Kapitel 2

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,,Meine Damen und Herren! Vor uns liegt die größte Gewitterwolkenfront die ich je gesehen habe. Ich werde versuchen darüber hinweg zu fliegen. Bitte legen Sie die Sicherheitsgurte an. Bordpersonal, bitte verstauen Sie alle losen Gegenstände und setzen sich hin. Es könnte holprig werden. Bitte bewahren Sie Ruhe!", sagte der Pilot mit fester Stimme in einer Durchsage.

Alice umklammerte ängstlich Ryans Arm. Er schaute sich um. Die Menschen gerieten immer mehr in Panik und auch ihm schlich langsam sich ein mulmiges Gefühl in die Magengrube. Klar gab es ab und zu Turbulenzen, das war normal. Aber so heftig? Und nach so einer Durchsage durfte man ruhig Angst bekommen. Der Tütenpuster neben ihnen fing erneut an zu hyperventilieren. Ein paar Leute krallten sich panisch an ihren Sitzen fest und fingen an zu schreien. Ein weiteres, und das bis jetzt heftigste, Ruckeln durchschüttelte das Flugzeug.

,,Verdammt!", murmelte er. Alice begann zu weinen. Er nahm sie in den Arm und küsste behutsam ihren Scheitel.

,,Alles wird gut, mein Liebling.", sagte er mit ruhiger Stimme, obwohl er innerlich selbst fast ausflippte. Ein helles Licht durchzuckte das Innere des Flugzeuges. Es folgten panische Aufschreie einiger Passagiere. Ryan blickte aus dem Fenster und konnte kaum glauben was er dort sah. Ein weiteres helles Licht. Diesmal sah er es ganz klar. Blitze. So nah wie sie niemals hätten sein sollen. Angst durchfuhr ihn. Grollender Donner übertönte das panische Geschrei und Gewinsel der anderen Passagiere. Dann ein weiterer Blitz. Dieser war stärker als die anderen und brachte ein lautes Geräusch mit sich. Die dunklen Wolken am Himmel verdeckten die Sicht über alles. Dann bemerkte er ein grelles oranges Licht an der Flügelseite des Flugzeugs. Vielleicht endlich das Ende des Gewitters? Ein Sonnenuntergang? Er lehnte sich komplett über seine Schwester um besser sehen zu können.

,,Fuck!", schrie er lauter als gewollt. Einige Blicke fielen auf ihn und wechselten dann mach draußen. Plötzlich, geschockte Gesichter. Angsterfüllte Schreie und panische Stewardessen die irgendwie versuchten die Menschen zu beruhigen. Ryan traute seinen Augen nicht. Feuer durchzüngelte das Triebwerk des Flugzeuges. Schwarzer Rauch verband sich mit dem schwarzem Himmel. Plötzlich kippte das Flugzeug zur Seite. Die Menschen wurden hin und her geschleudert. Einige knallten an die innen Wände der Maschine und schrien schmerzerfüllt auf. Ein älterer Mann lag bewusstlos neben ihnen im Gang.

,,Sir?", Ryan tippte ihn unsicher an. Er reagierte nicht. Seine Hände fingen an zu zittern und er schüttelte den Mann leicht.

,,Sir, bitte stehen sie auf!", stotterte er panisch. Wieder keine Reaktion. Er ließ von ihm ab als er Alices verzweifeltes schluchzen hörte.

,,Ryan. Ich hab Angst!", dicke Tränen rollten über ihre Wangen. Er wusste nicht was er tun sollte. Er konnte weder ihr noch jemand anderem helfen. Ein lauter Aufschrei verbot es ihm ihr zu antworten.

,,Hilfe! Bitte helft mir doch!", hörte er eine junge Frauenstimme rufen. Ryan schaute sich um, konnte zunächst jedoch nichts als ein großes durcheinander an Blut und Verzweiflung entdecken. Dann sah er sie. Eine brünette junge Frau Anfang dreißig lag auf dem Boden einige Meter von Ihnen entfernt. Sie bemerkte seinen Blick, blieb aber liegen.

,,Ich stecke fest", erst jetzt erkannte er die bewusstlosen Menschen über ihr.

,,Sie bewegen sich nicht! Ich komme nicht raus mein Bein ist verletzt.", ein schmerzvoller Ausdruck durchzuckte ihr Gesicht. Ryans Blick fiel auf Alice.

,,Bleib hier sitzen! Und schnall dich bloß nicht ab.", sagte er und löste seinen Anschnallgurt. Auf allen Vieren krabbelte er zwischen den Sitzen entlang durch das Flugzeug. Immer wieder Erschütterte das Flugzeug und ließ die Menschen unkontrolliert in alle Richtungen fliegen. Er erreichte die Frau. Ihr entrann ein dankbares Schluchzen. Ryan nahm ihre Hände und versuchte sie aus dem Menschenhaufen herauszuziehen aber ihr qualvolles Schreien hielt ihn auf.

,,Nein bitte!", schrie sie unter Tränen.

,,Okay Moment ich versuche es anders.", bemühte er ihr Weinen zu beschwichtigen. Er fühlte den Puls der obersten Person auf ihr und schüttelte den Kopf. Tod. Seine Hände hörten nicht auf zu zittern. Er versuchte den schweren Körper von ihr zu ziehen und es gelang ihm so grade eben. Er legte die Leiche behutsam ab und machte sich daran die zweite Person von ihr zu heben. Er fühlte den Puls der dünnen Asiatin. Eine große Platzwunde zierte ihre Stirn. Kein Puls. Verdammt. Schnell wischte er seine schweißnassen Hände an seiner Hose ab ehe er die Frau genauso behutsam herunter zog und neben sich ab legte. Als nächstes lag dort ein kleines Mädchen. Grade einmal so alt wie seine Schwester. Er atmete tief ein und fühlte ihren Puls. Kein Puls. Er nahm sie in die Arme und legte sie in einem freien Sitz ab. Dann schüttelte er den Kopf und konzentrierte sich wieder auf seine Aufgabe der Frau zu helfen.

,,Danke! Ich danke ihnen!", schluchzte die Frau und nahm seine Hand. Sein Blick wanderte zu ihren Beinen hinab. Eine große klaffende Wunde durchzog ihren gesamten Oberschenkel. Ihm wurde schlecht. Er schaute zur Seite und hob sie hoch. Sie war nicht schwer also schaffte er es sie zu den Sitzplätzen zu bringen auf denen er und seine Schwester eben noch seelenruhig gesessen hatten. Er legte sie in einem freien Sitz in ihrer Nähe ab und ging zu seiner Schwester zurück. Doch bevor er sie erreichen konnte, erweckte ein grässliches Knacken seine Aufmerksamkeit. Sein Blick fiel zurück auf den Bug des Flugzeuges. Schwarzer Rauch erfüllte sein Inneres. Er hielt die Luft an, ehe das Flugzeug vor seinen Augen in zwei Teile brach.

Seine Lungen füllten sich unaufhörlich mit salzigem Wasser. Panisch schlug er um sich und stieß heran schwimmende Flugzeugteile zur Seite. Er konnte seine Augen nicht offen halten. Ihm fehlte der Sauerstoff um am Leben zu bleiben. Alices kindliches Gesicht erreichte seine Gedanken. Nein! Er durfte nicht aufgeben. Er kämpfte sich an die endlos entfernt scheinende Wasseroberfläche. Plötzlicher Sauerstoff presste sich in seine Lungen. Ein Husten durchschüttelte seinen Körper. Er spuckte den halben Ozean aus und begann langsam sich wieder zu fangen. Besorgt schaute er sich um.

Alice war nirgendwo zu sehen. Nur mit zusammen gekniffenen Augen erkannte er ein Feuer in der Ferne. Es schien auf einer Insel zu brennen. Vielleicht war sie dort? Aber das konnte nicht sein. Sie war bei ihm gewesen. Direkt neben ihm! Er tauchte unter aber es war so dunkel, dass er nicht das geringste erkennen konnte. Was wenn sie noch irgendwo hier fest hing?

Er tauchte weiter. Tastete sich durch zerstörte Flugzeugteile und .. Leichen? Ihren kleinen Körper jedoch, konnte er nirgends finden. Wieder an der Wasseroberfläche holte er tief Luft. Er musste zum Strand und nachschauen ob sie dort war.

Auf allen vieren krabbelte Ryan aus dem Wasser. Er spürte den weichen Sand unter seinen Händen und griff fest zu. Schwerfällig rappelte er sich auf und durchforschte auf wackligen Beinen den Strand. Orientierungslos stand er in einem Durcheinander von Weinen, Schreien und leisen Gebeten.

Ein Mann lag über einem kleinen Körper gebeugt. Sein Wimmern umhüllte die Luft und ließ Ryans Körper schwer werden. Er schüttelte den Kopf und ging weiter. Das Ausmaß der Zerstörung war gewaltig. Selbst im Wasser konnte man noch einen Teil des Flugzeugwracks brennen sehen. Wie in Trance lief Ryan den Strand entlang. Er griff eine alte, am Strand entlang schlendernde, Frau am Arm.

,,Haben sie ein kleines Mädchen gesehen? Sechs Jahre alt, braune kurze Locken und blaue Augen.", fragte er flehend. Sie schüttelte entschuldigend den Kopf.

,,Nein, tut mir Leid.", ihre grauen Augen musterten ihn mitleidig. Er ließ sie einfach stehen und ging weiter.

Unfähig auch nur noch einen Schritt zu machen ließ er sich in den Sand fallen. Er vergrub sein Gesicht in den Händen und versuchte ruhig zu atmen. Wie kann das sein? Er hatte seine Schwester verloren. Niedergeschlagen blickte er auf das Meer hinaus. Er konnte es nicht fassen.

Eine Hand streifte seine Schulter und holte ihn aus seinen Gedanken. Er wusste nicht wie lange er dort gesessen hatte. Vielleicht nur einige Minuten. Vielleicht Stunden. ,,Ich habe ein kleines Mädchen gefunden.", hoffnungsvoll drehte er sich um und schaute in die grauen Augen der alten Dame.

Long way homeWhere stories live. Discover now