NELES POV:
Langsam begann ich zu verstehen, warum Marie das Longboarden so liebte. Man dachte über nichts mehr nach, der Kopf befreite sich, nur noch das regelmäßige Schleifen der Rollen in den Kugellagern hallte dumpf darin wieder und doch füllte es ihn voll aus. Ich war schon ein paar Stunden gefahren, mindestens vier, denn am Horizont färbte sich der Himmel orange. Die Sonne ging bald auf und ich war fast in Bonn angekommen. Ich hatte die Wahl zwischen meinem jetztigen Ziel und Düsseldorf. Aber in Düsseldorf kannte ich niemanden außer wahrscheinlich mich selbst, obwohl ich mir auch da nicht ganz so sicher war. In Bonn wohnte jemand, von dem ich mir ein neues Leben versprechen könnte. Ihr Name war Ev. Eigentlich hieß sie Evelyn, aber keiner nannte sie mehr so, seitdem ihre gleichnahmige Großmutter gestorben war. Früher hatte ich mich immer gefragt, was für einen Unterschied es machte, den Namen vollständig auszusprechen. Jetzt war es so klar wie das Wasser aus dem Dispenser unserer Wohnung. Es tat viel zu sehr weh. Zumindest in der ersten Zeit. Ob Ev in den letzten sieben Jahren umgezogen war? Ich wusste es nicht. Das einzige, was mir blieb, war zu hoffen, dass sie es nicht getan hatte. Ich fuhr also nach Bonn hinein. Die Sonne war schon halb am Horizont zu sehen. Ich leitete daraus ab, dass es zwischen 5 und 6 Uhr sein musste. Es fuhren kaum Autos und aus denen, die doch fuhren, wurde ich misstrauisch beäugt. Ich fuhr an ein paar Clubs vorbei aus denen jetzt noch die letzten Gäste taumelten und ihre Augen beim Erblicken der Sonne zusammen kneifen mussten. Ich schüttelte den Kopf und musste mich immer wieder fragen, wie dumm man sein konnte zu denken, man könnte seine Probleme mit Irgendetwas betäuben. Ohne noch einen weiteren Blick an diesen Menschen zu verschwenden, fuhr ich weiter. Das Haus, in dem Ev zumindest früher gewohnt hatte, lag nicht wirklich in der Innenstadt. So etwas hätten sie sich niemals leisten können. Ich musste also nicht sonderlich weit fahren, bis ich dort ankam. Es war kein besonders großes Haus, jedenfalls war es nicht so groß wie das Haus meiner Eltern, aber es war groß genug für vier Personen. Ich klemmte mir mein Board unter den Arm und betrachtete das Haus. Was das meine zweite Chance? Langsam ging ich an den Zaun und suchte die Klingel. Sie schienen noch hier zu wohnen, Ev's Nachname stand auf dem Klingelschild, genau wie vor sieben Jahren. Genau wie damals, als ich sie im Stich gelassen habe und nach Köln gezogen bin. Wird sie sich freuen, mich wiederzusehen? Wird sie mich überhaupt erkennen? Ich wusste es nicht. Es gab nur einen Weg, das heraus zu finden. ich nahm meinen ganzen Mut zusammen und drückte auf die Klingel. Im Stillen zählte ich die Sekunden. EIns, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, acht, neun, zehn, elf, zwölf, dreizehn, vierzehn. Dann öffnete sich die Tür. Im Rahmen stand ein Mädchen, rötlich schimmernde, hüftlange Haare, eine winzige Nase, aber dafür doppelt so große Augen. Es war eindeutig Ev, auch wenn sie sich unglaublich verändert hatte. Ich stand noch immer am Zaun, Ev erstarrt im Türrahmen, keiner traute sich, den ersten Schritt zu tun. Also machte ich es. Ich öffnete vorsichtig und geübt die Gartenpforte und schritt selbstsicher auf sie zu. Ev's Augen verflogeten jede meiner Bewegungen aufmerksam, als würde sie damit rechnen, dass ich sie gleich umlegte. Eine Armlänge vor ihr blieb ich stehen und versuchte, sie entschuldigend anzulächeln.
"Ev", sagte ich nur.
"Nele", antwortete sie unmittelbar, nachdem ich zu Ende gesprochen hatte. "Du bist wieder da."
"So könnte man es auch sagen", meinte ich und zuckte mit den Augenbrauen. Ev schüttelte langsam in kleinen Bewegungen den Kopf und murmelte etwas, dass ich nicht verstand. Dann umarmte sie mich fest und schluchzte.
"Ich habe dich so vermisst!", weinte sie. Ich erwiderte ihre Umarmung.
"Ich dich auch", sagte ich und tätschelte ihren Rücken. "Wieso bist du nicht sauer?" Langsam spürte ich auch in mir die Tränen und Erinnerungen aufsteigen, die ich in den letzten sieben Jahren so erfolgreich verdrängt hatte. "Du hättest allen Grund dazu, mich jetzt zu hassen. Warum tust du es nicht?", weinte ich halb.
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Die Geschichte von Nele (Julien Bam/Apecrime FF FanFiction) (Parallelgeschichte)
FanficDas hier ist die Geschichte eines Mädchens. Eines Mädchens, das irgendwie am Abgrund steht und entscheiden muss, ob die, die ihr helfen, es für sich tun, für sie oder ob sie nur vor haben, ihr Leben noch mehr in die Länge zu ziehen. Genauer gesagt g...