22. „Welcome To My Life"

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Die ganze Woche war einfach die Hölle gewesen, einen anderen Ausdruck gab es für den Mist nicht, der sich seit Montag kübelweise über sie ergoss.

Dienstag stand die Presse vor der Tür, die tatsächlich Wind davon bekommen hatte, dass Casper Adams die Villa Kunterbunt besuchte. Seit 5 Uhr in der Früh belagerten sie rund um die Uhr den Eingang. Roman hatte eine Menge zu tun gehabt. Der Elternbeirat war wenig glücklich, aber sie hatte das immer wieder bestmöglich runtergekocht. Selbstverständlich hatte sich auch die Leitstelle eingeschaltet. Bisher war man mit ihrem Vorgehen einverstanden, mal sehen wie lange noch.

Jonathan hatte einen aufwändigen Fall und sie hatten sich nur einmal Mittwochabend gesehen und so gut wie garnicht miteinander geschrieben. Sie waren ins Kino gegangen und danach kurz spazieren, aber sie hatte gemerkt, dass die Zeit mit Jonathan sie nicht glücklicher machte. Im Gegenteil. Sie hielt sich immer nur zurück, erzählte nur oberflächlich von sich. Er merkte nicht einmal, dass es ihr beschissen ging. Also hatte sie ihm gesagt, dass es vorbei sei.

Statt sie anzuschreien oder irgendeine nachvollziehbare Reaktion zu zeigen, hatte Jonathan gesagt: „Du scheinst im Augenblick viel Stress zu haben. Denk in Ruhe über uns nach, ich kann auf dich warten." Dann hatte er sie auf die Wange geküsst, sie war in ihr Auto gestiegen und völlig frustriert in die UnverwechselBAR gefahren. Sie hatte den Abend mit Jan beim Kickern verbracht und zumindest das hatte ihr Freude bereitet.

Donnerstagmorgen hatte sie einen Anruf vom Hausmeister ihres Wohnhauses bekommen, der ihr mitteilte, dass es einen Wasserrohrbruch in der Etage über ihrer Wohnung gegeben habe und dass ihre Küche geflutet worden sei.  Jan war Gott sei Dank eingesprungen und hatte die Handwerker beaufsichtigt, so dass sie weiterarbeiten konnte.

Donnerstagmittag war dann ihre Mutter in ihr Büro gerauscht, hatte sie angeschrien und einen Tobsuchtsanfall bekommen, weil sie mit Jonathan gesprochen hatte und nun wusste, dass die beiden „pausieren würden".

Als sie versucht hatte Ella am Handgelenk mit sich zu zerren, um Jonathan aufzusuchen und alles zu retten, hatte Ella ihrer Mutter die Stirn geboten: sie hatte richtig gestellt, dass es eine Trennung und keine Pause war und sich letztlich auch noch geweigert mit ihr zu gehen und nochmal mit Jonathan zu reden. Ihre Mutter hatte ihr eine schallende Ohrfeige verpasst und sie ein undankbares Flittchen geschimpft.

Was hatten denn bloß alle, dass sie ständig als Flittchen beschimpft wurde? Wenigstens war es dieses Mal nur die Hand und kein Gürtel.

Leider war Jan in dem Moment reingekommen, um sie zum Mittagessen abzuholen und hatte alles mit angesehen. Zumindest war es endlich mal raus und sie hatte lange geheult und geheult und sich endlich von der Seele geredet, dass ihre Mutter sie jahrelang geschlagen hatte. Er war so wütend geworden und hatte sie aufgefordert mit ihrem Dad darüber zu sprechen. Sie hatte zumindest versprochen darüber nachzudenken. Das zu verarbeiten, hatte sie diese Woche allerdings nicht auch noch gebraucht.

Jace und sie hatten sich nach ihrer Begegnung Montagnachmittag nicht wieder gesehen. Sie war verletzt, schockiert und wütend.
Seine Mom war am Freitagmorgen bei ihr gewesen und hatte versucht für ihren Sohn um Verzeihung zu bitten, zu erklären, warum er sich verhielt wie er es tat. Doch Ella wollte es nicht hören. Wozu auch?

Der einzige Lichtblick in der ganzen Scheiße waren Jan und Darla. Sie schrieben seit Sonntagabend unregelmäßig miteinander. Beide verfolgten ihre Horror- Woche wie in einem LiveTicker. Jan hatte sie fast jeden Tag zum Essen abgeholt, weil Darla ihm gesteckt hatte, dass sie häufig bei Stress vergaß zu essen. Oder zu trinken. Oder auf sich selbst zu achten. Und sie genoss seine Gesellschaft. Er war ein toller Freund. Schon während ihres Studiums und ihrer Arbeit in Darlas Bar waren sie unzertrennlich gewesen und obwohl sie sich die letzten zwei Jahre seltener gesehen und irgendwie aus den Augen verloren hatten, konnten sie doch nahtlos an die Freundschaft des Studiums anknüpfen.

Der Freitag war noch nicht vorbei und sie wartete gespannt, welcher Mist heute noch kommen würde. Lass kommen.

Und es kam. In der Gestalt ihres Dads. Gerade als sie ihren Laptop schließen wollte, kündigte Svenja ihn an.

Jetzt geht es los, komm schon rein Daddy. Noch schlimmer konnte ihre Woche nicht werden.

Ella verzog den Mund und harrte der Dinge, die da kommen würden.

„Eleonora Lavinia Castlereagh", begrüßte Ben seine Tochter und küsste sie auf die Stirn. Er sah wie sie zusammenzuckte und sah sie entschuldigend an.

„Früher hast du meinen vollen Namen nur ausgesprochen, wenn ich in Schwierigkeiten gesteckt habe", sagte sie wehmütig lächeln. Suchend glitten ihre Augen über sein Gesicht.

„Hast du was ausgefressen, Kleines?"

„Ich weiß nicht. Diese Woche ist es wie verhext. Es läuft nichts glatt", meinte sie schulterzuckend.

„Eine von den Wochen nach denen man vier Wochen Urlaub brauchte, ja?" Mitleidig betrachtete er sein kleines Mädchen. „Ich bin nicht hier um es schlimmer zu machen. Eigentlich naja", er kratze sich am Hinterkopf, „wollte ich dir zur Entscheidung Jonathan abzuschießen gratulieren."

Sein kleines Mädchen lachte ungläubig auf.
„Wirklich, Daddy?"

„Wirklich, Spätzchen. Jonathan war ja fast gruselig perfekt. Ich wette er hat eure Trennung mit einem ‚Ich warte auf dich, nimm dir Zeit' oder so was weggelächelt." Er lachte über Ellas ertappten Gesichtsausdruck. „Deine Mom ist allerdings sauer."

Ben sah wie Ella unwillkürlich die Hand an ihre Wange hob. Ihm kam ein furchtbarer Verdacht. Er legte seine Hand um ihr Kinn und zwang sie ihm in die Augen zu sehen. „Hat deine Mutter dich geschlagen?" Dass seine Tochter ihre Augen schloss, statt zu antworten, war Antwort genug. 

„Es war nicht das erste Mal oder?", fragte er seufzend und seine Eingeweide zogen sich schmerzhaft zusammen. „Wie lange, Kleines?" Er wappnete sich für die Antwort mit der er gerechnet hatte. Nora war aufbrausend, wechselhaft, verschlagen. Sie war ihm gegenüber auch immer wieder handgreiflich geworden. Ohrfeigen fing er sich nahezu jeden zweiten Tag ein. Wie bescheuert war er eigentlich, dass er nicht gesehen hatte, dass das nichts mit ihm zu tun hatte? Dass sie auch ihr kleines Mädchen schlug? Er war ausgebildet solche Leute zu identifizieren, die Anzeichen zu lesen. Und bei seiner Tochter versagte er?

Du bist, was ich willWo Geschichten leben. Entdecke jetzt