Light Yagami tauchte den Pinsel in die angerührte Tusche und streifte die überschüssige Farbe auf dem Reibstein ab, dann schrieb er das letzte Kanji auf die Schriftrolle, die ausgebreitet vor ihm lag. Der Geruch von Lampenruß und Bindemittel stieg ihm in die Nase; ein ihm mittlerweile vertrauter Geruch. Nachdem er den letzten Strich gezogen hatte, legte er den Pinsel in die Halterung aus Holz und wartete einen Moment, in dem die Tusche trocknete. Als die schwarze Farbe ihren Glanz verlor und matt wurde, reichte er die Schriftrolle an Sesshōmaru. Der Daiyōkai saß in einer entspannten Körperhaltung ihm direkt gegenüber an einem gleich hohen Tisch. Seine Aufmerksamkeit ruhte auf einem Dokument, dessen Schriftzeichen elegant und geschwungen geschrieben waren. Light konnte von seinem Platz aus den Absender nicht erkennen, da er von Sesshōmarus Hand verdeckt wurde. Aber wer auch immer den Pinsel geführt hatte, musste die Kunst der Kalligrafie durch jahrelanges Training verfeinert haben.
Light erinnerte sich noch gut an seine Schulzeit. Seine Junior High-School im Nagatachō Distrikt in Tokyo hatte jedes Semester mehrere Kurse außerhalb des regulären Stundenplans angeboten, um das Zeugnis der Schüler mit extra Credits aufzuwerten. Für ein Semester hatte Light neben Tennis und Kendo einen Kalligrafiekurs besucht. Selbst als die Credits ihm gutgeschrieben worden waren, das neue Semester schon begonnen hatte, übte er sich weiterhin daheim an berühmten Gedichten. Seine Eltern waren erfreut gewesen von seinem Interesse, Kalligrafie mit Literatur zu verbinden. Nun ja, seine Mutter war die Begeisterte, sein Vater hatte nur gegrunzt und ein kurzes Lob ausgesprochen, als Saichiko ihm eines seiner Werke zeigte. Bald schon bemerkte Light, dass seine Mutter mehr Begeisterung für die Kunst der Kalligrafie zeigte als er selbst. Für ihn war es eine Herausforderung. Er beschäftigte sich so lange damit, bis er Musō Sosekis (einer der bedeutendsten Zen-Meister, Gartengestalter und Kaligraphen der Kamakura-Zeit), seinen Kalligrafiestil einwandfrei fälschen konnte. Erst dann war er der Meinung die Herausforderung gemeistert zu haben. Danach hatte er nie mehr einen Pinsel in die Hand genommen oder Tusche angerührt. Seine Mutter entwickelte in dieser Zeit eine extreme Vorliebe für die Kalligrafie und bald schon hingen fast in jedem Zimmer Sprüche der Weisheit, geschrieben auf Reispapier und eingerahmt hinter Glas.
Light hätte nie damit gerechnet, selbst noch einmal mit einem Pinsel zu schreiben. Mittlerweile hatte er schon so oft die Tusche angerührt, dass es schon eine automatische Routine war. Zu anfangs, nachdem die Schatulle ihn in die Vergangenheit befördert hatte, besaß er einen Kugelschreiber bei sich. Doch dieser, genauso wie sein schlichter Silberring – ein Geschenk von Misa –, wurde jetzt von einem Kaufmann und einem Samurai als Schmuck getragen oder zum Schreiben verwendet. Nach seiner Ankunft in der Sengoku Ära hatte er dringend Geld, Nahrung und weniger auffallende Kleidung gebraucht. Mit seinem sauberen weißen Hemd, seiner beigen Hose und seinen gepflegten Lederschuhen, zog er jeden einzelnen Blick auf sich, egal wohin er anfangs irrte. Also hatte er den Kugelschreiber als eine Erfindung des Westens für viel Geld an einen Kaufmann verkauft. Das Geld reichte ihm für Kleidung, Unterkunft und Nahrung. Den Silberring hatte er gegen das Wakizashi eines Samurais getauscht. Light besaß das Kurzschwert nicht mehr. Er hatte es verkauft, nachdem er das Katana von einem toten Samurai des Daimyō Uesugi Kenshin an sich genommen hatte.
Light stieß hörbar die Luft durch die Nase aus und fing sich damit prompt einen kurzen Blick von Sesshōmaru ein. Die bernsteinfarbenen Augen des Daiyōkais bedachten ihn kurz, bevor sie sich von ihm abwandten und Light sich selbst überließen. Light erinnerte sich zurück an die ersten zwei Wochen in der Sengoku Ära. Die Erinnerungen waren immer noch frisch und so lebhaft, als wäre all dies erst vor kurzem passiert. Er konnte sich nicht vorstellen, er würde sie jemals vergessen, zu viele Dinge waren in dieser Zeit passiert. Zu sagen, er hätte einen schwierigen Start gehabt, wäre reichlich untertrieben und würde nur ansatzweiße dem nahe kommen, was ihm in den ersten zwei Wochen widerfahren war. Für ihn war es ein Kampf gewesen, ein Kampf ums Überleben. Stets war er auf Ryuks Hilfe angewiesen gewesen. Der Shinigami hatte ihn vor herannahenden Dämonen, aber auch vor Rōnins, Banditen und Wegelagerer gewarnt. Er hatte ihm die Fallen der Dämonen gezeigt – manche so gut versteckt, dass er ohne Warnung hineingelaufen wäre. Doch Light hatte schnell gelernt, denn es waren immer die gleichen Fallen von derselben primitiven Dämonensorte: den Oni-Dämonen.
Light rollte eine leere Schriftrolle vor sich aus. Obwohl die Kunst der Kalligrafie vermehrt in der Sengoku Ära benutzt wurde, vor allem unter den Samurai-Beamten und den buddhistischen Mönchen, verblieb Light dabei, seine Schreiben in seiner eigenen Handschrift zu verfassen. Er verspürte nicht den Wunsch, sein Können zum Ausdruck zu bringen. Jedes Zeichen, das er schrieb, hatte nur eine Aufgabe; Information zu übermitteln, Schönheit spielte dabei keine Rolle. Vielmehr achtete er auf den Namen des Empfängers und passte seine Wortwahl dementsprechend an. Dabei ließ er Schmeicheleien hier und da miteinfließen, obwohl ihm bewusst war, dass Sesshōmaru niemanden schmeichelte. Aber Light tat es, und er war gut darin.
Manchmal kam es jedoch vor, dass Sesshōmaru Lights Schreiben nicht unterschrieb und Light musste ein neues Schriftstück anfertigen. Etwas, was in den letzten Monaten nur noch selten geschah, doch Light konnte sich an eine Gegebenheit erinnern, in der der Daiyōkai sein Schreiben fünf Mal abgelehnt hatte, ohne Erklärung. Es hatte ihn damals verrückt gemacht und einen Vulkanausbruch des Zorns in ihm ausgelöst, als er sich soweit erniedrigt hatte, Jaken um Hilfe zu bitten und selbst dieses Schreiben ohne ein Wort wieder bei ihm landete. Schließlich hatte Sesshōmaru seine Gedanken selbst zu Papier gebracht.
Light hatte daraufhin den Boten abgepasst, der Sesshōmarus Schreiben bei sich trug, und ihn überredet, sich in einem heißen Bad auszuruhen, bevor er aufbrach. Während dieser im Wasser saß und abgelenkt war, hatte Light seine Tasche geöffnet, das Schreiben vorsichtig aufgerollt und Sesshōmarus Worte durchgelesen. Sesshōmarus gewählte Worte schnitten wie scharfe Klingen, direkt und ohne Vorwarnung stachen sie einen nieder. Beleidigungen tauchten auf, auch wenn sie keinesfalls geschmacklos wirkten; sie waren derart in die Sätze eingebaut, dass man sie erst auf den zweiten Blick erkannte. Sesshōmaru lehnte einen Besuch ab. Damals war der Name Inu no Kami für Light nichtssagend gewesen. Jaken hatte sich geweigert, in Lights Gegenwart eine Antwort zu verfassen und so hatte der Kappa ihm nichts zum Empfänger gesagt. Erst Monate später erfuhr Light, wer sich hinter dem Name Inu no Kami verbarg. Manchmal fragte sich Light, weshalb Sesshōmaru überhaupt wollte, dass er das Antwortschreiben verfasste, wenn es sich bei dem Namen Inu no Kami um Sesshōmarus eigene Mutter handelte. Light vermutete, Sesshōmaru wollte ihn testen. Eine Lächerlichkeit seiner Meinung nach. Niemals hätte Light ein Antwortschreiben wie Sesshōmarus verfasst. Der Daiyōkai hatte also wissen müssen, dass keines von seinen Schreiben ihm genügt hätte.
Light nahm den Tonbecher von dem Tablett, das neben ihm auf dem Boden stand. Als nächstes griff er nach dem dünnen Bambusstäbchen und rührte den braunen Inhalt des Bechers um. Das meiste der Kräutermedizin hatte sich auf dem Boden abgesetzt. Jetzt, da er sie aufgewirbelt hatte, trank er die Medizin auf den halben Becher leer. Er verzog keine Miene, selbst wenn der bittere Geschmack ihn fast dazu zwang, eine Grimasse zu schneiden. Wäre er allein gewesen, dann hätte er sich die Nase zugehalten und es schnell hinuntergewürgt. Vor Sesshōmaru würde er sich diese Blöße auf keinen Fall geben. Der Daiyōkai hatte schon genug gesehen. Die Krankheit hatte ihm seine Selbstbeherrschung genommen, ihn zu einem Haufen elend gemacht. Nein danke, er hatte genug davon.
Über eine Woche war immerhin schon vergangen, seit die Ningenheilerin ihn untersucht und die Kräuter für ihn dagelassen hatte. Mit jedem Tag, der verstrich, fühlte er sich kräftiger. Light bemerkte, wie das Gefährtenmal zu seiner schnellen Genesung beitrug. Er schlief die Nächte in Sesshōmarus Armen durch und wachte jeden Morgen erholter als am Vortag auf. Das Gefährtenmal entwickelte sich als Fluch und Segen zugleich, dachte Light zerknirscht. Er hatte Zeit zum Nachdenken nur zu genüge gehabt, während er unter den warmen Fellen im Schlafgemach von Sesshōmaru darauf gewartet hatte, dass sein Körper die Krankheit besiegte. Light gestand sich ein, dass ein längeres Abstreiten von immer offensichtlicher werdenden Tatsachen ihm nicht nutzte: es gab etwas in ihm, dass seinen Zorn auf Sesshōmarus Gefährtenmal trotzte. Er hatte es lange nicht wahrhaben wollen, denn es fiel ihm recht schwer, sich einzugestehen, dass etwas derartiges Unlogisches in ihm existieren konnte und er es auch noch irgendwie nährte. Es war falsch ... wie es falsch gewesen war, dass Sesshōmaru ihn ungefragt an die Kette eines Gefährtenmals gelegt hatte. Falsch ... ja, das war es ... und es war erholsam und beruhigend gewesen Sesshōmaru in den Nächten bei sich zu haben und tagsüber in seiner Nähe zu sein. Light unterdrückte das Verlangen, sich frustriert übers Gesicht zu fahren.
Light warf Sesshōmaru, der an einem gleich hohen Tisch ihm gegenübersaß, einen flüchtigen Blick zu. Sesshōmaru war über eine Schriftrolle gebeugt und las.
Zu seinem großen Unglück machte Lights Körper sich nichts aus seiner großen Abneigung gegen das Gefährtenmal. Sein Körper sendete viel zu oft Signale an Sesshōmaru, die jenen ähnelten als er noch nicht der Gefährte von Sesshōmaru gewesen war, als sein Verstand und sein Körper sich noch einig waren, was sie für den Daiyōkai empfanden. Verdammt es war falsch!, sagte Light sich, als er an den Moment zurückdachte, in dem er heiß glühenden Schmerz an seinem Hals gespürt hatte, während Sesshōmarus Zähne ohne seine Zustimmung tief in sein Fleisch gesunken waren.
Doch die verhasste Erinnerung blieb nicht lange, und das Bild verschwand, stattdessen überkam ihn ein Gefühl, das ihm in den letzten Tagen nur zu vertraut geworden war ... und das hier war genauso falsch ... obwohl Light allein an einem Tisch saß, meinte er Sesshōmarus warmen Körper erneut durch seine Kleidung eng an seinen Rücken gepresst zu spüren. Es wäre eine Lüge zu behaupten, Light hätte nicht gewusst, was er tat, als er sich in den Nächten an Sesshōmaru drückte wie ein fiebriger, obwohl seine Stirn nur in den ersten Nächten heiß geglüht hatte. Selbst wenn Light es hätte besser nicht tun sollen, weil er damit Sesshōmarus Meinung über ihn nur bestärkte, und er sich verhielt, als hatte er tatsächlich zwei Gesichter, genoss er selbst in den letzten zwei Nächten Sesshōmarus Wärme und Nähe, obwohl er schon vor zwei Tagen als Genesen galt. Er war abends in Sesshōmarus Schlafgemach zurückgekehrt, und Sesshōmaru empfing ihn ohne einen Kommentar. So wie Sesshōmaru Light nicht auf seine Rückkehr ansprach, die nicht länger notwendig war, versteckte Light seine Überraschung, tatsächlich auf Sesshōmaru in seinem Schlafgemach zu stoßen: Als Dämon brauchte Sesshōmaru selten Schlaf. War er hier, dann nur wegen Light.
Sesshōmaru hatte Light nachts in den Armen gehalten und Light hatte ihm die Erlaubnis dazugegeben; dass er danach immer noch die Nächte bei Sesshōmaru verbrachte, war Lights eigene Entscheidung gewesen und nicht eine unter dem Einfluss des Gefährtenmals, da war er sich sicher. Und hier lag der Hund begraben.
Es war ein großer Unterschied, im vollem Bewusstsein Entscheidungen zu treffen, deren Gründe man einzeln aufzählen konnte und nur zu genüge wusste, warum man sie getroffen hatte - das war Kontrolle und dagegen hatte er nichts einzuwenden.
Aber er würde nicht darüber hinwegsehen, wenn er ein Verhalten zeigte, dass er weder nachvollziehen noch beherrschen konnte. Light krümmte die freie Hand auf seinem Schenkel und bohrte seine Finger fest in den Stoff seiner Hose. Seine Handbewegung war hinter dem niedrigen Tisch und vor den Augen von Sesshōmaru verdeckt. light nahm derweil einen Schluck der bitteren Kräutermedizin und dachte nach.
Das Gefährtenmal beeinflusste ihn auf eine widerwertige anstößige Weise. Er wusste nicht, wie es das tat, unlogisch war es jedoch wütend auf Sesshōmaru zu sein und gleichzeitig Sesshōmarus Berührungen wohlwollend auf seinen Körper zu empfinden. Das machte doch alles keinen Sinn! Sein Zorn sollte in diesen Augenblicken stark genug sein, dass Sesshōmarus Nähe und seine Berührungen ihn kalt ließen. Lights Finger drückten fester in seinen Schenkel; er spürte einen dumpfen Schmerz, den er ignorierte. Kein Wunder war ihm das Gefühl der innerlichen Zerrissenheit in den letzten Wochen und Monaten vertraut geworden, sagte Light sich. Er war nicht länger Herr seiner Gefühle, die er für Sesshōmaru empfand und sein Verstand sah darin eine schwerwiegende Schwäche. Hatte er deshalb alle unbewussten wohlwollende Reaktionen seines Körpers auf Sesshōmaru lange Zeit nicht wahrhaben wollen und sie als Unfug und ein Hirngespinst abgetan? Vermutlich, dachte Light, da das Zugeben eines derartigen Kontrollverlustes ein schreckliches Versagen war, und er es damit verglich, als hätte er erneut eine Herausforderung verloren.
Verdammt!
Er war Kira gewesen, er hatte gegen den berüchtigten Detektiv L bestehen können. Er war ihm vor der Nase herumgetanzt. Niemand mit einem Funken von einem unlogischen Verhalten hätte das vollbringen können!
Verflucht war das Gefährtenmal!, spie Light in Gedanken.
Und trotzdem wusste Light, dass er aufhören musste gegen das Gefährtenmal anzukämpfen. Er durfte seine Pläne nicht gefährden. Zorn und Abneigung würde er sich weiterhin erlauben, aber er wollte keine Kraft mehr aufbringen und diese verteufelten Gefühle unterbinden, wenn das Gefährtenmal seinen Fluch wirkte. Er musste gerissener vorgehen. Wenn das Mal an seinem Hals Vorzüge hatte, die er brauchte, um an sein Ziel zu gelangen, dann würde er sie nutzen; immerhin war ein gesunder Körper wichtig. Light betrachtet abermals die souveräne und erhabene Gestalt des Daiyōkais, der die Schriftrolle las.
Light durfte seine Pläne nicht gefährden und so hatte er sich entschieden: Von nun an würde er auch dann seine Gefühle für Sesshōmaru zulassen, wenn das Gefährtenmal sie so offensichtlich beeinflusste.
Lights Augen verharrten auf Sesshōmarus feinen Gesichtszügen. Mit seiner blassen und makellosen Haut erinnerte Sesshōmaru Light an die Puppen, die mit Schwertern bewaffnet und in prächtigen Gewändern gekleidet in Taiwan aber auch in den letzten Jahren in Japan im Fernsehen gegeneinander kämpften. Light hatte zwar kein Interesse für diese TV-Serie gehabt, aber er hatte die Werbeplakate oft genug auf dem Weg zur To-Oh Universität gesehen.
Sesshōmaru musste Lights bohrenden Blick bemerkt haben, doch er deutete derartig nichts an und las weiter. Light nahm wieder einen Schluck und presste dann die Lippen zusammen. Bei dem schrecklichen Geschmack der Kräutermedizin schüttelte es ihn jedes Mal innerlich.
Für seinen Stolz und sein Verlangen nach Kontrolle und Selbstbestimmung war das Gefährtenmal eine große Bedrohung, aber Light musste das Thema dringend vom Tisch kriegen. Zu viel Aufmerksamkeit auf das Mal legte ihm nur unnötige Steine in den Weg. Er durfte Sesshōmaru auf keinen Fall Grund zu einem Verdacht liefern. Wenn Sesshōmaru Wind davon bekam, dass Light nach einer Möglichkeit suchte, das Gefährtenmal loszuwerden, wären seine Pläne, die er momentan verfolgte, durchkreuzt. Er konnte zwar nicht einschätzen, wie Sesshōmaru auf eine solche Neuigkeit wirklich reagierte, aber es wäre möglich, dass er Light fortan streng im Auge behielt und über Lights Tagesablauf unterrichtet werden wollte, etwas, was für Sesshōmaru bisher bedingt von Interesse gewesen war.
Light leerte den Becher in einem letzten Schluck und stellte ihn auf das Tablett ab.
Hätte er mit Sesshōmaru das erste Mal geschlafen, wenn er schon damals gewusst hätte, wohin ihre Beziehung Light noch führen sollte?
Light nahm eine Bittschrift von dem Stapel, auf dem sich noch zehn weitere befanden, und rollte die Holzstäbe aus, auf denen die Nachricht geschrieben war.
Seine Beziehung zu Sesshōmaru war ... sie war schwierig.
Light las den Absender der Bittschrift und seine Gesichtszüge verzogen sich augenblicklich in Verwunderung.
Er hatte damals mit Sesshōmaru geschlafen, weil - er starrte auf den Namen des Wolfsprinzen, Kōga, - weil Sesshōmaru Light ebenbürtig war. Sesshōmaru hatte nie den Anschein gemacht, er würde Light bewundern, er machte ihm keine Komplimente oder versteckte sich hinter Light, noch hatte Light das Gefühl bekommen, dass Sesshōmaru sich abhängig von ihm zeigte, was ihm vertraut gewesen wäre, dachte er an Misas klammernden Griff und ihre Eifersucht, wenn in Tokios Straßen der Blick einer Frau zu lange auf ihm gehaftet hatte.
Sesshōmaru besaß keine der Merkmale, die seine Anhänger ausmachten, als er noch Kira gewesen war, oder er schon früher zu den Zeiten der High-School erfahren hatte. Schon damals hatte um Light sich ein Gefolge aus Schülern gescharrt. Seine Mutter hatte in ihnen seine Freunde gesehen, für Light waren es Speichellecker, die dem Glauben verfallen waren, ihre Noten würden sich verbessern, wenn sie nur die gleiche Luft wie Light atmeten; denn so kam es ihm manchmal vor, wenn sie ihn durch die Klassenzimmer und Gänge folgten, für ihn den Stuhl zurückzogen und sich darum stritten, wer ihm das Mittagessen in der Kantine kaufte.
Sesshōmaru würde Light niemals folgen. Der Daiyōkai folgte niemanden ...
Sesshōmaru führte an.
Er führte seinen Clan und Light an, was ihr Gespräch im Wald erneut verdeutlicht hatte. Er vertraute seinen dämonischen Fähigkeiten und in seine Führungskraft, wie Light immer wieder wütend feststellte, da Sesshōmaru keine Kompromisse einging. Selbstzweifel schienen Sesshōmaru fremd zu sein; Light kannte ihn nur furchtlos.
Und offenbar sah Sesshōmaru in Light keine Bedrohung, weder für die Dämonen in seinem Clan noch für seine Kinder, Yashimaru und Rin, obwohl er während ihrer gemeinsamen Reise durch Japan miterlebt hatte, wie Light seinen Verstand unehrenhaft verwendete. Light hatte schnell bemerkt, dass Sesshōmaru Ehre besaß, was ein lächerliches, unbrauchbares Verhaltenskonstrukt war, nach dem Light sich keineswegs orientierte, und genau das wusste Sesshōmaru und dennoch war Light nun sein Gefährte. Sesshōmaru war schwierig einzuschätzen, seine Beweggründe erschlossen sich Light oft nicht.
Light sah immer noch auf den Namen Kōga hinab. Für Sesshōmaru musste es den Anschein haben, als las Light gerade.
An der Uni war außer L niemand mehr Light auf Schritt und Tritt gefolgt; seine Studiengenossen hatten ihn zu Recht als Bedrohung wahrgenommen. Zusammen mit L hatte er die Aufnahmeprüfung zur To-Oh Universität mit Glanzleistung bestanden. Seine Kommilitonen hatten ihn wegen seiner akademische Leistung gefürchtet, hatten ihn ihm einen gefährlichen Konkurrenten gesehen: Damit hatten sie nur von ihrer eigenen Schwäche abgelenkt; sie waren allesamt erbärmlich gewesen, dachte Light.
Er hasste das Gefühl, es war ein Verlust der Kontrolle, Light verabscheute es in anderen wie in sich selbst.
Hätte Sesshōmaru jemals Schwäche vor Light gezeigt, würde er nun nicht sein Gefährtenmal tragen, da Light andernfalls nicht mit Sesshōmaru geschlafen und sich auf eine Beziehung eingelassen hätte.
Misa war ein großer Fehler gewesen, das war Light seit langem bewusst. Ihre Nähe hatte sich immer angefühlt, als erdrückte sie ihn. Wenn er mit ihr geschlafen hatte, dann geschah es, um sie glücklich zu machen. Als zweiter Kira war sie eine entscheidende Schlüsselfigur bei seiner Erschaffung einer neuen Welt gewesen. Er hatte sich ihrer Gefolgschaft sicher sein müssen. Und trotzdem war es ein Fehler gewesen, dachte Light, als er kurz zu Sesshōmaru hinüberblickte, der mittlerweile eine Antwort schrieb. Er hätte auf eine andere Weise, sich ihre Ergebenheit sichern sollen. Aber seine Beziehung zu Misa war vorbei, und wenn er es geschafft hatte, in seine Zeit zurückzukehren, würde Light jeden Versuch von Misa, ihn zurückzugewinnen sofort im Keim ersticken.
Light sah wieder zu den geschwungenen Kanjis für den Namen Kōga, ohne dass er einen Gedanken dem Wolfsprinzen schenkte.
Misa hatte es nie geschafft, Light tief im Inneren zu berühren. Sie besaß nichts von dem, was ihn anzog, nichts, weswegen sein Atem vor Erregung schneller ging. Sie war ein hübsches Ding, das war ihm bewusst, und doch war sie niemand, dem Light Aufmerksamkeit geschenkt hätte, wäre sie nicht im Besitz eines weiteren Death Notes gewesen.
Und dann war da L. Manchmal, wenn Light an den Detektiv dachte, fragte er sich, ob unter anderen Umständen, in denen sie keine Feinde waren und auch keine magische Schatulle zur Zeitreisemaschine wurde, Light L umworben hätte. Neben Sesshōmaru gab es nur L, der für Light ebenbürtig war, der Lights Interesse hatte halten können.
Light glaubte, L wäre zumindest sein erster ehrlicher Freund geworden, hätten sie nicht auf verschiedenen Seiten gestanden. Aber wäre L in der Lage gewesen auch die Dunkelheit in Light anzunehmen? Hätte es den Detektiv abgeschreckt, wenn er wie Sesshōmaru erlebte, wie Light Inuyasha durch Manipulation dazu brachte, Feuerholz im Wald zu suchen, während Light bei Sesshōmaru blieb, oder wie er einer alleinstehenden, armen Bäuerin mit seinem Charme, hübschen Worten, einem falschen Lächeln und einer erlogenen Geschichte eine Abendmahlzeit abschwatzte, weil Light an dem Tag keinen einzigen Fisch gefangen hatte, obwohl Jaken nach langen Klagen für ihn mit seinem Kopfstab ein Loch in die Eisdecke im See geschmolzen hatte?
Während Light im Dorf gewesen war, hatte Sesshōmaru am Waldrand auf seine Rückkehr gewartet. Die Ohren eines Dämons waren gut, und Light war sich sicher, Sesshōmaru hatte dem Gespräch mit der Frau gelauscht.
Sesshōmaru wusste zu was Light fähig war, er wusste es und er hatte ihn in seinen Clan aufgenommen, schlief mit ihm ... mit jemand, für den Ehre nur ein Dorn im Auge war.
Hätte L das auch getan? Oder hätte er Light als Gefahr wahrgenommen? Und genau dieser Gedanke brachte ihn zu seiner Frage zurück, die er sich vorhin gestellt hatte.
Verdammt nochmal ja ... ja, er würde es wieder tun.
Er würde sich wieder auf Sesshōmaru einlassen, auch wenn er von Beginn an gewusst hätte, dass ein Gefährtenmal am Hals ihn wie ein Brandmal zieren sollte. Lights Blick verdüsterte sich. Er würde es tun, auch wenn ihre Beziehung ein Schlamassel war, sie sich anfühlte wie eine holprige Achterbahnfahrt, sie anstrengend war, ihn wütend machte ... und sie offensichtlich keine Zukunft hatte, da er nicht vorhatte seine Pläne aufzugeben.
Er würde es wieder tun.
Waren sie beide gelassen, wie jetzt gerade, zufrieden mit der Nähe des anderen, und berührten sie sich, ohne dass Wut in ihren Augen tobte und ihre Stimmen zornig bebten, war das Gefährtenmal einmal vergessen, dann war Sesshōmaru das Feuer, das Lights Seele berührte und die Schatten verbrannte, die auf Light lasteten, und gleichzeitig war Sesshōmaru wie ein Gebirgssee, aus dem Light erfrischt auftauchte.
Er würde es wieder tun, denn Light wollte nicht vergessen, dass er die Möglichkeit auf eine erfüllte Beziehung hätte haben können, und er sah zu Sesshōmaru: Jedoch hatte Sesshōmaru sich entschieden, Bringer und Erlöser seiner Schatten zu sein ... Light verzog den Mund wie im Schmerz, dann schüttelte er das schwermütige, beklemmende Gefühl ab, dass ihn plötzlich überkam, bevor Sesshōmaru es bemerkte.
Jetzt schmunzelte er.
Als er die Kosten der Ningenheilerin erfuhr, hatte er belustigt aufgelacht; es war ein absurder, ja schon unverschämter Betrag, den Sesshōmaru für seine Gesundheit gezahlt hatte. Von der Summe hätte sich ein Bauer ein kräftiges Pferd für die Feldarbeit leisten können; ein Samurai ein neues Schwert; eine Familie Reis, Gemüse und Fleisch für mehrere Monate. Light musterte erneut Sesshōmaru, der eine neue Schriftrolle zur Hand nahm und sie begann zu lesen. Sesshōmaru hatte nach dem Besten verlangt und war bereit gewesen, den Betrag zu bezahlen. War es sein Pflichtbewusstsein gewesen? Light wusste, dass Sesshōmaru es als seine Pflicht ansah, sich um das Wohl seines Gefährten zu kümmern. Oder war es mehr ... war es schon Fürsorge?
Fürsorge. Light behagte dieses Wort nicht. Es war ihm zu nah, zu innig ... es bedeutete, dass Sesshōmaru mehr für ihn empfand, als nur ein Mittel, um seinen Clan zu stärken. Es bedeutete, Sesshōmaru benutzte Light nicht nur für sein eigenes Wohlbefinden, wie Light es doch mit ihm machte ...
Light biss die Zähne zusammen, holte sine volle Aufmerksamkeit ins Hier und Jetzt zurück und zwang sich endlich das Schreiben von Kōga durchzulesen. Sesshōmaru war es vermutlich aufgefallen, dass er seit einer gewissen Zeit nicht weitergearbeitet hatte. Und doch hatte nichts zu ihm gesagt.
Nun Schreiben in seiner Hand, war das erste, das Light von dem Wolfsprinzen erhalten hatte. Kōga war nicht dafür bekannt, Kontakte zum Daiyōkai des Westens zu pflegen. Light kannte den Wolfsdämon nur vom Hörensagen, von ein paar wenigen Geschichten, die er überhört hatte, während er mit Sesshōmaru Rin besucht hatte.
Nachdem Light das Schreiben durchgelesen hatte, stellte er drei Dinge fest: Kōga besaß kein Fingerspitzengefühl für Diplomatie, wenn er annahm in einer Bitte an Sesshōmaru mit Anschuldigungen Erfolg zu haben; die Verzweiflung im Wolfsrudel musste groß sein, wenn Kōga Sesshōmaru um Hilfe bat, und Kōga wusste nicht, wie man Lights Namen schrieb. Lights Name wurde mit den drei Kanjis 夜神月geschrieben und setzten sich aus seinem Familienname Yagami 夜神 und seinem Vorname Light 月 zusammen. Kōga hatte seinen Familiennamen richtig, aber seinen Vornamen falsch geschrieben. Er hatte für seinen Namen das Kanji 光 verwendet: Licht.
Obwohl das Kanji 月, das tsuki ausgesprochen wurde und Mond bedeutete oder auch getsu/gatsu heißen konnte und dann der Monat war, wurde sein Vornamen mit genau diesem Kanji geschrieben: Eine Freiheit, die seine Eltern sich bei seiner Geburt erlaubt hatten. Light sah über Kōgas Fehler hinweg. Für Light war es mittlerweile schon Gewohnheit, seinen Namen falsch geschrieben zu lesen. Auch unter den Dämonen des Inuclans gab es zu anfangs einige, die seinen Namen mit dem Kanji 光 für Licht geschrieben hatten. Light korrigierte diesen Fehler nicht. Die einzige Ausnahme hatte er beim General gemacht. Es war eine Genugtuung gewesen, seine Entschuldigung zu hören.
Bevor Light sich der Inhalt von Kōgas Nachricht offenbarte, wollte er wissen, mit welcher Zahl Sesshōmaru die Lücke ausgefüllt hatte, die Light in dem Antwortschreiben offen gelassen hatte, das er ihm vor einer Weile hinübergereicht hatte.
»Wie viele Krieger wollt Ihr dem Bärenclan diesmal zur Hilfe schicken?«, fragte Light.
Der Bärenclan, der am Fuß des Gebirges im Norden hauste, an der Grenze zu den nördlichen Ländereien, wurde immer wieder von Onis überfallen. Der Clan hatte nur wenige Mitglieder und keiner konnte kämpfen. Die Bärendämonen überlebten nur, weil sie mit Menschen und Dämonen handelten und unter dem Schutz von Sesshōmaru waren. Light hatte schon öfters ein Schreiben angefertigt, indem er dem Bärenclan Krieger vom Inuclan versprach.
Sesshōmaru nahm einen Stempel aus grüner Jade in die Hand, in dem das Zeichen des Westens eingeritzt war; ein Halbmond, unter dem das Kanji Inu und Haus stand, und tunkte ihn in rote Farbe, um ihn auf den freien Platz, am unteren Rand einer Schriftrolle zu pressen. Dann nahm er einen dünnen Pinsel, tauchte diesen in schwarze Tusche und schrieb seinen Namen daneben.
»Einer.«
Die Antwort war zu erwarten gewesen. Onis waren in ihrer Statur oft mittelgroße, sperrige Dämonen, mit einem Aussehen, das der Schönheit einer Kröte glich. Sie besaßen einen plumpen Verstand, der ihr Handeln instinktiv machte und ihr Verhalten zu einem leichten, vorhersehbaren Geschehnis. Doch wegen ihrem hohen Gewaltpotenzial waren sie gefährlich für Menschen und Dämonen, die unerfahren im Kampf waren. Light hatte seine eigenen Erfahrungen mit diesen Dämonen gemacht. Er wusste, dass sie aus den einfachsten Gründen angriffen; ein unerwartetes Aufeinandertreffen mit einem Oni reichte aus, um von ihm durch Wälder und über Wiesen gejagt zu werden.
Oft verschlangen diese Dämonen Menschen, größere Tiere oder schwache Dämonen. Laut Yōsuke war das Knacken von Knochen unter den Sohlen und der Gestank von Verwesung ein Normales in dem Bau eines Onis. Unschöne Geschichten über diese Dämonen gab es zuhauf; selbst der Inuclan besaß seine eigenen. Für einen kampferfahrenen Dämon aus dem Inuclan sollte das Niederstrecken der Onis jedoch eine Leichtigkeit sein. Viel zu dumm waren sie, um eine Gefahr darzustellen, gleich wie viele von ihnen den Bärenclan bedrohten. Wer immer den Befehl bekam, er sollte in wenigen Tagen vom Bärenclan zurück sein. Es war ein einfacher Auftrag.
Light wartete, bis Sesshōmaru die Schriftrolle zum Trocknen beiseitegelegt hatte, erst dann sprach er zu ihm.
»Eine Nachricht von Kōga-sama. Er bittet Euch um Hilfe an der gemeinsamen Grenze im Osten. Das Ōkami-Rudel wird von Flugyōkais aus den Bergen angegriffen.« Light betrachtete das Schreiben in seiner Hand. Kōgas Anschuldigungen sprangen ihm dabei abermals ins Auge. »Er ist über Eure Grenzpatrouille erzürnt, da sie sich aus dem Kampfgeschehen heraushält und sein Rudel sich selbst überlassen bleibt.« Light fuhr mit sachlicher Stimme fort. »Er besteht auf die Unterstützung des Westens, da sein Rudel schon öfters gefährliche Yōkais vernichtet hat, bevor sie die Grenze zum Westen passierten. Kōga-sama meint, Ihr schuldet ihm einen gefallen. Er fordert einen Ausgleich.«
»Abgelehnt.«
Auch diese Antwort hatte Light erwartet. Er rollte vor sich ein leeres Reispapier auseinander und begann mit einer höflichen, aber bestimmten Antwort, die das Desinteresse des Westens für die Probleme von Prinz Kōga ausdrückten. »Ano ... diese Flugyōkais ...«, Light tauchte den Pinsel in die Tusche, »was denkt Ihr, Sesshōmaru-sama, weswegen greifen sie die Ōkamis an?«
Kōga hatte diesbezüglich nichts in seinem Schreiben erwähnt. Vielleicht war es ein territorialer Kampf. Unter den Dämonen wurde oft um die Eroberung neuer Gebiete gekämpft. Light wusste, dass das Gebiet des Wolfsprinzen sich vom Fuß eines Gebirges hinaus über Wälder und Wiesen erstreckte. Seine Hauptgrenze teilte er mit dem Daiyōkai des Ostens und des Nordens. Nur ein kleiner Streifen, nicht mehr als drei Kilometer, verlief an der westlichen Grenze. Für die Flugdämonen in den Bergen war es kein Nutzen, das Gebiet von Kōga zu erobern, dachte Light. Light gestand, das Schreiben sagte nicht viel über diese Flugdämonen aus, trotzdem lag die Vermutung nahe, dass es eine Art von Dämon war, die ihre Behausung weit oberhalb der Baumgrenze hatte, wo zur Ernährung Kleintiere und Bergziegen gehörten.
»Der Ōkami und sein Rudel sind von keiner Wichtigkeit für den Westen.«
»Ahja, heißt das, Ihr wisst es nicht?«
Sesshōmaru hielt in seiner Bewegung inne. Er sah Light an. »Du willst Vermutungen hören?«
»Hai! Ich frage nach Euren Vermutungen.«
Sesshōmarus linke Hand ruhte gelassen auf dem Knie, während die andere auf dem Tisch lag. »Ich mutmaße nicht.«
Wenn das so war, dann machte es keinen Sinn, Sesshōmaru weiter auszufragen. Light richtete seinen Fokus wieder auf das Antwortschreiben des Wolfsprinzen. Sollte er dennoch das Interesse haben, mehr über die Geschehnisse an der Grenze zu Kōgas Gebiet in Erfahrung zu bringen, dann brauchte er keine Vermutungen, dann musste er nur die richtigen Personen fragen; Sesshōmaru gehörte offensichtlich nicht dazu. Und Light verstand es. Für Sesshōmaru war es unwichtig, was mit dem Rudel von Kōga passierte. Und solange die Flugdämonen nicht in den Westen einfielen, würde Sesshōmaru keinen Gedanken an die Vorfälle nahe seiner Grenze verschwenden.
Sie arbeiteten weiter, jeder für sich, in einer Stille, die in den letzten Tagen zu einem vertrauten Freund wurde; es war ein angenehmes beisammen sein. Light gab ein paar Tropfen Wasser in die Tusche und rührte sie um. Dann wusch er die Borsten seines Pinsels aus, nur um erneut mit der Pinselspitze in die Farbe einzutauchen. Light fuhr noch einmal das letzte Kanji nach, bei dem er gemerkt hatte, wie die Farbe viel zu dickflüssig auf dem Papier haftete. Es brauchte nicht lange, da hatte er Kōgas Antwortschreiben fertig. Kurz wartete er, bis alles getrocknet war, dann erhob er sich und legte es auf Sesshōmarus Tisch ab. Sesshōmaru schrieb derweil selbst an einer Antwort. Sein Schreiben richtete sich an jemanden, dessen Namen Light fremd war.
Zurück auf seinem Platz, nahm Light das nächste Schriftstück vom Stapel. Dieses war nicht zum Ausrollen, sondern es war ein zusammengefaltetes Reispapier, das in einem Bambusbehälter steckte. Er faltete es vor sich auf dem Tisch auseinander und massierte sich sogleich die Schläfe; es stammte von Menschen. Er mochte diese Schreiben nicht, zu sehr wünschte er, er besäße auch in dieser Zeitepoche ein Death Note. Light stützte seine Stirn auf seinen Fingerspitzen ab. Wobei er das Death Note nicht einsetzten konnte ohne Namen und ohne das Gesicht gesehen zu haben.
Seit er Sesshōmarus Gefährte war, hatten sich die Bittschriften der Menschen verdreifacht. Sie baten den Daiyōkai um Hilfe oder richteten sich in ihrem Schreiben direkt an Light. Es schien, als erhofften sie sich, der Daiyōkai würde offener für die Belange von Menschen sein, nun da er einen Menschen als Gefährten hatte. Sesshōmaru antwortete auf keines ihrer Schreiben. Eine Ausnahme machte er lediglich bei den Daimyōs, wenn auch nur gering. Sesshōmaru las die Schreiben der Daimyōs nicht, noch wollte er darüber informiert sein. Light fertigte jedes Mal ohne Rücksprache eine Absage an, verwendete dabei immer dieselben Floskeln.
Vielleicht war es Mitgefühl für seinesgleichen, denn er hätte das Schreiben beiseitelegen können. Hingegen fing er an zu lesen, obwohl er schon vorab wusste, um was es ging: Es waren Hilferufe. Holprig waren die Sätze und nur mit Mühe verstand Light, was das Anliegen der Dorfbewohner war. Manche der Kanjis und Hiraganas waren falsch geschrieben und so entriss sich ihm der Sinn des Satzes, dennoch verstand er genug, um sich dem Problem der Dorfbewohner bewusst zu sein. Das Dorf wurde von einer Gruppe von Tausendfüßlerdämonen angegriffen. Sie entführten die Dorfbewohner, hauptsächlich Kinder und Alte, und verschwanden mit ihnen im Wald. Vermutlich schon tot, dachte Light. Ein bestimmter Gedanke drängte sich in den Vordergrund: Nein, er konnte nicht, sagte Light sich, selbst wenn er ihnen half, würde er in den nächsten Wochen viele weitere solcher Hilferufe von Menschendörfern erhalten. Er konnte ihnen nicht helfen. Der Preis für eine Hilfe wäre zu hoch; er hatte keine Befehlsgewalt über die Krieger des Inuclans, sie unterstanden dem General, und Light müsste sich an ihn wenden. Es sprang für ihn nichts dabei heraus, und er war noch nie ein Wohltäter gewesen. Waren die Dorfbewohner schlau, dann würden sie Hilfe finden. Für solche Fälle gab es Dämonenjäger, Mikos oder sogar Mönche.
Er faltete das Schreiben zusammen und steckte es zurück in den Bambusbehälter. Dann nahm er das nächste vom Stapel. Eine Weile lang arbeitete er konzentriert weiter, doch dann bemerkte er, wie es ihm immer schwerer fiel, seine Augen offen zu halten, zu sehr brannten sie nun. Sein Körper, leicht warm, wollte eine Pause. Light säuberte die Pinsel, die er für die heutige Arbeit benutzt hatte und reinigte den Reibstein. Normalerweise gab es Bedienstete, die diese Aufgabe übernahmen, doch Light hatte die Angewohnheit, sich um Ordnung und Sauberkeit seines Arbeitsplatzes selbst zu kümmern.
Nachdem er alles gesäubert und wieder aufgeräumt hatte, stand er auf und streckte sich. »Ich werde mich zurückziehen.« Light verbeugte sich vor Sesshōmaru. »Ihr entschuldigt mich.«
»Iss etwas, du bist zu dünn«, kam es von Sesshōmaru.
Light bezweifelte, sein Appetit würde heute zurückkommen. Schon vor der Krankheit war ihm nicht nach Essen zumute gewesen. Er ernährte sich zurzeit von Suppen mit ein wenig Bambus oder getrockneten Blüten darin und verschiedenem Gemüse, mehr nicht.
»Ich werde jemand von der Küche zu dir schicken«, fügte Sesshōmaru hinzu und betrachtete Lights dünne Gestalt.
Light wusste, Sesshōmaru war über seinen starken Gewichtsverlust nicht erfreut. »Arigatou gozaimasu, Sesshōmaru-sama!« Light verbeugte sich erneut. »Ich werde sehen, ob ich Hunger habe.« Damit ging er zu Tür ... und stoppte-
Aufgebrachtes Stimmengewirr war von draußen zu hören. Jemand rannte über den Gang auf die Tür zu, durch die Light das Zimmer verlassen wollte. Light trat beiseite und machte der Person Platz, die dabei war hereinzustürmen.
Etwas weiches berührten Lights Finger. Er sah nach unten auf Sesshōmarus weißen Ärmel. Sesshōmaru stand zwischen ihm und der Tür.
Sie wurde sie mit einem lauten Schlag aufgeschoben, und eine rote Gestalt sprang in den Raum.
»Sesshōmaru!«
Inuyasha brach herein wie ein Taifun vom Meer kommend. Emotionen schwappten über sein Gesicht, schnell wechselnd, von einem düsteren Gemüt.
Light schmeckte die Luft. War das ein Geruch von Salz und Seetang?
»Inuyasha.«
Sesshōmaru war gefasst, doch Light erkannte an seinem Gesicht, dass Inuyashas unerwartetes Auftauchen ihn nicht erfreute.
Eine zweite Person hetzte nun in den Raum, sie rannte an Inuyasha vorbei und warf sich vor Sesshōmaru auf den Boden; das Haupt tief gesenkt, die Stirn gegen das kühle Holz gepresst. Ihre langen, beharrten Ohren zuckten nervös. »Ich ... ich bitte vielmals um Verzeihung, Sesshōmaru-sama«, stammelte sie hastig, die Augen hatte sie dabei fest zusammengekniffen, als fürchtete sie Sesshōmarus glühenden Zorn. »I-ich konnte ihn nicht aufhalten. Ich habe ihm gesagt, dass Ihr beschäftigt seid, doch es hat ihn nicht davon abgehalten, Euch aufzusuchen. Ich–«
»Lass uns allein«, unterbrach Sesshōmaru den Dämon aus seinem Clan und machte seinem Gestammel damit ein Ende.
»Hai! Sesshōmaru-sama!« Der Bedienstete sprang sofort auf und eilte aus dem Raum, dabei lief er rückwärts und verbeugte sich mehrmals überschwänglich. Auf dem Gang sah er zu ihnen ein letztes Mal, dann schloss er die Tür leise.
»Inuyasha, warum bist du hier?« Mit einem Rascheln seiner Kleidung trat Sesshōmaru Inuyasha gegenüber. Sesshōmaru hielt an seiner Gelassenheit fest. Seine Körperhaltung war beherrscht, seine Stimme zeigte jedoch ein anderes Bild; in ihr schwang Verärgerung mit.
»Nun, ich –« Inuyasha schüttelte ein Schreiben aus dem Ärmel seines Kariginus, dann hielt er es Sesshōmaru unter die Nase. »Hier! Lies selbst!«
Sesshōmaru nahm ihm das Schreiben ab und überflog es kurz. »Hn!«, Seine Fingerspitzen färbten sich grün und sein Gift fraß sich durch das Reispapier.
»Was zur Hölle!« Inuyasha langte nach Sesshōmaru, doch seine Krallen durschnitten Luft. »Verdammt Sesshōmaru! Du sollst es lesen!«
Sesshōmaru bedachte Inuyasha mit einem abwertenden Blick. »Mir ist der Inhalt bekannt. Wenn du nur deswegen zu mir gekommen bist, dann weißt du, wo es wieder hinausgeht.«
Sesshōmarus herablassende Kälte trieb Inuyasha die Wut ins Gesicht. »Keh!«, spie er. »Von deiner Arroganz hast du nichts eingebüßt, wie ich sehe. Otō-sans Name wird in den Dreck gezogen und du schaust weg! Dich würde es wahrscheinlich nicht einmal interessieren, wenn man sein Grab schändet!«
Sofort verschwand Sesshōmarus Gelassenheit. Er warf Inuyasha einen vernichtenden Blick zu.
Light spürte Sesshōmarus Yōki noch nicht als ein Prickeln auf der Haut, aber er sah es; Sesshōmarus weißes Haar bewegte sich leicht, als ob ein unsichtbarer Wind daran zupfte.
»Sein Grab wurde bereits geschändet. Schon vergessen? Von dir und deiner kleinen Ningen-Gruppe.«, fauchte Sesshōmaru.
Inuyashas Augenbrauen zogen sich zur Mitte hin zusammen. »Lad die Schuld ja nicht auf uns ab!«, schmetterte er zurück, die laut erhoben. »Du warst auch dort, du weißt, wir haben gegen Naraku gekämpft! Du weißt, dass wir keine andere Wahl gehabt haben -«
»Genug!«, unterbrach Sesshōmaru ihn. »Tu, was du willst, Inuyasha, aber vergeude nicht meine Zeit mit einem Yōkai, dessen mickriges Dasein nicht die Erwähnung wert ist.«
»Keh!« Inuyasha sprang vor den mit Schriften beladenen Arbeitstisch von Sesshōmaru. »Mistkerl! Du verschließt also deine Augen, obwohl du in der Nachricht auch erwähnt bist, obwohl du auch herausgefordert wirst. Keh! Ich hätte gar nicht herkommen sollen, eigentlich hab ich's ja gewusst, dass es sinnlos sein würde. Aber ich dachte, dass du vielleicht ... dass du mit mir zusammen die Herausforderung annehmen wirst.« Inuyasha schielte für einen Augenblick verlegen beiseite, bevor seine Augen wieder auf Sesshōmaru fielen und er ihn gehässig ansah. »Elender Hund! Dir ist Otō-sans Ehre also egal!«
Sesshōmaru knurrte zurück. »Inuyasha!« Seine Augen waren vor Wut verschmälert. »Warum suchst du Chichi-ues Ehre bei einem erbärmlichen Yōkai! Geh zurück!«
Light konnte sehen, dass Sesshōmarus Geduld mit Inuyasha am Ende war.
Inuyasha blieb standhaft, er war voller Verbissenheit; Light ahnte, dass er in diesem Zustand keinen Rückzieher machen würde.
Warum war es Inuyasha nur so wichtig, die Ehre seines Vaters vor einem unbekannten Dämon zu verteidigen? Light wusste, Inu no Taishō starb in der Nacht, in der Inuyasha geboren worden war. Inuyasha kannte seinen Vater nicht ... außer natürlich, das war genau die Ursache für Inuyashas Verhalten. Inuyasha könnte das Gefühl haben, seinem Vater etwas schuldig zu sein.
Inuyasha zeigte Sesshōmaru seine spitzen Eckzähne in einer bedrohlichen Gebärde. Er schien mit einem Angriff von Sesshōmaru zu rechnen und seine Hand lag auf dem Schwertgriff von Tessaiga. Sesshōmarus Hände waren nicht in der Nähe von Bakusaiga. Eins schien Inuyasha nicht bewusst; Sesshōmaru würde Bakusaiga nicht ziehen, nicht hier, nicht in seinem Schloss.
Light beschloss, sich einzumischen, um etwas Vernunft, in Inuyashas Schädel zu hämmern. »Du kennst den Yōkai nicht. Warum sind dir die Worte eines Fremden so wichtig?«
»Oi, Yagami! Halt dich da raus. Das geht nur Sesshōmaru und mich was an!«
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Alpha Sesshoumaru/Sesshomaru x Gefährte LightYagami | Das weiße Feuer des Hundes
FanficLight Yagami landet in der Sengoku-Ära. Ohne die Macht Kiras, in einer Welt, in der Menschen auf dem Speiseplan von Dämonen stehen, ist Light gezwungen sich dem gefürchtetsten unter ihnen, Sesshoumaru, anzuschließen. Auf der Suche nach einem Weg zur...