Erschöpft lief Samantha in Richtung der Wohnheime. Max und Warren waren noch länger im Diner geblieben, auf Sams Wunsch hin. Sie wollte den beiden etwas mehr Zeit für sich gönnen, und außerdem musste sie noch etwas Dringendes erledigen. Die drei Freunde hatten beschlossen, dass sie versuchen wollten, das Handy unauffällig zurück in Nathans Zimmer zu bringen.
Das war einerseits eine dumme Idee, da Nathan so wusste, dass der Dieb jemand von Blackwell gewesen sein musste, andererseits war es aber nicht schlecht, das Handy loszuwerden. Man konnte ihnen im Nachhinein nichts nachweisen, sie hatten, hoffentlich, keine Spuren hinterlassen. Solange Sammy also nicht erwischt wurde, war sie raus aus dem Schneider. Und falls Nathan nun doch herausfinden sollte, dass der Wohnheimschlüssel ihr gehörte, was ziemlich wahrscheinlich war, konnte sie immer noch abstreiten, ihm nachspioniert zu haben. Schließlich hätte sie den Schlüssel ja vor oder nach dem Telefonat verlieren können, als sie ganz zufällig durch diese Gasse geschlendert war. Der Plan an sich klang dämlich, aber einen besseren hatten sie nicht.
Auf dem Wohnheimcampus war niemand zu sehen, bis auf... Sammy blieb überrascht stehen. Direkt neben der Eingangstür klebte ein Mädchen, welches sie noch nie gesehen hatte, und von dem sie wusste, dass es nicht auf die Blackwell Academy ging, Plakate an die Wand. Langsam näherte sie sich der Blauhaarigen. Kurz bevor sie an der Tür ankam, drehte sich die Fremde zu dir um. „Hey ähm", sagte das Mädchen locker aber irgendwie nervös.
„Hi", antwortete Sam lächelnd, dann fiel ihr Blick auf die Plakate, es waren Vermisstenposter. Auf dem Poster war das Bild eines wirklich hübschen Mädchens abgebildet, darunter stand ein Name: Rachel Amber. Rachel Amber. Das war die Vermisste von Nathans Foto. Sie zog scharf die Luft ein. Das war das Mädchen, welches vielleicht von ihm entführt wurde. Auf einmal wurde ihr ganz schwindelig, und sie musste sich am Geländer abstützen.
Es war eine Sache, so etwas zu vermuten, aber eine ganz andere, ein Vermisstenposter des potenziellen Opfers zu sehen. Wenn er ihr etwas angetan hatte... Er könnte ein Entführer sein. Oder sogar schlimmer: ein Entführer und ein Mörder. Wie viele Entführer ließen denn ihre Gefangenen wieder frei? Nicht viele, das wäre dumm. Und Nathan war auch nicht dumm. Oh Gott... wenn er sie nun getötet hatte. Schnell schüttelte sie mit dem Kopf. Nein, es war nicht bewiesen, dass Nathan Rache entführt hatte. Ihr Blick fiel wieder auf die Blauhaarige. Wenn sie diese Poster aufhing, musste sie Rachel Amber gekannt haben, oder nicht?
„Kanntest du Rachel?", fragte die Fremde plötzlich, ihr musste wohl aufgefallen sein, dass Samantha die Plakate seit Sekunden anstarrte. Sie schüttete leicht den Kopf. „Nein, ich kam erst nach ihrem... äh Verschwinden auf die Schule." Die Blauhaarige, deren Name sie immer noch nicht kannte, nickte verstehend. „Sie war wirklich umwerfend, weißt du? Also wenn ich umwerfend sage, meine ich das auch so. Sie war einfach nur... wow."
Die Namenslose starrte einen Moment lang sehnsüchtig auf die Plakate. Sammys Hals schnürte sich zu. Sie konnte das alles nicht ertragen. Was, wenn Rachel tot war? Und was, wenn Nathan daran schuld war? Konnte Nathan wirklich das Monster sein, welches er immer spielte? Tausende Fragen schwirrten in ihrem Kopf herum. Sie konnte eine Antworten finden. „Ich... ich bin übrigens Chloe, Chloe Price. Ruf an, wenn du was von Rachel gehört hast, okay? Die Nummer steht auf den Postern."
Sam nickte langsam, und versuchte ihr ein Lächeln zu schenken, welches aufmunternd war. Es glich mehr einer Grimasse. „Mache ich, sie wird bestimmt gefunden", erwiderte sie, biss sich aber gleich danach auf die Lippe. La, wahrscheinlich würde man sie finden, doch in welchem Zustand? Chloe Price schnaubte. „Rachel wird nur gefunden, wenn sie gefunden werden möchte, falls sie überhaupt noch in Oregon ist." „Was meinst du?", fragte Sam mit gerunzelter Stirn. „Sie träumte immer davon, von hier zu verschwinden, und alles hinter sich zu lassen. Die Stadt hat ein paar dunkle Geheinisse, vor denen man sich lieber in Acht nehmen sollte."
Sie nickte, und ließ die offensichtliche Warnung auf sich wirken. Chloe sprang die beiden Treppenstufen nach unten und wandte sich zum Gehen. „Dann tschüss-" „Samantha", antwortete sie, um Chloes Satz zu vervollständigen. „Tschüss Samantha, ach, und falls jemand fragt, wer hier illegaler Weise diese Plakate aufgehangen hat, ich wars nicht." Sammy nickte grinsend, und beobachtete, wie Chloe Price um die Ecke ging. Erst dann schloss sie die Haupttür des Wohnheims auf. Chloe war schon ein sonderbares Mädchen... aber gut sonderbar.
Sammy bog in den Gang mit den Räumen der Jungen ein, und verlangsamte ihre Schritte. Nathans Tür lag direkt bei Warrens, also konnte sie, falls jemand vorbeikam, so tun, als würde sie zu Warren gehen wollen. Doch darüber musste sie sich keine Gedanken machen. Der Flur war wie leergefegt, wenn sie jetzt nicht auffällig Lärm veranstaltete, würde sie unentdeckt bleiben. Schließlich stand Sam vor Nathans Zimmertür. Neugierig, weil sie es bis jetzt noch nie getan hatte, schaute sie sich die kleine Tafel an, die neben seiner Tür hing. So eine Tafel hatte jeder. Der Besitzer des Zimmers konnte sich so identifizieren, und andere konnten ihm eine kleine Nachricht hinterlassen. Das waren oft allerdings keine freundlichen Nachrichten. Nathans Tafel war fast leer. Bis auf zwei Worte, die er selbst geschrieben hatte: it sucks.
Sam schnaubte und drückte seine Türklinke herunter. Zu ihrer Überraschung konnte sie die Tür mühelos öffnen. Seltsam. Eigentlich hatte sie erwartet, dass die Tür abgeschlossen war, aber sie wollte es sicherheitshalber kontrollieren. Vorsichtig spähte sie in den Raum. Wenn Nathan sich darin befunden hätte, wäre das wohl der größte Reinfall ihres Lebens gewesen. Glücklicherweise war der Raum leer, das Schicksal hatte ihr scheinbar den Fauxpas verziehen. Sollte sie das Handy in sein Zimmer legen? Eigentlich wollte Sam es vor seine Tür legen, aber diese war ja nicht abgeschlossen, was ihr die Möglichkeit gab, sein Zimmer zu betreten. Aber dann würde er wissen, dass der Dieb bei ihm „eigebrochen" war. Das würde ihre Lage, falls sie geschnappt wurde, nur noch verschlimmern. Andererseits würde man Sammy nicht schnappen, hoffentlich...
Mal ganz davon abgesehen kam ihr die ganze Sache an sich komisch vor. Warum sollte Nathan vergessen seine Tür abzuschließen? Es war verdächtig, dass sein Zimmer gerade jetzt einfach zu betreten war. Samantha schreckte auf, als sie vom Ende des Ganges Stimmen hörte. „Und du willst Juliet einladen?" „Ja, auf jeden Fall." Zachary und einer seiner ebenso sportverrückten Freunde. Panisch blickte sie sich um. Die beiden durften sie nicht vor Nathan Prescotts Zimmertür sein.
Ohne groß die Konsequenzen zu überdenken schlüpfte sie durch den Türspalt in das Zimmer, und machte die Tür dann leise zu. Sams Augen brauchten einen Moment, bis sie sich an die Dunkelheit gewöhnten. In Nathans Raum war es nämlich fast komplett dunkel, nur ein kleiner Sonnenstrahl fiel durch das Fenster, der Rest wurde durch die heruntergelassenen Rollläden abgewehrt.
Langsam und vorsichtig, zum einen, weil sie nicht viel sah, und zum anderen, weil sie das Zimmer so verlassen wollte wie sie es vorgefunden hatte, ging sie auf den Schreibtisch zu. Sammy holte das Handy aus ihrer hinteren Hosentasche und legte es in die Mitte des Schreibtisches. Dort würde er es auf jeden Fall sehen. Kurz ließ sie ihren Blick über die ganzen Dokumente, die neben dem Handy lagen, gleiten.
"Oh, hallo Samantha", sie fuhr erschrocken herum. "So sieht man sich also wieder", Nathan lehnte im Türrahmen und funkelte sie bedrohlich an.
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Focused [Nathan Prescott FF]
FanfictionSamantha besuchte die Blackwell Academy in Arcadia Bay schon seit langem. Auch sie hatte von Nathan Prescott gehört, von ihm und den Geschichten, die sich um ihn rankten. Und das waren keine guten. Bis jetzt hatte sie seine Nähe gemieden. Bis jetzt.