Auto

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Meredith

Ich öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, doch schloss ihn wieder. Was hätte ich auch beizutragen?
Chase wusste, dass ich kurz davor war die Beine in die Hand zu nehmen und zu verschwinden.
Und ich wusste, dass es ihn allerhand Überwindung gekostet haben musste, mich mit zu sich zu nehmen.
Vielleicht hätten wir doch lieber in ein Hotel fahren sollen.
Neutraler Grund und so.
Ich beobachtete wie Chase zu dem großen Sessel neben der Couch ging und sich galant hinsetzte. Wie er seinen großen Körper so elegant bewegen konnte, war mir schlichtweg ein Rätsel.

"Setz dich", forderte er und schlug die Beine übereinander. Er lehnte sich genervt zurück und legte die Unterarme auf die Armlehnen des Sessels. Genauso hatte Michael Corleone in Der Pate da gesessen hatte. Und Chase wirkte nicht minder eindrucksvoll. Besonders, weil er Al Pacino gute 30 Zentimeter entgegen zu setzen hatte.

"Ich stehe lieber", meinte ich abwinkend und kreuzte die Arme vor der Brust während ich mein Gewicht unsicher vom einen Bein auf das andere verlagerte.

"Setz dich", erwiderte er und ich zog genervt die Augenbrauen zusammen. Ich wusste, dass dieses Gespräch schwer werden würde, aber ich war kein Hund, den man rumkomandieren konnte.

"Ich stehe lieber", wiederholte ich mich jetzt etwas patzig und Chase stand laut seufzend auf. Er trat auf mich zu und imitierte meine Pose. Jetzt kam ich mir auf einmal doch albern vor. Warum musste ich unbedingt stehen?
Mit einem Plumpsen ließ ich mich auf das Sofa hinter mir fallen und Chase schüttelte nur genervt den Kopf, bevor er wieder zu seinem Sessel ging.

"Also, was jetzt?", fragte er mich und es fröstelte mich beim Ton seiner Stimme. Kalt, erbarmungslos, fremd. Wir saßen einander gegenüber als wären wir Fremde. Waren wir das geworden? Fremde? Hatten diese jämmerlichen 14 Monate ein Fundament eingerissen, das Jahre lang aufgebaut worden war?
Bei dem Gedanken zog sich meine Brust zusammen. Ein eiserner Griff legte sich um mein Herz und drückte, bis ich mich seltsam taub fühlte.

"Ich weiß nicht", erwiderte ich und Chase beugte sich laut seufzend vor. Er hatte die Ellenbogen auf die Oberschenkel gestützt und sah mich entnervt an. Ich kam mir vor wie ein Schulkind, das auch nach dem dritten Mal den Rechenweg noch immer nicht verstanden hatte und dem Lehrer so den letzten Nerv raubte.

"Wie, du weißt es nicht? Das hier war deine Idee", meinte er. Sein Blick fiel zuerst auf meine Handtasche, dann deutete er ebenfalls darauf. "Was ist mit deinem Brief? Ich werde ihn lesen und dann können wir wieder unserer Wege gehen."
Seine Worte rissen eine Kluft in meinem Herzen auf, die bei unserer Trennung entstanden und durch die Ablenkungen der letzten Monate notdürftig geflickt worden war. Es tat weh. Mein ganzer Körper schmerzte.

"Ich...", setzte ich an, als ich den Umschlag aus meiner Tasche zog und ihn nervös knetete. Chase beugte sich vor und entriss ihn mir. Dabei achtete er pingelig darauf, dass wir uns nicht berührten.

"Werde ich ihn lesen können oder brauche ich deiner Sauklaue wegen Randbemerkungen?", spottete er und öffnete den Umschlag.

"Also was das angeht-", begann ich erneut und stellte mit Entsetzen fest, dass er den Brief bereits geöffnet hatte. Er räusperte sich und schaute dann überrascht und verwirrt zwischen Papier und meinem angespannten Gesicht hin und her.

"Ist das dein Mietvertrag?", fragte er mich nach einigen Sekunden Stille. Ich atmete tief ein und brachte ein Nicken zustande. Chase hob skeptisch eine Augenbraue. "Warum halte ich deinen Mietvertrag in der Hand?" Seine Stimme klang seltsam monoton.

"Es könnte sein, dass ich eventuell, also unter Umständen, quasi nicht dazu gekommen bin den Brief zu schreiben", stammelte ich und sah das überteuerte Seminar zur richtigen Kommunikation aus dem Fenster segeln. Super Mer. Große Klasse.

"Du hast keinen Brief verfasst?", fragte er mich ungläubig und lachte dann bitter auf. Chase lehnte sich in seinem Sessel zurück, sein Kiefer malmte angespannt und er schaute grimmig an mir vorbei ins Leere.
Und ich? Ich fühlte mich schrecklich. Ich wusste nicht mal, was ich ihm sagen sollte. Also starrte ich ihn an und knetete meine Hände.
Bis Chase abrupt aufstand und mir den Umschlag über den Couchtisch entgegen schleuderte.
"Du solltest gehen", sagte er und vermied dabei meinen Blick. Ich stand auf und machte unsicher einen Schritt auf ihn zu. Das war meine Chance reinen Tisch zu machen.
Chase wandte sich von mir ab und ich ignorierte das Rauschen in meinen Ohren und mein pochendes Herz, das mir das Blut wie ein Presslufthammer durch den Körper pumpte. Angespannt ging ich an ihm vorbei und legte meine Hände an das große Panoramafenster, das den Blick auf den Sound freigab.

"Als meine Eltern starben war ich 18. Ich war frisch auf dem College, mein drittes Semester.
Ich kann mich noch genau an den Moment erinnern, als ich vom Tod meiner Eltern erfuhr. Ich saß in einem Coffeeshop und hatte mir fest in den Kopf gesetzt den Barista nach seiner Nummer zu fragen", begann ich und lachte trocken auf. Was tat ich hier nur? Mein Blick glitt über die blinkenden Lichter der Stadt. Chase gab keinen Laut von sich. "Ich hatte schon seit geraumer Zeit ein Auge auf ihn geworfen und ich glaube, dass er mich auch mochte, aber wir waren beide zu schüchtern.
Als er an meinem Tisch ankam und fragte, ob ich noch etwas nachbestellen wolle, ging die Tür zum Laden auf. Ich erinnere mich noch, wie sich mein Kopf zur Tür umdrehte. Bevor ich überhaupt den Eingang im Blick hatte, machte sich ein schreckliches Gefühl in meiner Magengegend heimisch. Ich wusste genau, dass es etwas schlimmes passiert war.
Und als ich Devlin in seinem Konzertoutfit sah, war mir klar, dass er schreckliche Nachrichten überbringen würde. Devlin ging nie in diesen Klamotten raus. Er trug sie nur auf der Bühne.
An den Rest kann ich mich nicht entsinnen, es ist verschwommen. Ich war in einer Art Trance, eine Schockstarre vielleicht.
Doch als Devlin mir vom Tod meiner Eltern erzählte, hatte ich schlagartig das Gefühl, Schuld an ihrem Tode zu sein.
Und willst du wissen wieso?"
Von Chase kam keine Antwort.
"Sie waren meinetwegen im Auto unterwegs."

Don't be so bossyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt