Egoistisch

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Chase

Meredith warf mir einen amüsierten Blick über die Schulter zu, ehe sie der Empfangsdame unsere Namen nannte. Es fiel mir schwer nicht wie ein Vollidiot zu lächeln. Außerdem konnte ich den Blick nicht von ihr abwenden. Mir fielen plötzlich diese ganzen kleinen Bewegungen auf, die sie machte. Ob sie sich nun eine Strähne hinters Ohr strich oder ihr Gewicht auf das andere Bein verlagerte. Alles wirkte so leicht und anmutig. Und sie war mein. Diese wunderschöne, selbstbewusste Frau gehörte zu mir. Fick dich, Schicksal. Diesmal versaust du mir mein Glück nicht.

"Chase", rief Meredith mich und hielt mir ihre Hand hin. Ich nahm sie und wir gingen zusammen zu Genevieves Tisch. Die ganze Familie war bereits versammelt, doch einer fehlte. An der Stirnseite des Tisches hatte man für ihn einen Platz freigehalten. Für Dad. Das war immer sein Platz gewesen und jetzt war er leer. Ich schluckte und Meredith drückte meine Hand fester. Sie hatte meine Anspannung anscheinend gefühlt.

"Hey, da seid ihr ja!", rief Kat und klopfte auf den Stuhl neben sich. "Hier, Meredith." Meine Schwester zog sie an der Hand auf den für Sie bestimmten Platz und ich setzte mich neben sie. Alle Blicke ruhten auf uns. Als hätten die noch nie eine Frau an meiner Seite gesehen.

"Also, ihr beide?", fragte meine Mum und ich warf ihr einen bösen Blick zu. Jetzt hatte ich wirklich keine Lust auf eine Befragungsrunde.

"Ja, Mum", antwortete ich kühl und wandte mich dann Genevieve zu. "Herzlichen Glückwunsch, Schwesterherz." Sie lächelte und Meredith reichte ihr unser Geschenk. Genevieve stellte es dankend zur Seite und faltete dann die Hände.

"Also los. Wann dürfen wir die Hochzeitsglocken läuten?", fragte sie und Meredith wurde bleich. Ich zog die Augenbrauen zusammen und schaute sie an. So eine Reaktion hatte ich nicht erwartet.

"Oh, von Heiraten kann keine Rede sein", sagte sie entschlossen und ließ den Wein in ihrem Glas kreisen. Das war mir ein wenig zu entschlossen um ehrlich zu sein.

"Unser Chase hier hat damit ja auch keine guten Erfahrungen gemacht", sinnierte meine Mutter vor sich hin und ich verschluckte mich prompt an meinem Wasser. Shit.

Meredith versteifte sich kurz, fand dann jedoch ihre Fassung wieder. Und mir wurde richtig übel.

"Ich glaube nicht, dass-", begann ich, doch Meredith unterbrach mich.

"Wissen Sie, wir alle haben eine Vergangenheit. Und in dieser Zeit ist nicht nur Gutes geschehen. Ich glaube allerdings, dass man in der Gegenwart leben sollte. Man kann die Zeit eh nicht zurückdrehen und Momente, mit denen man unzufrieden war, kann man nicht korrigieren", sagte sie und ich legte meine Hand auf ihre. Wieder spürte ich diese kurze Anspannung, doch die legte sich kurz darauf. Vielleicht hatte ich ja doch nicht verschissen.

In meiner Wohnung angekommen, kickte sie erstmal die Schuhe von den Füßen, ehe sie sich mir zuwandte. Ihr Gesichtsausdruck war nahezu undeutbar, doch je länger ich ihr Gesicht musterte, desto sicherer war ich mir, dass es etwas gab, das ihr auf der Seele lag. Und ich hatte das ungute Gefühl, dass es sich dabei um die Äußerung meiner Mum handelte.

"Also, du willst auf keinen Fall heiraten?", platzte es aus mir heraus und Meredith seufzte, während sie ihren Mantel über die Sofalehne schmiss.

"Nein, Chase", meinte sie simpel und ich zog die Augenbrauen zusammen.

"Tatsächlich?", fragte ich sie ironisch und Meredith ließ den Kopf hängen.

"Ich bin müde. Und hierfür habe ich jetzt wirklich keinen Nerv. Morgen muss ich zum Gericht. Da kann ich mir einen Schlafmangel nicht erlauben", stellte sie klar und ging auf mich zu. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und hauchte mir einen sanften Kuss auf die Lippen, ehe sie sich umdrehte und Richtung Bad verschwand.

Lange schaute ich ihr nach, bevor ich mich auf die Couch setzte und den Fernseher anschaltete. Unentschlossenen sprang ich von Sender zu Sender und blieb schließlich an einem Kriegsfilm hängen. Ich legte die Fernbedienung beiseite und streckte die Beine aus.

Mit einem spöttischen Lächeln auf den Lippen betrachtete ich die Rettungmission, die dort gerade durchgeführt wurde. Seltsam, wie Filme immer alles verdrehen und überspitzen. So, wie es dort gezeigt wurde, war es im Irak nie gewesen. Durch den Dreck war ich gekrochen, durchlöchert wie ein Schweizer Käse, in mitten der Leichen meiner Freunde.

Ich drehte die Lautstärke auf. An meine Zeit bei den Marines konnte ich jetzt nicht denken. Ohne Alkohol, ohne Frauen. Naja, meine Freundin schlief schließlich im Nebenzimmer, aber die war gerade eher nicht erreichbar für Sex.

Anscheinend war ich eingenickt, denn als ich aufwachte, stand Meredith mit nackten Beinen breitbeinig vor mir und hatte die Hände in die Hüften gestemmt. Sähe sie nicht so wütend aus, hätte ich sie hier und jetzt durchgenommen.

"Sag mal: Was verstehst du eigentlich nicht daran, dass ich morgen einen wichtigen Tag habe?", zischte sie und warf die Fernbedienung auf den Tisch.

"Ich weiß nicht, worauf du hinaus willst", antwortete ich ehrlich und Meredith lachte bitter auf.

"Nicht zu fassen. Nicht zu fassen, was du hier abziehst!"

"Baby, ich-"

"Oh nein! Du babyst mich nicht. Es ist unfair. Unfair und egoistisch. Ich meine, okay. Guck ruhig deine Filme, aber warum, warum muss der scheiß Fernseher voll aufgedreht sein!", rief sie und ich schluckte. Fuck. Ich wusste, dass sie immer total gereizt und nervös vor wichtigen Fällen war. Und ich hatte so ziemlich alles falsch gemacht.

"Es tut mir leid", murmelte ich und setzte mich auf. Ehrlich.

"Mir auch... Mir auch...", meinte sie, schüttelte resigniert mit dem Kopf und ging wieder ins Bett. Und ich machte mir wirklich Sorgen. Ich fühlte mich seit langem wohl in Gegenwart einer Frau. Ohne nur mit ihr schlafen zu wollen. Das wollte ich nicht verlieren. Das konnte ich nicht verlieren.

Vage nahm ich am nächsten Morgen war, wie Meredith durch die Wohnung lief und nach ihren Schlüsseln griff. Sie stoppte vor mir, seufzte und legte eine Decke über mich. Dann beugte sie sich runter und gab mir einen sanften Kuss auf die Lippen.

"Hab einen schönen Tag", flüsterte sie und ging dann. Ja, ich weiß, es ist scheiße so zu tun, als schlafe man, aber ich hatte irgendwie Angst vor ihrer Reaktion. Jetzt schlug mir das Herz bis zum Hals. Ich glaube, sie war die Richtige. So naiv es auch klingen mag. In diesem Moment hatte ich tatsächlich das Gefühl, dass sie zu mir gehörte.

Don't be so bossyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt