Kapitel 21

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Ethan hatte als Kind oft Albträume gehabt. Er wachte so gut wie jede Nacht schweißgebadet auf. Jedoch wusste er nach dem aufwachen nicht einmal mehr was ihn so aus der Fassung gebracht hatte. Seine Adoptiveltern waren schon immer sehr besorgt und fürsorglich gewesen. Er gehörte zu den wenigen Kindern auf dieser Welt, die nach einem Aufenthalt im Waisenhaus nicht von Pflegefamilie zu Pflegefamilie gewandert waren. Im Alter von vier Jahren hatten seine Eltern ihn zu sich genommen und ihm ein wundervolles Zuhause geschenkt. An die Zeit im Waisenhaus oder geschweige den die Zeit davor fehlte ihm jegliche Erinnerung. Als die Albträume anfingen setzten seine Eltern alles mögliche in Bewegung um in Erfahrung zu bringen was mit ihm nicht stimmte. Im Wachzustand war er ein ganz normaler aufgeweckter Junge gewesen. Grade deswegen viel es den unzähligen Therapeuten schwer sein Leiden einzuschätzen. Als seine Familie kurz vor der Verzweiflung stand empfahl man ihnen eine junge Therapeutin, welche zwar noch nicht all zu lang im Dienst, jedoch hoch renommiert gewesen war. Nach einigen Gesprächen mit Ethan diagnostizierte sie bei ihm eine Posttraumatische Belastungsstörung. Alles mögliche wurde im Gang gesetzt um in Erfahrung zu bringen was der Auslöser gewesen sein könnte. Sowohl das Waisenhaus als auch Polizei wurden zu Rate gezogen. Es stellte sich heraus, dass Ethans leibliche Eltern polizeibekannt gewesen waren. Sie hatten sich unzählige Male mit Rauschmitteln in der Öffentlichkeit erwischen lassen. Irgendwann hatten sie anscheinend genug davon gehabt unter den Lebenden zu weilen und spritzen sich in Anwesenheit ihres dreieinhalb Jährigen Sohnes eine tödliche Dosis Heroin. Bevor man den kleinen Ethan fand waren drei Tage vergangen. Hungernd und dehydriert fand man ihn wimmernd unter der Spüle im Schrank der kleinen Einbauküche, welcher ihm das einzige Versteck in der kleinen zugemüllten Einzimmerwohnung darbot. Er erinnerte sich genau daran wie oft seine Mutter bei seinem Anblick in Tränen ausgebrochen war. Während einer langwierigen Therapie zeigten seine Eltern ihm noch mehr Zuneigung und erdrückten ihn beinahe mit ihrer Liebe. Er verstand erst viel später warum er die wöchentlichen Therapiestunden besuchen musste. Erst als er groß genug war all das zu verstehen versuchten seine Eltern ihm alles zu erklären. Von diesem Tag an betrachtete er nichts mehr als selbstverständlich und irgendwie hatte er alles geändert. Ethan wurde zu keinem Problemkind wie es bei anderen pubertierenden Jugendlichen der Fall gewesen wäre. Aber er veränderte sich. Er wurde verschlossen und wählte die Menschen mit denen er sich abgab oder vertraute mit bedacht. Seine Eltern waren stets seine unumstößliche Konstante gewesen. Selbst jetzt mit vierundzwanzig Jahren waren sie sein Ein und Alles. Die Angst sie nie wieder zu sehen quälte ihn Tag für Tag mehr.

,,Ich habe mich schon gewundert, dass du kurzfristig den grummelnden Ethan abgelegt hast. Aber da ist er wieder.'', bemerkte eine amüsierte Stimme in seinem Rücken. Er wusste sofort um wen es sich handelte. Als er sich umdrehte stand Ana mit verschränkten Armen an einem Baum gelehnt da. Ihre grünen Augen musterten ihn unverhohlen.

,,Was gibts?'', fragte er und legte so viel Unbekümmertheit in seine Stimme wie möglich. Aber es kümmerte ihn sehr wohl.

,,Ich dachte du hast vielleicht Lust ein wenig durch die Wälder zu streifen.'', unsicher trat sie von einem Fuß auf den anderen jedoch ohne ihren Blick abzuwenden.

,,Du willst Zeit mit mir verbringen?'', witzelte er. Schnaufend drehte sie sich um und lief alleine den kleinen Pfad in Richtung der Wälder entlang. Er sprang auf und folgte ihr. Mit wenigen Schritten hatte er sie eingeholt und lief lässig neben ihr her.

,,Wo willst du denn überhaupt hin?'', fragte er sie neugierig aber sie zuckte nur mit den Schultern.

,,Wir haben bisher noch kaum was von der Insel gesehen. Ich dachte man könnte sie vielleicht mal ein bisschen erkunden. Wer weiß wie lange wir hier sein werden.'', antwortet sie nach einiger Zeit und beugte sich unter einem großen Baumstamm hindurch. Sie liefen eine Weile ohne zu reden. Mal übernahm Ethan und mal Ana die Führung. Jedoch waren die einzigen Zugeständnisse die sie für die Anwesenheit des anderen machten, dass sie Äste und Büsche zurückhielten damit der andere sie nicht ins Gesicht geklatscht bekam. Irgendwann hörten sie ein lautes plätschern was Ana aufgeregt los sprinten ließ. Ihr Weg endete an einem riesigen Wasserfall der in einem himmelblauen See mündete.

,,Wow!'', entfuhr es Ana begeistert und auch Ethan konnte nicht bestreiten, dass der Anblick der sich ihnen darbot atemberaubend war. Er betrachtete Ana wie sie am Rand des kleinen Felsvorsprungs über dem See stand. Er zuckte mit den Schultern und stieß sie leicht an was sie sofort aus dem Gleichgewicht brachte. Erschrocken schrie sie auf ruderte wie wild mit den Armen um im letzten Moment Halt zu finden. Sie Erwischte sein Shirt und zog ihn mit ihrem kompletten Körpergewicht mit sich in das kühle Nass unter ihnen. Als er auftauchte war sie nur wenige Zentimeter von ihm entfernt.

,,Was sollte das!'', schrie sie schockiert und drückte seinen Kopf unter Wasser. Er ließ es geschehen. Das hatte er wohl verdient.

,,Ich konnte einfach nicht anders.'', lachte er beim auftauchen und strich sich einige Haarsträhnen aus dem Gesicht. Nach kurzem Überlegen stimmte Ana in sein Lachen mit ein und ließ sich dann auf dem Rücken treiben.

,,Ich hätte an deiner Stelle wahrscheinlich dasselbe getan.'', witzelte sie und schloss die Augen. Gemeinsam ließen sie sich die Sonne ins Gesicht scheinen und trieben auf dem Rücken dem kleinen See. Als sich zufällig ihre Hände berührten räusperte Ethan sich verlegen und richtete sich auf. Ana tat es ihm gleich und musterte ihn mit einem forschenden Blick.

,,Vielleicht sollten wir langsam zurück.'', schlug er vor und sie nickte. Den Rückweg gingen sie, wie sie gekommen waren. In Schweigen gehüllt und mit minimalen Zugeständnissen ihrer Anwesenheit. 

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⏰ Last updated: Nov 29, 2019 ⏰

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