Kapitel 11

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Er machte sich nichts mehr vor. Dieses Volk würde ihn nicht Leben lassen. Es kam selten vor, dass die Eingeborenen in seiner Anwesenheit Englisch gesprochen hatten, dennoch schnappte er vereinzelte Fetzen von Gesprächen auf in welchen es um irgendein Ritual handelte. Wenn er ehrlich war, wollte er es gar nicht herausfinden. Wie so oft dachte er an Alice. Würde sie es ohne ihn schaffen? Augenblicklich sah er ihr schüchternes Lächeln vor sich. Ihre Locken, die bei jeder ihrer Bewegungen auf und ab hüpften. Er presste die Lippen aufeinander. Nein, er wollte seine Lage nicht kampflos hinnehmen. Er musste bei der nächsten Gelegenheit die Flucht ergreifen. Für Alice. Er trug nichts außer seiner ausgeblichenen Jeans. Die engen Fesseln an seinen Handgelenken fixierten ihn an einen dicken Stumpf und machten ihn bewegungslos. Die dicken Stricke hielten seine Arme erbarmungslos über seinem Kopf zusammen. Anspannung erfasste seinen Körper als Ryan die Gestalten bemerkte, die langsam die Hütte betraten. Eine Gruppe Eingeborener. Es waren sowohl Männer als auch Frauen aber sie hatten alle etwas gemeinsam. Jeder von ihnen schien sehr alt zu sein. Auf jedem ihrer Köpfe thronte der Skelettschädel eines Toten Tieres. Bunt verziert und geschmückt. Eine der Frauen trat aus der Menge heraus und blickte Ryan fest in die Augen. ,,Das einzige, was dich heute retten kann ist dein Schicksal.", ihre rauchige Stimme erfüllte die gesamte Hütte. Sie hob eine Schale und steckte zwei Finger in die grobe Masse darin. Konzentriert malte sie ineinander verschlungene Linien auf seine Brust. Er wagte es nicht sich zu rühren. Nach und nach trat jeder der Anwesenden vor und fügte seinen Teil zu ihrem Werk hinzu. Als die letzte Person zurück trat, war Ryan vollkommen von ihren Zeichen bedeckt. Er wusste weder was es damit auf sich hatte, noch was sie bedeuten sollten.

,,Was habt ihr mit mir vor?", fragte er vorsichtig. Die alte Frau mit den langen weißen Haaren, welche ihm die ersten Linien auf die Brust gezeichnete hatte, legte ihm ihren Finger auf den Mund ehe er weitersprechen konnte.

,,Still. Du und deine Freunde, ihr seid in einen Ort eingedrungen, in dem das Schicksal regiert. Und eben dieses wird entscheiden was mit euch passieren wird.", sie vollführte einige Bewegungen mit ihren Händen ehe sie weiter sprach.

,,Der Anführer, an einen Baum gefesselt und hundert Pfeilen ausgesetzt. Überlebt er, überleben alle. Stirbt er, sterben alle.", sie streckte die Hände gen Himmel und schloss die Augen.

,,Sollte dein Schicksal dein Leben für würdig befinden, bist du frei. Und deine Freunde ebenfalls.", die Frau senkte ihre Hände und blickte ihn an.

,,Möge dein Schicksal dir gnädig sein.", sie verstummte und verließ mit den anderen die Hütte. Er war geliefert. Sie waren verrückt. Jeder einzelne von ihnen.

Es war dumm von ihm gewesen zu glauben, dass er hätte fliehen können. Zwei breit gebaute Männer lösten ihn von seinen Fesseln. Er wollte fliehen, aber seine Muskeln waren so steif, dass er sich keinen Zentimeter rühren konnte. Er hatte tagelang weder Nahrung noch Wasser zu sich genommen. Die Erschöpfung saß tief in seinen Knochen. Frustriert ließ er die Prozedur über sich ergehen. Nicht in der Lage sich zu wehren. Die beiden zerrten ihn hoch und schleiften ihn hinter sich her ins Licht der Dämmerung. Das gesamte Dorf war in ein tiefes rot getaucht. Brennende Fackeln bahnten sich ihren Weg zu einem großen Baum vor einem Felsvorsprung. Immer lauter werdendes Trommeln brach die Stille. Ein stetiger Rhythmus gemischt mit wunderschönem unverständlichem Gesang einer anderen Sprache. So sah also sein Ende aus. Er blickte in den hellen Vollmond der in der frühen Dämmerung den Himmel zierte. Er schloss die Augen und sprach stumme Gebete in den Himmel. Unsanft wurde er an den dicken Stamm gefesselt. Eine riesige Menschenmenge erstreckte sich vor ihm. Alle darauf aus das Spektakel zu beobachten. Ryan ließ seinen Blick durch die Menge schweifen. Umstellt von mindestens zehn Männern standen Ana, Lester und Grace eng zusammengepfercht in ihrer Mitte. Schluchzend fing Ana seine Blick ein. Er wendete sich ab. Wenn er es nicht schaffen würde, wären sie die nächsten. Er bemerkte Lesters traurigen Ausdruck. Er hielt seine Frau eng umschlungen in den Armen und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Ein Podest aus dicken Holzstämmen ragte aus der Menge in die Höhe. Auf ihm stand der Häuptling Zato. Ryans Blick huschte auf die zierliche Gestalt neben ihm. Kylea. Sie musste seine Tochter sein. Ein trauriger Blick huschte über ihr schönes Gesicht ehe sie den Blick senkte. Eine große Hand lag auf ihrer Schulter. Als Ryan ihren Besitzer begutachtete rümpfte er die Nase. Kalyts dunkler Blick fing seinen ein. Ein gehässiges Grinsen legte sich auf seine Lippen, ehe er Kyleas Schulter kurz drückte woraufhin sie ihre auf seine legte. Ein lauter Ton lies das Gemurmel der Menge verstummen. Der Häuptling auf seinem Podest straffte die Brust und reichte das große Horn in welches er eben geblasen hatte einem Mann zu seiner rechten.

,,Das Ritual kann beginnen.", sprach er mit lauter Stimme. Gleichzeitig spannten hundert Eingeborene ihre Bögen.

,,Möge das Schicksal entscheiden ob dieser Mann seines Lebens würdig ist. Bei der Sonne, unserer aller Mutter. Bei dem Mond, unser aller Vater. Dhe Suléy śa Kuoy. Dhe Fádju śa Fuoa.", er breitete seine Hände aus und zeigte dann auf Ryan.

,,Möge die Wahl, welche wir dem Schicksal darbieten, seine Besänftigung erreichen. Unsere Kinder schützen, unsere Alten heilen und unsere Traditionen bewahren.", wie aufs Stichwort begannen die Trommeln bedrohlich zu dröhnen. Immer lauter und lauter. Leiser Singsang erfüllte die anbrechende Dunkelheit.

,,Haltet die Bogen bereit."

,,Eins."

So wollte er nicht gehen. Nein! Nicht ohne Abschied. Er rüttelte an seinen Fesseln, aber sie saßen zu fest. Hilfesuchenden blickte er sich um. Das laute Trommeln schmerzten in seinen Ohren. Dann, ganz plötzlich blendete er alles aus. Ein kleiner, brauner lockiger Haarschopf lief durch die Menge.

,,Zwei."

Alice. Es war Alice. Verdammte Scheiß was machte sie hier? Sie drehte sich verspielt im Kreis und tanzte ausgelassen zu der Musik. Sie schien wie ein Engel zu fliegen ehe sie inne hielt. Ihre Augen trafen auf seine. Ein glückliches Lächeln breitete sich auf ihren kleinen Lippen aus. Sie rannte auf ihn zu.

,,Drei."

Sie hatte sich einen Weg durch die Menge gebahnt und war nur noch wenige Meter entfernt. Nein! Sie musste hier weg. ,

,Alice! Lauf weg!", Tränen füllten seine Augen. Er schrie. So laut wie er noch nie zuvor in seinem Leben geschrien hatte. Er kämpfte. Mit all seiner Kraft stemmte er sich gegen das dicke Seil um seinen Körper.

,,Los!"

Das laute Zischen der geschossenen Pfeile übertönte das Trommeln. Dutzende Pfeile schlugen neben ihm in den Boden und in den Baum ein. Ein Pfeil fand einen direkten Weg durch seine Schulter. Wenige Zentimeter vor ihm stand Alice. Kleine Blutstropfen bahnten sich ihren Weg, aus ihrem Mund über ihr Kinn. Erneut stemmte Ryan sich gegen seine Fesseln. Diesmal gaben sie nach. Die Pfeile hatten das Seil zu sehr beschädigt um weiter stand zu halten. Alice verlor das Gleichgewicht und sackte nach vorn. Sie fiel direkt in Ryans Arme. Zwei Pfeile bohrten sich in ihren Rücken.

,,Nein! Nein, bitte nicht. Kleines, lass mich jetzt nicht allein. Hey, bleib bei mir.", Tränen liefen seine Wangen hinab und vermischten sich mit ihrem Blut. Um sie herum herrschte Stille. Kein Atmen war zu hören.

,,Alice!", schrie er schmerzerfüllt. Ein leises Keuchen ging von ihr aus. Aus ihren Atemzügen wurde nur noch ein leises röcheln.

,,Wir müssen doch wieder nachhause, Alice. Bitte! Zu Mom. Und Dad. Wir beide. Lass mich nicht allein. Du bist alles was ich habe.", er schluchzte leise ihn ihr Ohr.

,,Ich liebe dich mehr als alles andere. Du darfst nicht gehen. Nicht so. Nicht jetzt.", ihre trüben Augen ließen noch einen Rest Leben erahnen.

,,Bitte, Kleines. Bitte.", ein leises Stöhnen entwich ihren Lippen, als wolle sie etwas sagen. Ihre Lieder zitterten ehe sich Alices kleine Augen verdrehten und ihre Pupillen nicht mehr zu sehen waren. Ihr flacher Atem war nun vollkommen verstummt. Sie war nicht mehr da. Nie wieder.

Long way homeWhere stories live. Discover now