Sullivan Enterprises

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Langsam stand ich auf und schüttelte meinem Chef Mr. Jackson die Hand. Er war ein netter, älterer Mann, der von Jahr zu Jahr mehr dem Weihnachtsmann glich und mich immer gefördert hatte. Neben ihm stand sein Partner Mr. Montgomery und auch ihm reichte ich die Hand. Ein Lächeln lag auf meinen Lippen und ich versuchte meine Wut zu unterdrücken. Seit fünf Jahren arbeitete ich nun schon für ihre Kanzlei Jackson/Montgomery und hatte heute das erste Mal das Angebot gehört Partner werden zu können. Allerdings war das überhaupt nicht so abgelaufen, wie in meinen Vorstellungen. Oh nein, ganz und gar nicht.

Der Job war an eine Bedingung geknüpft, an eine Bedingung, auf die ich ganz und gar nicht scharf war. Jeder Anwalt in ganz Seattle hütete sich davor den Rechtsbeistand für Sullivan Enterprises zu stellen. Und das lag nicht daran, dass man nicht auf einem sinkenden Schiff arbeiten wollte. Nein, das konnte nicht der Grund sein, wo diese Firma die Geschäftswelt in der Architektur schon seit drei Generationen dominierte. Die Sullivans waren steinreich und man munkelte, dass es Richard Sullivan, dem Geschäftsführer nicht gerade blendend ging. Wenn man diesem Gerücht Glauben schenken konnte, dann würde dort die Hölle los sein. War es nicht immer das Gleiche? Die reichen Erben streiten sich um den Platz an der Spitze? Und davon hatte Richard Sullivan vier. Zwei Mädchen, zwei Jungen. Seine Tochter Genevieve war die älteste und die Human Resources Managerin, der zweitälteste Tyler fuhr die einzelnen Baustellen ab und kümmerte sich um Probleme vor Ort. Die anderen beiden hielten sich aus dem Familiengeschäft raus, obwohl ich gehört hatte, dass der jüngste Spross der Sullivan-Familie, Chase, seinen Vater unterstützte. Katherine Sullivan allerdings arbeitete ganz sicher nicht in der Firma, da sie gerade erst eine Bar in Downtown Seattle eröffnet hatte.

Und ich sollte in den Genuss kommen die Firma auf ihrem Weg in unbekannte Gewässer zu begleiten. Super, danke. Da gewann man 90% seiner Fälle, holte die reichsten Mandanten an Bord und arbeitete sich die Finger wund für diese Kanzlei und wurde zur Belohnung mit einer Aufgabe betreut, die niemand machen wollte? Interessierte es hier denn niemanden, dass ich mit 16 mein Abitur in der Tasche hatte und danach direkt den ersten Flieger nach Amerika genommen hatte um in Stanford Jura zu studieren? Anscheinend nicht. Aber verdammt, ich wollte diesen Job. Vor meinem inneren Auge sah ich bereits wie das Schild der Kanzlei zu Jackson/Montgomery/Cross geändert wurde. Ich hätte es geschafft, meine eigene Kanzlei.

Seufzend nahm ich die Akten, die auf dem Tisch lagen und steckte sie in meine Tasche. Ich musste einfach hoffen, dass Mr. Sullivan Senior nicht allzu schnell ins Grass biss.

"Ms. Cross, Sie können sich gar nicht vorstellen, wie sehr wir uns auf eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe mit Ihnen freuen. Besonders bei Ihrer Geschichte", sagte Mr. Montgomery und ich zuckte innerlich zusammen. Meine Vergangenheit war zwar durch eine exzellente Karriere geprägt, dennoch hatte ich sehr viel Scheiße erleiden müssen. Als ich auf dem College war, waren meine Eltern gestorben. Einfach so bei einem Autounfall irgendwo in New York. Sie waren verdammt gute Anwälte gewesen und hatten eine riesige Menge Geld an mich weitervererbt. Geld, das ich noch nicht einmal angerührt hatte. Geld, das mich unabhängig machte. Ich brauchte weder den Job noch den Namen der Kanzlei, mir ging es um die Anerkennung. Mein Ehrgeiz ließ es einfach nicht zu diesen Job abzulehnen. Ich wollte mir einen eigenen Namen machen, da der meiner Eltern mir viel zu viele Türen öffnete. Irgendwie fühlte ich mich jedes Mal dabei schuldig. Und Mr. Montgomery wusste das.

"Die Freude ist ganz meinerseits. Montag soll ich also anfangen?", erwiderte ich und verkniff mir meine spitzen Kommentare. Ich musste nur ruhig bleiben. Einfach ein- und ausatmen.

"Genau. Sie erscheinen einfach um 8Uhr bei Mr. Sullivan Senior. Machen Sie sich keine Sorgen. Sie werden Ihre Sache ausgezeichnet machen", mischte sich Mr. Jackson ein und ich lächelte. Wenn der nur wüsste, wie gerne ich ihm den Hals umdrehen wollte... Stattdessen nickte ich noch einmal und verließ das Büro. Jetzt musste ich erst mal gepflegt einen saufen gehen.

Zwanzig Minuten später gestikulierte ich mit einem Glas Bourbon in der Hand herum und ließ mich zum dritten Mal über Mr. Montgomery und seine blöden Krawatten aus. Meine beste Freundin Lucy nickte dabei mit ihrem Kopf und kippte sich Tequila nach. Die weichen Sachen hatten wir einfach übersprungen.

"Weißt du, was dein Problem ist?", fragte sie mich und ich schüttelte meinen Kopf, sodass sich einige dunkelblonde Strähnen aus meinem Dutt lösten. Lucy schaute mich aus ihren großen braunen Augen an und fasste mich an den Schultern. "Du musst dringend flachgelegt werden."

Ich verschluckte mich an meinem Getränk und hustete bis meine Augen tränten. Überrascht erwiderte ich ihren Blick und wischte mir mit dem Handrücken über den Mund.

"Ich muss nicht flachgelegt werden", erwiderte ich und gab dem Barkeeper ein Handzeichen. Mit einem charmanten Lächeln füllte er mir nach und zwinkerte. Allerdings war ich nicht in der Laune freundlich zu sein. Also wandte ich mich wortlos wieder Lucy zu, die mich mit geschürzten Lippen ansah.

"Doch, das musst du. Du hast kein Liebesleben. Nada."

"Natürlich habe ich ein Liebesleben", empörte ich mich und funkelte sie mit meinen blauen Augen an. Blöde Kuh.

"Na klar, mit deiner Arbeit. Aber ich meine Sex mit einem Mann. Verstehst du?", fuhr sie weiter fort und ich verschränkte die Arme vor der Brust. Na gut, sie hatte mich eben ertappt, aber ich hatte wirklich keine Zeit für einen Freund. Und mit meinem Fuckbuddy Brandon wollte ich auch nichts mehr zutun haben.

"Und was soll ich deiner Meinung nach dagegen tun?", fragte ich sie spitz und sie legte den Kopf schief. Ich folgte ihrer Bewegung mit den Augen und starrte dann wieder sie an. "Der Barkeeper?" Sie nickte und lächelte listig. Skeptisch schaute ich den großen, brünetten Mann an und musste zugeben, dass er nicht schlecht aussah.

"Der steht total auf dich", flüsterte sie und ich schüttelte mit dem Kopf.

"Ach was", murmelte ich und Lucy seufzte theatralisch.

"Meredith, wenn ich es dir doch sage. Er zieht dich förmlich mit seinen Blicken aus und starrt dich an, als wolle er dich hier und jetzt auf dem Tresen durchnehmen", sagte sie und ich stand auf.

"Das war mir ein wenig zu bildlich, Lucy. Ganz ehrlich. Mit meinem Leben ist alles okay! Was nicht okay ist, ist das ich bei Sullivan Enterprises anfangen muss", stellte ich klar und warf ein paar Dollar auf die Bar. Sie hob abwehrend die Hände und grinste.

"Früher warst du viel offener, wenn du verstehst, was ich meine", meinte sie und ich rieb mir über die Stirn.

"Lucy, heute habe ich da echt keinen  Kopf für. Ich will nicht mehr so sein, okay? Die Tage sind vorbei." Wie ich hoffte, dass diese Tage wirklich vorbei waren.

Don't be so bossyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt