Inuyasha und Sake Teil 2

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»Das dachte ich mir schon.« Yōsuke sah an Light vorbei, denn die Tür öffnete sich ein weiteres Mal und zwei Bedienstete betraten das Zimmer und stellten den Sake und das Essen auf die einzigen zwei Tische, die gleichzeitig auch die einzigen Möbelstücke in diesem Raum waren.

Yōsuke beachtete sie nicht weiter, er sah wieder zum Gemälde, als habe er plötzlich darin etwas entdeckt, was ihn die vielen Male, die sie zuvor in diesem Zimmer bei Sake beisammensaßen, noch nicht aufgefallen war.

Das Gemälde stellte eine grausige Szene da: Ein Schlangendämon ragte mit weit geöffneten Maul, mit Reihen von spitzen Zähnen, zwischen stürmischen Wellen heraus und war kurz davor den Ningen, auf seinem in Seenot geratenen Fischerboot zu verschlucken. Sterben stand am unteren rechten Rand des Gemäldes, aber kein Name des Malers. Was für ein simpler, aber passender Name für diese Szene, dachte Light und das nicht zum ersten Mal.

Die Bediensteten verließen sie leise und Light setzte sich an den Tisch, nahm die Essstäbchen in die Hand und aß seine erste richtige Mahlzeit für heute. Er hörte, wie sein Magen knurrte und sich ein schmerzendes Stechen bemerkbar machte, dass nicht eher abklang, bis er mehrere Bisse hinuntergeschluckt hatte. Schließlich ließ sich Yōsuke neben ihm nieder.

»Seid Ihr über Sesshōmaru-samas Absichten informiert?«, fragte Light zwischen zwei Bissen.

»Hai, Sesshōmaru-sama wird in den Osten reisen, Inuyasha-san wird ihn begleiten.«

»Nach Osten? Woher habt Ihr diese Information? Habt Ihr mit Inuyasha gesprochen?«

»Iee! Keinesfalls ...«, brummte Yōsuke und presste die Lippen augenblicklich gegeneinander, »Sesshōmaru-sama hat mich zu sich rufen lassen. Euer Gefährte, unser Alpha wird nicht länger als drei Nächte fort sein, ich habe Anweisungen bekommen, dass Ihr in dieser Zeit nicht ohne Keisuke-samas oder meiner Begleitung das Schloss verlassen dürft.« Yōsuke füllte die Becher mit Sake. »Habt Ihr also vor, einen Ausflug zu unternehmen, müsst Ihr Euch zwischen mir oder Keisuke-sama entscheiden. Aber nachdem, was heute passiert ist, werde ich wohl verdonnert bleiben, das Schloss zu bewachen.«

»Nun«, meinte Light, »ich habe nicht vor, das Schloss zu verlassen. Sesshōmaru-samas Abwesenheit bedeutet mehr Arbeit für mich, ich werde einige Schreiben durchlesen müssen. Für einen Spaziergang außerhalb der Schlossmauern, dafür habe ich nun wirklich keine Zeit. Und nachts gefriert es immer noch, bei dieser Kälte bevorzuge ich die Wärme eines Feuers.«

»Yagami-san, meine Worte waren ernst gemeint. Etwas mehr auf den Rippen und die Kälte würde Euch weniger ausmachen.« Yōsuke beäugte ihn misstrauisch. »Ihr habt immer noch nicht Euer altes Gewicht zurück. Eure Wangen sind eingefallen und Euer Gesicht ist zu blass. Ist das Eure erste Mahlzeit?«

»Mein Gewicht ist meine Sache.«

»Ah, ja ... und was macht Ihr, wenn der nächste Wind Euch fortbläst?«

»Dann werde ich meinen Weg zurückfinden, das sollte nicht allzu schwierig sein.«

Das Schmunzeln verschwand aus Yōsukes Gesicht und ernst sagte er: »Ich dachte, Inuyasha-san würde mit uns Sake trinken. Ich hätte fast einen dritten Tisch in das Zimmer stellen lassen. Habt Ihr nicht etwas von Inuyasha und Sake gesprochen?« Den Tonbecher in der Hand, roch Yōsuke die scharf riechende Flüssigkeit. »Aber ich sehe hier nur den Sake ... Kanpai!«, prostete er Light jäh zu und schüttete den Reiswein in einem Zug hinunter; Light ließ seinen eigenen Becher in den Fingern kreisen, ehe er die Lippen ansetzte und ihn auf die Hälfte leerte.

»Oh, es war nie gedacht, dass Inuyasha mit uns trinkt.« Mit einem warmen Brennen im Hals aß Light weiter. »Inuyasha hat seinen Teil erfüllt«, sagte er einen Augenblick später. Das Essen auf Yōsukes Tisch blieb derweil unberührt, der Dämon schien nur Augen für den Sake zu haben. Light lebte lange genug mit Dämonen zusammen, um zu wissen, wie selten sie Nahrung zu sich nehmen mussten. Es gab Dämonen, die aus eigener Bevorzugung jeden Tag aßen, doch ihre Körper konnten ohne Gefahr viele Tage, bis hin zu mehreren Wochen ohne Nahrung überleben.

»Hmm ...« Nachdenklich überkreuzte Yōsuke die Arme und sagte: »Als Ihr vor ein paar Monaten den Grundriss des Schlosses auf Schwachstellen analysiert habt, habe ich mir Eure Vermerke durchgelesen. Sehr beeindruckend, was Ihr zu den verschiedensten Stellen der Schlossmauer, aber auch über die Wohnhäuser und das Haupthaus geschrieben habt. Die erwähnten Schwachstellen an der Schlossmauer sind der Schlosswache bekannt und werden von Sesshōmaru-sama bisher geduldet, weil für eine Ausbesserung zu viele Häuser abgerissen werden müssten. So einfach lässt sich der Verlauf der Schlossmauer auch nicht ändern, aber das hat man Euch bestimmt gesagt.«

Light nickte und fragte sich, warum Yōsuke plötzlich über den Bericht sprach, den er für Keisuke vor einigen Monaten angefertigt hatte.

»Und dann gibt es von Euch Vermerke an Stellen, wo ich die Gefahr noch nicht erkannt habe –«

»Ich weiß. Mir ist es nicht entgangen, dass Ihr die Schlosswache auf der Mauer neu positioniert habt, um diese abzudecken.«

»Was ich Eurer harten Arbeit zu verdanken habe«, sagte Yōsuke.

»Yōsuke-san«, sprach Light ungeduldig, »der Bericht ist vollständig. Habt Ihr weitere Fragen, werdet Ihr nichts Neues erfahren. Und seit wann schmeichelt Ihr mir?«, fügte er belustigt hinzu.

»Nicht schmeicheln«, kam es sogleich vom Kommandanten der Schlosswache, während er Light und sich nachschenkte. »Ihr habt uns Yōkais, Ihr habt mir damit abermals bewiesen, wie schlau Ihr seid. Ich frage mich, ob Euch das diesmal auch helfen wird und Ihr wirklich verhindern könnt, dass irgendwer zur Rechenschaft gezogen wird.«

Der Sake war schnell getrunken, Light hatte sich diesmal ebenso wenig zurückgehalten und der kräftige Nachgeschmack hielt an.

»Ich hatte genügend Zeit über die prekäre Situation nachzudenken, an der ich schuld bin«, sagte Yōsuke und füllte die Becher wieder auf, »und egal, wie ich es drehe oder wende, Eure Beinverletzung wird Sesshōmaru-sama nicht entgehen, auch wenn Ihr all Eure Gerissenheit zusammennehmt.« Er hob die Hand an, als Light zu einer Erwiderung ansetzten wollte und sagte: »Ja, ja etwas Unerwartetes ist geschehen und Sesshōmaru-sama verlässt morgen das Schloss, aber bis dahin ist es noch lange. Und Ihr –« Ein äußerst kalkulierender Blick erschien auf Yōsukes Gesicht.

Noch nie hatte Light diesen Gesichtsausdruck bei Yōsuke gesehen, einem Dämon, der gesellig und aufgeschlossen war und nie den Eindruck erweckt hatte, er teile dieselbe Weitsichtigkeit wie sie Sesshōmaru und Keisuke besaßen.

»Ihr ... ich denke, Ihr habt gewusst, dass Sesshōmaru-sama das Schloss verlassen wird? Dass Inuyasha- sans Erscheinen, seine Verletzungen, sein kurz geschnittenes Haar; dass es Sesshōmaru-sama die Entscheidung treffen lassen wird, gegen den Yōkai zu kämpfen.« Yōsuke sah ihn an. »Aber Yagami-san, natürlich ist es ein Vorteil, trotzdem wird Eure Verletzung von Sesshōmaru-sama bemerkt werden. Oder wollt Ihr Euch bis zum nächsten Morgen vor ihm verstecken?« Yōsukes Stimme wurde wütend. »Ich weiß nicht, was mich zurückgehalten hat, als ich vor Sesshōmaru-sama stand, aber ich habe ihm nicht von Eurer Beinverletzung berichtet.« Yōsuke leerte den Becher und mit einem dumpfen Aufprall stellte er ihn auf das Tablett zurück. »Vielleicht war es meine Feigheit, vielleicht habe ich Euren Worten vertraut. Ich ... es fällt mir schwer, an den Erfolg Eures Planes zu glauben, und dass obwohl ich ihn noch nicht einmal gehört habe.«

Light schnaubte. »Ihr habt Euch Eure Meinung also schon gemacht, ohne zu wissen, was ich beabsichtige. Und erspart mir Euer Selbstmitleid.«

Bei Lights Worten zog Yōsuke seine Hand vom Sake zurück und legte sie in seinen Schoß. Die Gesichtszüge verhärtet, starrte er in Lights braune Augen.

Währenddessen stützte Light das Kinn auf dem Ellenbogen ab; gelassen und unbekümmert war seine Haltung. »Mein Plan wird funktionieren. Aber gut, solltet Ihr trotz meiner Überzeugung recht behalten und er wird fehlschlagen, dann habt Ihr noch genügend Zeit, die Schuld auf Eure Schultern zu laden. Dann werde ich Euch gewiss nicht davon abhalten für Tōri-san den Kopf hinzuhalten.« Aber mein Plan wird funktionieren.

Für einen Augenblick schloss Yōsuke die Augen und rieb seufzend über die Stirn. »Nun gut, auch wenn ich meine Bedenken habe, ich mir schwertue, Euch in dieser Hinsicht zu vertrauen, bin ich bereit, mir Euren Plan anzuhören ... vielleicht war ich doch zu voreilig mit meinen Worten.«

Gut. Sehr gut, dachte Light und sagte: »Er ist sehr einfach gehalten, und ja, er ist zu einfach, als dass Ihr mir vertrauen werdet. Sesshōmaru-samas Abwesenheit wird mir genügend Zeit geben und meine Beinverletzung wird verheilt sein, ehe er zurückkommt. Jetzt schon ist es nur ein schwacher, kaum merklicher Schmerz. Aber offenbar stark genug, dass mein falscher Gang den Ohren der Yōkais auffällt. Und für mich ist die falsche Gewichtsverlagerung zu fein, als dass ich sie selbst wahrnehmen könnte, ich kann sie nicht korrigieren.«

Nun war es Light, der ihre Becher auffüllte. »Und deswegen Yōsuke-san ist unser Beisammensein bei Sake heute von einer ganz besonderen Bedeutung.«

Der Dämon sah ihn mit fragenden Blick an.

»Sake, Yōsuke-san, wird mir erlauben, Sesshōmaru-sama gegenüber zu treten, ohne dass er bemerken wird, wie ungleich ich auftrete. Wie soll er es bemerken, wenn ich vor Betrunkenheit taumle«, seine Stimme behielt den vollen ernst bei, auch wenn Yōsuke ungläubig die Stirn runzelte und wirkte, als ob er gerne laut losgelacht hätte, ginge es nicht um eine Situation, in der er sich für jemand andern eine Schlinge um den Hals gelegt hatte.

Seit sie zusammen tranken, hatte Light immer darauf geachtet, dass er nicht vom Alkohol berauscht in Sesshōmarus Schlafgemach stolperte; immer trank er in Maßen, auch wenn er wusste, sein Verstand hielt viele Becher des scharfen Gebräus aus. Niemals hatte der Alkohol seine Zunge lose gemacht und heute Nacht sollte es nicht anders sein. Doch an diesem Abend musste er genügend Alkohol im Blut haben, um Wirkungsvoll jede Andeutung seiner Verletzung vor lauter Schwanken und Torkeln vor Sesshōmarus Augen und Ohren verschwinden zu lassen. Wäre Sesshōmaru ein Ningen, hätte Light einen Betrunkenen geschauspielert; er konnte einem Dämon wie Sesshōmaru jedoch nichts vormachen: Er musste wahrlich die Kontrolle über sein Gleichgewicht für den Abend und die Nacht verlieren; der Geruch von Alkohol musste an ihm und seiner Kleidung haften. Er war überzeugt, er konnte selbst einen Daiyōkai wie Sesshōmaru täuschen, zumal Sesshomaru nicht erwartete, dass sein Gefährte etwas vor seinen dämonischen Sinnen versteckte.

»Einen Yōkai wie Sesshōmaru-sama führt man nicht so leicht hinters Licht«, meinte Yosuke. »Er wird es bemerken, egal ob Ihr Euch kaum noch auf den Beinen halten könnt.«

»Glaubt Ihr?«

»Ihr hört Euch zu überzeugt an. Ein Plan, bei dem Ihr betrunken seid ...Ihr seid ein sonderbarer Ningen, Yagami-san.« Yōsuke schüttelte den Kopf. »Es wird nicht funktionieren«, wiederholte Yōsuke. »Ihr werdet damit nicht durchkommen, glaubt mir, uns Yōkais täuscht man nicht so leicht.«

Light stemmte die Arme auf den Oberschenkeln ab und sah Yōsuke an. »Falls mein Vorhaben in der Tat scheitern sollte, dürft Ihr Eurer Verbannung, vielleicht auch Euren Tod gerne entgegentreten.«

Ein klägliches Lachen erklang. »Eure Worte beißen wie die Rattenyōkais in den Sumpfgebieten.«

»Und Ihr sprecht hier aus Erfahrung?«

»Ich spreche aus meiner Kindheit.« Yōsuke verzog das Gesicht. »Ein Biss dieser Yōkais ist nichts Schönes. Diese Biester haben einen aggressiven Speichel, die Wunde brennt wie Höllenfeuer, selbst für einen Yōkai verheilt sie sehr langsam, außer man besitzt eine Immunität dagegen. Ningen, Yagami-san, sterben an ihren Bissen.«

»Ihr habt also kein Vertrauen in den Erfolg meines Planes.«

»Ich kann es mir einfach nicht vorstellen.«

»Es scheint, Euch ist der Tod oder die Verbannung lieber?«

Yōsuke presste den Mund zu einer schmalen Linie. »Nein.« Seine Stimme hob sich. »Nein, ist es nicht. Aber Keisuke-sama –«

»– wird Tōri-san nicht töten!«, fuhr ihm Light schroff ins Wort.

»Keisuke-sama ist kein Yōkai, der ein Vergehen wie Tōri-sans übersehen wird!«, knurrte Yōsuke zurück.

»Hat er denn jemals jemand aus dem Inuclan hingerichtet?«, bohrte Light nach. »Hat er das Yōsuke-san?«

»Nicht hingerichtet«, räumte der Dämon widerwillig ein, »aber in einem Kampf getötet.«

»Wer war das?«, fragte Light sogleich.

Statt zu antworten, erhob sich Yōsuke von seinem Platz und schritt vor das Gemälde an der gegenüberliegenden Wand. Dort meinte er: »Keisuke-sama stach schon als junger Yōkai heraus. Er hob sich schon immer von den anderen Kriegern im Clan ab«. Mit den Rücken zu Light betrachte Yōsuke das Gemälde. »Man konnte schon früh erkennen, dass er sein Schwert führte, als wäre es sein verlängerter Arm, wäre ihm angewachsen. In seinen jungen Jahren streunte Keisuke-sama oft außerhalb der westlichen Ländereien umher, wo er den Kampf mit anderen Yōkais suchte. Und unter Inu no Taishō zog er in den Krieg gegen den Pantherdaiyokai; damals nicht als General, sondern als Krieger.« Yōsuke warf Light einen Blick über die Schulter zu. »Inu no Taishōs Tod rief große Veränderungen im Inuclan hervor. Sesshōmaru-sama nahm den Platz seines Vaters ein, wurde zu unserem Alpha und Anführer und Keisuke-sama wurde Beta und General – Sterben«, murmelte Yōsuke plötzlich den Namen des Gemäldes. »Wie trefflich der Name doch ist. Mein Vater, er starb an dem Tag, an dem Keisuke-sama Beta des Inuclans wurde.«

Yōsuke wandte sich nun vollends Light zu. »Mein Vater war Beta und General unter Inu no Taisho. Um den Platz meines alten Herrn einzunehmen, forderte ihn Keisuke-sama heraus.« Yōsuke trat vom Gemälde fort und kam auf Light zu. »Mein Vater starb durch Keisuke-samas Schwert.«

Und deshalb seid Ihr so verbissen alles dafür zu tun, dass Tōri Keisuke nicht in die Hände fällt, dachte Light. Deswegen versucht Ihr Tōri zu schützen, selbst wenn es Euch weitaus mehr kosten sollte.

Der Dämon setzte sich. »Selbst wenn das Glück auf Eurer Seite ist, Yagami-san, und Sesshōmaru-sama Eure Verletzung nicht bemerkt, wird Keisuke-sama Tōri-san aufsuchen. Ihr dürft nicht glauben, dass er nicht handelt wird, wenn er bemerkt, dass die Sache ungelöst bleibt.«

Light hatte daran gedacht; Keisuke wartete, er wartete ab, welchen Zug er machte, erst dann würde er seine eigenen offenbaren. »Solltet Ihr verbannt oder getötet werden, was glaubt Ihr wird dann geschehen? Denkt Ihr, Keisuke-sama wird nach Sesshōmaru-samas Urteil über Euch, Tōri-san ziehen lassen? Mit Eurem Opfer ist keinem geholfen.«

Yōsuke antwortete darauf nichts.

Oh, es war bemerkenswert, wie der Tod seines Vaters Yōsuke immer noch im Griff hielt, so sehr, dass er sich für einen andern opferte und den Sündenbock spielte. Der Kampf um den Position des Betas war ein legitimer Kampf gewesen, und Keisukes Entscheidung, den Beta unter Inu no Taishō zu töten, zeigte abermals, wie schlau der General war; er hatte sich damit viel Ärger erspart und eine erneute Herausforderung des alten Betas verhindert. Light vermutete, Tōri wusste nicht einmal, was Yōsuke für ihn auf sich nahm. Doch Yōsukes Verhalten erklärte sich nicht nur durch das angespannte Verhältnis zum Krähendämon, Light erkannte auch Parallelen zur Zeitepoche. Die Sengoku Zeit war sehr stark hierarchisch geprägt: Unter den Menschen herrschten die Daimyōs und Geistliche und unter den Dämonen die Daiyōkais und viele andere Rudel- und Clananführer. Und ihre Soldaten, ob Ningen oder Dämon, verehrten ihre Herrscher. Sie waren gewillt für ihren Anführer zu sterben, ohne den Tod in Frage zu stellen. Nicht verwunderlich, dachte Light, hatten sie von klein an nichts anderes gelernt oder gesehen. In der Sengoku Zeit hinterfragte man keinesfalls die Entscheidungen der Anführer, man starb für sie, auch wenn es ein sinnloser Tod war. Light würde niemals für jemand anderen sterben, niemals! So verloren, ja gehirngewaschen, war er nicht.

»Diese Sache kann zwischen Euch, Keisuke-sama und mir entschieden werden. Morgen, nach Sesshōmaru-samas Aufbruch, werdet Ihr mich, zu Keisuke-sama begleiten.« Er ignorierte den fragenden Blick von Yōsuke. »Mein Freund«, Light lächelte, »manchmal ist eine einfache Unterhaltung goldwert.«

»Falls er mit sich reden lässt ...«

»Euer Pessimismus heitert mich auf. Wir werden um ein Gespräch bitten, sobald Sesshōmaru-sama mit Inuyasha fort ist.« Der Gedanke an den Hanyō, an den lächerlichen Versuch, Gou die Freiheit zu schenken, bewegte Light zu einer Frage, hinter der reine Neugierde steckte. »Sagt, Yōsuke-san, was würdet Ihr mit Eurem Leben anfangen, verbannt und ohne Clan?«

»Das müsst Ihr mich fragen?«, grunzte Yōsuke verwundert. »Natürlich Sake trinken!«, und wie um es zu beweisen nahm Yōsuke einen großen Schluck. »Ich würde mein Leben mit Sake trinken verbringen, irgendwo in den Bergen, in einer Yōkaiherberge, weit abgeschieden, an einem Ort, wo nur selten Yōkais vorbeikommen, wo es ruhig ist und wo mich niemand kennt.«

»Ohhhh ...«, tönte Light spottend.

»Hai, hai ... damit wäre ich zufrieden, mehr bräuchte ich nicht.«

Light glaubte ihm nicht, doch er sah, wie die bedrückende, kühle Stimmung durch die Frage auseinanderstob und Yōsuke schmal lächelte.

Eine Stimme von draußen unterbrach sie, eine Bedienstete trat herein und brachte ihnen neuen Sake, gleichzeitig räumte sie Lights Bambustablett ab; die Schale Reis war immer noch fast voll, er hatte lediglich die Suppe vollends getrunken und ein wenig Gemüse gegessen. Yōsuke wies sie an, auch sein Tablett fortzubringen, da er das Essen immer noch nicht angerührt hatte.

Light schenkte ihnen derweil Sake nach und nachdem er drei weitere Becher geleert hatte, fühlte er, wie der Reiswein anfing, seine Wirkung zu entfalten. Yōsuke erzählte währenddessen Geschichten über verschiedene Yōkais, die in den westlichen Ländereien ihr zu Hause hatten, aber nicht zum Inuclan gehörten, dennoch unter dem Schutz des Clans standen.

»Ich habe Euch noch nie betrunken erlebt«, meinte Yōsuke schließlich.

Er musste die Veränderung in seinen Bewegungen bemerkt haben, dachte Light, vermutlich, weil er ihm gerade mit äußerst fahriger Hand den Becher auffüllte. »Es wird eine einmalige Sache bleiben.«

Sie stießen an und nachdem das Wort Kanpai unzählige weitere Male gefallen war, atmete Light schwer auf seinem Platz, den Körper in sich gekrümmt.

»Ihr wollt es also wirklich versuchen?»

»Hai.«

»Dann habe ich eine Frage an Euch, jetzt da ich sehen kann, wie der Alkohol seine Wirkung entfaltet. Wisst Ihr noch, als ich Euch den alten Ningenschuppen gezeigt habe?«, fragte Yōsuke zu Lights Verwunderung. »Damals habe ich Euch gefragt, weshalb Ihr in Eure Zeit zurückkehren wollt. Ihr nanntet Eure Familie als Grund.« Yōsuke lehnte sich in Lights Richtung. »Wollt Ihr immer noch fort von hier?«

Mit einem Blitzen in den Augen, richtete sich Light in eine gerade Sitzposition. »Glaubt nicht, dass nur weil ich betrunken bin, ich Euch solche Fragen beantworten werde. Der Sake hat meine Zunge nicht lose gemacht, mein Verstand ist immer noch klar.«

»Ahhh ... jetzt noch, aber ich bin gespannt, wie viel Ihr aushaltet, bevor ich Euch jedes Geheimnis entlocken kann ...« Yōsuke grinste schief.

Light trank weiter. Die Hitze schoss ihm schon eine Weile in den Kopf und die Berührungen seiner Finger um den Becher fühlte er nur noch dumpf. Der Raum verschwamm an den Rändern seines Sichtfeldes. Er brauchte zweimal so lange, bis seine Augen fokussierten und er die Umrisse der Gegenstände klar und deutlich erkannte.

»B-bevor ich Euch irgendein Geheimnis erzähle ...«, er musste schwer einatmen, bevor er weitersprechen konnte, »werde ich eingenickt sein.«

Das Seufzen von Yōsuke erreichte als langer Ton sein Ohr. »Und ich hatte schon die Hoffnung, vor meinem möglichen Tod oder meiner Verbannung ein großes Geheimnis über Euch zu erfahren. Immerhin seid Ihr aus der Zukunft, aber Ihr sprecht nicht darüber.«

»Ich habe Euch schon erzählt, dass die Ningen in der Zukunft –«, Light schluckte schwer und holte Luft, »in Schulen Schreiben, Rechnen und Lesen lernen.« Sein Körper sackte wieder in sich zusammen, zu anstrengend war es, ihn aufrecht zu halten. Es war Zeit, den letzten Teil des Planes auszuführen, dachte er. Light richtete sich auf oder versuchte es, denn die Schwerkraft zog ihn auf halber Strecke wieder zu Boden. Yōsukes Hand, die ihn stützte, bemerkte er kaum, so taub war seine Haut. Der Dämon half ihn in die Höhe.

»Lasst es mich testen«, sagte Light atemlos und machte einen zittrigen Schritt vor den nächsten, und er wäre am liebsten in die Knie gesackt und hätte seinen Kopf auf dem Boden abgestützt, so schwer fühlte der sich an. Auch wenn er sich bemühte in einer Linie zu laufen, gelang es ihm kaum, die Tür zu erreichen: Er war gegen die Wand getorkelt und hatte auf der Suche nach Halt das Papier eingerissen. Jetzt, nachdem er sich wackelig an der Wand entlanggezogen hatte, schob er die Tür mit großer Mühe auf; alle Kraft schien aus seinen Armen gewichen und sie fühlten sich bleiern an.

»Ihr könnt so nicht zurück zum Haupthaus«, sagte Yōsuke hinter ihm. »Falls Ihr es überhaupt bis dorthin allein schafft und nicht irgendwo im Freien einschlaft, was bei dieser Kälte Euer Tod wäre.«

Plötzlich spürte Light neue Energie im rechten Arm, und er schob die Tür auf, als wäre sie federleicht.

»Und die Feier findet immer noch statt. Ich kann Euch nicht in diese Richtung gehen lassen.«

Als Light aufsah, entdeckte er Yōsukes Hand, die auf der Tür oberhalb seiner lag.

»Ich werde das Fenster nehmen«, sagte Light und taumelte auf den Gang hinaus. »S-sagt mir lieber, ob Ihr die Beinverletzung noch bemerkt.«

Kritisch beäugte Yōsuke ihn, wie er stark schwankend, auf das Fenster zu torkelte. »Ihr seid verrückt, Yagami-san, aber so wie Ihr läuft, sehe ich nur einen Betrunkenen.«

Light schob das Fenster auf und blickte auf einen Haufen von Holzbrettern, die unterhalb des Fensters aufgestapelt waren. Besser konnte es nicht sein, er konnte auf ihnen ins Freie klettern. Light lehnte sich hinaus.

»Mate!«, [Wartet!] rief Yōsuke hinter ihm, doch Light hing schon halber mit dem Oberkörper aus dem Fenster, als er plötzlich schwebte, nur um einen Augenblick später, den Boden unter den Füßen zu spüren.

»Eure Zunge ist vielleicht nicht lose, aber Eure Kühnheit ist beängstigend.« Yosukes Schuhspitze trat gegen einen dicken, verrosteten Nagel, der lang aus dem Holzbrett herausragte. »Diese Bretter sind voll mit Nägeln. Ihr hättet Euch an Ihnen aufgespießt. Yagami-san! Nicht! Ahh ... verdammt –«

»Ich bin müde Yōsuke, wo sonst soll ich mich anlehnen.« Die Stirn gegen Yosukes Brust gepresst, hatte Light die Augen geschlossen und lauschte seinem eigenen Atem und dem schnellschlagenden Herzschlag des Kommandanten der Schlosswache.

»Ihr bringt mich in eine schwierige Situation. Jetzt habt Ihr meinen Geruch zu stark an Euch.«

Light hörte Yōsuke erneut Fluchen. »Das heißt, ich muss mich vor Sesshōmaru-sama erklären. Kommt, ich bringe Euch zu ihm und dann werden wir sehen, ob Euer Plan Erfolg hat oder ob es Zeit für mich ist, von ihm gerichtet zu werden.«

»Er wird es nicht bemerken.«

Es kam keine Erwiderung von Yōsuke, hingegen half er Light den dunklen Weg entlang; an Holzbrettern, die rechts und links stapelten, zerbrochenen Steinen und Dachziegel und morschen Holzfässer und Kisten vorbei. Hätte Yōsuke ihn nicht jedes Mal gewarnt, wenn sie sich dem alten Gerümpel näherten, wäre er dagegen gelaufen; hier erhellte kein Lampion den schmalen Weg und das Licht des Mondes wurde von den Dächern der Häuser ausgesperrt.

Der Weg zum Haupthaus führte diesmal durch einige dieser engen Gassen. Obwohl Lights Wahrnehmung schlechter wurde und er Yōsukes Oberarm festhielt, um nicht gegen ein Hindernis zu stoßen, entging ihm nicht, wie Yōsuke Umwege machte und er den Schlossplatz mied. Light roch das alte Holz des Haupthauses zuerst, ehe das vertraute Ächzen der Dielen die Gänge entlang hallte.

»Ich kann allein weiter«, meinte er und ließ Yōsuke stehen.

»Mein Geruch haftet an Eurem ganzen Körper. Ich muss mich erklären«, hörte er die Stimme des Kommandanten, Yōsuke ergriff seinen Arm und zusammen stiegen sie die Treppe hinauf. »Yagami-san, ich sagte doch –«

»Ich habe Euch gehört, aber es ist anstrengend die steilen Treppenstufen hinaufzugehen. Lasst mich für einen Moment verschnaufen.« Wie gerne würde er jetzt schon auf dem Futon liegen; sein schwerer Kopf hing nach vorn und seine Finger bohrten sich in Yōsukes Schulter. Erschöpft lehnte er an dem Dämon und wäre in dieser Haltung fast eingenickt.

»Sesshōmaru-sama wird in seinem Arbeitszimmer sein«, sagte Light nach einer Weile leise.

»Hai, ich weiß. Kommt, Yagami-san, schlaft mir nicht ein.« Yōsuke rüttelte ihn sanft.

Bei der nächsten Treppe legte Yōsuke Lights Arm um die Schulter und mühsam stiegen sie die Stufen hinauf, eine der steileren Treppen im Haupthaus.

»Ich bin froh, hier niemand anzutreffen. Gut, dass sich jeder in seine Räume zurückgezogen hat«, meinte Yōsuke leise.

»Ihr hilft mir. Man wird Euch dafür nicht verurteilen.«

»Iee, aber ich müsste mir einen Sturm von Fragen anhören.«

Vor der Tür zu Sesshōmarus Arbeitszimmer blieben sie stehen und Yōsuke nahm von Light Abstand. »Sesshōmaru-sama, ich bringe Euch Euren Gefährten«, kündigte er sie an.

Sesshōmaru bat sie herein und Light blinzelte, als das warme helle Licht des Arbeitszimmers in den Gang hinausstrahlte und sein Sichtfeld einen kurzen Moment in blendendes Gelb tauchte. Verschwommen sah er, wie Sesshōmaru ein Schriftstück beiseitelegte und Yashimaru vorsichtig von seinem Schoß auf das Sitzkissen schob, wo der Prinz sich kurz streckte und weiterschlief.

Mit einem freundlichen Lächeln auf dem Gesicht taumelte Light auf Sesshōmaru zu. Ihre Blicke trafen sich und Light spannte die Kiefermuskeln an, aber Sesshōmaru zeigte sich weder beeindruckt von Lights Betrunkenheit noch wirkte er misstrauisch. Wortlos verfolgte der Daiyōkai, wie Light ihn verfehlte und unbeholfen vor einer großen Holzkiste zu Boden sank. Das Gesicht gegen das kühle Holz gepresst, schloss Light die Augen und lauschte dem Rasseln seiner Atemzüge.

»Verzeiht mir, Sesshōmaru-sama«, nahm er die tiefe Stimme von Yōsuke war; wie aus weiter Ferne drang sie an sein Ohr.

»Mein Geruch geriet an Euren Gefährten, weil ich ihm geholfen habe, den Weg zu Euch zu finden. Euer Gefährte hat heute Abend sehr viel Sake getrunken.«

»Sollte das noch einmal passieren, ruft nach seinem Bediensteten.«

»G-gewiss, Sesshōmaru-sama. D-das werde ich tun.«

Oh, Yōsuke, was höre ich da in Eurer Stimme. Seid Ihr überrascht, weil Sesshōmaru meine Beinverletzung nicht bemerkt hat? Weil er sie nicht bemerken wird.

Das Geräusch einer schließenden Tür war zu hören, dann spürte Light eine Hand auf dem Oberarm. »Sesshōmaru«, murmelte er und zwang die Augen auf.

Der Daiyōkai lehnte über ihn, sein langes weißes Haar fiel ihm in Strähnen über die Schulter und kitzelte Lights heiße Wangen.

»Helft mir auf. Ich möchte mich umziehen und schlafen gehen«, sagte Light.

Sesshōmarus kühle Fingerspitzen strichen über seine Wangen, sie fühlten sich angenehm gegen die Hitze an, so sehr, dass Light ihnen das Gesicht entgegendrückte.

»Otō-san? Was ist mit Light?« Light vernahm die tapsenden Schritte von Yashimaru, dann streifte ihn Yashimarus Kleidung.

»Du stinkst«, hörte er die kindliche Stimme in einem anklagenden Ton. »Du musst dich waschen. Ich habe mich heute schon gewaschen. Light muss sich jeden Tag waschen. Er ist ein Ningen und Ningen stinken, wenn sie sich nicht waschen. Morgens, mittags, abends –«, zählte er auf.

Light betrachtete Yashimarus runde Gesicht mit den großen goldenen Augen, die ihn gleichermaßen erstaunt und verunsichert ansahen, und der kleinen Stupsnase, die er angewidert rümpfte.

»Ich habe Sake getrunken, Yashimaru. Was du riechst ist der Alkohol«, erklärte Light. »Und wer hat dir erzählt, dass wir Ningen dreimal am Tag waschen müssen, um nicht zu riechen. Dein Vater hat sich bis jetzt noch nicht darüber beklagt, wenn ich nur einmal am Tag ein Bad in der heißen Quelle nehme.«

»Jaken hat das gesagt. Er hat gesagt, Ningen stinken.«

»Ahh ... Jaken war das.« Natürlich sprach Yashimaru dann einen solchen Unsinn.

»So wie du riechst, mag ich dich nicht mehr. Du riechst nicht mehr nach Otō-san. Du riechst komisch!«

»Yashimaru, es ist alles in Ordnung«, sagte Light und hoffte, der Junge würde von nun an still sein; in seinen Ohren war seine Stimme schrill und Light spürte einen unermüdlichen Druck und ein Stechen im Hinterkopf.

»Aber wenn es dich so sehr bedrückt, werde ich dir versprechen, dass ich mich morgen waschen werde, aber heute Nacht nicht mehr. Ich bin mir sicher, Sesshōmaru-sama wird meinen Geruch aushalten können, oder?«

»Hn.«

»Wusste ich es doch.«

Sesshōmarus Finger strichen abermals über Lights Wange zu seinem Kinn hinab, das er anhob, dann nahm er die Hand zurück und wendete sich ab. Er trat an den Arbeitstisch und räumte ihn auf; wusch die Pinsel aus, rollte Schriftrollen zusammen oder legte die Schreiben übereinander. Als er fertig war, ging er von Öllampe zu Öllampe und löschte die lodernden Flammen mit den Fingern. Yashimaru sah ihm dabei aufmerksam zu, lief ihm hinterher und beobachtete ganz genau, wie sein Vater das Licht erstickte. Bei der allerletzten Öllampe drückte sich Yashimaru an Sesshōmaru vorbei und wollte ihn nachahmen; Ein Schrei, ein Jaulen, Yashimaru steckte die Finger in den Mund und saugte kräftig an ihnen.

»Feuer ist gefährlich«, rügte ihn Sesshōmaru. »Es ist wichtig, bedacht damit umzugehen.«

»Das macht keinen Spaß!«, jammerte Yashimaru. Die verbrannten Finger steckte er wieder in den Mund, da ergriff Sesshōmaru die kleine Hand und benetzte die geröteten Stellen mit seinem Speichel. Yashimarus Finger heilten, und während er seinen Vater fröhlich anlächelte, machte Sesshōmaru die letzte noch übrig gebliebene Öllampe aus.

Seiner Sicht beraubt, spähte Light in tiefe Dunkelheit, die rundum die Umrisse der Gegenstände verschluckte. Etwas hilflos tastete er sich Richtung Ausgang, er torkelte unbeholfen, zufrieden.

Einen Augenblick später legte sich ein Arm um seinen Rücken und Sesshōmaru presste ihn an sich.

Heißer Atem strich über seinen Hals und Light erzitterte unter dem Lufthauch, der seine Nackenhaare aufstellte. Der Griff verstärkte sich und er konnte die Krallen spüren, wie sie leicht gegen seine Rippen drückten. Aber der Alkohol machte ihn taub für Schmerz und so wusste er nicht einmal genau, ob Sesshōmaru ihn besonders stark festhielt.

»Sess –«, zu mehr war er nicht fähig, denn genau in diesem Moment fühlte er warme Lippen an seinem Hals, an einer Stelle, wo sein Gefährtenmal sich wenige Zentimeter unterhalb von seiner blassen Haut abzeichnete. Dann schob Sesshōmaru Lights Haori und Kimono beiseite –

»Ahhh«, keuchte Light auf, als Sesshōmaru das Gefährtenmal berührte, über das er quälend langsam hinweg strich und es immer wieder liebkoste. Lights Knie erzitterten und er meinte, sie würden unter ihm nachgeben, aber Sesshōmaru hielt ihn aufrecht.

Die Hitze in seinen Wangen schoss nach unten und breitete sich in seinem ganzen Körper aus und glühte am meisten dort, wo Sesshōmarus Lippen seine Haut berührten und an ihr saugten, als wäre sie das süßeste, was ihm seit langem untergekommen war.

»Sesshōmaru – Ah! – Sesshōmaru-sama!«

»Otō-san, du tust ihm weh. Bitte tu ihm nicht weh!«

Light seufzte, spürte die Kälte, da Sesshōmaru von ihm abgelassen hatte, und hörte den Daiyōkai Lachen, ein leises, kurzes Lachen. Selten offenbarte der Daiyōkai, wenn ihn etwas amüsierte, so selten, dass nicht umsonst der Eindruck entstand, Sesshōmaru wäre unnahbar, verschlossen und emotionslos.

»Iee, Yashimaru, ich habe ihn nicht verletzt.«

»Das ist gut.« Yashimarus Stimme hob sich. »Jaken hat gesagt, dass Light leicht sterben kann. Dass alle Ningen schnell sterben und ich will nicht, dass Light stirbt.«

Ja, wahrscheinlich hatte der Kappa gehofft, dass ihn die Krankheit umbrachte, dachte Light, und taumelte zur Tür; nicht einmal ein leichter Schimmer Licht trat von draußen durch das Fenster in das Zimmer, es war stockfinster. Doch er erreichte die Wand und fühlte sich an ihr entlang, bis er die Tür ertastete. Hinter ihm kicherte es.

»Light ist so albern.«

Auf den Gang begrüßte ihn ebenfalls tiefste Dunkelheit. Ein Stoß gegen sein Bein ließ ihn zusammenzucken; Yashimaru flitze an ihm vorbei und das Holz ächzte unter seinen unbeherrschten, wilden Sprüngen. Light torkelte ihm nach, mit einem Grinsen auf dem Gesicht. Auch unter dem Einfluss von Alkohol war sein Plan nicht vergessen und wie es aussah, schaffte er es, Sesshōmarus dämonische Sinne zu täuschen.

»Light«, vernahm er Sesshōmarus Stimme direkt hinter ihm und jäh glättete Light seine Gesichtszüge. Gegen seinen Rücken gedrückt spürte er Sesshōmarus Körper, dann legten sich Arme um seine Kniekehlen und Sesshōmaru hob ihn hoch.

Er sagte nichts, hingegen lehnte er den Kopf gegen Sesshōmarus Brust und zog den allzu vertrauten Geruch in die Nase, der auf ihn eine beruhigende Wirkung hatte. Er vernahm das Knarren der Treppenstufen und dumpfe Schläge, die von Yashimarus kommen mussten.

Dann eine hohe, schrille Stimme. »Sesshōmaru-sama! Wartet auf Euren treuen Diener!« Schnelle, leichte Schritte rannten auf sie zu. »Verzeiht mir, Sesshōmaru-sama«, keuchte sie, »i-ich muss eingeschlafen sein, e-es wird nicht wieder vorkommen.«

»Jaken, bring Yashimaru in sein Zimmer und schicke einen Bediensteten zu ihm.«

»Hai, Sesshomaru-sama, Jaken wird sich um Yashimaru kümmern. Der junge Prinz ist bei mir gut aufgehoben.«

Sesshōmaru ging weiter –

»Ano Sesshōmaru-sama, ich – Ano, ich habe gehört Ihr werdet das Schloss mit Inuyasha verlassen.«

»Du wirst hierbleiben.«

»Ahh! A-aber ... aber –«

»Seit still, Jaken.«

»Hai! Sesshōmaru-sama«, entgegnete der Kappa mit fester Stimme. »Ich, als Euer einziger treuer Diener werde Yashimaru in Eurer Abwesenheit vor allem gefährlichen beschützen. Mein Kopfstab und ich – ahhh, Sesshōmaru-sama, ihr, ihr lasst mich einfach stehen!«

Hätte das schrille Gekreische des Kappas Light nicht noch einmal aus dem Schlaf gerissen, wäre er wohl eingeschlafen.

Sesshōmaru beachtete Jaken nicht weiter, deutete Yashimaru an, bei dem Kappa zu bleiben und lief davon, fort von dem Gejammere des Kappas.

In den Gemächern des Daiyōkais setzte Sesshōmaru Light ab und hielt ihn einen Augenblick länger fest, bis Light sein Gleichgewischt gefunden hatte. Erst dann machte Sesshōmaru Licht und Light wusste, es war für seine Menschenaugen, denn Sesshōmaru sah gut genug in der Dunkelheit.

Light torkelte auf eine Truhe zu, die gegen die Wand stand und holte einen frischen Schlafkimono heraus. Stirnrunzelnd sah er sich nach dem Paravent um, der nicht wie sonst an seiner üblichen Stelle stand. Normalerweise zierte er sich nicht, seinen nackten Körper zu zeigen; Sesshōmaru hatte jeden Winkel schon erkundigt. Jedoch wusste er, dass die Stellen, an denen Tōris Speer ihn getroffen hatte, blau und lila verfärbt waren. Sein Plan wäre ruiniert, wenn Sesshōmaru sie zu Gesicht bekäme. Schließlich fand er den Holzparavent zusammengefaltet in einer Ecke und Light spie einen Fluch in Gedanken aus. Welcher Bedienstete hatte ihn dort hingestellt? Sollte er ihn nun aufklappen, würde Sesshōmaru misstrauisch werden. Er wusste, wie selten Light ihn genutzt hatte, seit er von seiner Erkältung genesen war. Und doch war sich Light sicher, Sesshōmaru hätte darüber hinwegsehen, hätte er den Paravent heute benutzt. Aber es war ein Unterschied, ob er sich einen kurzen Augenblick hinter dem Holz Sesshōmarus Blicken entzog oder ob er darauf bestand, man stellte den Paravent wieder auf. Sesshōmaru würde Verdacht schöpfen, wenn Light die extra Anstrengung in seinem betrunkenen Zustand unternahm und das schwere Holz versuchte allein aufzustellen. Und Sesshōmaru konnte er nicht darum bitten, er würde ihn fragen, warum er sich nicht wie all die Nächte zuvor ohne den Paravent umziehen könnte.

Sein Zögern hatte wohl einen falschen Eindruck auf Sesshōmaru gemacht, denn er half ihm aus seinem Haori, wohl in der Annahme, Light wäre in seinem betrunkenen Zustand nicht mehr allein dazu fähig. Er legte das Kleidungsstück auf die Truhe, aus der Light den Schlafkimono genommen hatte, dann griff er nach Lights Obi.

Es musste seine Trunkenheit sein, die sich nun doch negativ auf seinen Verstand auswirkte, denn Light schlug ihm die Hand weg und jäh wusste er, er hatte einen Fehler begangen. Stille. Für einen kurzen Augenblick sah er, wie sich Sesshōmarus Augen weiteten, bevor sich ein dunkler Schatten auf sie legte und er ihn grimmig anblickte.

Lights Gedanken rasten wild; sein Verstand versuchte noch einmal das Ruder rumzureisen, aber entgeistert stellte Light fest, der Alkohol hatte ihn dumm gemacht. Alles, was ihm in den Sinn kam, würde nicht funktionieren und die heikle Situation verschlechtern.

»Ich möchte einen anderen Schlafkimono aus meinem Zimmer holen. Dieser ist für die Nacht nicht warm genug.« Die Aussage war grenzwertig, wenn auch nicht ganz abwegig; der Schlafkimono war nicht warm genug, dass er ohne zu frieren in der Nacht hätte schlafen können. Aber hier lag auch das Problem: es hatte ihn bisher nie gestört, weil die Hitze von Sesshōmarus Körper ihn die Nacht über immer warmgehalten hatte.

»Lügen«, grollte Sesshōmaru, »machen dich hässlich, Gefährte.«

»Ich ...« Light blickte verdrossen. »Es ist kalt in der Nacht, draußen gefriert es immer noch.«

Sesshōmarus Gesicht verfinsterte sich und er knurrte: »Ich dachte, du hättest diese Albernheiten abgelegt.«

Es drang nicht sofort zu Light durch, was er damit meinte und Sesshōmaru bemerkte es.

»Ist es deine Betrunkenheit, die dich dazu veranlasst, mich erneut fortzuweisen?«

»Ich weise Euch nicht fort«, entgegnete Light. »Ich bin müde.«

Sesshōmaru hob den Schlafkimono auf, den Light zum Haori auf die Kiste zurückgelegt hatte, und warf ihn ihm entgegen. »Dann zieh dich um. Du brauchst keinen anderen, mein Körper wird dich warmhalten.«

Light starrte auf den dünnen Stoff. Er konnte vor Sesshōmaru nicht die Kleidung wechseln, aber der Daiyōkai schien genau darauf zu warten. »Ich kann ihn nicht tragen. Wollt Ihr, dass ich mich erneut erkälte?« Mist! Nicht gut! Der Alkohol wirkt sich auf meinen Verstand aus. Meine Ausreden sind erbärmlich, jeder Idiot könnte sie durchschauen!

»Du wirst dich nicht erkälten, nun zieh dich um.«

Abwartend musterte Sesshōmaru ihn, und Lights Finger bohrten sich in den Kimono, aber er machte keine Anstalten, seiner Aufforderung nachzukommen – das konnte er nicht. Er würde seinen eigenen Plan ruinieren!

»Sesshōmaru-sama«, sagte Light vorsichtig und versuchte klare Gedanken zu formen, nur erschienen sie zäh und langsam. »Wenn ...« Er schloss die Augen, ihm war entfallen, was er sagen wollte. Dann lag ein Funkeln in seinem Blick, als er Sesshōmaru ansah: »Ihr seid verstimmt, es wird besser sein, wenn ich die Nacht nicht bei Euch verbringe.« Und Light hätte sich am liebsten für diesen dummen Satz geohrfeigt, aber es war geschehen, die Worte waren gesagt.

»Ist das das wahre Gesicht meines Gefährten?«, fragte Sesshōmaru mit tiefer, fast schon gefährlicher Stimme.

Nein, NEIN! Sesshōmaru, das ist es nicht! Aber der Plan ist zu weit fortgeschritten. Und Ihr habt es bis jetzt nicht bemerkt. Und trotz Eurer dämonischen Sinne, lasst Ihr Euch von meiner Betrunkenheit täuschen. Der Plan muss Erfolg haben, er wird erfolgreich sein!

»Du hast dich also nicht verändert. Und wieder verweigerst du dich mir.« Ein tiefes verärgertes Knurren erklang. »Aber, wenn mein Gefährte mit lächerlichen Ausreden das Weite sucht, dann soll er das tun! Du kannst gehen. Geh – GEH!«

Mit herannahenden Kopfschmerzen taumelte Light in den Gang hinaus und Sesshōmaru folgte ihm. In der Hand hielt er eine Schriftrolle, die er Light zu warf. Sie traf Light an der Brust, dessen Reflexe zu langsam waren, um sie aufzufangen.

»Doch ich habe dich zu meinem Gefährten genommen. Diese Schriftrolle beinhaltet die Information, nach der du gesucht hast. Ich erwarte von dir, dass du alles, was darin aufgelistet ist gewissenhaft umsetzt.« Mit herablassenden Ton fuhr Sesshōmaru fort: »Ich denke, dass sollte für dich keine Schwierigkeiten darstellen, nicht wahr, Gefährte?«

Stumm hob Light die Schriftrolle vom Boden auf. »Es wird mir ein Leichtes sein«, erwiderte er und erwiderte Sesshōmarus Blick grimmig, dann ließ er ihn stehen und schwankte davon.

Nachdem er sein Zimmer erreichte und die Tür hinter sich geschlossen hatte, warf er die Schriftrolle achtlos in die Ecke. Er taumelte zum Futon und sackte darauf nieder.

»Verdammt, verdammt!«, murmelte er, »VERDAMMT!« Mit der Faust schlug er auf die Decke und Felle ein. Light krümmte sich zusammen. Was hatte er getan! War es das wert? War es das! Light drückte sein Gesicht in das Kissen und brüllte, er brüllte bis ihm die Luft ausging und er schwer atmend, atemlos und taub zurückblieb.

Der plötzliche Schwindel kam unerwartet, und er hatte nicht mehr die Zeit zu reagieren; er übergab sich kurzerhand, der Alkohol, sein Abendessen, alles kam aus ihm heraus. Mit einem Stück der Decke wischte er sich den Mund ab und ein Schälchen Wasser löschte den bitteren Geschmack in seinem Mund. Der Geruch von Erbrochenen hing schwer in der Luft, aber es störte ihn nicht, dennoch wollte er die Nacht nicht mit seinem Erbrochen verbringen. Er trat vor die Zimmertür und rief nach Gou.

Der Bärendämon musste sich in der Nähe aufgehalten haben, er bog in den Gang ein mit einem Gesichtsausdruck, als befürchtete er, Light wäre etwas Schlimmes zugestoßen.

»Richte mir ein neues Bett her«, sagte Light, als Gou in das Zimmer getreten war.

Gou rollte das Erbrochene in die Decke und die Felle ein, die dreckig waren, und ging damit fort.

Light nahm zwei der saubergebliebenen Felle, ein Schaffell und ein Wolfsfell, und bedeckte seinen Körper, während er gegen die Wand lehnte und gerade aus starrte. Manchmal blickte er zu Gou, der einen neuen Futon herrichtete und immer wieder besorgt in seine Richtung schielte.

Light schickte ihn fort, als er fertig war.

»Yagami-san! Yagami-san!« Langsam schlug Light die Augen auf, als man seinen Namen wiederholt rief. Licht durchflutete das Zimmer und Sonnenflecken tanzten auf dem Holzboden und den Tatamimatten. Jeder Knochen tat ihm weh, als er sich aufrichtete, sein Nacken und Rücken protestierte mit einem lauten Knacken. Er umrundete das unbenutzte Bett und öffnete die Tür, vor der Yōsuke stand.

»Keisuke-sama und Tōri-san sind verschwunden.« Yōsuke wirkte wütend. »Und warum seid Ihr so spät wach? Wir hatten eine Abmachung.«

Keisuke hatte also seinen Zug gemacht, dachte Light, sein Plan war aufgegangen, Sesshōmaru hatte seine Beinverletzung nicht bemerkt. Der Gedanke an Sesshōmaru erfüllte ihn mit Kälte, er hatte es getan für den rothaarigen Dämon vor ihm. Es war ihm gleich, was Keisuke nun mit Tōri machte. Light hatte, was er wollte, aber es hatte sich auch ein neuer Graben zwischen Sesshōmaru und ihn aufgetan.

»Verzeihung, Yōsuke-san, ich hatte eine sehr schlechte Nacht.«

»Natürlich hattet Ihr eine schlechte Nacht, Ihr wart betrunken!« Yōsuke kniff den Mund zusammen und schnaubte. »Ich hätte schneller handeln sollen«, meinte er. »Er hat es geschickt gemacht, ich habe es nicht bemerkt, wie er mit Tōri-san das Schloss verlassen hat. Vielleicht ist es schon in der Nacht geschehen, ich hab Tōri-san das letzte Mal gestern gesehen.« Yōsuke ließ seinen Blick an Light auf und abgleiten. »Ich schicke einen Bediensteten mit Essen zu Euch. Ihr seht aus, als würdet Ihr gleich umfallen. Und habt Ihr Euch erbrochen? Nehmt ein Bad, ruht Euch aus, Tōri-san ist nicht mehr Eure Angelegenheit. Ich werde mich selbst darum kümmern.«

Yōsuke wartete auf keine Erwiderung von Light. Er ließ Light stehen und stürmte mit zornigen Schritt davon, und Light kehrte unbeeindruckt in sein Zimmer zurück, wo ein schmatzendes Geräusch dicht an sein Ohr drang.

Ryuk schwebte in der Luft, in einer Ecke, und drehte einen Apfelstil zwischen Daumen und Zeigefinger.

»Hyuk, hyuk, weißt du Light, auf dem Weg zum Schloss hab ich diesen Krähendämon eine Zeitlang beim Kämpfen beobachtet. Hat den anderen Dämon ziemlich klein gemacht.« Ryuk wirkte belustigt und mit den spitzen Zähnen lächelte er böse. »Er wollte sogar mich mit seinem Schwert treffen.«

»Schade, dass du immer noch hier bist, Ryuk«, sagte Light, der nur mit halben Ohr zugehört hatte.

»Hyuk, hyuk, Shinigamis kann man nicht töten und das weißt du, Light.«

»Du kannst gebannt werden, Ryuk.«

»Dafür hab ich ja dich Light. Du hast verhindert, dass mich der Krähendämon bannen lässt und Äpfel kann ich immer noch essen.« Er zog eine kleine Schriftrolle unter seinem Gürtel hervor und warf sie in Lights Hände. »Eine Nachricht vom Schattenkitsune.«

Als Light die Nachricht las, regte sich in seinem Körper ein sonderbares Gefühl, als könnte er sich nicht entscheiden, was er fühlen wollte. Kuro, der Schattenkitsune, hatte es tatsächlich geschafft! Er hatte eine Gruppe Mönche gefunden, die behaupteten, sie wüssten, wie Light das Gefährtenmal losbekäme. Ja, vielleicht stimmte es nicht, aber es war sein allererster Anhaltspunkt. Seine Lippen bebten.

»Und was schreibt er?«, fragte Ryuk, während er sich streckte.

»Er will mehr Geld für seine Arbeit«, log Light, dann rollte er das Schriftstück wieder zusammen und packte es weg.

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Alpha Sesshoumaru/Sesshomaru x Gefährte LightYagami | Das weiße Feuer des HundesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt