18. Dann mal los!

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Tamara 

Das Frühstück war überaus lecker. Ich habe deutlich mehr gegessen, wie ich eigentlich wollte, doch ich konnte den Leckereien einfach nicht widerstehen. Wenn ich mich wohlfühle, dann habe ich einen kräftigen Appetit. Und hier muss man sich einfach wohl fühlen. Dieses heimelige Lokal, Riita, die im Laufe der Jahre kein bisschen ihrer liebevollen, mütterlichen Art eingebüßt hat, aber auch, wie ich mir eingestehen muss, Samus Gegenwart, trugen dazu bei.
Wie liebevoll er mit Riita umgegangen ist, seine Freude, endlich wieder hier zu sein, an dem Ort, mit dem er offenbar viele schöne Erinnerungen verbindet. Erfreut hat er meinen Appetit kommentiert und mich ermuntert, weiter zu essen.

Wieder erlebe ich ihn hier von einer angenehmen Seite. Nichts von dem oberflächlichen, arroganten, selbst verliebten Weiberhelden, als den ich ihn in Erinnerung habe, ist zu sehen. Im Gegenteil, er zeigt sich hier als einen charmanten, völlig normalen Vorstadtburschen. Auch Riitas Worte bestätigen mein derzeitiges Bild von ihm. Als ich von der Toilette zurück zu Samu wollte, hatte sie mich, ebenso wie ihn zuvor, aufgehalten. Sofort war sie zur Sache gekommen.

„Du denkst falsch von ihm, Kaunis. Er ist ein ganz feiner Junge. Gib ihm die Chance es zu beweisen. Du bist ihm sehr wichtig, das sehe ich und auch er ist dir wichtig. Wichtiger, als du im Moment glaubst. Sei offen dafür!“ Völlig unbeirrt sprach sie mich auf finnisch an. Erst wollte ich ihr sagen, dass ich sie nicht verstehe, doch sie war schneller. „Ich weiß, dass du mich verstehst. Du warst oft hier, mit deinen Großeltern. Ich weiß wer du bist. Die kleine Tamy aus Deutschland. Du hast die Augen und das Lächeln deiner Großmutter. Das vergesse ich nie. Samu weiß das nicht, aber du wirst es ihm sagen, wenn es an der Zeit ist. Jetzt geh zu ihm und hab eine schöne Zeit.“

Ihre Worte waren überzeugend und duldeten keine Widerworte. Kurz brachten sie die Erinnerung an meine Großeltern zurück, was mir heute gewiss noch öfter passieren wird, doch dieses Mal waren sie schöner Natur. Sie hatte mich tatsächlich wiedererkannt, obgleich ich schon seit fast zehn Jahre nicht mehr hier gewesen war. Sie vergisst wirklich nichts und niemanden. „Ich werde mit ihm reden, wenn die Zeit reif ist.“ entgegne ich ihr noch, bevor ich wieder zu Samu zurückkehre.
Er erwartet mich schon mit meiner Jacke in der Hand. Riita wirft er noch eine Kusshand zu, während er mir seine Hand auf den Rücken legt und mich zur Tür hinaus leitet. Seine Hand bereitet mir ein angenehm warmes Gefühl im Rücken, das sich nach und nach in meinem ganzen Körper verbreitet. In diesem Moment wird mir deutlich klar, dass mir und meinem Gefühlsleben dieser Mann, wider Erwarten, sehr gefährlich werden kann und wird.

Samu

Viel zu schnell sind wir am Auto angelangt und ich muss meine Hand wieder von ihrem Rücken nehmen. Zu gerne würde ich sie dort noch liegen lassen. Doch sicher wird sich heute noch die ein oder andere Gelegenheit bieten, bei der ich sie berühren kann. Nachdem ich sie habe einsteigen lassen, nehme auch ich auf meinem Sitz Platz und starte den Motor, bereit zu unserem nächsten Ziel zu fahren.
„Wohin fahren wir denn nun?“ fragt sie, mit offensichtlicher Neugier. „Da wirst du dich überraschen lassen müssen, denn ich verrate es nicht.“ Mein spitzbübisches Grinsen begegnet sie mit einem Schmollmund, der unglaublich süß aussieht und mal wieder den vorwitzigen Finnen zucken lässt.
Verstohlen lasse ich meine Hand auf dem Weg zum Schaltknüppel über meinen Schritt gleiten, um die dezente Beule geradezurücken. Zum Glück hat Tamara bereits ihren Blick auf die, an uns vorbeiziehende Landschaft gerichtet und somit nichts bemerkt.

Die Fahrt führt uns durch eine wunderschöne farbenprächtige Landschaft, die Tamara immer wieder mit Ausrufen wie: „Ist das schön!“  „Ach ist das herrlich!“ kommentiert.

Nach knapp zehn Minuten kommen wir an dem von mir angepeilten Wanderparkplatz an. Ich parke meinen BMW und stelle mit den Worten:  „Wir sind da! Ab sofort müssen wir laufen.“ den Motor ab. „Ich bin gespannt.“ entgegnet Tamara, während sie aussteigt.

Wir holen noch schnell unsere Sachen aus dem Kofferraum, dann kann es losgehen. Tamara trägt ihre Fototasche selbst, will sie nicht aus der Hand geben, was ich auch nachvollziehen kann. Ich gebe meine Kamera auch nicht gerne aus der Hand, obgleich sie sicher lange nicht so professionell wie ihre ist. So trage ich einzig meinen Rucksack, in dem ich heute morgen noch etwas zu trinken und ein bisschen Obst für unterwegs, sowie eine Decke, eingepackt habe. Meine Kamera, die sich auch noch darin befindet, werde ich später erst benötigen. Auch ich habe mir vorgenommen, die Gelegenheit zu nutzen und heute meinem Hobby, dem Fotografieren, nachzugehen.

„Dann mal los! Unser erstes Ziel ist nicht so weit.“ Der Weg, der durch ein Waldstück zu einer kleinen Anhöhe führt, ist breit genug, dass wir nebeneinander gehen können. Nach einem kurzen Fußmarsch kommen wir oben an, wo sich uns ein herrlicher Blick auf den unter uns liegenden See bietet. Tamara juchzt begeistert auf und schnappt sich sofort ihre Kamera. Die Sonne scheint auf das Wasser in einem Winkel, der ein herrliches Lichtspiel veranstaltet. Begeistert betrachten wir die Aussicht, wobei das Bild, das Tamara mir bietet, eine verlockende Ablenkung davon ist, der ich nicht widerstehen kann.

Tamara ist voll Begeisterung mit fotografieren beschäftigt. Inzwischen hab auch ich meine Kamera hervorgeholt und kann nicht widerstehen, die Euphorie und unglaublich anregende Ausstrahlung Tamaras im Bild festzuhalten. Glücklicherweise ist sie gerade so gefesselt, dass sie es nicht bemerkt, es würde ihr bestimmt nicht passen. Ihr Gesicht strahlt solch eine kindliche Freude aus, macht sie dadurch unglaublich weich und in einer gewissen Art, die ich so noch nie an einer Frau erlebt habe, sexy. Sie ist im Moment derart anziehend für mich, und ich würde diese Freude liebend gerne mit ihr teilen, indem ich meine Arme um sie lege.

Es ist gerade nichts sexuelles, einfach nur das Bedürfnis sie zu halten. Es verwirrt mich, denn dies habe ich schon sehr lange, so nicht mehr bei einer Frau empfunden. Plötzlich reißt mich Tamaras Stimme aus meinen Grübeleien „Du fotografierst auch? Das wusste ich gar nicht?“ Noch immer etwas abwesend, entgegne ich ihr: „Äh, ja…so ab und zu, wenn es mir die Zeit erlaubt und ich eine Gelegenheit dazu habe. Ist so ein kleines Hobby von mir.“  Sie kommt neugierig näher. „Kann ich mal sehen?“ bevor ich etwas sagen oder reagieren kann, hat sie schon nach meiner Kamera gegriffen und begutachtet sie.

Toll, nun sieht sie natürlich auch gleich die Bilder, die ich von ihr gemacht habe. Wie befürchtet, schaut sie sich diese an, doch ihre Reaktion überrascht mich. „Wow, du hast ein gutes Gespür Emotionen einzufangen. War ich wirklich so aufgeregt und überschwänglich, wie es auf den Bildern scheint?“

Bestätigend nicke ich mit dem Kopf. „Ohh,  …okay! Dann darf ich dich aber bei Gelegenheit auch fotografieren!“ Wenn ich ihre Fotos behalten möchte, und das ist ganz klar, dass ich das möchte, bleibt mir wohl nichts anderes übrig, als darauf einzugehen. Mir ist zwar schleierhaft, was sie damit anfangen will, aber bitte, soll sie. „Meinetwegen, solange du sie nicht als Paparazzi verkaufst.“ Ihr helles Lachen und überhaupt ihre ansteckend gute Laune, sind berauschend. „Nein, keine Angst. So was mache ich nicht.“ Hätte ich ehrlich gesagt auch nicht von ihr erwartet. „Na, dann lass uns mal weitergehen, es gibt hier noch viel Schönes zu sehen.“ Sie nickt und macht sich mit mir auf den Weg.
Samu
Wir gehen die Anhöhe hinab zum Seeufer, immer wieder von Tamara unterbrochen, da sie ein weiteres Mal ein schönes Motiv gesehen hat. Es ist einfach herrlich, diese Begeisterung zu sehen, mit der sie auf die Aussicht reagiert.

Ich kenne diese Landschaft hier sehr gut, da ganz in der Nähe das Mökki steht, in dem ich die Sommer meiner Kindheit verbracht habe. Entlang des Seeufers befinden sich viele Mökkis und Grundstücke unterschiedlichster Bauweise und Art. Diese möchte ich ihr zeigen, denn da dürfte sie noch viele weitere Motive finden. Sie ist sehr begeistert von dieser Idee und kann es kaum erwarten, die Ersten davon zu sehen. Bald kommen wir bei den Ersten an, die etwas im Wald versteckt sind und dadurch eine ganz besonderen Charme haben. Wie erwartet zückt sie sofort ihre Kamera und ist sogleich in ihrem Element. Aus den verschiedensten Perspektiven legt sie los, ist kaum zu bremsen.

Ich kann nicht anders, beobachte ihren zauberhaften Enthusiasmus mit einem Dauerlächeln im Gesicht und drücke immer wieder auf den Auslöser meiner Kamera. Am Ende des Tages werde ich definitiv deutlich mehr Bilder von ihr haben, als von der Landschaft. Doch sie ist einfach ein sehr reizvolles Motiv, dem man nicht widerstehen kann.

Nach sicherlich hunderten von ihr geschossenen Bildern, und bestimmt einem dutzend Mökkis, die wir passiert haben, kommen wir an einem an, das etwas abseits der anderen, ziemlich einsam steht. Es sticht deutlich durch seine Größe und den Platz hervor. Ist um einiges größer als die anderen zuvor und steht etwas weiter vom Ufer entfernt auf einer kleinen Anhöhe. Ich kann mich an dieses gut erinnern, denn das Mökki meiner Kindheit liegt in Sichtweite auf der anderen Seite des Sees.

Da sich der See hier wie zu einer Zunge verengt ist die Entfernung zwischen den beiden Ufern nicht allzu weit. Deshalb konnten wir damals das Geschehen und die Leute auf der anderen Seite gut verfolgen. Wir, genauso wie die Kinder von der anderen Seite, hatten damals Schlauchboote und trafen uns immer wieder auf dem See mit ihnen, um uns Wasserschlachten zu bieten. Wir spielten Wikinger, Piraten und ähnliches. Es war eine tolle Zeit. Irgendwann wurden wir alle größer und wuchsen aus diesen Kinderspielen heraus.
Wir, meine Geschwister, die beiden Kinder unserer Freunde und ich, trafen uns mit den drei Kindern der Gegenseite einzig nur auf dem Wasser, und nie an Land. Im Laufe der Jahre habe ich die Namen der beiden Mädchen vergessen, einzig der Name des Jungen ist mir noch im Gedächtnis geblieben. Er hieß Mattis und war wohl der große Bruder des älteren Mädchens.

Ich habe schon lange nicht mehr an diese Zeit gedacht, umso schöner ist es jetzt daran zurückzudenken.

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