Bitch

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Und wie sollte es auch anders sein, ich konnte nicht schlafen. Unruhig wälzte ich mich hin und her und starrte die Uhr an. Immer wenn ich nicht pennen konnte, zählte ich die Stunden, die ich theoretisch noch schlafen könnte. Theoretisch...

Allerdings sah die Wirklichkeit etwas anders aus, als die Theorie. Ich raufte mir die Haare und rollte mich genervt auf den Rücken. An meine Decke hatte ich ein Bild des Sternenhimmels geklebt, dass aus müden Augen so echt aussah, wie die verzauberte Decke in Hogwarts.  Naja, vielleicht nicht ganz sooo echt. Aber wenn man drei Barcadi-Cola und fünf Bier intus hatte, dann konnte es schon vorkommen, dass man eine Sternschnuppe über die Decke ziehen sah.

Das miese an meiner Situation? Ich merkte, dass ich müde war. Ehrlich. Aber mein Körper hatte da anscheinend andere Pläne für mich. Um es vorsichtig auszudrücken: Ich war kein Fan von Schlaftabletten. Ich schlief durch sie zwar ein, aber wirklich erholt war ich am nächsten Morgen nicht. Irgendwo hatte ich mal gelesen, dass man durch die kleinen Helferchen nicht in die Tiefschlafphase kam und deshalb auch nicht erholt war. Egal, ich pumpte meinen Körper schon mit genug Tabletten voll, von Aspirin bei Kopfschmerzen über Paracetamol bei Regelschmerzen. Nicht zu vergessen natürlich die Pille.

Ich strampelte die Decke von mir und stieg aus dem Bett. Es hatte keinen Sinn jetzt stundenlang in die Luft zu starren und meinen Gedanken nach zu hängen. Mein Dad hatte immer gesagt, dass man sein Leben selber in die Hand nehmen musste, wenn man wollte, dass sich etwas änderte. Das war wahrscheinlich der beste Rat, den ich je gehört hatte, weil er so viel Freiraum ließ. Er schrieb dir nichts vor, sondern schob dich leicht in die richtige Richtung. Egal welche es auch sein möge.

Ich zog eine Jeans und einen Pulli über und stieg in meine schweren Motorradboots, während ich Zähne putzte. Danach schnappte ich mir meinen Helm, die Handschuhe und eine Motorradjacke und schloss die Tür hinter mir zu.

Ich war ein wenig, wie kleine Kinder, die nicht schlafen konnten. Ihre Eltern eierten mit ihnen oft durch die halbe Stadt, damit sie einschliefen. Ich fuhr Motorrad, weil es mich entspannte und meine Gedanken sammelte. Schlafen fiel mir danach immer leichter.

Genervt rollte ich mit den Augen, als ich mein Bike erst nach einigem Suchen erblickte. Wahrscheinlich lag es an dem Schlafmangel, dass ich es nicht gleich entdeckt hatte und vielleicht war es auch keine gute Idee, so auf das Fahrzeug zu steigen, aber ich liebte es nun mal. Ich brauchte es.

Gekonnt schwang ich mich auf den kühlen Sitz und strich zärtlich mit der Hand über den Tank der Maschine. Manche Menschen liebten ihre Hunde, ihre Katzen oder ihre Kinder. Ich liebte mein Sportbike. Zügig zog ich meine Handschuhe über und setzte den Helm auf. Ich hatte nie zu den Mädels gehört, die sich Sorgen um ihre Frisur machten. Gott hatte mich mit pflegeleichten, glatten Haaren gesegnet, die nach einmal ausschütteln wieder wie gestylt aussahen.

Mit einem Röhren erwachte der Motor zum Leben und ich fuhr aus der Garage. Die Stadt zog mit dem dumpfen Licht der Straßenlaternen an mir vorbei und abgesehen von ein paar feiernden Leuten, waren die Strafe wie ausgestorben. Obwohl ich mich wohl fühlte, musste ich an die Arbeit denken. Ich war eine der besten Anwältinnen des Landes. Ich hatte mir einen Namen im Strafrecht gemacht und war dazu befugt Mandaten, denen eine Todesstrafe bevorstand zu vertreten. Und jetzt seht mich an, wo ich gelandet bin. Ich ackerte irgendwelche blöden Verträge durch, für die ich nicht mal hätte studieren müssen.

Bei dem Gedanken drehte sich mir der Magen um. Ich wurde unter Wert verkauft. Nebenbei musste ich auch noch mit dem Chef der Hölle auskommen. Chase Sullivan... Er sah aus wie ein junger Gott, aber seinen Charakter spiegelt wohl eher Medusas Aussehen wieder.

Ich stöhnte auf, als ich mich in die Kurve legte und zu Sullivan Enterprises fuhr. Ich wusste, dass Chase mich morgen zu Tode anmachen würde, weil ich nicht gerade wie das blühende Leben aussah und damit verbunden auch einen abwesenden Eindruck machen würde. Ein Zombie auf Speed wäre der richtige Vergleich. Ich wäre wach, mehr aber auch nicht. Also sollte ich jetzt noch so viel schaffen wie möglich, bis meine Reserven vollkommen verbraucht waren.

Ich parkte vor dem Eingang und ging ins Foyer. Als ich den Helm absetzte, lächelte ich dem Nachtwächter zu und trat in den Aufzug. So ein Drecksjob. Ich könnte nicht jede Nacht arbeiten.

"Ach, komm mir nicht so. Wann hast du das letzte Mal durchgeschlafen?", schimpfte ich mein Spiegelbild aus und legte mein Gesicht in die Hände. Mein Gehirn produzierte eine gequirlte Scheiße.

Oben angekommen, stieg ich aus und hörte Streitereien. Seltsam. Um diese Uhrzeit? Leise ging ich den Flur zu meinem Büro entlang und hörte eine Frauenstimme schreien:" Fick dich, Chase!"

Traurig lächelnd stemmte ich meinen Helm auf meine Hüfte und zog die Schlüsselkarte durch den Sensor an der Tür, als ich donnernde Schritte hörte.

Chase Sullivan behandelte Frauen, wie Spielzeuge. Keine emotionale Bindung war erwünscht, aber ausnutzen, das ging. Ich wollte nicht zu diesen Frauen gehören. Ich ließ mich nicht zum Ding abstufen. Und die anderen sollten das auch nicht mit sich machen lassen.

"Ach, was! Du bist also seine neue Bitch!", schrie mich plötzlich eine aufgeregte Frauenstimme an. Die Schminke der Blondine war total verschmiert und ihr dünner Körper bebte. Gott, die brach doch durch, wenn so ein großer Kerl, wie Chase sie durchnahm.

"Ich bin niemandes Bitch", stellte ich kühl klar und betrachtete ihre knochigen Hände, die sich unregelmäßig zu Fäusten ballten. Am liebsten hätte ich ihr ein Brot gegeben. Das war ja nicht mit anzusehen.

"Oh, Kleine. Ich weiß was du denkst. Du kannst ihn aber nicht ändern. Niemand kann das", zischte sie und ich rollte mit den Augen.

"Ich möchte ihn nicht ändern. Kann ich Ihnen sonst noch irgendwie helfen?", erwiderte ich so distanziert wie möglich. Ihre Augen wurden groß und sie griff mich wütend an den Oberarmen.

"So eine bist du also! Findest sein Verhalten in Ordnung. Du miese kleine Hure! Ich mache dir das Leben zur Hölle! Du Arschkriecherin!", schrie sie und ich ließ den Helm fallen. So nicht. Ich machte mich mit einem Ruck los und zerrte sie Richtung Fahrstuhl. Wahllos hämmerte ich auf die Tasten und schubste sie in die Kabine, als er angekommen war.

"Wenn Sie mir noch einmal drohen oder mich anfassen, dann verklage ich Sie, dass Ihnen Hören und Sehen vergeht! Ich nehme Ihnen alles! Nicht mal der Dreck unter Ihren Fingernägeln wird Ihnen noch bleiben!", sagte ich ruhig und stöhnte auf, als sich die Türen schlossen.

Ich hasste mein Leben. Ich rieb mir über die Stirn, als ich mich umdrehte und durch ein Räuspern aus meinen Gedanken gerissen wurde.

Chase stand an eine Wand gelehnt und lächelte schief. Arschloch.

"Danke", sagte er und ich ging wortlos am ihm vorbei. Er konnte mich mal da, wo die Sonne niemals hinscheint. "Ich habe mich bei dir bedankt, Meredith", schob er hinterher und ich hob meinen Helm auf. Arroganter, bestimmender Vollarsch.

"Da gibt es nichts zu danken. Nichts an dieser Situation kann mich stolz machen", erwiderte ich und betrat mein Büro.

"Aber-", setzte er an, doch ich schloss die Tür vor seiner Nase. Kein Aber.

Don't be so bossyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt