was ihm jetzt aber überhaupt nicht in den Kram passte und was er sich wirklich nicht für sie vorgestellt hatte, war Mr Sunshine ohne Ecken und Kanten, der die ganze Zeit an ihr rumgrabbelte.

Er seufzte. Seine Frau konnte Jace nicht leiden, das hatte sie ihm mehrfach zu verstehen gegeben. Und auch er war sich nicht sicher, ob jemand mit einer derart bewegten Vergangenheit der richtige Mann für Ella war, aber er wusste, dass sie einen Mann brauchte, der sie forderte, sie zu schätzen wusste, der ihre Stärke förderte und sie nicht in ein Mäuschen am Herd verwandelte.

„Jonathan, reich mir doch bitte den Brotkorb." Eigentlich hatte er keinen Hunger mehr, aber er wollte einen Moment generieren, in dem der Lackaffe die Griffel von seiner Tochter nehmen musste. Wenn auch nur kurz.

***

Später fuhren sie gemeinsam zurück. Nora hatte es so gedreht, dass Ella bei Jonathan im Auto gelandet war, weil sie auf dem Rückweg noch bei irgendeinem wichtigen Bekannten vorbei fahren mussten. Ben hatte sie Augen verdreht, aber geschwiegen.

Er küsste Ella zum Abschied auf die Wange und flüsterte: „Ist er derjenige welche, meine Kleine?"

Ella sah ihn überrascht an und ehe sie antworten konnte, war das Keifen ihrer Mom, die sich über irgendwas beschwerte, zu einem nahezu ohrenbetäubendem Gebrüll angeschwollen. Rasch schlüpfte Ella zu Jonathan ins Auto und blieb ihrem Dad die Antwort schuldig.

Während der Fahrt sah sie aus dem Fenster und ging ihren Gedanken nach. Auch in der Grotte hatten sie nicht miteinander geschlafen, obwohl alles an ihr schon fast weh tat, so sehr wollte sie gevögelt werden. Sie war mehr als bereit gewesen ihn in sich aufzunehmen.
Wieder hatte sie Jonathan mit der Hand befriedigt, wieder war sie unbefriedigt zurück geblieben. Entweder wusste er nicht, wie er ihr Erleichterung verschaffen konnte ohne mit ihr zu schlafen oder er dachte schlichtweg nicht daran, sobald er auf seine Kosten gekommen war. 

„Jonathan, kann ich dich was fragen?", sie sah ihn von der Seite an. „Bist du gestern gekommen?"

Er errötete. „Ja, natürlich."

„Und hast du auch daran gedacht, dass ich vielleicht auch gern gekommen wäre?" Sie beobachtete ihn genau, um seine Beweggründe besser abschätzen zu können. Er sah erschrocken zu ihr.

„Du hattest doch gesagt, dass wir nicht miteinander schlafen", antwortete er zerknirscht.

„Jonathan, du weißt aber schon, dass du mich auch anders hättest zum Höhepunkt bringen können?"

„Ja... ich... also..." Ihre Frage schien ihm sichtlich unangenehm zu sein. Schließlich seufzte er laut und meinte: „Ich hab das schonmal gemacht, Ella." Er würde noch röter. Irgendwie niedlich, dachte Ella. „Aber beide Frauen konnten so nicht kommen und ich...", er kratzte sich am Hinterkopf, „ich bin darin einfach nicht gut, denke ich. Mein Bruder meinte, seine Frau käme fast nie, also dachte ich irgendwie... naja... ."Er ließ den Satz unvollendet.

„Du dachtest du versuchst es nicht mal oder fragst zumindest was ich will?" Ella zog die Augenbrauen in die Höhe und ihre Laune verschlechterte sich zusehends.

„Du könntest es mir beibringen oder?"

Sie nickte. „Könnte ich wohl." Aber wollte sie das?

***

Jonathan hatte sie nach Hause gebracht und darauf bestanden ihren Koffer in ihre Wohnung zu tragen. Sie verdrehte hinter seinem Rücken die Augen und schickte ihn nach einem flüchtigen Kuss nach Hause. Stöhnend presste sie ihre Fäuste gegen ihre Stirn. Sie kam selber bei ihren Launen nicht mehr mit. Gern wäre sie jetzt joggen gegangen, um ihre Energie irgendwie loszuwerden, doch dazu waren ihre Rippen und ihre Hüfte noch zu empfindlich.

Stattdessen arbeitete sie einige Mails runter, machte eine Maschine Wäsche an, sortierte die Socken aus dem Trockner und wurde immer unzufriedener. Ihre Unruhe wuchs und mit ihr das Bedürfnis auf irgendwas einzuschlagen.

Statt irgendetwas zu zerstören oder sich selbst mich mehr wehzutun, zog sie das hellblaue Crinklekleid mit der weißen Spitze aus, was Jonathan und ihre Mutter gleichermaßen bewundert hatten und schlüpfte in ihren schwarzen, hautengen Jumpsuit, schminkte sich etwas stärker nach, wobei sie darauf achtete ihre Augen stärker zu betonen als ihren Mund, zog ihre schwarzen Killer-Heels an und ihre Lederjacke drüber und rief sich letztlich ein Taxi, was sie in Darlas UnverwechselBAR bringen sollte.

***

Jan pfiff laut, als Ella auf ihn zulief. „Ella, du siehst wahnsinnig heiß aus." Sie lachte ihn an und umarmte ihn zur Begrüßung, denn sie mochte Jan wirklich gern. Sie kannten sich eine halbe Ewigkeit, hatten zusammen in Darlas Bar angefangen. Er studierte Umweltwissenschaften und war in seiner Freizeit gern an der PS4 am Zocken.

„Du auch, Kleiner." Begleitend zu ihren Worten wuschelte sie durch die dunkelbraunen Locken des zwei Meter großen Mannes und ging an ihm vorbei in die Bar. Sie hatte vor sich bei Darla auszuheulen, zu trinken, zu tanzen, zu flirten und einfach alles zu tun, um sowohl Jace als auch Jonathan für einen Augenblick zu vergessen. Sie zwinkerte Jan zu und ließ sich auf einen Barhocker gleiten.

Du bist, was ich willWo Geschichten leben. Entdecke jetzt