24. „Hold My Girl"

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„Ich bin schwanger!", platzte Svenja mit den guten Nachrichten heraus. Ella lief sofort um ihren Schreibtisch und umarmte sie stürmisch.

„Herzlichen Glückwunsch! Ich freue mich so." Die beiden umarmten einander und lachten. „Endlich mal gute Nachrichten!", strahlte Ella.

Svenja sah betreten zu Boden und seufzte. „Schön, dass du das so siehst. Du weißt ja, dass ich nicht mehr arbeiten darf, bis meine Antikörper getestet sind? Es tut mir leid dich im Stich zu lassen, aber ich muss auf das kleine Leben aufpassen, das verstehst du doch oder? Und meine Familie stresst mich total: uneheliches Kind! Viel zu jung. Ehe muss erst anlaufen, bevor man so eine Belastungsprobe schaffen kann. Die Hochzeit muss vorgezogen werden und so weiter." Sie zuckte mit den Schultern. „Religiöse Elternhäuser - die pushen sich grad gegenseitig hoch."

„Dann organisieren wir eben eine Winter-Hochzeit!", Ella zwinkerte ihr zu. „Sieh es mal so: Dein Schwiegermonster kann dir dann nur noch ganz kurz auf die Nerven fallen." Sie lachten.

„Können wir uns Sonntag treffen? Für eine Winter-Hochzeit habe ich keinen Plan."

Ella nickte. Eine Hochzeit zu organisieren würde ihr vielleicht das Herz brechen, aber sie hatte Svenja lieb, also würde sie alles tun, damit sie glücklich war. „Es wäre mir eine große Freude."

***

„Villa Kunterbunt, Svenja Nesselrode, schönen guten Abend", Svenja lächelte freundlich, obwohl sie natürlich niemand sehen konnte.

„Jace Adams, Svenja? Ich brauche eine Betreuung für Casper, ich weiß es ist kurzfristig, aber mein Dad, er ...", Jace schluckte und der Satz blieb unvollendet.

„Kein Problem, Mr Adams." Sie klärte die Zeiträume und legte dann auf.

„Ella?", rief sie durch die offene Tür ins Büro. Natürlich gehörte es sich nicht die Info vom Tresen einfach nur weiterzubrüllen, aber außer ihr und Ella war nur die Notgruppenbesetzung, Stefanie und David, mit ihnen im Gebäude, so dass niemand sie hören konnte.

„Casper Adams kommt zusätzlich in die Wochenendgruppe." Ella kam fast sofort aus ihrem Büro heraus, Svenja wunderte sich, wie erschöpft Ella mal wieder aussah. Lag es nur an der wirklich ätzenden Woche? Oder war da noch mehr, von dem sie nichts wusste?

„Wieso?"

„Das habe ich nicht gefragt, Ella. Geht mich ja auch nichts an oder?", zwinkerte Svenja ihr zu.

„Nein. Ich denke nicht. Ich fahre dann jetzt, den Rest erledige ich Zuhause. Du solltest auch bald Feierabend machen. Morgen wird ein anstrengender Tag. Brautzeitschriften durchblättern sich nicht alleine." Fast schon stotterte Ella die Antwort und ließ eine völlig verwirrte Svenja zurück. Sie stellte sich in die Tür und beobachtete Ella dabei, wie sie ihren Schreibtisch aufräumte, Unterlagen zusammenschob und ihre Tasche packte.

„Ella Schätzchen, was ist los mit dir und Jace Adams?"

Gehetzt sah Ella zu Svenja auf. „Nichts."

„Ach Süße, komm schon. Du verhältst dich ganz seltsam."

Bevor Ella jedoch antworten konnte, klingelte Liam von der Security durch. Während sie zu ihrem Schreibtisch zurückging - nicht ohne Ella nochmal einen unzufriedenen Blick zuzuwerfen -  gab sie die Freigabe für Jace Adams, der nur wenige Augenblicke später an ihrem Platz vorbei mit Casper im Arm in die Notgruppe lief. Casper schrie wie am Spieß und schien die Idee abends wieder in die KiTa zu müssen wenig ansprechend zu finden.

Ella hatte im Gegenzug das Gebäude fast fluchtartig verlassen und stand nun neben ihrem Wagen in der Tiefgarage, während sie ihren Autoschlüssel suchte, als sie hörte wie jemand ihren Namen rief. „Ella!"

Sie seufzte und drehte sich langsam zu Jace um. Ihr blieben die Worte im Hals stecken, die sie ihm seit Montag so gern an den Kopf geworfen hätte und die sie immer und immer wieder in ihrem Kopf fast gebetsmühlenartig vor sich hin sagte.
Als sie jedoch sah, dass er richtig beschissen aussah, wartete sie, während er die kurze Distanz zwischen dem Treppenhaus und ihrem Parkplatz überbrückte. Er hatte Sportklamotten an, war völlig verschwitzt, seine Augen waren gerötet, sein Gesicht abgespannt.

Sie wusste es eigentlich besser, trotzdem fragte sie ihn. „Jace, was ist los? Was ist passiert? Du siehst scheiße aus."

„Dad hatte einen Autounfall. Die Ärzte sagen er schafft es nicht." Mit hängenden Schultern stand er vor ihr. „Ich schaffe das nicht. Ich weiß nicht wie ich ihm beim Sterben zusehen soll." Ella überlegte nicht lange. Sie trat einen Schritt auf ihn zu und schloss ihn wortlos in die Arme.

Erleichtert vergrub Jace sein Gesicht in ihren Haaren, zog sie eng an sich. Er brauchte das. Er brauchte eine Umarmung. Ihre Umarmung, wenn er ehrlich war. Obwohl er sie erst zwei Wochen kannte, waren die Gespräche mit ihr so ehrlich gewesen wie mit keiner Frau vorher. Sie war ihm unter die Haut gegangen und da geblieben. Es war nicht nur der Sex, sie war einfach in jeder Hinsicht perfekt. Das hatte er allerdings am Montag versaut. Er war erstaunt, dass sie ihn jetzt überhaupt ansah, mit ihm redete und ihn sogar umarmte. „Ella", immer wieder murmelte er ihren Namen an ihrer Schulter. Er hatte solche Angst seinen Vater zu verlieren. Er merkte, wie sie sich kurz versteifte, dann aber beruhigend über seinen Rücken strich.

Eine verdammte Berührung von ihr und er könnte durchdrehen. Was war das bloß?!

Wie lange sie wortlos so dastanden, wusste er nicht. Er hatte Angst, dass wenn sie sich bewegten, dass er sie dann loslassen müsste. Und wenn er sie losließ, musste er ins Krankenhaus fahren. Und im Krankenhaus würde man ihm das Schlimmste sagen, was es gab. Aber seine Mom war alleine dort. Er sollte keine Zeit verschwenden. Er musste für sie da sein. Stark sein. Konnte er das?

Ellas Hände strichen immer wieder über Jace' muskulösen Rücken. Sie spürte sein Zittern. Was sagt man in solchen Situationen? Es sollte ja keine leere Floskel sein. Was kann den anderen trösten? Sie hatte Frederik Adams zweimal gesehen, könnte also kaum glaubhaft etwas wirklich Gehaltvolles über ihn sagen.
Sie seufzte.

„Ich bin da, ok?", sagte sie leise und Jace presste sie noch fester an sich.

„Ich weiß nicht was ich tun soll, wenn er stirbt." Abrupt ließ er Ella los, straffte seinen Rücken und trat zurück. „Ich wünsche dir einen schönen Abend, Ella."

Zögerlich hob sie die Hand an sein Gesicht und er schloss die Augen, genoss ihre letzte Berührung.

Du bist, was ich willWo Geschichten leben. Entdecke jetzt