Respekt

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Meredith

"Also, wenn ich das richtig verstehe, klagen die Ehefrauen wegen fahrlässiger Tötung?", fragte ich nach und rührte mit einem Löffel in meiner Tasse herum.

"Wenn ich es doch sage", herrschte Chase mich an und ich verdrehte die Augen. Jetzt kam zu unseren privaten Spannungen auch noch diese Geschichte hinzu.

"Was ich nicht verstehe ist, dass die Staatsanwaltschaft bereits von einer Klage abgesehen hat", warf Tyler ein und auch Genevieve nickte bedächtig. Ich zog mein Handy hervor und legte es auf den Tisch neben die Akten. Ich hatte eigentlich gedacht, dass die Todesfälle Anfang des Jahres nicht weiter zu einem Problem werden würden. Doch da hatte noch kein übereifriger Anwalt mit den Witwen der Männer gesprochen.

"Ich habe da meine Kontakte, die ich einschalten könnte. Wenn die Staatsanwaltschaft mit drinhängt, sitzt bestimmt ein Frischling dahinter, der sich beweisen möchte", vermutete ich und Tyler lachte trocken auf.

"Und wie sollte das besser funktionieren, als wenn man Sullivan Enterprises verklagt", stellte er bitter fest und ich wählte Jacks Nummer. Stirnrunzelnd hielt ich mein Handy ans Ohr und schaute zu Chase rüber, der ziemlich still war. Er starrte mich durchdringend an und ich lächelte ihm aufmunternd zu. Auch wenn ich keineswegs optimistisch in die Sache reinging.

"Hey, ich bin's", begrüßte ich Jack und stand auf.

"Na, was bringt mich zu der Ehre deines Anrufs?", fragte er und ich lachte.

"Ich brauche deine Qualitäten als Doppelagent", begann ich und Jack seufzte.

"Warte", sagte er und ich hörte, wie er in seinem Büro die Tür schloss. "Du bringst mich noch in Teufelsküche. Schieß los."

"Danke, ich lade dich zum Dank mal schick zum Essen ein. Vielleicht hast du schon davon gehört, dass Sullivan Enterprises verklagt wird. Wir wissen nicht wie weit die Staatsanwaltschaft mit drinhängt", informierte ich ihn. Jack seufzte laut auf.

"Der zuständige Anwalt ist Jason Miller. Er ist neu hier. Keiner von uns alten Hasen will ihn dabei unterstützen, aber wenn er diesen Fall gewinnt, dann plant die Führungsriege euch wegen Korruption anzuklagen. Einige Richter stellen sich nämlich ziemlich quer. Wollen nicht an euch herantreten." Shit.

"Das trauen die sich nicht", meinte ich und Jack lachte.

"Jetzt noch nicht, Mer. Wenn ich dir einen Tipp geben kann, dann verlass das sinkende Schiff. Es sieht nicht gut aus. Unser Ruf ist angeschlagen und ein solcher Fall soll uns wieder auf die Beine helfen." Ich fuhr mir über die Stirn und schaute aus dem Fenster.

"Ich kann jetzt nicht drüber reden. Hoffentlich ist es nicht dein Ernst", brummte ich und Jack war einige Sekunden lang still.

"Glaub mir oder glaub mir nicht, aber ich würde rechtszeitig die Notbremse ziehen. Egal wie du dich entscheidest, ich wünsche dir viel Glück", verabschiedete er sich und ich lachte.

"Danke. Du hast uns sehr geholfen." Ich legte auf und kleisterte ein Lächeln auf meine Lippen bevor ich mich umdrehte. Alle starrten mich bettelnd an und ich nahm mein Handy unruhig von der einen in die andere Hand.

"Nun sag schon!", forderte Genevieve und stand angespannt auf. Mein Blick fiel auf Tyler, der sich nervös an seiner Krawatte herumfummelte. Chase saß weiterhin still da und durchbohrte mich mit seinem Blick. Ich wurde das Gefühl nicht los, dass es dabei um etwas anderes ging.

"Es gibt eine gute und eine schlechte Nachricht", begann ich und Genevieve seufzte laut auf.

"Na, das hört sich ja super an", murrte sie und fuhr sich über die Stirn. Ich bemerkte, wie sie unruhig Blicke auf ihre Armbanduhr warf und sich auf die Lippe biss.

"Musst du los?", fragte ich sie und sie zuckte mit den Schultern.

"Eigentlich habe ich den Mädchen eine Teeparty versprochen, aber daraus wird heute wohl nichts", meinte sie und rieb sich das Gesicht. "Was soll's, legen wir los."

"Genau, Meredith. Mach es wie bei einem Pflaster, einfach abreißen", pflichtete ihr Ty bei und ich ließ mich auf einem Stuhl nieder. Seufzend rieb ich mir das Nasenbein und lächelte gequält. Wie bei einem Pflaster also? Das würde mehr eine dicke fette Naht sein...

Nachdem ich die Sullivans über mein Gespräch mit Jack informiert hatte, saßen sie alle mit offenem Mund da.

Chase hatte eine Hand um sein Kinn gelegt und rieb es verdächtig ruhig, während Ty noch immer an seiner Krawatte zog. Genevieve schielte ziemlich auffällig zu einer Flasche Scotch, die auf dem Regal stand. Und ich?
Ich wartete auf eine Reaktion. Aus Sekunden der Stille wurden Minuten und schließlich platzte es aus Chase heraus.

"Was machst du jetzt dagegen?", fragte er mich bissig und ich wandte mich ihm zu. Ich musste ruhig bleiben. Er hatte Angst um das Lebenswerk seines Vaters, ich musste Rücksicht darauf nehmen.

"Ich weiß es noch nicht", gab ich zu und Chase lachte bitter auf.

"Wofür bezahlen wir dir eigentlich ein Scheiß Geld, wenn du doch nichts auf die Reihe bekommst?", knurrte er und Genevieve klopfte auf den Tisch.

"Sprich nicht in so einem Ton mit mir", erwiderte ich ruhig und seine Schwester kam mir zur Hilfe.

"Sie hat Recht, du Idiot. Meredith hilft uns, zeig mal ein wenig Respekt", ermahnte sie ihn und schaute wieder sehnsüchtig zu der Flasche Scotch.

Chase legte die Hände zusammen und stand auf. Breitbeinig positionierte er sich vor der Fensterfront und starrte auf den Sound hinaus.

"Respekt wird uns aus der Lage nicht heraushelfen", brummte er und Tyler seufzte. Er griff sich ein Schokobonbon aus einem Korb auf Genevieves Schreibtisch und steckte es sich hastig in den Mund.

Genevieve griff also in Stresssituationen zur Flasche, Ty zu Süßigkeiten und Chase, ich Glückliche, zu Beleidigungen.

"Ich bin ehrlich zu dir, Chase. Die Sache wird nicht einfach klanglos über die Bühne gehen, aber ich werde alles mir mögliche tun. Also schenke mir etwas Respekt", sagte ich und trat einige Schritte auf ihn zu. Seine Geschwister beäugten uns neugierig.

Dann drehte er sich um. Ein wilder Ausdruck in den Augen und ein verkniffenes Lächeln zierten sein attraktives Gesicht.

"Ach, ja?", fragte er spöttisch, "zeigt Jack dir etwa auch Respekt, wenn ihr vögelt?"

Don't be so bossyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt