In seinen Armen

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NELES POV:

Vor mir stand nicht Nico, vor mir stand genau sein Gegenteil. Andre.

"Hey, alles klar?", fragte er erschrocken und ließ mich los. Ich nickte schnell. Er trug eine karierte Stoffjacke mit Kapuze, die er sich tief ins Gesicht gezogen hatte. Seine Tattos waren ebenfalls von der Jacke verdeckt.

"Komm, gehen wir woanders hin, die Leute gucken schon", sagte Andre. Wieder nickte ich. Er legte seinen Arm um meiner Schulter und wollte mich an sich ziehen, doch ich schüttelte ihn ab. Ich brauchte keinen Beschützer, zumindest jetzt nicht. Andre steckte seine Hand also wieder in seine Hosentasche. wir liefen bis zu einem Café, in das Andre hinein ging und mir keine andere Möglichkeit ließ, als ihm zu folgen. Frangen konnte er auch nicht, oder? Er setzte sich an einen kleinen Tisch direkt am Fenster und sah mich erwartend an. Ich verdrehte die Augen und ließ mich auf den Stuhl ihm gegenüber fallen. Mein Longoard legte ich vor meine Füße, damit niemand darüber stolpern musste, außer vielleicht Andre wenn er aufstand. Er faltete seine Hände, legte sie auf den Tisch und beugte sich leicht zu mir vor.

"Wie geht es dir?", fragte er und sah mir dabei in die Augen, wovon ich minimal abgelenkt wurde.

"Siehst du das nicht?", fragte ich leicht frech, aber es war nur die Warheit. Wie bilnd war der Typ?

"Dein Aussehen sagt doch nichts darüber aus, wie du dich wirklich fühlst!", erwiderte er.

"Bei normalen Menschen schon", sagte ich leise.

"Und wen du kein normaler Mensch bist?", fragte Andre. Was, wenn ich kein normaler Mensch war? War das nicht unmöglich? Ich war selbstverliebt, erpressbar, bestechlich, egoistisch und schwach. Ich war doch ein normaler Mensch, oder?

"Das ist unmöglich", meinte ich und brach den Blickkontakt ab.

"Warum bist du dann zu mir gekommen?", fragte Andre. Als ich wieder aufsah, zog er fragend eine Augenbraue hoch. Mist, da hatte er mich auf dem falschen Punkt erwischt. Ich biss mir auf die Lippe und suchte fieberhaft nach einer Antwort.

"Keine Ahnung", sagte ich. Es war die Warheit. "Wahrscheinlich war es deine unausstehliche Perfekteit", witzelte ich. Andre schwieg und senkte den Blick auf seine Finger. Hatte ich ihn damit verletzt?

"Niemand ist perfekt", sagte er schließlich. "Und das ist auch gut so."

"Das ist nicht war. Das glaubst du doch wohl selbst nicht, oder?", zischte ich.

"Natürlich! Sonst hätte ich es ja nicht gesagt! Was glaubst du denn?", rief er über den Tisch hinweg.

"Du siehst es nur nicht, eben genau weil du alles hast. Du musst dir gar nichts mehr wünschen, weil du schon perfekt bist", keifte ich und suchte wieder den Augenkontakt, um den Schmerz darin zu sehen, den ich hoffentlich in Andre ausgelöst hatte, doch er hob den Kopf nicht. Ich ging davon aus, dass das auch ein Zeichen dafür war, dass ich ihn verletzt hatte.

"Ich bin nicht perfekt", sagte Andre leise.

"Ach ja?", erwiderte ich. "Was hast du denn alles schon durchgemacht, he? Was wurde dir denn bitte nicht zugeworfen? Du hast doch überhaupt keine Ahnung, wie es ist, alleine zu sein!" Meine Augen verengten sich zu Schlitzen, ebenso wie seine, als er endlich den Kopf hob und mir rivalisierend in die Augen sah.

"Du weißt ja gar nicht, wie viele Lügen dir da gerade über die Lippen gehen!" Seine Stimme war tief und bedrohlich.

"Dann klär mich auf", verlangte ich.

"Nein", wehrte Andre ab. Ohne zu Zögern stand ich auf, nahm mein Longboard und verließ das Café. Ich drehte mich nicht noch einmal um, ich sah nicht noch einmal nach ihm. Er hatte es nicht verdient. Andre war ein Egoist, ein Lügner und ein absoluter Proll. Nebenberuflich Möchtegern-Psychologe. Dieser Typ ging mir sowasvon am Arsch vorbei! Es hatte mittlerweile leicht angefangen zu regnen und die Tropfen hingen in meinen Wimpern und Haaren. Ich ging wieder über den Rathausplatz, den Weg, den ich gekommen war, in meiner Sichtweite war schon der Asphalt, auf dem ich endlich wieder fahren konnte, ohne mich alle zwei Sekunden auf mein dämliches Maul zu legen. Die Leute um mich herum sahen mich nicht einmal an, wenn ich mich zwischen ihnen hindurch drängelte. Überall hörte ich das leise unregelmäßige Platschen von Schuhen, die in Wasserpfützen ein Bad bekamen, also bekam ich auch nicht mit, wie sich jemand mit von hinten näherte, mir die Hand auf die Schulter legte und mich so zum stehen brachte. Ich drehte mich um und sah zum zweiten Mal heute Andre vor mir stehen. Seine Augen waren ein wenig glasig. Ich zuckte mit der Schulter unter seiner Hand, um sie anzuschütteln, doch er nahm sie nicht weg.

"Lass mich los!", sagte ich noch ruhig. Andre schüttelte den Kopf.

"Was willst du von mir?", fragte ich also.

"Mein Vater hat mich, meine Geschwister und meine Mutter geschlagen, irgendwann ist sie mit meinen Geschwistern abgehauen und hat mich allein gelassen. Nicht längere Zeit später bon ich ins Heim gekommen. Ich weiß, wie es ist, allein zu sein. Ich weiß es so viel besser, als du denkst" Andres Augen wurden von glasig zu rötlich. Tränen stiegen darin auf und liefen ihm über das Gesicht. Meine Kinnlade fiel nach unter.

"Tut mir leid", sagte ich. "Oh mein Gott, es tut mir so leid!" Mehr bekam ich in diesem Moment nicht aus dem Mund. Ich trat einen Schritt näher an Andre und umarmte ihn fest.

"Es tut mir so leid", murmelte ich in seine Jacke.

Puh, Leserchens,

hatte jetzt doch noch einmal mehr Lust und Motivation, als gedacht, also heute noch ein Kapitel! Votes und Kommentare freuen mich immer,

LG Kaeferchen

Die Geschichte von Nele (Julien Bam/Apecrime FF FanFiction) (Parallelgeschichte)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt