Marketing?

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Meredith

"Also, damit ich das richtig verstehe, braucht ihr Hilfe in Sachen Marketing?", fragte ich und biss mir auf die Unterlippe. Katherine hatte mich zu einem Treffen in ihrer Bar gerufen und ich war liebend gerne gekommen. Um ehrlich zu sein, brauchte ich etwas Abstand zu Chase. Ich fühlte mich seit einiger Zeit wie ein Vogel in einem goldenen Käfig. Ich konnte durch die Gitterstäbe blicken, die Sonne durch das Fenster erkennen und die frische Luft spüren, die durch die geöffnete Tür strömte. All diese Dinge waren nur einen Herzschlag entfernt. Und doch konnte ich sie nicht erreichen.
Die Wahrheit war, dass Chase klammerte. Unfassbar klammerte. Sullivan Enterprises war zu einem Überwachungsstaat mutiert. Und das eigentlich nicht auf mich, sondern auf seine Angestellten bezogen. Und das wiederum machte sich auch für mich bemerkbar. Seit unserer großen Offenbarung, wie ich den Streit an jenem Morgen nannte, schien er seine Unsicherheit auf die Firma zu übertragen. Aus dem Arschloch, das ich kennengelernt hatte, war ein noch größerer Arsch geworden. Ein Arsch an den ich nur abseits der Arbeit herankam.

"Genau! Wir kommen allein mit den Renovierungsarbeiten klar, aber wenn es um Werbung geht, fehlt mir einfach die Fantasie", sagte Katherine und schob ihre Unterlippe vor. Mir entfuhr ein kleines Lachen und sie schaute mich fragend an.

"Kat, du bist eine Künstlerin und deine Kunden sind deine Leinwand. Du bist der kreativste Mensch, den ich kenne", erklärte ich und sie rollte mit ihren blauen Augen. Augen, die genauso aussahen, wie die Augen ihres Bruders. Und über den wollte ich gerade überhaupt nicht nachdenken.

"Das ist etwas anderes. Hör zu: Wenn du vor Gericht bist, bist du die Ruhe in Person. Ich habe noch nie jemanden erlebt, der so gefasst auftreten kann. Aber wenn du dich mit Chase streitest, möchte ich mich am liebsten vor dir verstecken. Verstehst du?" Ich atmete tief ein. Ja, ich verstand sie. Sie konnte ihre Kreativität nicht erzwingen, ebenso wenig wie ich Chase ruhig gegenübertreten konnte,  wenn wir stritten. Ergab Sinn, auch wenn mir das total gegen den Strich ging.
Aber für Marketing war ich nicht die richtige Person. Ich konnte Verträge aufsetzen, Streitigkeiten klären und Kontakte herstellen, aber Werbung erstellen? Das überstieg auch meine Kompetenzen. Wen kannte ich, der zu Kat passte? Wir bräuchten jemanden, der stark und unabhängig war, modern und doch geordnet. Alle Menschen, die ich kannte waren entweder zu wild oder zu zahm. Bis auf eine Person, die wahrscheinlich nicht in Frage kam. Schließlich war sie mit Katherine verwandt, sie hatte diese Möglichkeit bestimmt längst ausgetestet. Trotzdem, fragen kostete nichts.

"Was ist mit deiner Cousine? Addison? Hat sie nicht eine Marketingagentur?", fragte ich Kat und sie japste nach Luft. Da hatte ich wohl ins Schwarze getroffen.

"Ich...Oh Gott! Ich hatte sie total vergessen. Wehe du sagst ihr das. Mist! Sie ist perfekt für den Job. Perfekt, Meredith! Ihre Agentur befasst sich mit Werbekampagnen und mit dem Image von bekannten Persönlichkeiten. Das ist ein Volltreffer. Ich danke dir!", rief sie und schlang überschwänglich die Arme um meinen Hals. Ich lachte und fühlte mich auf die Sekunde genau besser. Es war schon witzig, wie aus mir, der Einzelgängerin  in so wenigen Monaten ein Familienmensch werden konnte. "Meinst du, ich soll sie jetzt gleich anrufen?" Ich horchte auf und rührte mit dem Strohhalm das Eis in meinem Eistee um.

"Sie ist deine Cousine, Kat. Das musst du doch wissen", erwiderte ich und grinste schief. Die Sullivans waren eine seltsame Bande. Sie konnten nicht ohne und auch nicht miteinander. Ich kam da manchmal nicht so richtig mit. Als Mensch, der praktisch ohne Familie aufgewachsen war, hatte ich so meine Probleme. 

"Du kennst sie doch? Hat Chase sie nicht mal zum Grillen eingeladen?", fragte Kat mich und ich lehnte mich zurück. Es wunderte mich, dass sie sich so dagegen sträubte, ihre Cousine anzurufen. Noch vor wenigen Minuten war sie hin und weg gewesen. 

"Ich kann für dich da anrufen, Kat. Aber nur, wenn du mir sagst, was dein Problem ist", meinte ich neugierig und Katherine kratzte sich an ihrer tätowierten Schulter. Ein unglaubliches Zusammenspiel aus den verschiedensten Mustern erstreckte sich dort und ich konnte mich gar nicht daran sattsehen, so realistisch wirkten sie.

"Devlin Cross hat nicht den besten Ruf", begann sie und ich lachte trocken auf.

"Was du nicht sagst." Sie biss sich auf die Unterlippe und starrte auf ihre Hände. Hände, die in ihrem Leben schon so vieles erreicht hatten.

"Ich mag verrückt sein, aber nicht so verrückt. Addison ist taff, aber auf ihre Art auch verklemmt. Vielleicht sollte ich nicht gerade sie auf ihn ansetzen." Ich hob beide Hände und legte den Kopf schief.

"Ich dachte, du brauchst nur eine Werbekampagne für dein neues Studio?", hakte ich verwundert nach. "Wo ist da das Problem?" Katherine seufzte und erzählte mir von Devlins Partys, seiner Plattenfirma und dem Knebelvertrag, der auf Devs breiten Schultern lastete. Wie es aussah, konnte er neue Gigs nur noch annehmen, wenn dafür gesorgt wurde, dass er sich benahm. Und die Band Cross war nicht gerade dafür bekannt. Er vögelte alles, das nicht bei drei auf den Bäumen war und nahm mit einer perversen Vorliebe Hotelzimmer auseinander. Ich war überzeugt davon, dass er mit einer Frau an seiner Seite ruhiger werden würde. Nur diese Frau musste erstmal auftauchen. Also brauchte Kat einen Aufpasser und dieser Aufpasser wäre Addison. Ich würde meine Cousine auch nicht auf Devlin ansetzen wollen. Entweder brächte er sie zum Heulen oder aber setzte ihre Unterhose mit einem Blick in Flammen. Keine gute Ausgangslage.

"Wieso schickt sie denn keinen Kerl?", fragte ich und Katherine seufzte herzzerreißend auf. Anscheinend war auch das nicht möglich.

"Sie ist die beste. Weißt du noch Jackson Borden? Der Baseballer?" Ich nickte und Kat fuhr fort. "Sie hat ihm damals den Arsch gerettet. Ohne ihn hätte er seinen Vertrag verloren, sein Geld und seinen Ruhm. Sie ist die beste, aber mit der Verbindung unserer Familien? Ich weiß, nicht wie sich das auf uns auswirkt", erklärte sie sich und ich nickte.

"Ruf sie an, erklär ihr das. Und wenn sie ja sagt, dann vertrau ihr. Ich werde nicht zum Problem. Versprochen", meinte ich und Kat ließ ihren Kopf auf die kühle Tischplatte sinken.

"Du bist meine geringste Sorge. Aber deine andere Hälfte ist eine andere Nummer..."

Don't be so bossyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt