Zart 2

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Chase

Das nannte man Scheiße bauen. Und anscheinend war ich da wirklich gut drin. Ich stand noch immer wie angewurzelt da und starrte wie behindert auf die Haustür.

Ja, behindert sagt man nicht. Aber ich war auf jeden Fall übertrieben bescheuert.

Nun drehten sich meine Gedanken um Meredith. Vergessen war die Arbeit. Ich war schlecht in solchen Dingen, richtig schlecht. Ich hatte keine guten Erfahrungen damit gemacht nach einem Streit meiner Freundin hinterher zu rennen. Aber was, wenn Meredith genau das von mir erwartete?

Nein. Entschlossen schüttelte ich den Kopf. Ich war schließlich nicht der einzige Beteiligte, der sich falsch verhalten hatte. Wenn ich eines hasste, dann Menschen, die mich bloßstellten.

Ich setzte mich zurück an meinen Schreibtisch und klappte den Laptop auf. Die würde schon kommen. Meredith war hart im Nehmen, sie kam mit so einem Streit klar. Ich meine, so schlimm waren meine Worte ja nicht mal gewesen. Außerdem war sie das intelligenteste Wesen, das mir je untergekommen war. Sie wusste, dass ich es nicht so gemeint hatte. Das musste sie einfach wissen.

Und auch wenn wir erst zarte Bande geknüpft hatten, so fühlte es sich doch schon sicherer an, als die eine vergleichbare Beziehung vor ihr.

Nach drei Stunden hatte ich immer noch keinen Anruf von ihr erhalten und begann mir langsam Sorgen zu machen. Natürlich war Meredith sehr gut selbst in der Lage auf sich selber aufzupassen. Aber trotzdem...

Mein verdammtes Handy klingelte und ich griff nahezu panisch danach. Peinlicher Weise klopfte mir das Herz bis zum Hals und meine Ohren rauschten. Fuck, was war nur mit mir los?

"Meredith?", rief ich und hielt die Luft an.

"Nein, mein Freund. Hier ist deine Schwester", sagte Genevieve und ich ließ den Kopf hängen. Auf die hatte ich gerade mal absolut keine Lust. Ja, sie war meine Schwester. Ja, ich liebte sie. Aber ich hatte wirklich keinen Kopf für ihren Tadel.

"Können wir das auf Morgen verschieben?", meinte ich und sie schnaubte verächtlich. Okay, da hatte ich meine Antwort.

"Klar, wenn du mir sagen kannst, warum ich Meredith nicht erreichen kann." Ich horchte auf.

"Was?", fuhr ich Genevieve an und ich hörte, wie sie das Handy ans andere Ohr hielt.

"Wie bitte, heißt das Chase."

"Ach, komm mir nicht so!" Sie seufzte und schloss anscheinend die Tür zu ihrem Büro hinter sich. Langsam wurde ich ungehalten. "Genevieve?"

"Sie geht nicht an ihr Telefon. Egal mit welcher Nummer ich es versuche. Und weißt du, das Komische daran ist, dass sie immer an ihr Handy geht. Also frage ich dich jetzt nur noch einmal: Was für eine miese Nummer hast du mit ihr abgezogen?" Sie klang wütend und enttäuscht. Ja, eigentlich klang sie wie mein Dad. Dafür hätte sie einen Orden verdient.

"Das geht dich einen feuchten Furz an", erwiderte ich und sie atmete zischend ein.

"Hör auf dich wie ein verzogenes Kind zu benehmen und sag mir endlich die Wahrheit. Ich kann dir helfen, Chase", sagte sie und klang etwas weicher.

"Wie willst du mir denn helfen?"

"Ich unterhalte mich tatsächlich mit Meredith. Du allerdings, so habe ich das Gefühl, bevorzugst einen anderen Zeitvertreib mit ihr." So konnte es auch nur meine Schwester formulieren.

"Also schön", begann ich und erzählte ihr die ganze dreckige Geschichte. Natürlich nicht den Matratzensport, aber sonst alles. Als ich fertig war, atmete Genevieve wieder schwer. Oh oh.

"Du hast WAS zu ihr gesagt? Bist du von allen guten Geistern verlassen!" Ich seufzte. Ja, so was in der Art hatte ich erwartet.

"Hilfst du mir jetzt, oder nicht?", blaffte ich sie an und sie senkte die Stimme.

"Eigentlich hättest du es nicht verdient, aber wir hatten einen Deal. Ach, und vergiss die Blumen nicht. Einen fetten Blumenstrauß brauchst du mindestens", meinte sie und gab mir dann die Information die ich brauchte.

Meredith saß tatsächlich am Grab ihrer Eltern und starrte auf ihre Hände hinab. Ich sah, dass sie redete, aber ich konnte nicht verstehen, was sie sagte. Das war wahrscheinlich auch gut so. Dieses Gespräch, wenn es denn ein echtes Gespräch war, war persönlich. Es ging mich nichts an, auch wenn ich der festen Überzeugung war, dass sie über mich redete.

Langsam  kam ich näher und räusperte mich dann. Sie schaute auf und ihr geröteter Blick huschte über mein besorgtes Gesicht, dann zu dem Blumenstrauß in meiner Hand und landete schließlich wieder auf dem Grabstein ihrer Eltern.

"Was hast du hier verloren,", flüsterte sie und ich verlagerte unsicher mein Gewicht auf das andere Bein.

"Ich hab mir Sorgen gemacht", brachte ich hervor, doch sie lachte nur bitter und schaute mich immer noch nicht an. Vorsichtig ging ich neben ihr in die Hocke und legte die Blumen beiseite. Sie verspannte sich und ich nahm ihre Hände in meine. Obwohl es Sommer war, waren sie eiskalt. Wahrscheinlich weil sie schon so lange hier im Schatten saß und es langsam dunkel wurde.

Sie entriss mir ihre zarten Hände nicht, sondern strafte mich weiter mit Nichtachtung. "Meredith, es tut mir schrecklich leid", flüsterte ich und sie lachte erneut auf.

"Ach tatsächlich? Wer hat dir denn diesen Wortlaut vorgesagt?", meinte sie kühl und ich drückte ihre Hände.

"Es tut mir wirklich unfassbar leid. Es war nicht fair, so etwas zu dir zu sagen. Ich hatte kein Recht dazu und es war nicht die Wahrheit." Endlich sah sie zu mir hinunter und zog die Augenbrauen zusammen.

"Das stimmt, du hattest kein Recht dazu. Aber, wie sich eine große Familie anfühlt, das habe ich tatsächlich nie erlebt." Mein Herz verkrampfte sich.

"Oh, Baby", raunte ich und stand auf. Sie folgte meiner Bewegung mit den Augen und ich reichte ihr die Blumen. "Obwohl du nie eine große Familie hattest, hast du den Nagel auf den Kopf getroffen. Ich habe mich unmöglich verhalten. Es tut mir wirklich leid." Sie stand auf, musterte prüfend mein Gesicht und schlang dann die Arme um meine Taille. Ich drückte sie an mich und war nur froh, dass unsere zarte Beziehung noch nicht verloren war.

"Du bist ein Arschloch", murmelte sie und ich zupfte grinsend an einer ihrer blonden Strähnen.

"Manchmal."

Don't be so bossyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt