Erinnern III

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NELES POV:

Als ich später, nach dem Flashback, wieder zu Sinne kam, saß Ev mit eine Tasse dampfenden Tees neben mir. Ich stöhnte und rieb mir den Kopf. Ev bemerkte, dass ich wach war und bot mir ihren Tee an. Ich schüttelte den Kopf.

"Komm schon! Dir geht es doch sch***e. Wieso lässt du dir nicht helfen?", fragte sie.

"Es geht mir gut", keuchte ich und versuchte, mich schnell und sicher aufzusetzen, was mir natürlich misslang. Meine Hand presste sich wie von selbst an meine Stirn und ich unterdrückte ein Würgen. Wie lange hatte ich nichts gegessen? Ev hielt mir den Tee wieder entgegen. Dieses Mal nahm ich ihn und trak einen Schluck.

"Warum bist du wirklich hier?", fragte Ev. Ich schloss die Augen. Sollte ich sie da mit herein ziehen? Ich entschied mich für nein. Ich hatte kein Recht, Ev dermaßen in Schwierigkeiten zu bringen.

"Ich musste einfach mal raus", log ich und begann, mit meinen Fingernägel zu spielen und sie anzukauen. Ev gab es auf und hakte nicht weiter nach, einerseits, weil sie wissen müsste, dass ich nicht weiter sagen werde, andererseits mir zuliebe, um mich nicht zu quälen. Jedenfalls hoffte ich, dass es so war. Ich massierte mit den Fingerkuppen meine Schläfen und versuchte, die Kopfschmerzen dadurch wenigstens ein bisschen zu reduzieren.

"Ich treffe mich gleich mit dem Typen, bei dem du vielleicht bleiben kannst. Magst du mit?", fragte sie auffordernd und erhob sich schon schwungvoll von ihrem Stuhl.

"Klar, warum nicht?", meinte ich. Ein bisschen frische Luft würde meinen Kopf nebenbei bemerkt auch ganz gut tun. Wir zogen uns also an und fuhren zu diesem Freund von Ev. Das Treffen hatte sie an einem Park im Süden von Bonn ausgemacht. Sie nahm ihr Fahrrad, ich mein Longboard, obwohl mir Ev das Fahrrad ihrer Mutter angeboten hatte, doch ich hatte abgelehnt. Schließlich wollte ich etwas ändern und das erste, was an der Reihe war, war meine Motivation. Und es funktionierte. Ich gewann das Longboardfahren langsam lieb. Es halfmir irgendwie, mich zu berfreien. Ich war ja jetzt auch frei. Drei Monate musste ich mich zwingen frei zu sein. Das hatte ich Andre versprochen. Ich würde mein Versprechen nicht brechen. Niemals.

Der Kumpel von Ev, Jean hieß er überigens, war genau das Gegenteil von Nico. Ein kleiner schmächtiger Franzose mit großen offenen Augen und unübersehbar ein ziemlicher Nerd. Jean Eltern, wie ich von ihm erfuhr, waren zur Zeit in Frankreich bei irgendwelchen Verwandten, aber er hatte sowieso eine eigene Wohnung, in der er tatsächlich bereit war, mich fürs Erste aufzunehmen. Ich verabschiedete mich also schnell von Ev, die ohnehin noch viel zu tun hatte und fuhr mit Jean zu seiner Wohnung, nicht weit vom Park entfernt. Ich hatte nicht erwartet und war somit etwas zu überrascht von der Größe und Geräumigkeit des Appartments. Drei Meter hohe Zimmer und mindestens 100 Quadratmeter besaß der Franzose. Ich konnte also davon ausgehen, dass Mami und Papi da ordentlich finanziell unterstützen. Jean führte mich in eine Art Gästezimmer, in dem ich anscheinend schlafen sollte. Es war ziemlich groß, die Wände waren kalkweiß, wie in einer Anstalt. Das machte mir ein wenig Angst, aber na gut. Immerhiin würde ich nicht obdachos in Bonn herum irren.

"Danke", sagte ich, als Jean mein Longboard aus dem Flur in das Zimmer trug.

"Kein Problem", sagte er und lächelte. War er immer so drauf? Ich starrte verlegen zu Boden. Eine peinliche Stille brach zwischen uns aus.

"Ähhm", stotterte er und kramte in seiner Tasche. Dann streckte er mir seine geschlossene Faust hin.

"Das ist der Hausschlüssel. Ich muss jetzt noch einmal los. Fühl dich wie Zuhause, okay?", fragte er.

"Hmm", murmelte ich und versuchte zu lächeln. Ob es mir gelang oder nicht, lies sich in Jeans Miene nicht ablesen. Er lies den Schlüssel in meine Hand fallen und ging rückwärts aus dem Zimmer. Kurz darauf hörte ich eine Tür knallen. Ich atmete aus. Langsam ging ich einmal im Zimmer herum. Meine Hand strich über den schneeweißen Bettbezug, von dem ich mir gar nicht vorstellen wollte, wie viel er gekostet haben musste. Er fühlte sich jedenfalls sehr seidig und glatt an. Obwohl ich vorhin bei Ev schon geschlafen haben musste, überkam mich eine heftige Müdigkeit. Ich schob das auf die anstrengende Fahrt hier her. Mühsam zog ich mir die Sneakers von den Füßen und lies mich auf die weiche Matratze fallen. Ich riss die Bettdecke aus dem Kasten, in dem sie eingeklemmt war und wickelte mich darin ein. Bevor ich weiter denken und mir das Kopfkissen heran ziehen konnte, war ich eingeschlafen.

"Tschau", sagte Marie. ich umarmte sie kurz und legte das künstliche Lächeln auf, dass ich erst gestern wieder vor dem Spiegel trainiert hatte. Man dürfte kaum einen Unterschied feststellen. Marie rieb mir über die Schultern.

"Pass auf dich auf!", sagte sie freundlich. Hätte ich sie nicht gehasst, hätte ich ihr jetzt das selbe gesagt, aber täte ich es, würde ich genauso wie sie werden. Auch sie hatte ein Geheimnis. Auch sie versteckte sich. Vor ihm. Und es war meine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass das ein Ende hatte. Oder aus mir würde das selbe werden. Manchmal stellte ich mir vor, wie Marie sich wie ich vor den Spiegel stellte und ein neutrales Geschicht aufsetzte, dass in keinster Weise gequält aussah. Wir hatten beide unsere Gründe. Sie hatte Nico. Ich hatte den Rest der Welt. Mein Vater meldete sich nicht mehr. Meine Mutter wusste noch nicht einmal mehr, dass es mich gab und mein Stiefvater hatte nie etwas von mir gewusst. Ich war so unsichtbar in dieser Welt. Wahrscheinlich würde es niemand merken, wenn ich plötzlich nicht mehr da wäre. Außer Marie vielleicht... Nein, diesen Gedanken verwarf ich ganz schnell wieder. Marie würde nichts merken. Sie war doch genau so, wie alle anderen Menschen auch. Skruppellos, ignorant, selbstverliebt. Genauso wie der Typ, mit dem ich jetzt telefonierte. Mit dem Unterschied, dass dieser Typ mir drohte. Und das war schlimmer, als unsichtbar zu sein. Schlimmer, als zu sterben.

"Sie ist jetzt aus dem Haus. Sie geht nach Hause. Busse fahren nicht mehr", sagte ich, sobald er abgehoben hatte, ohne mich zu melden oder auf seine Reaktion zu warten. Schon legte er auf. ich starrte auf mein Handydisplay und vergewisserte mich wie immer, dass ich wirklich die richtige Nummer angerufen hatte. Leider ja. Nein, nicht leider! Hätte ich es nicht getan, wäre er wahrscheinlich jetzt schon hier. Vielleicht auch erst ein oder zwei Sekunden später. Aber nicht so spät, dass ich fliehen könnte. Und selbst wenn, er würde mich kriegen. Genauso, wie er Marie kriegen wird. Über irgendjemanden würde er mich finden. Solange es Leute wie mich auf der Welt gab, die zu viel Angst hatten, dass es weh tat. Egal, was es war. Also würde ich nicht laufen. ich war einer der Menschen, die halfen. Nur leider den falschen. Das ist nichts, worauf ich stolz sein könnte. Und das war ich auch nicht.

Ja, es hat wieder sehr lange gedauert, Leserchens,

ich bin ziemlich krank gerade, aber das Kapitel hatte ich schon zu zwei drittel fertig, ich habe jetzt aber keine Kraft mehr, noch einen Teil der Ju FF zu schreiben, tut mir leid. Ich hoffe, dass es mir morgen besser geht, damit ich weiter schreiben kann.

LG Kaeferchen

Die Geschichte von Nele (Julien Bam/Apecrime FF FanFiction) (Parallelgeschichte)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt