Ich weiß, wo mein Platz ist [Ende/Finale]

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NELES POV:

Nach einem mehr oder weniger langen Gespräch bekam ich den Job. Die Menschen waren sehr nett, denen ich hier im Laden heute begegnete. Anfangen zu arbeiten sollte ich am nächsten Tag, also machte ich mich wieder auf den Weg zurück zum Studentenwohnheim. Als ich mich ins Bett legte, fiel mir mein Handgelenk mitten ins Gesicht und mit ihm das Armband von Andre. Ich riss es ab und stopfte es in die Reisverschlusstasche meiner Jacke. Es war zwar noch nicht wirklich spät, aber ich ging schlafen, um meine Gedanken zu betäuben. Einfach, um mich selbst zu schützen. Und dank meiner Verdrängung träumte ich noch nicht einmal. Ich schlief ruhig, traumlos, frei.

Die ersten Tage war es sehr hoffnungsvoll, ich arbeitete mich gut ein, nachts konnte ich schlafen und dachte kaum noch an Köln oder irgendjemanden dort, doch es blieb nicht so. Mit jedem Tag wurde es schwerer, meine Vergangenheit zurück in meinen Hinterkopf zu drängen. In immer mehr Menschen im Café sah ich Andre. Oder meinen Vater. In jeder Melodie erkannte ich das Pfeifen des Windes, das ich gehört hatte, als ich dort oben auf dem Dach der Apes stand, bevor ich gesprungen war. Ich erkannte alles wieder und mit der Zeit wurde mir klar: auch hier ist nichts anders. Hier sind die Menschen nicht anders. Nur ich war zu Anfang hier anders. Es hing alles nur von mir ab. Es hing davon ab, ob ich die Leute anlächelte oder nur grimmig vor mich hin starrte. Es hing davon ab, ob es mir gut ging oder nicht, wenn ich etwas träumte. In meinem Unterbewusstsein entwickelte sich immer mehr Dominität meiner Vergangenheit in Köln. Ich träumte von Andre, wie er mich umarmte und mit mir teilte, was ich erzählte. Weil er es auch kannte. Ich träumte von Marie, wie sie mir ein Geschenk gab und dann plötzlch verschwand. Ich träumte von mir selbst, dass es mich zwei mal gab. Ich träumte davon, wie diese beiden Ichs gegeneinander kämpften. Niemals starb in diesem Kampf nur einer. Es starben immer beide. Es blieb nie jemand übrig. Wenn es zu einem Kampf kam, starben alle. Restlos ausgelöscht. Doch am allermeisten träumte ich von Andre. Von Andre, wie er lächelte, wie unsere Hände sich berührten. Und jedes Mal, wenn ich von ihm träumte, wachte ich schweißgebadet und tränenüberströmt auf. Jedes verdammte Mal.

Ich hatte eine zweite Entscheidung getroffen, die mein Leben ein zweites Mal verändern würde. Ich wollte nicht sagen, dass ich meine erste Entscheidung rückgängig machte. Ich hatte mich in Düsseldorf verändert. Ich hatte erkannt, was Andre mir wirklich sagen wollte. Und jetzt fuhr ich mit dem Longboard in Richtung Köln. Zu ihm. Mir war klar, es kam alles nur auf mich an. Würde ich lächeln, würden sie lächeln. Würde ich fröhlich sein, würden sie mir fröhlich entgegen kommen. Es war niemals ihre Schuld gewesen. Es war immer die meine. Aber damit das funktinieren konnte, musste ich zu dem Menschen, der mich glücklich machte. Der einzige dieser ganzen Welt. Ich fuhr zu Andre.

Ich weiß jetzt, wo mein Platz ist, schrieb ich ihm. Sekunden später kam die Antwort.

Das freut mich.

Wo seid ihr?, fragte ich. Zurück kam die Adresse eines Clubs am Rheinufer im Zentrum von Köln. Bootshaus hieß der Club. Ich war auf dem Weg. Auf dem Weg nach Hause. Zu meinem richtigen Zuhause. Ein Lächeln lag auf meinem Gesicht. Alles würde gut werden. Ich würde bei ihm sein. Ich würde ihm danken.

Mein Herz machte einen Satz, als der Club in Sichtweite kam. Ein paar Freudentränen liefen mir das Gesicht herunter. Ich pushte noch einmal und fuhr auf die lange Brücke. Jeder Millimeter näher an Andre ließ mein Herz höher schlagen. Ich war schon fast an der Mitte der Brücke. Ich war gleich da. Alles war schon so nah, als plötzlich passiertem was passieren musste. Ich hatte einen der Gründe, weshalb ich nicht nach Köln zurück kehren wollte, völlig außer Acht gelassen. Das Auto, das ich vor Glück nicht kommen hörte, rammte mich stark von hinten. Ein scharfer Schmerz durchzuckte meinen ganzen Körper und ich flog nach vorne auf den Asphalt. Mein Gesicht rutschte noch ein Stück. Ich spürte, wie meine Haut abgeschliffen wurde. Das Auto kam mit quietschenden Reifen zum stehen und jemand stieg daraus aus. Er kam betonte langsam auf mich zu gelaufen. Ich schloss die Augen halb, die Lichter verschwammen bereits vor ihnen. Plötzlich wurde ich an den Armen gepackt und über eine Hürde geschliffen, wahrscheinlich lag ich jetzt auf dem Bürgensteig.

"Na los, komm schon, mach die Augen auf", flüsterte eine Stimme nah vor meinem Gesicht. Es war keine fürsorgliche Bitte. Es war ein fauchendes schelmisches herausforderndes Flüstern. Mit stellten sich alle Haare auf. Ich hatte diese Stimme noch nie gehört, doch ich wusste, dass sie nichts gutes bedeutete. Vorsichtig öffnete ich ein Augen.

"Halle Süße", sagte der Man über mir. Etwas harte traf auf mein Bein. Es knackte laut und ich schrie auf. Der Mann presste mir seine Hand auf den Mund.

"Weißt du, wer mich schickt?", fragte er leise. Ich unterdrückte weiterhin ein Schreien.

"Weißt du, wer mich schickt?", brüllte er mich an. Mein anderes Bein wurde von einem starken Gewicht zerquetscht. Die Andern brannten wie Feuer, mein ganzer Körper stand in Flammen, einen so schlimmen Schmerz hatte ich noch nie verspürt. Ich brüllte gegen seine Hand an.

"Nico", sagte der Mann wieder etwas leider. "Weil er wegen dir im Gefängnis sitzt!", seine Stimme wurde extrem laut. Mit einer schnellen Handbewegung schlug er auf meine Wange, auf der sich daraufhin ebenfalls ein Feuer entzündete und mir die Haut verkohlte. Der Man hob mich hoch. Ich schrie vor Schmerz wieder auf, als meine Beine nach unter fielen. Ein paar Schritte ging er, dann ließ er mich los. Und ich fiel.

Was ich vor Monaten noch freiwillig getan hatte, heute vor exakt drei Monaten, um genau zu sein, passierte jetzt. Jetzt, wo ich es nicht mehr wollte, holte es mich ein.

Und

mein

einziger

Gedanke

auf

dem

Weg

nach

unter

bevor

ich

auf

das

Wasser

auftraf

war:

A

N

D

R

E

!

Das ist also die wirkliche Geschichte, Leserchens,

die wirklich wahre Geschichte von Nele, das Mädchen, das einst nicht mehr Leben wollte und erst, als sie das Leben verstand und wirklich kennen gelernt hat, genau dann musste sie sterben. Ihr verspäteter Wunsch. Ja, sie hätte Andre geliebt. Ja, sie wären zusammen gekommen. Ja, ich habe das nicht gewollt. Nein, ich kann es nicht ändern. In diesem Moment ist die Persönlichkeit von Nele in mir gestorben. Ich bin volkommen leer, meine Hände zittern und mein Herz schlägt schnell. Nele hat keinen Suizid begangen. Das Leben wurde ihr geraubt. Diesem Mädchen wurde ein Leben geraubt. Lernt daraus. Ihr müsst wissen, Wünsche kommen meistens verspätet, wenn man sie gar nicht mehr will. Ich liebe Nele und ich habe den Teil von ihr in mir geliebt. Es tut mir unendlich leid, dass sie jetzt tot ist. Für immer. Es ist keine einfache Geschichte, vielleicht werde ich sie noch einmal schreiben, etwas mehr ausbauen, von Andre schreiben, aber ich werde nichts ändern. Ich kann Nele nicht wieder zum Leben erwecken, ich wünschte, ich könnte es. Jetzt weine ich. Ich weine um Nele, um eine meiner Freundinnen. Bitte nehmt euch Zeit um zu verstehen, was mit mir passiert, Ihr müsst das nicht verstehen, aber es trifft mich härter, als ich gedacht hätte. Bitte seid mir nicht böse, wenn erst einmal nichts von mir kommt. Ich muss erst einmal verarbeiten, was da gerade passiert ist.

LG Kaeferchen

Die Geschichte von Nele (Julien Bam/Apecrime FF FanFiction) (Parallelgeschichte)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt