Ostküste

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Meredith

"Wollen Sie mich verarschen?", entfuhr es mir und Mr Jackson hob beschwichtigend die Hände, während Mr Montgomery stumm auf seinen Tisch blickte.

"Es tut uns wirklich leid, Meredith", setzte Mr Jackson an, doch ich unterbrach ihn.

"Es ist Ms Cross", stellte ich wütend fest und Mr Montgomery zuckte hinter seinem Schreibtisch zusammen.

"Ms Cross, wir sind trotzdem weiter an der Zusammenarbeit mit Ihnen interessiert", sagte er und ich schnaubte verächtlich. Die Zusammenarbeit würde ich hier und jetzt beenden.

"Sie haben mich gelinkt. Ich sollte Namenspartner werden. Nur deshalb habe ich mich mit Sullivan Enterprises beschäftigt, halb tot gearbeitet. Und jetzt wollen Sie mir erzählen, dass die Position an jemand anderen geht?", empörte ich mich und stand abrupt auf.

"Ms Cross, ich konnte doch meinen Neffen nicht einfach so abweisen", meinte nun Mr Jackson. Als ob das etwas ändern würde.

"Erstens weiß ich, wie ich heiße. Zweitens nennt man das Vetternwirtschaft und drittens, kündige ich", antwortete ich mit zitternder Stimme. Ich war so verdammt wütend. "Ach und Mr Montgomery, Ihre Krawatten sind der Grund, warum Ihre Frau es mit dem Chauffeur treibt."

Ich rammte die Karte durch das Lesegerät und trat die Tür zu meinem Büro bei Sullivan Enterprises auf. Pah, dann eben nicht. Wenn die mich verarschen wollten, dann konnten sie sich selbst ins Knie ficken. Die glaubten, doch wohl nicht, dass ich jetzt noch für sie das Kind aus dem Brunnen holen würde. Mit Schwung stellte ich den riesigen Pappkarton mit meinen Habseligkeiten aus meinem Büro bei Jackson/Montgomery auf den überfüllten Schreibtisch und begann meine persönlichen Gegenstände aus diesem Büro hinzuzufügen.
Ich musste mir über meine Zukunft klar werden. Über ein Jahr hatte ich verschwendet. Was sollte jetzt mit meiner Karriere passieren? Würde ich weiter für Sullivan Enterprises arbeiten, wo sie doch Jackson/Montgomery angestellt hatten?

Schimpfend verschloss ich den Karton und machte mich erstmal auf den Weg zu dem Büro des Mannes, der mir gerade als einziger Mensch helfen konnte. Seine Sekretärin blickte von ihrem Computer auf als sie mich sah.

"Hallo, Ms Cross. Falls Sie Mr Sullivan suchen, muss ich Sie leider enttäuschen. Er ist gerade mit seinem Bruder auf der großen Baustelle", informierte sie mich und ich schaute etwas enttäuscht drein.

"Das macht nichts. Trotzdem danke", verabschiedete ich mich und entschied mich dazu, erstmal meine Sachen ins Auto zu schaffen. Ich schnappte mir meine Kisten, machte mich auf dem Weg zum Auto und wurde in der Tiefgarage von meinem Handy aus meinen Gedanken gerissen. Vielleicht war es Chase? Gott, wie sehr sich alles verändert hatte. Es war, als könne ich keine zehn Minuten ohne ihn. Er war die erste Person mit der ich mein Leben teilen wollte.

"Hallo?", antwortete ich. Es war nicht Chase. Es war Lucy.

"Na, altes Haus. Was läuft heute Abend so bei dir?", fragte sie und ich seufzte. Ich hatte vor eine riesige Packung Eiscreme zu verschlingen und mich dann selbst zu bemitleiden.

"Nicht viel. Ich habe heute gekündigt", erwiderte ich und sie japste nach Luft.

"Und was sagt Chase dazu?" Ich setzte mich ins Auto und wartete, bis die Freisprechanlage anging, ehe ich den Motor anmachte. Ich fuhr aus der Garage und musste an eine roten Ampel halten.

"Ich bin gerade auf dem Weg zu ihm", meinte ich und Lucy seufzte. Sofort meldete sich mein schlechtes Gewissen. Wir waren lange nicht mehr unter uns gewesen. "Weißt du was? Ich komme zu dir und wir machen einen richtig gemütlichen Mädelsabend. Was sagst du dazu?"

"Das hört sich prima an. Ich muss nämlich dringend mit dir sprechen."

Eine halbe Stunde später saßen wir auf ihrer Couch und versuchten zu entscheiden, welchen Film wir schauen sollten. Mein Blick glitt dabei immer wieder zu meinem Handy. Lucy bemerkte es und stöhnte auf.

"Nun ruf ihn schon an. Herrgott, du kannst ja nicht mal einen Abend ohne ihn und seine magische Stimme aushalten", ärgerte sie mich und ich schüttelte meinen Kopf. Ich nahm das Telefon und schaltete es aus.

"Du lenkst ja doch nur vom Thema ab. Also, was wolltest du mir erzählen?", hakte ich nach und Lucy begann an den Fransen eines Kissens zu zupfen.

"Bitte dreh nicht durch", setzte sie an und ich schaute alarmiert auf. Diese Worte bewirkten das komplette Gegenteil bei mir.

"Lucy, ich warne dich. Spuck's aus!"

"Ich werde nach New York ziehen", platzte es aus ihr heraus und ich fuhr von der Couch hoch. Was? Wir lebten in Seattle, Westküste.

"An die Ostküste", fragte ich atemlos und sie rollte mit den Augen.

"Ja genau, du Genie. New York liegt an der Ostküste. Ich habe da einen Job in einem der besten Restaurants angeboten bekommen. Die Chance kann ich mir nicht entgehen lassen." Lucy konnte kochen. Zum Niederknien kochen. Und dieses Jobangebot war eine große Sache für sie. Ich freute mich für sie, doch ich blieb hier ohne sie zurück.

"Ich weiß nicht, was ich sagen soll", flüsterte ich und Lucy umarmte mich fest. "Herzlichen Glückwunsch."

"Wir werden in Kontakt bleiben. Ich bin nicht aus der Welt. Du wirst mich anrufen, wenn Chase dir einen Antrag gemacht hat und ich werde zu eurer Hochzeit kommen." Mir blieb die Luft weg. Antrag?

"Großer Gott. Du spinnst ja wohl", brachte ich hervor und dachte dann doch näher darüber nach. Wollte ich denn einen Antrag bekommen? Eigentlich nicht. Oder etwa doch? Ich schob den Gedanken beiseite. Jetzt war nicht die Zeit dazu. Ich war hier mit Lucy, meiner besten Freundin. Und sie würde wegziehen. Tränen traten mir in die Augen und ich musste schlucken. "Ich werde dich so verdammt vermissen. Heute Nacht bleibe ich hier."

Ich ließ mich in die Kissen sinken und schaltete den Fernseher wieder an. Lucy ging in die Küche und kam mit einer Flasche Rotwein und zwei Gläsern wieder. Als sie mir einschenken wollte, lehnte ich ab.
"Na, was haben wir denn da", fragte sie mich und ich schaute sie ahnungslos an.

"Was?" Oh ja, geistreiche Antwort. Wo kann ich mein Abitur wieder abgeben?

"Hast du etwa einen Braten in der Röhre?", hakte sie nach und ich verdrehte nur die Augen. Ja. Klar. Ich warf ein Kissen nach ihr. Lucy kicherte und hielt abwehrend die Hände hoch.

"Ich hab einfach aufgehört, okay?", erwiderte ich und Lucy schnappte sich die Fernbedienung.

"Dann gucken wir jetzt eben nüchtern weiter. Beziehungsweise du guckst nüchtern weiter."

Don't be so bossyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt