Kapitel 13

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Seine Trauer schien ihn schier in Stücke zu reißen. Nachts suchten ihn Albträume heim und am Tag die mitleidigen Blicke seiner Freunde. Es kam ihm so unwirklich vor, dass seine kleine Schwester einfach nicht mehr da sein würde. Der Stamm der Wilden hatte zu einer Zeremonie gerufen. In wenigen Tagen sollte ihre Gruppe als langfristiger Gast anerkannt werden. Sie würden auf der Insel leben dürfen. Solange wie sie es mussten. Doch seine einstige Neugier auf dieses fremdartige Volk war verflogen. Und er kannte keine Vergebung für das, was sie im angetan hatten. Sein Herz zog sich zusammen, als er sich an den kleinen leblosen Körper in seinen Armen erinnerte. Ryan schreckte hoch als er ein leises Räuspern vernahm. Schnell sammelte er sich, unterdrückte seine aufkommenden Tränen und ignorierte den ihn beinahe zum erstickend bringenden Kloß in seiner Kehle. Er wollte nicht, dass jemand seine Schwäche sah.

,,Was ist los?", fragte er desinteressiert. Ana betrat vorsichtig die Höhlennische und lehnte sich gegen das Gestein.

,,Ist mit dir alles in Ordnung?", fragte sie vorsichtig. Ryan verdreht die Augen und blickte sie dann kurz an. Ihm war nicht danach ihr zu antworten. Er wendete seinen Blick ab und fixierte seine dreckige Jeansjacke, welche er eben erst achtlos auf den Boden geworfen hatte. Einige Minuten herrschte eine angespannte Stille zwischen ihnen bis sie wieder das Wort ergriff.

,,Die Wilden wollen heute diese komische Zeremonie durchführen. Damit wir anerkannt werden und so, weißt du?'', Ryan schnaubte abfällig was sie kurz innehalten ließ. Sie presste die Lippen aufeinander ehe sie fortfuhr.

,,Sie wollen, dass du dabei bist. Sie meinen, dass die vergangenen zwei Wochen zum trauern reichen.'', emotionslos blickte er sie an.

,,Ist mir scheißegal was die wollen. Und ich scheiße drauf, wieviel Zeit sie zum trauern für angebracht halten.'', spuckte er aus.

,,Ich kann verstehen..'', begann sie beschwichtigend.

,,Nichts kannst du, Ana. Ich schulde diesen Wilden nichts und sie haben kein Recht auch nur irgendetwas von mir zu verlangen. Von mir aus können die ihre dämliche Zeremonie alleine durchführen.'', Ryan erhob sich und schritt Richtung Ausgang.

,,Was ist mit diesem Mädchen? Du schienst sie zu mögen. Außerdem hat sie ein paar mal nach dir gefragt.'', er hielt inne, schüttelte dann aber den Kopf und ging weiter. Mit hastigen Schritten folgte Ana ihm durch die engen Tunnel der Höhlen.

,,Alice hätte nicht gewollt, dass du dich so verkriechst und niemanden an dich ran lässt.'', ruckartig drehte Ryan sich um und blickte das zierliche Mädchen zornig an. Drohend hob der den Finger und zeigte auf sie.

,,Rede nicht mehr über sie.'', so schnell wie er sich zu ihr umgedreht hatte, drehte er sich auch wieder um und ging mit schnellen Schritten dem Ausgang entgegen. Er warf einen letzten Blick zurück und sah wie Ana sich gegen die kalte Steinwand sinken ließ.

Er hätte sie nicht so angehen sollen. Das wusste er selber. Doch das Thema war noch zu sensibel und hatte sich wie ein verschrecktes Tier zusammengekauert und in die letzte Ecke seiner Gedanken verzogen. Zuhause war Ryan oft Laufen gegangen wenn ihn etwas bedrückte. Er hatte meilenweite Sprints zurückgelegt. Es half ihm irgendwie damit klar zu kommen. Er blickte sich um. Die besten Vorraussetzungen waren nicht gegeben, aber er brauchte das jetzt. Er rannte einfach los. Nach und nach steigerte Ryan seine Geschwindigkeit bis er endlich ein forderndes Tempo erreicht hatte. Er rannte und rannte. Sprang über hohes Gestein und duckte sich bei tief liegenden Ästen. Wenn er so rannte vergaß er stets alles um sich herum. Er verlor jegliches Zeitgefühl und hörte erst auf wenn sein Körper keinen weiteren Meter mehr zuließ.

Als er sich völlig außer Atem umblickte stellte er fest, dass er die Orientierung verloren hatte. Die Insel schien größer zu sein als er zunächst vermutet hatte. Er hörte das leise Plätschern eines Baches in seiner Nähe und machte sich auf den Weg. Erst als er sich über das kühle Nass beugte und seine Hände damit füllte merkte er wie dehydriert er war. Er trank gefühlt den halben Bach leer ehe er sich nach hinten gegen einen Baum lehnte und die Augen schloss. Das Knacken eines Astes ließ ihn hochschrecken. Er blickte sich um und sah wie sich ihm eine kleine Gestalt näherte.

,,Hier versteckst du dich also.", sagte Kylea und eine leichte Unsicherheit schwang in ihrer Stimme mit. Ryan legte die Stirn in Falten und musterte sie.

,,Bist du mir gefolgt?", fragte er. Sie zuckte mit den Schultern und fixierte den Boden.

,,Du bist echt schnell.'', bemerkte sie lächelnd.

,,Schneller als die meisten Männer unseres Stammes.'', Ryan ignorierte ihr angedeutetes Kompliment und erhob sich. Er klopfte sich den Dreck von der Hose und blickte sie dann an. Er überragte sie um einen guten Kopf, weshalb sie dazu gezwungen war ihren leicht in den Nacken zu legen.

,,Kommst du heute Abend zu der Zeremonie?'', fragte sie vorsichtig. Ryan schnaubte und ließ seinen Blick über ihr schönes Gesicht schweifen.

,,Sicher nicht.'', antwortete er grimmig und trat einen Schritt zurück.

,,Ich will von eurem unzivilisierten Kram hier nichts wissen.'', seine Stimme war kälter als Eis. Ein verletzter Ausdruck huschte über Kyleas Gesicht.

,,Es tut mir Leid was mein Stamm dir angetan hat. Wirklich.'', ihr ehrlicher Blick traf auf seinen und brachte ihn kurz aus dem Konzept.

,,Das macht es nicht wieder gut, Kylea.'', murmelte er und drehte sich zum gehen um.

,,Ich weiß.'', flüsterte sie kaum hörbar.

Das laute Getöse des Festes war scheinbar auf der ganzen Insel zu hören. Es verfolgte ihn und ließ ihn nicht zur Ruhe kommen. Er saß alleine an den weißen Baum gelehnt und starrte in den Wald. Das gesamte Lager war wie ausgestorben. Jeder einzelne war zu den Festlichkeiten im Inneren der Insel aufgebrochen. Er fühlte sich einsam. So einsam wie er sich noch nie in seinem Leben gefühlt hatte. Entschlossen stand er auf und machte sich auf den Weg. Er wollte nur sehen wie es dort war. Aus der Ferne und unbemerkt.

Angekommen lehnte er sich gegen einen dicken Baum am Rande der Lichtung, auf welcher das Dorf der Eingeborenen errichtet wurde. Ryan sah wie sich die Menschen ausgelassen im Kreis drehten und tanzten. Fremde Melodien umhüllten ihn wie eine wohlige und warme Decke. Sein Blick fiel auf Ana. Sie tanzte ausgelassen in einer Menge bunt bemalter Kinder des Stammes. Ein kleines Lächeln schlich sich auf seine Lippen. Er unterdrückte es so schnell wie es gekommen war. Auf einer kleinen erhöhten Plattform saß das Stammesoberhaupt Zato auf prächtigen Fellen verschiedener Tiere. Neben ihm tauchte Kylea auf und ließ ihren Blick suchend durch die Menge schweifen. Dann sah sie ihn. Ihre Miene hellte sich augenblicklich auf und sie lächelte ihn an. Er erwiderte ihr Lächeln nicht. Aber er sah sie.

Er machte kehrt. Er wollte nicht hier sein. Er wollte nicht glücklich sein. Es kam ihm so falsch vor zwischen all diesen fröhlichen Menschen zu stehen während ihm der Tod seiner Schwester noch immer schier zu zerreißen schien. Langsam und nachdenklich entfernte er sich von der Lichtung.

,,Ich habe gehofft, dass du kommst.", eine zaghafte Stimme ertönte nicht weit von ihm entfernt. Er drehte sich um und sah Kylea ein paar Meter entfernt stehen.

,,Ich bin nicht wegen dir hier.", murmelte er abweisend. Und drehte sich wieder um weiter zu gehen. Er wollte kein Arschloch sein. Aber ihre Leute hatten ihm alles genommen. Er war verbittert.

„Ja ich weiß. Aber warum bist du gekommen?", fragte Kylea vorsichtig als vermutete sie, dass Ryan jeden Moment zubeißen könnte. Zum ersten Mal seit dem Ritual blickte er ihr direkt in die Augen. Fixierte sie mit seinem Blick. ,,Ich dachte eine gute Party lenkt mich davon ab, dass die Gastgeber meine Schwester getötet haben.", spuckte er voller Verachtung aus. Er verachtete sich selbst beinahe mehr als ihr Volk. Er klang wie eine beleidigter Bastard. Kyleas Miene veränderte sich kaum merklich. In ihr schwangen Mitleid, Bedauern und Ärger. Er rieb sich über sein über die Tage mager gewordenes Gesicht und stöhnte kurz.

,,Tut mir leid. Ich habe seit Tagen nicht geschlafen. Bin völlig erledigt.", murmelte er leise und blickte zu Boden. Als er langsam seine Blick hob und sie ansah, bemerkte er eine Art aufrichtiger Zuneigung in ihren Augen. Sie streckte ihm eine Hand entgegen. Er reagierte nicht sofort. Eine Weile blickte er sie einfach nur an. Ein ungeduldiges räuspern entließ ihn aus seinen Bann. Er ergriff ihre Hand und blickt ihr in die Augen. Sanft zog sie ihn mir sich ins Innere der Insel. Weit weg von dem lautem Getöse der Festlichkeiten.

,,Wohin bringst du mich?", fragte er mit mehr Desinteresse in seiner Stimme als er eigentlich empfand. Sie antwortete ihm nicht, sondern zog ihn einfach weiter hinter sich her. 

Long way homeWhere stories live. Discover now