Winterkälte

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Light schob das warme Fell des Fuchses etwas höher, sodass es seine Ohren bedeckte und diese geschützt waren vor der klirrenden Kälte und dem beißenden, ungemütlichen Wind, der ihm unaufhörlich ins Gesicht blies. In der Nacht hatte es noch einmal kräftig geschneit. Straßen und Waldwege waren unter der dicken Schneeschicht verschwunden und hatten die Landschaft in ein ein Meer aus Weiß verwandelt. Light stampfte durch den wadenhohen Schnee und kam dabei nur langsam voran. Seine Füße steckten in Fellstiefel, deren weiches Innenfutter die Wärme darin behielt. Für seine Hände, damit diese nicht taub wurden und ihm die Fingerspitzen abfroren, hatte er Handschuhe aus Schaffell bekommen. Gekleidet war er in einen dunkelblauen, einfarbigen Kimono, der mehr als drei Lagen besaß. Er machte ihn unbeweglich und fühlte sich schwer an, aber das nahm er gerne hin, wenn ihm die Kälte dadurch fort blieb.

Light war kein Freund der Kälte, das wusste auch der Kommandant der Schlosswache. Yōsuke hatte Lights leichtes Zittern vor einigen Tagen bemerkt, als sie im Freien standen und ein plötzlicher kalter Wind forsch an Lights Kleidung zerrte. Yōsuke konnte sich die Bemerkung nicht verkneifen, Light solle mehr essen, denn es wäre kein Wunder, dass er fror, wenn er nichts auf den Rippen hatte. Etwas besser gepolstert und die leichte Windbrise hätte ihm nichts ausgemacht, meinte der Kommandant der Schlosswache. Light hatte dies nur mit einem 'Baka!' kommentiert. Aber Yōsuke hat nicht ganz unrecht. Verglich sich Light mit den anderen männlichen Yōkais, dann stach er in der Tat durch seine dünne Gestalt und seine schwach ausgeprägten Muskeln heraus. Und obwohl er sich in Japans Mittelalter befand, das Leben um einiges härter als in seiner Zeit war – es keine Maschinen noch elektronische Geräte gab, um den Tagesablauf zu vereinfachen, die Bauern nicht mehr als Flug, Pferd, Sense und Harke besaßen, um ihre Reis- und Getreidefelder zu bewirtschaften, und die Bediensteten im Schloss die Wäsche von Hand wuschen, – hatte sich sein Körper kaum verändert. Light musste keine harte Arbeit leisten und so zeichneten sich auf seinen Körper auch keine kräftigen Muskeln ab. Die einzigen Muskelpartien, die sich in den letzten Wochen leicht verändert hatten, waren seine Armmuskeln – das tägliche Schwerttraining zeigte sich langsam.

Light trat dicht neben Sesshōmaru, der ihn durch seine hochgewachsene Gestalt ein wenig vor dem Wind schützte. Yashimaru schob sich vor ihnen durch den Schnee, dabei warf er das weiße Pulver immer wieder in die Luft und ließ es auf sich hinab regnen.

Sessōhmaru lief an seinem Sohn vorbei unter eine Buche in den Wald hinein. Yashimaru hüpfte ihm sofort in der Schneespur hinterher, die Mokomoko hinterlassen hatte. Im Wald, so fand Light, schmeckte die Luft nach einer Mischung aus Harz, Rinde und Winter. Die Äste waren so voll beladen mit Schnee, dass sie tief nach unten hingen und drohten unter der Schneelast nachzugeben. Immer wieder vernahm er, wie es knackte und raschelte. In der Ferne sah er, dass ein Ast abbrach und eine Lawine an Schnee mit ihm nach unten stürzte. Light beäugte Sesshōmaru, der sie immer tiefer in den Wald hinein führte. Er wusste nicht, weshalb sie hier waren. Bis jetzt hatte sich der Daiyōkai noch nicht dazu geäußert.

Yashimaru hatte sichtlich Schwierigkeiten, durch den Schnee vorwärts zu kommen. Er reichte ihm bis fast zur Hüfte. Um mit dem Tempo seines Vaters mithalten zu können, vergrößerte Yashimaru seine Sprünge und glich dabei einem Känguru oder einem Hasen. Für Light endete der Schnee etwas unter den Kniekehlen. Mit jedem Schritt musste er sein ganzes Gewicht verlagern – seinen Fuß weit hochziehen. Sein Kimono war schwer und unbeweglich und verhinderte eine gute Beweglichkeit. Bald schon fiel er zurück. Die Anstrengung erhitzte seinen Körper. Wenigstens musste er so nicht frieren, dachte Light humorlos. Stumm bewegte er sich vorwärts, während er seine Aufmerksamkeit auf seinen Atem richtete, der immer flacher wurde. Mit einem Mal senkte sich der Boden und es ging zwei Meter schräg nach unten, wo ein Bach unter einer dünnen Eisschicht gluckerte. An manchen Stellen war das Eis aufgebrochen und das Wasser hatte kleine Blätter und Geäst dort angespült. Der Bach war nicht breiter als einen halben Meter. Light macht einen langen Schritt darüber hinweg, krallte sich an einer aus der Erde herausstehenden mit schneebedeckten Baumwurzel fest und zog sich auf der anderen Seite nach oben.

Oben angekommen, sah er sich nach den beiden Dämonen um. Light konnte Sesshōmaru und Yashimaru nur noch vage in der Ferne erkennen. Mit ihrem weißen Haar und dem weißen Kimono, verschmolzen sie fast mit ihrer Umgebung. Sessōhmaru schien es anscheinend nicht zu stören, dass er nicht hinterher kam, dachte Light mürrisch oder wartete der Daiyōkai darauf, dass er nach ihm rief? Light kämpfte sich durch den Schnee mit müden Beinen, die sich nach einer Pause sehnten. An einer Fichte stützte er sich ab, lehnte seinen vor Erschöpfung gequälten Körper dagegen und zog rasselnd die kalte Luft in seine Lungen. Während er sich mehrere Sekunden der Pause gönnte, fiel sein Blick auf die Spuren, die er hinterlassen hatte – deutlich sichtbar waren sie. Sollte er sich entscheiden, umzukehren, dann würde er ohne Probleme aus dem Wald wieder herausfinden. Light warf einen letzten Blick in Richtung der beiden Dämonen, die nun vollends aus seinem Sichtfeld verschwunden waren, lediglich ihre Spuren im Schnee deuteten an, in welche Richtung sie unterwegs waren.

Aus dem Augenwinkel heraus bemerkte Light, wie Schneeflocken durch die Luft schwebten. Für einen Augenblick dachte er, es hätte wieder angefangen zu schneien, doch dann entdeckte er den Vogel, der über ihm von Ast zu Ast sprang und nach Würmern unter der Rinde suchte. Light drückte sich vom Stamm ab und schlug die entgegengesetzte Richtung ein, aus dem Wald heraus zurück zum Schloss. Er hatte nicht einmal drei Schritte gemacht, da tauchte Sessōhmarus imposante Gestalt vor ihm auf und versperrte ihm den Weg.

»Wo willst du hin?«

»Ist das nicht eindeutig? Zum Schloss natürlich. Ich scheine hier, nicht von Nutzen zu sein und Ihr habt mir bisher immer noch nicht verraten, weshalb meine Anwesenheit erfordert wird.« Damit ließ Light den Daiyōkai stehen und machte sich auf den Rückweg. Er wusste, sein Verhalten würde Sessōhmaru zu einer Reaktion zwingen, eine Reaktion, die sehr Vielfältig ausfallen könnte. Light kalkulierte die Möglichkeiten: Gewalt war eine davon, die er jedoch lediglich eine Wahrscheinlichkeit von weniger als 5% gab. Sessōhmaru hatte noch nie die Hand gegenüber ihm erhoben, Bakusaiga, ja, aber nur, wenn er ihm beim Schwerttraining half. Hingegen konnte der Daiyōkai grob sein, Light konnte viele Situationen aufzählen, in der Sessōhmaru sein Kinn, sein Handgelenk oder seine Hüfte gepackt hatte, ihn hinter sich herzog oder ihn auf einen Futon schmiss. Mit solch einer Reaktion von Sessōhmaru musste Light immer rechnen, wenn er sich den Befehlen des Daiyōkais verweigerte, wenn er seinen eingeschlagenen Kurs stur weiter fuhr.

Light stand mit dem Rücken zu Sessōhmaru. »Ihr habt mir heute Morgen einen Stapel von Bittschriften zukommen lassen. Anstatt grundlos hinter Euch her zu laufen, könnte ich im Schloss sein und diese bearbeiten. Wie soll ich effizient arbeiten, wenn man mich von meiner Arbeit fernhält?« Light fing den Blick des Dämons auf. »Lasst mich umkehren, Sessōhmaru-sama. Ich werde im Schloss mehr bewerkstelligen als in einem Wald.«

»Nein.«

Light stieß langsam die Luft aus. Am liebsten hätte er gefragt, was es in diesem Wald zu dieser ungemütlichen Jahreszeit so besonderes gab, dass er unbedingt hier sein musste. Doch Light würde sachlich bleiben. Seit der Nacht, nach der Zeremonie, in der Yashimaru sein Schwert überreicht bekommen hatte, hatte sich ihr Verhältnis verbessert, trotzdem gab es immer wieder Situationen, in denen ein Sturm sich über ihnen zusammenbraute – so wie gerade jetzt. Und auch wenn er schon die ersten grauen Wolken am Himmel entdeckte, war es nicht das, was Light unbedingt wollte. Sessōhmaru würde nicht mit ihm streiten, er würde ihn in die Schranken weisen. Light wollte aus dieser gottlosen Kälte heraus, die sich dann doch langsam, aber kontinuierlich durch seine Kleidung fraß. Light wollte etwas produktives tun, in einem Wald in der Kälte zu stehen, lag für ihn weit abseits davon.

»Du wirst hier gebraucht.« Sessōhmarus Worte waren vage, offenbarten kaum etwas.

»Gebraucht? Der Stapel Bittschriften braucht mich. Ihr habt mir 20 Schriftrollen gegeben, Sessōhmaru-sama. Ich bin zwar schnell, aber trotzdem werde ich mehrere Stunden brauchen. Vermutlich bis spät in die Nacht hinein und bis zum Morgengrauen, wenn Ihr mir nicht erlaubt zum Schloss zurückzukehren«, konterte Light. »Ich habe mir die Absender angeschaut. Ihr habt mir zu den Bittschriften zwei Schreiben von Ningen Daimyos dazu gelegt. Ich weiß, Ihr interessiert Euch nicht für ihre Belange, aber ich werde wohl kaum für einen Daimyo ein Antwortschreiben verfassen können wie für eine Bauernfamilie.«

Sesshōmaru warf ihm einen scharfen Blick zu. »Die Dokumente, die ich dir gegeben habe, können warten. Du bist hier, weil ich das möchte. Nun komm...« Sesshōmaru machte kehrt und ging in die gleiche Richtung, in die er schon zuvor gegangen war

Light blieb an Ort und Stelle stehen, seine Füße fest mit dem Schnee verschmolzen. Sessōhmaru, dachte Light und bis die Zähne aufeinander, bevor er noch einen abfälligen Laut von sich geben konnte. Er starrte auf Sessōhmarus langes weißes Haar. Hier und da glitzerte ein wenig Schnee darin, vermutlich war er auf Sessōhmarus Haar gefallen, als dieser unter den Ästen der Bäume hindurchgelaufen war. Meine nächsten Worte werden euch nicht gefallen, sagte sich Light und rief hinter dem Dämon her: »Ihr seid mein Gefährte, aber dass heißt nicht, dass ich jeden Befehl von Euch willenlos, ohne Erklärung und ohne Grund entgegennehmen muss.« Lights Stimme blieb selbstsicher, ein einfaches für ihn, selbst dann, als Sesshōmaru sich umdrehte und ihm einen warnenden Blick zu warf.

Kälte überzog Sessōhmarus Gesicht, eine Kälte die ebenfalls in den Augen des Daiyōkais wohnte. Eine Weile lang regte sich keiner von ihnen. Außer dem Knacken des Waldes und ein paar zwitschernde Laute von vereinzelten Vögel, schien alles um sie herum still zu stehen. Ja, sogar Yashimaru bemerkte die Anspannung zwischen ihnen beiden – reglos, mit unsicherer und leicht verwirrter Miene stand er ein Stück hinter Sesshōmaru.

»Wisse deinen Platz«, raunte Sesshōmaru schließlich.

Einen Lidschlag lang erfüllte glühender Zorn Light. Auch wenn es in ihm kurz brodelte, ließ er auf seiner eingefrorenen, starren Miene nichts von seinen Gefühlen durchsickern. Dann schoss ihn ein Gedanke durch den Kopf, der ihn zum Seufzen brachte – ein stilles Seufzen; sein Brustkorb hob und senkte sich und seine Lippen öffneten sich leicht – sein Atem kondensiert es sofort. Lights behandschuhte linke Hand hielt sich abweisend an seinem rechten Arm fest, gleichzeitig neigte er seinen Kopf zur Seite, zeigte seinen Hals oder besser gesagt, den toten Fuchs, der um seinen Hals geschlungen war und in die Kälte abhielt. Seine Gestik bewirkte sofort eine Veränderung in Sessōhmarus Verhalten, die Kälte wich aus den Augen des Dämons und machte Platz für warmes, flüssiges Bernstein.

Sessōhmaru kam noch einmal zurück und trat dicht vor ihn. Lange, dünne Finger rutschten unter den Fuchs und legten sich in Lights Nacken, überraschenderweise waren sie angenehm warm. »Stell mich nicht in Frage, Light. Was du machst ist gefährlich.« Damit wollte Sessōhmaru erneut weitergehen. Er nahm seine Hand zurück, doch Light schnappte blitzschnell nach ihr, in einer Schnelligkeit, die dem Angriff einer Cobra glich.

»Ihr wisst, dass ich viel Zeit in Eurer privaten Bibliothek verbringe. Ich weiß, was es bedeutet der Gefährte eines Daiyōkais zu sein, ich weiß, wo mein Platz ist. Ich kenne die Regeln... Und dennoch erlaubt es Euch nicht, Eure Macht zu missbrauchen.«

Sesshōmaru betrachtete stumm sein Handgelenk, das Light fest umschloss. Natürlich konnte Sessōhmaru, sollte er es wünschen, sich ohne Weiteres aus Lights Griff befreien. Es war ihnen beiden bewusst, doch Sessōhmaru tat es nicht. Hingegen verschmälerten sich seine Augen und das noch vor kurzem warme Bernstein nahm einen dunkleren Ton an. »Kein Yōkai würde annehmen, dass ich meine Macht über meinen Gefährten ausspiele«, raunte er, begleitet von einem Knurren, das tief aus seiner Magengegend kam. Eine Weile lang starten sie sich bloß an, dann fügte Sessōhmaru hinzu: »Ich werde einen Yōkai beauftragen, dir ein Dokument anzufertigen, in dem all deine Befugnisse, Pflichten und dein Status als mein Gefährte erläutert sind.«

Sessōhmarus Worte trieben ein Runzeln auf Lights Stirn. Warum glaubte der Dämon, dass solch ein Dokument nötig war? Nachdem unangenehmen Vorfall mit Keisuke, einen Vorfall, den Light nicht wiederholen möchte, war Light sofort in Sessōhmarus private Bibliothek gestürmt und verblieb dort bis spät in die Nacht, las sich durch viele Schriftstücke, nur mit einer Kerze neben sich, die ihm mit ihrem mickrigen Licht schon bald ein Brennen in die Augen trieb. Nun, er hatte gefunden, was er suchte und was er gefunden hatte, hatte ihm den Appetit geraubt. Aber nicht nur seinen Appetit hatte er seither verloren, sondern jedes Mal, wenn er sich zwang, etwas zu sich zu nehmen, bemerkte er in letzter Zeit, wie er Magenschmerzen darauf bekam. Er musste das Gefährtenmal so schnell wie möglich loswerden! Die Zeit drängte!

»Eure Bibliothek ist ausreichend«, meinte Light geradeheraus. »Sie wird mir alle meine Fragen beantworten können und sollte es etwas geben, dass ich dort nicht finden kann, dann wisst Ihr, dass ich keinesfalls auf den Mund gefallen bin. Ihr braucht also keinen Yōkai mit solch einer Aufgabe beauftragen, es sei denn, dass Ihr der Meinung seid, dass in Euer Bibliothek nicht alles an Wissen vorhanden ist.«

»Ich weiß nicht, welche Schriftrollen mein Gefährte zu rate gezogen hat.« Sessōhmarus Stimme verdunkelte sich, sie wurde beißender. »Aber ich kann sehen, dass er nicht versteht, was es bedeutet der Gefährte von Sesshōmaru zu sein.«

Light schluckte eine scharfe Bemerkung hinunter und schnaubte. »Tz! Ich verstehe meine Pflichten nur all zu gut, aber Ihr scheint mich... nicht zu verstehen. Was Ihr wollt von mir, Sesshōmaru-sama, ist Unterwürfigkeit und die kann ich Euch nicht geben.«

Das Rascheln und Knacken aus nächster Nähe lenkte sie mit einem Mal ab. Yashimaru hatte einen langen Ast gefunden – vermutlich einer der unter der Schneelast abgebrochen war – und klopfte damit Schnee von dem Gestrüpp. Von einem Busch hingen kleine Eiszacken herunter. Yashimaru brach sie ab und sammelte sie in seiner Handfläche. Er nahm sie zwischen Zeigefinger und Daumen und schielte mit dem Auge durch das gefrorene Wasser.

Sesshōmaru beobachtete seinen Sohn für einen Moment, dann wandte er sich Light zu. »Unterwürfigkeit ist nur erforderlich, wenn mein Gefährte es herausfordert.« Sesshōmarus Gesichtszüge verwandelten sich zu einer ernsten Miene. »Ich wünsche es nicht, dich unnötig unterwerfen zu müssen; du solltest es besser wissen.« Die freie Hand des Dämons legte sich unter Lights Kinn und hob es leicht an, fast schon sanft. »Enttäusche mich und den Clan nicht, Light. Was ich von dir sehen will, ist dein Stolz, deine Stärke und deinen scharfen Verstand, wenn du endlich deinen Platz neben mir einnimmst und den InuYōkaiclan Innen- und Außenpolitisch würdevoll vertrittst.«

Vielleicht hätten Sessōhmarus Worte jemand anderen geschmeichelt, ihn oder sie mit Schmetterlingen im Bauch erfüllt. Immerhin hörte es sich an, als ob der Dämon Light die Hand ausstreckte und ihm Gleichheit versprach; Gleichheit war es nicht, was Sessōhmaru Light versprach. So wie sie unterschiedlicher Größe waren – Sessōhmaru über ihn aufragte –, so würde der Dämon immer auf ihn hinabblicken. Was Sessōhmaru wollte, war, dass Light funktionierte. Bis jetzt war Light für Sessōhmaru ein Bauteil, dass die Maschine verlangsamte, dass ihm immer wieder Probleme bereitete. Er wollte ihn schleifen, ihn formen, ihn zurechtbiegen, bis er perfekt passte und die Maschine kräftiger als je zuvor machte. Den InuYōkaiclan erstarkte. Light kannte seinen Wert und er konnte es sich nicht anders erklären, weshalb er das Gefährtenmal des Daiyōkais ansonsten trug. Er fand Sessōhmarus Handeln äußerst töricht und auch extrem. Er selbst hätte niemals diesen Weg gewählt. Wären ihre Rollen vertauscht und Light wöllte Sessōhmaru an sich binden, ihn zu einem Mitglied des in InuYōkaiclans machen auf Lebzeiten, dann hätte er das Gefährtenmal ebenfalls als Mittel benutzt, nur dass er Sessōhmaru nicht an sich, sondern an einen anderen Dämon gebunden hätte. Niemals hätte sich Light in solch einer Position wie Sessōhmarus mit einem Gefährten eingeschränkt. Sessōhmaru hatte Yashimarus Mutter nicht als Gefährtin genommen, aber ihn. Light schnappte innerlich. Dieser Dämon wollte ihn wirklich besitzen...

Und obwohl es Light bewusst war, dass es selbst im 21.Jahrhundert in Japans Gesellschaft keine völlige Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau gab, trotz der seit Jahren voranschreitenden Emanzipationsbewegung, trotz der Bemühungen von Japans Regierung die Kluft zu schließen, mussten Frauen gegenüber Männern weiterhin zurückstecken. Von der sogenannten Chancenungleichheit zwischen Mann und Frau hatte Light das erste Mal während seiner Junior Highschooljahre erfahren. Damals fand sein Vater noch die Zeit, mit ihnen gemeinsam Abend zu essen. Während ihrer Tischgespräche, hatte sein Vater öfters erwähnt, dass das Polizeipräsidium erneut eine motivierte Polizeibeamtin nach ihrer Hochzeit verlor. Die Familie und ihr Ehemann wollten, dass sie ihren Job aufgab und fortan zu Hause blieb. Hausfrau wurde. Was für eine Verschwendung von Potenzial hatte Light damals gedacht und hielt auch heute noch an dieser Meinung fest. Und jetzt befand er sich in einer ähnlichen Situation. Auch wenn er keine Frau war, erlebte er das erste Mal, wie es war in einem Sozialgefüge zu Leben, in dem er sich anderen unterordnen musste, indem er zurückstecken musste, indem es eine Hierarchie gab, in der streng von oben nach unten geherrscht wurde und er sich nicht an der Spitze bewegen konnte. In einem solchen Sozialgefüge war Light nicht mehr frei und genau das kratzte gewaltig an seinem Ego. Und noch mehr sorgte ihm die Anziehung, die Sesshōmaru auf ihn hatte. Es war ein berauschendes Gefühl, Sessōhmaru beim Kämpfen zu zusehen, sein Schwert Bakusaiga in Aktion zu erleben, die gebündelte Macht von Bakusaiga und Sessōhmaru zu erfahren. Sessōhmaru konnte in Light einiges an Gefühlen auslösen, Gefühle, die ihm selbst schwer fielen zu deuten, hatte er sie noch nirgendwo anders gefühlt. Light bemerkte es; erst schleichend, dann schneller, bis er es nicht mehr abstreiten konnte: Er veränderte sich und das Gefährtenmal war der Katalysator. Er musste es loswerden, so schnell wie möglich, bevor er nicht mehr wusste, was er eigentlich wollte, bevor er vergaß, dass er einmal Kira gewesen war. Kira. Light war nicht mehr Kira, aber er konnte es wieder sein. Er war sich sicher. Dafür musste er erst das Gefährtenmal loswerden und dann einen Weg in seine Zeit zurückfinden. Light war schlau, er wusste, er konnte es schaffen.

Light warf Sessōhmaru einen herablassenden Blick zu. »Ich werde den InuYōkaiclan als Euer Gefährte Außenpolitisch vor Euren Freunden und Feinden würdevoll repräsentieren. Habe ich das nicht schon immer gemacht, selbst dann, als ich noch nicht Euer Gefährte war? Ich werde meine Aufgabe auch weiterhin gewissenhaft erfüllen.« Er ließ Sessōhmarus Handgelenk los und rieb seine Handschuhe gegeneinander – die Kälte kroch langsam hindurch. »Dennoch könnt Ihr dasselbe nicht Innenpolitisch von mir verlangen.«

Sofort bemerkte Light, wie sich eine harte Linie um Sessōhmarus Mund abzeichnete.

»Und wieso kann ich mich plötzlich nicht mehr auf meinen Gefährten verlassen? Beschäm dich nicht selbst, indem du die Konsequenzen deiner eigenen Herausforderung nicht tragen willst.« Ein leichter fauchender Unterton schwang in Sessōhmarus Stimme mit.

»Weil Ihr mich nicht gefragt habt! Verdammt Sessōhmaru!« Sofort schluckte Light jedes weitere Wort hinunter, presste seine Lippen zusammen und drehte den Kopf verärgert zu Seite. Dieser Gefühlsausbruch war nicht geplant gewesen. Er hatte nicht vorgehabt dieses Thema so bald wieder anzusprechen. Light atmete tief durch. Das war nicht gut gewesen. Äußerst dumm von ihm. Sessōhmaru sollte nicht wissen, dass ihn das Gefährtenmal immer noch so sehr beschäftigt. Light erhoffte sich, bald neue Nachrichten für den Schattenkitsune zu haben. Es war schwierig mit so wenig Figuren Züge auf den Schachbrett zu fahren, die dann noch von Erfolg gekrönt swaren. Kuro war die einzige Spielfigur, die Light frei bewegen konnte. Ryuk blieb nutzlos solange man keine Äpfel besaß. Yōsuke konnte man nur ab und an benutzen. Der Kommandant der Schlosswache bekam seine Befehle von Sessōhmaru und Keisuke – Befehle, die über Lights standen und seine aushebelten. Meistens benutzte Light den Kommandanten der Schlosswache, um an Informationen zu gelangen, die er nicht in der Bibliothek finden konnte. Yōsuke liebte es, wenn er mit Light zusammen in seiner freien Zeit Sake trinken konnte, nannte ihn schon seinen Trinkpartner.

»Du langweilst mich.«

Lights Kopf schnellte herum. »Wie bitte?«

Sessōhmaru ließ mit seiner Erklärung nicht warten. »Deine Worte stimmen mit deinen Taten nicht überein. Deine Glaubwürdigkeit bezüglich des Gefährtenmals ist mittlerweile lächerlich. Seit Wochen sagt Light-kun das eine und zeigt mir das genau Gegenteil.« Sessōhmaru beugte sich nach vorne, griff nach dem Fuchs um Lights Hals und zog Light näher.

»Du machst dich vor Sessōhmaru zu einer Lachnummer. Wenn du damit nicht bald aufhörst, dann werde ich dem ein Stopp einlegen.«

Eine Schande, dass sie sich nicht gerade beim Schwertraining befanden, ansonsten hätte Light jetzt die Möglichkeit gehabt, mit voller Kraft und Wut auf Bakusaiga einzuschlagen oder es wenigstens zu versuchen. Seine Zorn rauszulassen und sich bis zur Erschöpfung auszupowern. Nicht nur machte es ihm wütend, dass Sessōhmaru ihn eine Lachnummer genannt hatte, schlimmer empfand er es, die Wahrheit darin zu sehen. Und dann war da noch die Drohung. Wenn Sessōhmaru seine völlige Kooperation wollte, musste er unbedingt seine Wortwahl ändern. Jedes drohende Wort aus Sessōhmarus Mund entfachte erneute Wut in ihm. Es war äußerst irritierend, schließlich standen sie auf derselben Seite. Auch L hatte Kira gedroht, gedroht ihn zu fangen und vor Gericht zu bringen. Doch im Gegensatz zu Sessōhmaru, hatten ihn Ls Drohungen jedes Mal berauscht. Diese Energie, die ihn durchflutete, wenn der Detektiv versuchte in einzukreisen, ihn Dingfest zumachen. Es war ein unglaubliches Gefühl, dieses Spiel zu spielen, ein Strategiespiel, dass L und er perfekt beherrschten. Light hätte niemals damit gerechnet, dass er unerwartet und abrupt aus diesem Spiel herausgerissen werden würde, dass er die neue Welt, Kiras Welt, durch eine alte verdreckte nichtssagende Schatulle verlor. Was hatte Ryuk damals zu ihm gesagt? Er hätte sie in einem alten Brunnenhaus gefunden. Sie hätte mit ihm geredet und Light solle sie öffnen, damit er herausfinden könnte, was sich darin befand. Er hatte Ryuks Worten nicht geglaubt, er war so dumm gewesen und hatte sie geöffnet... und jetzt waren sie hier. Light unterdrückte ein trockenes Lachen.

»Zollt mir den Respekt, den ich verdient habe und wir sollten keine Problem haben«, fauchte Light Sessōhmaru an.

Sessōhmarus Augen verengten sich. Kurz betrachtete der Dämon Yashimaru, der immer noch dabei war – eifriger denn je – jeden Ast, den erreichen konnte, von seiner Schneelast zu befreien. »Light«, wandte sich Sessōhmaru an den Menschen, »Sessōhmaru behandelt dich mit Respekt.«

Lights Hände ballten sich. Der Daiyōkai hatte erneut die dritte Person benutzt, eine Ausdrucksweise, die der Dämon manchmal wählte, wenn seine Worte absolut waren – er keine andere Meinung zuließ. »Es scheint mir, dass Eure Definition von Respekt und meine weit auseinander liegen.« Light verschränkte die Arme, auch weil er anfing zu frieren und er die Wärme bei sich behalten wollte. »Daiyōkai oder nicht, droht Ihr mir weiterhin, könnt Ihr gewiss sein, dass Ihr nie meine völlige Unterstützung bekommen werdet.« Light zog seine Lippen zu einem grimmigen Lächeln. »Da hilft auch nicht, dass ich Euer Gefährtenmal trage. Wenn Ihr wirklich wollt, dass ich mich anders gegenüber Euch verhalte, dann zeigt mir den Respekt, den Ihr selbst von mir verlangt.«

Einen Lidschlag lang flammte Sessoumarus Yōki auf. Und obwohl es Light nicht angriff, so sah er dennoch, wie seine Worte den Dämon erzürnten.

»Es gab Zeiten in denen ich dir gedroht habe, Vieles hat sich seitdem geändert.«

Light gab einen abfälligen Laut von sich. »Ihr streitet also ab, dass Eure Worte von gerade eben keine Drohung waren.«

Sessōhmaru ließ sich mit seiner Antwort Zeit, er schien nachzudenken, dann sagte er plötzlich: »Ningen«, in einer Stimme, die abfällig klang, aber sonderbarerweise auch eine Offenbarung zu beinhalten schien, wenn auch nur für Sessōhmaru selbst.

Auf einmal wuchs Sessōhmarus Mokomoko. Überrascht davon machte Light instinktiv einen Schritt zurück. Der wadenhohe Schnee und sein mehrlagiger Kimono stellten sich als Falle heraus. Light verlor das Gleichgewicht. Seine Ruderbewegungen missglückten. Er taumelte rückwärts unter eine Fichte, wo er schließlich mit einem 'Ah!' in einen Schneehaufen fiel... oder gefallen wäre. Sessōhmaru schnellte ihm hinterher, packte einen seiner rudernden Arme und zog ihn eng an seine linke Seite, so dass die Zacken von Sessōhmarus Rüstung ihn nicht verletzten.

Light krallte sich in Sessōhmarus weißen Kimono, der bedruckt mit roten Blumen an Schulter und Ärmel war, und beruhigte das schnelle Klopfen seines Herzen.

»Yashimaru«, sagte Sessōhmaru und streckte seinem Sohn die Hand entgegen. Yashimaru zwang sich durch den Schnee und ergriff sie. Dann stieg der Daiyōkai in die Luft und durchbrach alsbald die Baumkronen. Höher und höher ging es immer gen Himmel, der grau und ungemütlich wirkte. Erst als Sessōhmaru einen stattlichen Abstand zwischen sich und dem Wald gebracht hatte, lenkte er in Richtung Osten ein, fort vom Schloss.

Light warf einen Blick zum Schloss zurück. Er hatte das Schloss des Westens schon oft aus der Luft gesehen, meistens saß er dabei auf dem Rücken von Ah-Uhn. Trotz, dass sie sich davon entfernten, erkannte er, wie man das Schlossdach vom Schnee befreit hatte. Die dünne zurückgebliebene Schicht Pulverschnee glitzerte auf den braunen Ziegeln.

Light fragte nicht, wohin es ging. Er bezweifelte, dass Sessōhmaru ihm diesmal Antwort geben würde. Yashimaru blieb ebenfalls stumm. Er klammerte sich an das Bein seines Otōsan und starrte neugierig nach unten, wo sich der schneebedeckte Wald bis weit zu den Bergen im Norden erstreckte.

Light spürte Sessōhmarus Arm von seiner Hüfte nach oben wandern. Kurz darauf fühlte er Sessōhmarus warme Hand auf seiner eisigen Wange. Manchmal wünschte sich Light, er wäre von der Schatulle nicht nur in die Vergangenheit, sondern auch in den Körper eines vollwertigen Dämons befördert worden. Dann wäre es ihm ein einfaches seine Körpertemperatur zu regulieren; dann wäre seine Haut warm und der Wind würde ihm nichts ausmachen.

»Light«, sagte Sessōhmaru.

Lights Körperhaltung war steif. Er sagte nichts, denn in ihm tobte ein Kampf. Er belächelte sich selbst spöttisch, denn hatte er nicht zu Keisuke gesagt, er besäße eine derartige Kontrolle über seine Emotionen, die ihm erlaubte sie aus dem Nichts herauf zu beschwören, um mit ihrer Unterstützung eine Aktion auszuführen, die ihm von Nutzen sein wird. Manche würden sagen, er manipulierte sich selbst. Für ihn jedoch hatte es mehr einem psychologischen Hintergrund, den er äußerst praktisch fand. Er wusste, wie seine Emotionen sein Handeln und seine Gedanken beeinflussten, also warum sollte er dann nicht seine Emotion für ihn arbeiten lassen, anstatt gegen ihn. Und bisher hatte das auch immer einwandfrei geklappt, doch seit Sessōhmaru ihn zu seinem Gefährte genommen hatte, ertappte er sich immer wieder dabei, wie er sich in der Tat durch seine Worte und sein Handeln widersprach. Selbst jetzt, als Sessōhmarus Hand auf seiner Wange lag, musste er sich stark zusammenreißen, um sich nicht an sie zu schmiegen. Etwas in ihm wollte mehr von Sessōhmarus Wärme, wollte die Arme des Daiyōkais um sich spüren. Er war so Zwiegespalten. Das letzte Mal, als er sich innerlich zerrissen gefühlt hatte, wenn auch nur für wenige Stunden, war, als er den ersten Namen in das Death Note geschrieben hatte und die faszinierende Macht des Buches miterlebte.

»Du wirst deine Antworten in dem Schriftstück finden, welches ich für dich anfertigen lassen werde. Dann wirst du auch verstehen, dass ich dir nicht gedroht habe«, meinte Sessōhmaru.

Vielleicht, dachte Light, wusste er doch, wie ihre Meinungen zu bestimmten Themen weit auseinanderlagen. Ja, es konnte gut sein, dass es für Sessōhmaru keine Drohung war. Für ihn hingegen war es eine. Nun, er würde auf das Schriftstück warten.

»Otōsan! Light! Da! Da unten!«

Yashimaru unterbrach Lights Gedankengang. Der Prinz zeigte begeistert nach unten. Light reckte seinen Kopf.

Eine Herde von Rehen stand dicht zusammen auf einer Waldlichtung. Als sie sich der Waldlichtung näherten, zählte Light fünfzehn, darunter vier Böcke. Die Tiere suchten nach Nahrung, dafür gruben sie ihre Nasen tief in den Schnee oder scharrten ihn mit ihren Vorderläufern beiseite, um an das grüne stets saftige Gras darunter zu gelangen. Zu ihren Schnauzen und ihren Vorderläufern benutzten die Böcke zusätzlich ihr Geweih und schoben damit große Massen an Schnee zur Seite. Sie schienen sich in Sicherheit zu wiegen, denn gemächlich staksten sie von einer Stelle zu nächsten oder putzten ihr Fell. Sessōhmaru flog tiefer, erst jetzt zuckten ihre Ohren nervös und sie sahen zu ihnen auf.

Yashimaru knurrte, ein bedrohliches Knurren, wie das eines Hundes, der kurz davor war anzugreifen.

Erschreckt von dem Geräusch, von dem sie wussten, dass es einem Räuber gehörte, nahmen die Rehe Reißaus, preschten durch den Schnee über die Waldlichtung und verschwanden alsbald im Wald und in den Schutz des Unterholzes.

»Otōsan!«, rief Yashimaru sichtlich entrüstet über ihr Verschwinden. Man konnte an seiner Stimme hören und es auch seinem Gesicht ansehen, dass er es am liebsten hätte, wenn sie alle wieder da wären. Mit großen kuller Augen sah er zu Sessōhmaru auf, als erhoffte er sich, sein Vater könnte sie wieder zurückbringen.

Sessōhmaru landete auf der Lichtung. Sein Mokomoko nahm wieder seine übliche Form an. »Dein Knurren hat sie erschreckt, nächstes Mal sei vorsichtiger, Yashimaru. Gib kein Laut von dir oder es wird wieder passieren.« Dann schritt der ohne ein weiteres Wort auf den Waldrand zu und verschwand alsbald zwischen den Bäumen

Light überblickte die Lichtung kurz, dann folgte er Sessōhmaru. Die Bäume schienen in diesem Teil des Waldes dichter zu wachsen als zuvor, weniger Schnee lag auf dem Waldboden und hier und da lag so wenig Schnee, dass sogar die Blätter auf dem Waldboden sichtbar waren, die mit kleinen Eiskristallen überzogen waren. Das war gut, dachte Light, denn dadurch hatte er keine Problem zu Sessōhmaru aufzuschließen. Eigentlich hätte auch Yashimaru hier normal laufen können, doch er verblieb dabei, sich mit Sprüngen fortzubewegen.

»Irgendwelche Yōkais in der Nähe?« Light drückte den Ast eines Baumes beiseite, der direkt auf Augenhöhe hing.

»Sei unbesorgt. Sollte einer so töricht sein, Sessōhmaru herauszufordern, wird er den Tod finden.«

Light wusste nur all zu gut, wie effizient der Daiyōkai töten konnte. Er machte sich keine Sorgen deswegen, und trotzdem stellte er dem Dämon diese Frage nicht zum ersten Mal. Insbesondere wenn sie in Wäldern, Bergen oder Höhlen unterwegs waren, wusste Light, er musste aufmerksam sein, denn gerade dort hielten sich vermehrt Dämonen auf und ein Angriff war schon mehrmals vorgekommen. In dieser Zeitepoche starb man schnell, sehr schnell. Light hatte nicht vor hier zu sterben.

Yashimaru überholte sie mit einem kräftigen Sprung, der ihn mehrere Meter nach vorne katapultierte. Kaum landete er, ging ein Ruck durch seinen Körper und sein Kopf schnellte zur Seite. Yashimaru verschwand hinter einem Busch.

Sessōhmaru blieb stehen und wartete, gab seinem Sohn die Zeit, was auch immer er gefunden hatte, genauer zu untersuchen.

»Otōsan, Light, ich habe noch mehr Tierspuren gefunden.« Yashimarus weißer Schopf tauchte kurz darauf aus dem Gebüsch auf. Mit seinen kleinen Fingern zeigte er hinter sich. »Sind sie auch von einem Reh?«

Statt ihm zu antworten, fiel Sesshōmarus Blick auf Light. »Du bist hier, um Yashimaru beizubringen, wie man Jagd.«

Lights Augenbrauen hoben sich. »Ano, er ist ein Yōkai, er sollte von einem Yōkai lernen, nicht von einem Ningen.«

»Sei nicht bescheiden Gefährte, du weißt wie man Jagd.«

»Ich bin nicht bescheiden ... es ist... Ihr wisst, dass in meiner Zeit nicht mehr gejagt wird.«

»Ich habe dir gezeigt, wie man jagt, nun zeige es Yashimaru«

Warum wollt Ihr, dass ich es bin, der es ihm zeigt? Wollt Ihr ein besseres Verhältnis zwischen mir und Yashimaru sehen? Light war der Meinung ein gutes Verhältnis zu dem Prinzen zu besitzen, wenngleich er nicht immer gewillt war Yashimaru alles durchgehen zu lassen und er den Prinzen auch ab und zu einem Bediensteten in die Hand drückte oder Jaken beauftragte ihn mitzunehmen, wenn Yashimaru ihn von seiner Arbeit abhielt. Und was das Jagen anging, nun tatsächlich hatte der Daiyōkai ihm in den ersten Monaten nach ihrer Begegnung zweimal gezeigt, wie er kleinere Tiere jagen konnte. Danach hatte es sich Light selbst beigebracht, denn Sesshōmaru wollte sich nicht um die Beschaffung von Lights Nahrung kümmern, wenn sie zusammen reisten, und in dem ersten Jahr waren sie viel unterwegs gewesen.

»Light, zeigt es mir?« Yashimaru zog an Lights Kimonoärmel »Komm, sie sind da drüben.«

Innerlich seufzte Light, ein sehr langes Seufzen. Er folgte Yashimaru um den Busch herum und begutachtete die Spuren, auf die der Prinz begeistert zeigte.

»Sind die Spuren auch von einem Reh?«

»Iee, sieht mir aus, wie die eines Hasen«

Yashimarus Augen weiteten sich. »Weißt du, wo der Hase ist?«

Light schüttelte den Kopf. »Nein, aber ich bin mir sicher, wenn du deine Nase benutzt, kannst du dieser Spur folgen und herausfinden, wo sich der Hase aufhält. Vielleicht sogar seinen Bau finden.«

»Light soll es mir zeigen.« Yashimaru strahlte, seine Begeisterung war nur zu offensichtlich. Er vergrub seine Hände in Lights Kimono. »Light hat auch eine Nase, er wird den Hasen riechen können. Zusammen können wir ihn finden.« Yashimaru schien kurz zu überlegen. »Vielleicht hat er Hasenbabys. Ich möchte sie sehen!«

Light schmunzelte. »Meine Nase ist nicht so gut wie deine. Du musst versuchen die Fährte aufzunehmen.«

Nun drückte Yashimaru seinen Kopf in Lights Kimono »Ich weiß aber nicht wie!«, jaulte er, dann sah er sich hilfesuchend nach seinem Vater um, der etwas abseits von ihnen stand. »Otōsan!« Yashimaru ließ Light los und lief auf Sessōhmaru zu. »Otōsan weiß wie es geht. Otōsan wird Yashimaru helfen.«

»Light wird es dir zeigen.«

Auf halber Strecke zu Sessōhmaru blieb Yashimaru stehen, er schien verwirrt, kehrte dann aber zu Light um.

Light fing Sessōhmarus Blick auf, der ihn Still beobachtete. Sessōhmaru stand neben einer dicken Wurzel eines umgefallenen Baumes, womöglich war der Baum vor Jahren während eines starken Taifuns umgefallen oder sogar durch den Taifun letzten Jahres. Was es bedeutete einen Taifun unter Yōkais zu erleben, hatte Light etwas sehr interessantes gezeigt. Es war mehr Zufall gewesen, dass er sich gerade im Schloss befunden hatte, als ein stärkerer Taifun zwei Tage den Himmel verdunkelte und in den umliegenden Dörfern ordentlich schaden anrichtete. Nachdem die ersten Dachziegel des Schlosses wie Wurfgeschosse durch die Luft sausten, Papierwände und Lampions zerschlugen, einen Bediensteten am Kopf trafen, hatte Sessōhmaru den Befehl erteilt das Schloss zu schützen. Ein Dämon namens Isamu, dessen schwarzes mittellanges Haar hochgebunden und seine Rüstung blau, schwarz mit weißen Bändern verziert war, war auf den Schlosshof gesprungen, hatte sein Schwert gezogen und es in den Boden gerammt – eine halbe Schwertlänge. Sofort wurde es still, nichts pfiff mehr, nichts zerrte an der Kleidung und zerzauste das Haar – kein Dachziegel flog durch die Luft. Es war still, fast schon eine unwirkliche Stille. Und als Light in den Himmel blickte, sah er eine Kuppel, manchmal schimmerte sie in einem hellen blau, manchmal in einem dunklen. Blätter und Äste, groß und kleine, schlugen gegen sie von Außen ein. Und nichts gelang hindurch, nicht einmal ein sanfter Wind. Es war ein einzigartiges Erlebnis dem beizuwohnen.

»Hör gut zu, Yashimaru, wenn du dich ganz nah über die Hasenspur beugst, dann solltest du etwas riechen können.«

»Ganz nah?«

»Ganz nah«, wiederholte Light.

Yashimaru befolgte Lights Worte und schnupperte die Gegend ab. Wenige Zentimeter über der Tierspur bewegte er seinen Kopf hin und her, immer wieder, doch dann steckte er sein Gesicht abrupt in den Schnee und tauchte erst nach einer Weile wieder prusten daraus auf. Seine Zunge schleckte die Schneereste von den Lippen, den Rest wischte er mit dem Ärmel fort.

Light machte sich nicht einmal die Mühe, über dieses Verhalten eine Augenbraue hochzuziehen.

Erneut ging ein Ruck durch Yashimarus Körper, gefolgt von einem Knurren, diesmal weniger bedrohlich und das Sayu bestimmt als niedlich empfunden hätte.

»Er ist da lang!«, sagte Yashimaru mit erregter Stimme und schnellte davon dem Geruch des Hasens hinterher.

Sessōhmaru hob Light hoch in seine Arme und folgte ihm. Sofort spürte Light den kalten Wind, der über seine Haut peitschte und durch die Öffnungen seines Kimono hineinschlüpfte. Es fröstelte ihn.

Sesshōmaru ließ zwischen sich und Yashimaru einen gewissen Abstand, als ob er Yashimaru in seinen Jagdfieber nicht stören, sondern ihn lediglich im Auge behalten wollte.

Yashimaru schien, sie ganz vergessen zu haben. Er sauste durchs Unterholz, sprang über diverses Gestrüpp, kroch unter einen umgefallenen Baumstamm hindurch und folgte entschlossen der Spur. Nach einer Weile hielt Yashimaru an. Vor ihm wurde die Spur durch eine andere Tierspur geteilt. Dies schien Yashimaru zu verwirren, denn er zog mehrmals die Luft ein, konnte sich aber nicht entscheiden, wo die Hasenspur weiter verlief. Die andere Spur schien von einem Wolf zu sein oder einem abhandengekommenen Hund. Yashimaru folgte dieser wenige Meter, bevor er zu bemerken schien, dass dies nicht die Hasenspur war, die er ursprünglich verfolgt hatte. Er kehrte um und rannte weiter, diesmal in die richtige Richtung.

Sessōhmaru bemerkte Lights zittern. Sofort drapierte sich Mokomoko um Light und hielt den beißenden Wind ab. So dicht an Sesshōmaru gedrückt, in seinen Armen, eingehüllt in die Wärme des Daiyōkais, fühlte sich Light nun zwar warm, aber auch etwas unwohl. Sein Körper liebte es sich Mal wieder gegen seinen Verstand durchzusetzen, wenn es um Sesshōmaru ging. Er betrachtete Sesshōmarus starke Kieferlinie und die bernsteinfarbenen Augen, die Yashimaru fest im Blick behielten. Sesshōmarus Geruch stieg leicht in seine Nase und löste einen wohligen Schauer aus. Sesshōmaru musste die Veränderung in Light bemerkt haben, denn sein Blick fiel plötzlich auf ihn.

»Bildet Euch ja nichts ein!«, fauchte Light.

Sessōhmaru kommentierte Lights Worte mit einem spöttischen Lächeln. »Ich muss mir nichts einbilden, wenn sich mir die Tatsachen offen präsentieren.«

»Ich seh ihn!«, rief Yashimaru ihnen von weiter vorne zu.

Light erkannte den Hasen ebenfalls, der neben einem Baum saß und den Schnee beiseite scharrte, um wie die Rehe zuvor, Nahrung zu suchen. Yashimarus Brüllen hatte ihn aufgeschreckt. Die Jagd war wohl für Yashimaru zu aufregend, als dass er sich noch an die Worte seines Vater von vorhin erinnern konnte.

Der Hase gab ein warnendes Klopfen von sich, doch als Yashimaru sich davon nicht einschüchtern ließ und auf ihn zustürmte, schnellte er davon.

Lights Augen verfolgten den Hase, doch ist war schwierig. Das Fell des Tieres war weiß und der Schnee gab ihm eine gute Tarnung.

Für Yashimaru schien das kein Nachteil zu sein. Er verließ sich auf seine Nase und hetzte dem Tier hinterher. Er holte es ein und schlug mit den Krallen danach. Der Hase sprang in die Luft, sein Körper drehte sich und machte eine scharfe Kehrtwendung. Yashimarus Krallen gingen ins Leere und durchschnitten nur Luft.

Das Verhalten des Hasens kam Light zu schlau vor. Er entwischte Yashimaru immer wieder, in dem er perfekte Haken schlug. Light studierte den Hasen genauer und bemerkte sogleich, wie dieser rot glühende Augen besaß. »Der Hase ist ein Yōkai.«

»Hai, ein schwacher Yōkai, der sich kaum von den Waldtieren unterscheidet. Yashimaru wird sich dennoch anstrengen müssen, wenn er ihn fangen möchte.«

Die Jagd ging weiter. Yashimaru verfolgte den Hasen quer durch den Wald, bis hin zu einem Still gelegenen, verlassenen Waldsee, dessen Wasseroberfläche mehrere Meter hinaus zugefroren war und kein weiteres Tier noch ein Dämon sich in der Nähe befand. Der Hase rannte auf das glatte Eis und Yashimaru, der seinem Jagdtrieb verfallen war, rannte ihm hinterher. Immer wieder knackte es und Risse bildeten sich im Eis. In der Nacht war es zwar sehr kalt gewesen, mehrere Minusgrade, aber es hatte nicht ausgereicht, um dem Eis eine sichere Dicke zu geben.

Sesshōmaru landete mit Light auf einer Anhöhe, von wo aus sie das Spektakel mitverfolgen konnten.

»Er ist zu nahe am Rand des Eises. Es ist zu dünn dort«, meinte Light, der zu sah, wie Yashimaru dem Hasen über die Eiskruste hinterher rannte, die bis jetzt den Hasen und Yashimaru immer noch hielt.

Yashimaru drückte sich ab und sprang direkt vor den Hasen. Dieser konnte nicht mehr bremsen und rutschte direkt in Yashimaru hinein. Es kam zu einem Kampf zwischen den Krallen von Yashimaru und den Vorder- und Hinterkrallen des Dämonenhasens.

Obwohl Sesshōmaru nach außen hin eine gelassene Haltung eingenommen hatte, entging es Light nicht, dass seine Halssenen angespannt nach außen traten. Sesshōmarus setzte Light neben sich ab, dabei verweilte seine Hand auf Lights Schulter und er wurde gegen die Seite des Daiyōkais gedrückt.

Ein Knurren und mehrere hohe Töne von Yashimaru gemischt mit den Schreien des Hasen wurden von dem Wind zu Ihnen getragen. In Lights Zeit, würde man dies als Kindesmisshandlung sowie Tierquälerei betrachten, hier aber unter den Dämonen, galt es als die erste Übung, die man seinen Sprösslingen unterzog – das Jagen.

Irgendwie schaffte es der Hase sich aus Yashimarus Fängen zu befreien. Er stieß seine Hinterläufe in Yashimaru und machte einen Satz durch die Luft, um anschließend das Weite zu suchen. Yashimaru schüttelte kurz seinen Kopf, dann raste er ihm hinterher.

Light bemerkte plötzlich, wie das Wasser in der Nähe der beiden Kämpfenden, anfing kleine Wellen zu schlagen. Sein Blick fiel auf die Stelle, von der Blasen nach oben stiegen und an der Oberfläche platzten. Er fuhr merklich zusammen, als eine lange Tentakel aus dem Wasser schnellte, den Hasen packte, bevor dieser wusste, wie es um ihn geschah, und ihn hinunter in das eisige Wasser des Sees zog. Eine zweite Tentakel schoss fast gleichzeitig hervor, diese umschlang Yashimarus Bein und zog ihn ebenfalls ins Wasser. Das ganze fand in weniger als zwei Sekunden statt, Light hatte nicht einmal die Möglichkeit, einen Gedanken zu fassen. Als er jedoch wieder in der Lage dazu war, schnellte sein Kopf in Sesshōmarus Richtung, nur um festzustellen, dass der Daiyōkai nicht mehr da war. Er hörte ein Platschen und sah noch das Ende von Mokomoko, bevor sich die schwarzen Wellen darüber ergossen.

Light zog hastig sein Schwert und lief Richtung Wald, denn was auch immer sich in dem See befand, es wollte anscheinend noch mehr. Zwei weitere dicke und äußerst lange Tentakeln waren erschienen und glitten über das Ufer genau in Lights Richtung. Light bezweifelte nicht, dass Sesshōmaru Yashimaru heil aus den Fängen dieses Dämons befreien konnte. Er zog sich in den Wald zurück und beobachtete von dort aus durch die Bäume das Wasser, das nun unruhig große Wellen schlug und so stark blubberte, dass es ihn an einen Jacuzzi erinnerte.

Plötzlich sah er ein grünes Licht, das von den Tiefen des Sees nach oben aufstieg. Bakusaiga, dachte Light. Das grüne Licht konnte nur von Sessōhmarus Schwert stammen. Eine gigantische Fontäne schoss in den Himmel, und Light duckte sich, als Wasser sich über ihn ergoss, kaltes, eisiges Wasser. Er machte einen Satz zur Seite und brachte sich dadurch in Sicherheit, als ein abgeschnittener Tentakelarm auf mehrere Bäume fiel und diese wie Streichhölzer umknickte. Dick und rötlich war die Tentakel, mit Teller großen Saugknöpfen. Da die Tentakel von Bakusaiga abgeschnitten worden war, löste sie sich auf, zerbarst in einen Schauer aus Grün, bis auch das Grün verschwand und nichts mehr darauf hinwies, von wem oder was mehrere Bäume gleichzeitig gefällt worden waren.

Eine weiße Gestalt schoss aus dem See und landete am Ufer. Sessōhmaru hielt Yashimaru in den Armen, Bakusaiga steckte wieder in seiner Schwertscheide. Yashimaru hustete laut und spukte Wasser aus. In seinen Händen hielt er den Dämonenhasen, der wild zappelte. Yashimaru ließ ihn los und der Hase sauste blitzschnell in den Wald davon, vermutlich auf der Suche nach einem Versteck, wo er sich ausruhen und seine Wunden lecken konnte.

Sesshōmaru kam mit Yashimaru in den Armen auf Lights zu.

»M-musste das sein?« Lights Zähne klapperten und sein Körper zitterte so sehr, dass er kaum noch sprechen konnte. »Bakusaiga hätte den Dämon auch auf eine andere Weise töten können.« Light wischte sich eine nasse Haarsträhnen aus dem Gesicht, seine Kleidung hing schwer an ihm herunter und klebte eng an seiner Haut. Er war so durchgefroren, von dem Schwall eisigen Wasser und von der kalten Luft, dass er sich kaum noch bewegen konnte, seine Glieder am einfrieren waren und er sich schon steif wie ein Eisklotz fühlte.

»Dieser Yōkai dachte, er könnte angreifen, was zu mir gehört. Wieso hätte ich Bakusaiga entehren sollen, indem ich nicht ihr volles Potenzial nutze«, war alles, was Sesshōmaru darauf erwiderte.

Light spürte unerwartet Sessōhmarus Yōki und im nächsten Augenblick waren Sessōhmaru und Yashimaru wieder trocken, von den Haaren über den Kimono bis hin zu den Schuhen, standen sie vor ihm, als wären beide nie in die Nähe von irgendeinem Gewässer gekommen.

Ihn selbst überkam Erleichterung, als der Daiyōkai Mokomoko abermals mit ihm teilte. Diesmal überließ es Light nicht Sessōhmaru, wie Mokomoko sich um ihn legte, sondern zerrte die Fellboa an die richtigen Stellen, wo er kaum noch etwas spürte – seine Haut schon taub war, wie zum Beispiel seine Beine. »Wieso habt ihr den Yōkai nicht bemerkt?« Light drückte sich eng an Sessōhmarus Seite. Er wollte eine Erkältung nicht riskieren; sein Körper war stark unterkühlt. Er hoffte, dass Mokomoko und Sessōhmaru ihm halfen, etwas Wärme in seine Glieder zu bekommen.

»Das Wasser hat ihn vor meiner Nase geschützt und der Yōkai war schlau genug, sein Yōki zu unterdrücken«, gestand Sessōhmaru.

Light nickte.

Derweil drückte Yashimaru sein Gesicht in Sessōhmarus Halskuhle, seine Arme lagen dabei um den Hals seines Vaters. »Warum ist Light traurig?«, fragte er.

»Traurig?« Sessōhmarus Welpe hatte manchmal wirklich sonderbare Einfälle, dachte Light.

»Light ist ein Ningen, Yashimaru. Ihm ist kalt.« Das Mokomoko um Light erzitterte, es wuchs in die Länge und Sessōhmaru flog erhob sich in die Luft und flog mit ihnen zum Schloss zurück..

Light betrachtete Yashimaru, der ihn anlächelte, ein dümmliches aber kindliches Lächeln. Traurig? Yashimaru musste seine Emotionen falsch aufgeschnappt oder falsch interpretiert haben. Es wäre nicht das erste Mal.

Langsam, sehr langsam, kroch die Wärme in Lights Glieder zurück. Er fror immer noch und immer noch fühlte er sich äußerst unwohl in seiner nassen Kleidung. Doch seine Stimmung hob sich ein wenig, als er das Schloss in der Ferne vage erkennen konnte. Etwas warmes zu Essen, am besten eine Suppe, und ein heißes Bad im Badehaus, genau danach war es ihm jetzt. Später würde er sich dann den Bittschriften zuwenden.

***

Light hustete. Sein Hals kratzte und brannte, seine Mandeln waren vergrößert, schmerzten höllisch und waren eitrig – er hatte Angina... und kein Antibiotika. Wie unpraktisch und gefährlich, dachte er mit einem Gefühl der Verbitterung, und alles nur wegen dem Daiyōkai. Er konnte nur hoffen, dass die Medizin half, die er seit letzter Nacht alle paar Stunden nahm. Die Krankheit hatte sich nicht sofort gezeigt, erst zwei Tage nach dem Vorfall am See fühlte er sich zunehmend schwächer, bis er schließlich verschwitzt und fiebrig in der Nacht in Sessōhmarus Gemächern aufgewacht war. Sein Fieber war so hoch gewesen, dass er sich nicht einmal an den vielen Dämonen störte, die um ihn standen und sich gedämpft unterhielten. Sessōhmaru war unter ihnen. Er stand direkt neben Light am Ende des Futon mit ausdrucksloser Miene. So, selbst in seinem schlechten Zustand, war es schwer irgendwelche Emotionen auf Sessōhmarus Gesicht ablesen zu können, dachte Light und wurde kurz darauf von einem Husten durchgeschüttelt. Hände legten sich um seinen Hals und tasteten seine Lymphe ab. Light erkannte zwei Heiler. Der eine Heiler nahm seine Hände von seinem Hals, öffnete sein Mund und sah hinein, dann maß er seinen Puls und lauschte seinem Herzschlag sowie den Geräuschen seiner Lunge, die er jedes Mal machte, wenn er tief ein und ausatmete. Der andere Heiler, eine Dämonin, öffnete verschieden Schubladen eines mittelgroßen viereckigen Holzkoffers und wog verschiedene Kräuter ab. Sie schmiss sie in einen Mörser, mixte sie dort, bevor sie sie in eine Schale gab und mit heißem Wasser übergoss. Bald schon half ihn Sessōhmaru in eine sitzende Position – mehrere Kissen wurden hinter ihm aufgestapelt – und der Dämon setzte ihm Schale an die Lippen, da Light zu schwach war sich selbst zu halten. Es schmeckte abscheulich! Aber Light trank alles.

Light hatte nicht viel von der restlichen Nacht mitbekommen. Das Fieber hielt ihn zwar vom Schlaf ab, aber gleichzeitig behinderte seine Erschöpfung seine Wahrnehmung und so konnte er sich am nächsten Morgen nur vage daran erinnern, was noch alles in der Nacht geschehen war. Den Tag über befand er sich in einem dämmrigen Zustand, nicht wach, aber auch nicht schlafend. Er wusste nur, wie sein Oberkörper immer wieder aufgerichtet wurde und man ihm mehr von der schrecklich schmeckenden Tinktur einflößte. Das letzte Mal, als er mit Fieber im Bett lag und auf Hilfe angewiesen war, war schon Jahre her. Er war damals elf gewesen. Danach war es nie zu mehr außer einer leichten Erkältung gekommen. Doch, wann war er jemals bis auf die Haut durchnässt bei klirrender Kälte draußen im Schnee gestanden.

Light hustete abermals. Langsam öffnete er die Augen. Er wollte etwas trinken, einen Tee. Sein Arm versuchte das Tablett neben dem Futon zu erreichen, auf dem eine Tonkanne und Becher standen – vergebens, er war zu weit weg und er zu müde, um sich aufzurichten.

Schritte erklangen. Jemand kniete sich neben dem Tablett nieder und nahm die Kanne in die Hand. Ein Becher wurde gefüllt. Lights Augen wanderten nach oben und erblickten rotes Haar. »Yōsuke?«

»Ihr seht furchtbar aus, Yagami.« Yōsuke näherte sich ihm und half ihn in eine sitzende Position. »Aber wenigstens ein bisschen besser als in der Nacht.«

»Ihr wart auch hier?« Light nahm ein paar Schlucke vom Tee.

»Hai! Sessōhmaru-sama wollte, dass ich Euch sehe, damit ich Euren Zustand beschreiben kann, wenn ich mich auf den Weg zu der Ningenheilerin mache. Nun ist aber Keisuke-sama an meiner Stelle gegangen. Er sollte gegen Abend mit ihr zurück sein.«

»Wieso nicht ihr?« Light nahm einen weiteren Schluck, dann deutete er Yōsuke an, ihm den Becher abzunehmen. Light legte sich wieder hin. Jede Faser in seinem Körper schmerzte. Er seufzte vor Erschöpfung.

»Keisuke-sama hat sie das letztes Mal aufgesucht. Sie kennt ihn schon. Damals ging es Rin-chan sehr schlecht. Ihre Kräutermischungen haben dem Mädchen sehr gut geholfen.« Yōsuke stellte den Becher aufs Tablett zurück. »Sie wird Euch helfen können, besser als die Zusammenmischung an Kräutern unserer Heiler.« Yōsuke lachte leise. »Die Frau versteht ihr Handwerk, so gut, dass sie keinesfalls bescheiden damit ist. Du wirst überrascht sein, wenn Ihr sie siehst.«

Light konnte sich nicht vorstellen, dass die Heilerin ihn beeindrucken konnte. Wenn ihre Kräutermischungen wirklich so gut wirkten, wie Yōsuke behauptete, dann wollte er diese einnehmen, aber wer sie ihm gab, war ihm absolut egal.

Yōsuke fuhr sich durch sein rotes Haar. Er setzte sich in einen Schneidersitz neben den großen Futon auf den Holzboden.

Da das Schloss hauptsächlich aus Holz gebaut war, hing immer ein leichter Holzgeruch in der Luft, auch hier in Sessōhmarus Gemächern.

»Ihr wisst Yagami, wärt Ihr nicht immer so eigenwillig, dann könntet Ihr diese Krankheit schnell überstehen.«
»Wie meint Ihr das?«, fragte Light, während er die Decke anstarrte. Seine Augen brannten so höllisch, dass er sie bald schon schloss.

»Ihr könntet die Vorteile des Gefährtenmals nutzen. Es könnte Euch in dieser Krankheit unterstützen.«

»Kein Interesse.«

»Hmm, dachte ich mir schon.« Yōsuke lachte auf.

Light ignorierte Yōsukes Lachen. »Wo ist Sessōhmaru-sama?«, fragte er und musste kurz darauf wieder husten.

»Dieser Junge, Kohaku, ist hier.«

Light seufzte. »Verstehe.« Er schloss die Augen und driftete ab, diesmal konnte er einschlafen.

Eine warme Hand legte sich auf seine Stirn. »Sessōhmaru?«, flüsterte Light. Langsam öffnete er die Augen und blickte direkt in ein Frauengesicht. Light blinzelte. Die Frau über ihn musste Ende vierzig sein, obwohl sie dafür nur vereinzelte Falten auf Stirn und an den Augen aufwies. Sie schenkte ihm ein kurzes Lächeln.

»Ihr habt ein gutes Auge für Schönheit, Sessōhmaru-sama. Euer Gefährte ist zwar etwas blass, aber ich kann sehen, dass wenn ihm keine Krankheit heimsucht, er die Blicke von Vielen auf sich zieht.«

»Teste meine Geduld nicht, Ningen«, vernahm Light Sessōhmarus Stimme.

»Natürlich nicht«, erwiderte sie salopp.

Light betrachtete sie genauer. Sie war gekleidet in einen weißen Kimono, auf dem ein Blumenmuster in mehreren Farben gedruckt war. Ihr schwarzes Haar war hochgesteckt und ein Kamm mit vielen verschieden großen Blumen, die aus rosa gefärbter Seide genäht waren, steckte darin. Sie wollte, dass Light den Mund öffnete.

»Sein Hals und seine Mandeln sind stark entzündet. Es ist nicht gut, dass seine Mandeln eitrig sind. Euer Gefährte wird lange brauchen, bis er sich vollends wieder davon erholt. Um sein Fieber mache ich mir keine Sorgen, es sollte in den nächsten Tagen sinken. Ich kann ihm eine zusätzliche Tinktur nur für sein Fieber zubereiten.«

Die Frau wandte sich von Light ab und mischte die Kräuter zusammen. Sie hatte dafür einen großen Schilfkorb dabei, manche Kräuter lagen darin in ihrem Urzustand, nur getrocknet, andere waren zu Pulver gemahlen und aufbewahrt in kleinen Tongefäßen, und wieder andere hatte sie in kleine Stücke geschnitten und in Tücher gewickelt.

Während sie arbeite, funkelten ihre Ringe, von denen sie jeweils drei an jeder Hand trug. Hatte Yōsuke ihr Aussehen gemeint? Sie schien viel Geld für ihre Hilfe zu verlangen. Er hatte noch keinen Heiler gesehen, ob Mensch oder Dämon, der sich in einen solchen Wohlstand kleidete. Normalerweise besaßen sie eine eher bescheidene Persönlichkeit, doch diese Heilerin schien sich bewusst zu sein, wie wertvoll sie war und genau darin hüllte sie sich ein.

»Ich werde genügend zusammenmischen, dass Euer Gefährte in den nächsten Tage mehrmals davon nehmen kann. Solange die Mandeln eitrig sind, sollte er am Tag jeweils fünfmal von der Tinktur trinken, danach nur noch dreimal. Ihr müsst darauf acht geben, dass er es immer warm hat. Er sollte nicht in dem Zimmer sein, wenn Ihr es lüften wollt. Die kalte Luft kann seinen geschwächten Zustand verschlimmern.

Sessōhmaru half Light, die Tinktur der Frau zu sich zu nehmen, derweil packte die Heilerin ihr Sachen zusammen und verabschiedete sich mit einer Verbeugung. Ein Bediensteter bekleidete sie hinauf.

Nachdem Light alles getrunken hatte, entledigte sich Sessōhmaru seiner Rüstung und Bakusaiga und legte sich zu ihm.

»Es ist eure Schuld«, sagte Light leise.

Sessōhmaru bettete Lights Kopf auf seine Brust.

»Und jetzt nutzt Ihr meine Hilflosigkeit noch schamlos aus.«

Sessōhmaru fuhr langsam durch Lights verschwitztes Haar. »Ich gebe zu, mein Handeln war unüberlegt. Ich hätte mit einbeziehen sollen, dass sich mein Gefährte am Seeufer befindet.« Sessōhmaru legte seine Hand auf Lights Stirn, die heiß glühte. »Ich entschuldige mich für meinen Fehler.«

Light öffnete einen Spalt seine Augen. »Das ist das erste Mal, dass sich eine Entschuldigung von Euch höre, Sessōhmaru-sama.«

»Ich wünsche nicht, dass meine Entscheidungen zum Nachteil meines Gefährten werden.«

Vielleicht lag es an seinen kranken Zustand, vielleicht lag es daran, dass er es hasste, untätig zu sein, vielleicht aber auch, lag es daran, dass Sessōhmaru sich bei ihm entschuldigt hatte. Was auch immer es war, Light schob sich weiter nach oben, bis seine heiße Stirn gegen Sessōhmarus Hals presste. »Erzählt mir, wie das Gefährtenmal mir dabei helfen kann, wieder gesund zu werden.«

Sessōhmaru nahm Lights Hand in seine. »Erlaube mir, dir nah zu sein, mich um dich zu kümmern. Mehr braucht es nicht.«

»Gut. Macht, was Ihr denkt vonnöten ist. Ich möchte nicht länger als nötig in diesem Zustand bleiben. Wa–!«

Sessōhmaru zog Light ganz zu sich, sodass sein Körper auf seinem lag. Er schmiss die Bettdecke und die Felle über Light und hielt ihn darunter in einer festen Umarmung.

Light ließ es geschehen und schlief alsbald darauf ein. Die nächsten Tage verbrachte Sessōhmaru bei ihm. Er half ihm beim Essen und Trinken und wenn der Daiyōkai dann doch woanders gebraucht wurde, übernahm ein Bediensteter die Aufgabe. Während der fiebrigen Tage, hatte es Light nicht gekümmert, wer ihm dabei half sich zu entleeren, doch als es ihm besser ging, seine Gedanken wieder Sinn machten, bestand er darauf, dass ihm nur noch ein einziger Yōkai dabei half. Ein junger männlicher Bedienstete, namens Gou, der äußerst Wortkarg war, bis Light bemerkte, dass er nicht sprechen konnte, aber Befehle perfekt ausführte. Danach machte Light Gou zu seinem persönlichen Bediensteten.

Ab und zu besuchte ihn Ryuk. Lights Zustand schien den Shinigami aber schnell zu langweilen, und er blieb nie lange. Einmal am Tag trug ihn Sessōhmaru in einen angrenzenden Raum, damit man das Schlafgemach durchlüften und den Gestank von Krankheit daraus vertreiben konnte. Dafür wurde auch Räucherwerk angezündet. Während er im anderen Zimmer auf einen extra für ihn ausgerollten Futon lag, wusch man ihn mit nassen Tüchern und half ihn in frische Kleidung. Sessōhmaru war die meiste Zeit bei ihm. Der Daiyōkai hatte seine Arbeit mit ins Schlafgemach gebracht und las sich durch Schriftrollen, setzte seine Unterschrift hier und da drunter oder fertigte eigene Schreiben an. Wenn Light nicht schlief, dann beobachtete er ihn stumm bei seiner Arbeit. Nachts hielt ihn Sessōhmaru in den Armen und Light fand einen ruhigen Schlaf, aus dem er jeden Morgen mit mehr Energie aufwachte. Er empfand es bald schon als angenehm über mehrere Stunden Sessōhmaru nahe zu sein, selbst wenn sie für einen langen Zeitraum kein Wort miteinander wechselten.

Am fünften Tag ging es ihm schon so weit besser, dass er alleine Essen und Trinken konnte. Light nahm die bitter schmeckende Medizin der Heilerin zu sich, während er Sessōhmarus Gesichtszüge studierte. Etwas schien den Daiyōkai zu verärgern, er konnte es an den schmalen Augen und dem düsteren Blick erkennen. Sessōhmaru hob ein Schriftstück an, seine Hand glühte grün und in wenigen Sekunden war das Schriftstück von seiner Säure zersetzt.

»Jemand oder Etwas muss Euch sehr verärgert haben«, meinte Light und lächelte dabei, ein Lächeln, dass weder Schadenfroh, noch anders schlecht gemeint war. Light war über Sessōhmarus Reaktion amüsiert. Er war einfach nur amüsiert, schließlich waren die letzten Tage sehr langweilig gewesen.

»Manche Yōkais wertschätzen ihr Leben nicht, wagen es, Sessōhmaru, herauszufordern.«

Eine Herausforderung? Seit Light den Dämon kannte, hatte niemand ihn auf solch eine formelle Weise zu einem Kampf herausgefordert. Schade, dass Sessōhmaru nicht gewillt, war dieser Herausforderung nachzukommen. Light hätte diesen Kampf gerne gesehen.

Alpha Sesshoumaru/Sesshomaru x Gefährte LightYagami | Das weiße Feuer des HundesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt