40. „Rewrite the Stars" (Samstag)

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Manchmal gab es diese Wochen nach denen man sich einfach erschießen möchte. Oder während derer man sich erschießen möchte. Oder man möchte andere erschießen. Stattdessen macht man einfach weiter, man hat ja auch keine große Wahl. Am Samstag endlich hatte alles ein Ende. So oder so.

Ella war nicht zu Jace oder zu sich nach Hause gefahren. Sie brauchte Zeit um nachzudenken.
Gemeinsam mit ihrem Dad war sie den Vertrag durchgegangen, den Sanchez und Smith bei ihr gelassen hatten. Dann war sie ans Meer gefahren. Hier saß sie seit Stunden und schaute auf das Wasser. Es war mittlerweile stockfinster und höllisch kalt.

Das Angebot war mehr, als sie je zu hoffen gewagt hatte, mehr als sie sich hätte erträumen können. Diese Chance würde sie vermutlich nie wieder bekommen.
Auf der anderen Seite war sie erst Anfang zwanzig. Diese Chance hätte noch vierzig Jahre, um doch nochmal wieder zu kommen.

Ihr Dad setzte sie nicht unter Druck, aber sie wusste, dass er das Konzept eigentlich ungern aus der Hand gab und sich viel wohler fühlen würde, wenn er durch sie weiterhin Einblick und Kontrolle haben könnte. Aber wollte sie das? Wollte sie als kleine Informantin ihres Vaters fungieren? Würde sie so je aus seinem Schatten treten?

Ich kann mir nur nicht vorstellen, dass das alles sein soll, was du dir vom Leben erhoffst. Einen guten Job und eine Familie.

Sie hatte sich in den letzten Wochen immer wieder hinterfragt, hatte über ihr Leben nachgedacht. Überlegt, was sie wollte oder nicht wollte oder wollen sollte.
Alles kurz vorspulen, schauen ob es die richtige Entscheidung war und dann wieder zurückspulen. Das wäre jetzt mega.
Wenn sie gehen würde, könnte sie die Beziehung zu Jace und Casper vergessen. Sie war kein Typ für Fernbeziehungen und sie wollte auch kein Typ dafür werden. Sie wollte Nähe.

Also würde sie bleiben und das Angebot ausschlagen?

Also würde sie bleiben und sich immer wieder fragen: Was wäre gewesen wenn?

Was würde Jace ihr raten? Würde er ihr überhaupt etwas raten? Konnte er ihr was raten, ohne Angst dazu haben, dass sie ihm in Zukunft Vorwürfe machte?
Ella ließ sich in den Sand fallen und starrte in die Sterne.

***

Als sie weit nach Mitternacht in ihre Wohnung gefahren war, fand sie zu ihrer Überraschung Jace und Casper schlafend auf ihrem Sofa vor. Stirnrunzelnd dachte sie einen Augenblick nach, dann fiel ihr ein, dass Jace nach ihrem Sturz einen Schlüssel bekommen hatte. Sie schalt sich eine Idiotin. Wieso hatte sie den nie zurück verlangt? Jetzt war es egal. Als ob sie es geahnt hätte.

Jace hatte die Lehne umgeklappt und die Schlaffunktion genutzt, die ihnen beiden ausreichend Platz bot. Beide lagen auf dem Rücken und sahen ganz friedlich aus. Wieso war er denn nicht in ihr Bett gegangen?

Leise zog sie ihre Schuhe und ihren Mantel aus, dann setzte sie sich vorsichtig in den Sessel und schlug die Beine unter. In dem Moment begannen beide unisono zu schnarchen. Unwillkürlich musste Ella lachen. Schnell schlug sie sich die Hand vor den Mund. Jace und Casper schliefen jedoch selig weiter.
Sie zog eine Decke über ihre Beine und schlief ein, während sie die beiden Schlafenden betrachtete und ihr gemeinsames Schnarchen sie begleitete.

***

Jace blinzelte. Wo zur Hölle war er? Einige Herzschläge lang sah er an die Decke. Dann hörte er das leise Schnarchen, spürte die Wärme in seinem Arm und er erinnerte sich. Er war mit Casper zu Ella gefahren, nachdem ihr Dad ihn angerufen und ihm von dem Angebot der Sunshine-Education Group erzählt hatte. Was sollte er ihr sagen? Geh nicht! Und dann würde sie sich den Rest ihres Lebens fragen, was gewesen wäre wenn. Und er würde Angst haben, dass sie irgendwann erkennen würde, was sie für ihn aufgegeben hatte und ihn dann hassen würde.

Du bist, was ich willWo Geschichten leben. Entdecke jetzt