Kapitel 6

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Der Weg war beschwerlich. Immer tiefer drangen sie ins Innere des dichten Waldes vor. An jeder Lichtung diskutierten sie, ob dies ein Ort zu bleiben wäre. Aber ihre Meinungen fanden nie zueinander. Und so zogen sie weiter. Sie waren den halben Tag unterwegs gewesen und Ryan trug nun nicht mehr nur seine schweren Rucksack, sondern auch seine kleine Schwester auf seinem Rücken. Ihre Arme schlangen sich um seinen Hals und brachten ihn nur noch mehr zum schwitzen. Den anderen ging es nicht besser. Die Sonne setzte ihnen zu, sodass sie beinahe jede Stunde eine Pause einlegen mussten. Den Alten ging es besonders dreckig. Lester, der zunächst zielstrebig neben ihm gelaufen war, war nun schon so weit zurück gefallen, dass Ryan ihn nicht mehr sehen konnte.

,,Unser Wasser wird knapp. Wenn wir nicht bald eine Quelle finden halten wir es nicht mehr lange aus.", keuchte Ana neben ihm und deutete auf die so gut wie leere Wasserflasche in ihren Händen.

,,Wie sieht es bei den anderen aus?", fragte er mit dem Blick weiter starr geradeaus. Im Augenwinkel sah er wie sie den Kopf schüttelte. Ryan biss sich auf die Lippe und stöhnte auf.

,,Geh bitte durch die Reihen uns sag bescheid, dass wir in etwa einer viertel Stunde eine Pause einlegen.", sagte er mit krächzender Stimme und schaute sie kurz an. Er hatte das Wasser auch dringend nötig. Seit ihrem Aufbruch hatte er kaum Flüssigkeit zu sich genommen und alles an die schwächeren unter ihnen verteilt. Ana nickte, drehte sich um und lief die lange Schlange hinter ihm entlang. Ryans Blick fiel auf Alice in seinen Armen. ,,Kannst du wieder laufen, Kleines?", fragte er und hoffte insgeheim, dass sie zustimmte. Über kurz oder lang wurde dieser Winzling ziemlich schwer. Sie nickte und wälzte sich aus seinem Armen auf den Boden. Als sie kurze Zeit später Rast machten reichte er ihr eine Flasche mit Wasser, aber sie wehrte ab.

,,Wenn wir nicht genug Wasser haben, will ich es auch erst trinken wenn ich am verdursten bin.", mit ineinander verschränkten Armen schaute sie ihn an. Erneut hielt er ihr die Flasche hin.

,,Mach schon." Sie schüttelte den Kopf und setzte sich einige Meter entfernt zu den beiden Zwillingen und den anderen Kindern.

,,So ein liebes Kind.", Lester gesellte sich zu ihm. Er nahm auf dem Stein neben Ryan Platz und schraubte an dem Deckel seiner Wasserflasche.

,,Sie hört leider gar nicht.", schmunzelte er und beobachtete wie Alice begann mit den Kindern fangen zu spielen.

,,Kinder sind intelligenter als man glauben mag.", lächelte Lester wissend.

,,Haben sie Kinder?" Ein trauriger Ausdruck huschte über sein Gesicht.

,,Meine liebe Grace und ich haben es sehr lang versucht. Der Herr war uns gnädig und schenkte uns einen Sohn. Wir waren überglücklich. Aber man meinte es nicht gut mit uns. Unser geliebter Adam starb in jungen Jahren. In deinem Alter ungefähr.", er warf ihm einen traurigen Blick zu.

,,Alle paar Jahre zu seinem Geburtstag fliegen Grace und ich nach London. Dort hatte er studiert, bevor er starb.", eine Träne rollte über seine Wange.

,,Er liebte es dort. Gestern wäre sein 39 Geburtstag gewesen. Grace und ich konnten ihn nicht einmal zusammen feiern.", er wischte sich die Tränen aus dem Augenwinkel und lächelte Ryan dann an.

,,Du erinnerst mich manchmal an ihn. Er hat sich auch stets zurückgestellt. Wie dem auch sei. Ich kann nur hoffen, meine Grace zu finden." Ryan nickte nur. Ihm fehlten die Worte. Er konnte wirklich nur hoffen, dass sie seine Frau noch finden würden. Auch wenn sie nicht unter den Leichen gewesen war, war die Chance sie lebend zu finden dennoch sehr gering.

,,Es ist perfekt!", quiekte Ana und drehte sich glücklich im Kreis. Ryan konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Nach einigen Stunden hatten sie endlich einen Ort gefunden, der zu passen schien. Die Launen aller begann sich langsam aber sicher zu fangen und man sah immer mehr Menschen lächeln. Emil meldete sich zu Wort und richtete sich an die Menge.

Long way homeWhere stories live. Discover now