Kapitel 5

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Wir traten wieder auf die Straße und ich musste schmunzeln. Irgendwie hatte ich ihn doch wohl etwas aus dem Konzept gebracht. Ein kleines Gefühl von Triumph blieb. Und natürlich konnte man mit der Brille nicht unter die Kleidung sehen. Obwohl? Vielleicht gab es dazu ein Feature, dass man installieren konnte? Wie gut, dass es in den Grundeinstellungen nicht vorhanden war. Das würde ich gar nicht sehen wollen.

Die Jagd war noch immer nicht zu Ende. Überall waren graue Menschen mit den komischen Brillen unterwegs. Unter ihnen jetzt auch eine mit pinkem Kostüm bekleidete Doctoress und ein in Blue Jeans und weißem Shirt gekleideter Assistent namens Marcus. Pokemon startete automatisch. Ein Tutorial lief ab, das ich mit Bravour bestand und mich zu Level 5 katapultierte. Wie auch auf dem Handyspiel gab es überall kleine süße Pokemons an beliebigen Stellen zu fangen. Diverse Ratzfratz und Taubsis, Wiesors und Schmerben kreutzten unseren Weg und wurden eingefangen.

In die Menge kam wieder Bewegung in eine eindeutige Richtung. Auch diesmal schlossen wir uns dem Strom an und landeten wieder bei einem dieser ominösen Gullydeckel, der sich als Arena darstellte. An diesem konnte man neue hilfreiche Gegenstände durch „Drehen" ergattern. Tränke, Upgradematerial, Pokebälle. In diesen Arenen fanden auch Kämpfe statt, bei denen man neben reichlich XP auch besondere Pokemons abstauben konnte. Desweiteren war es möglich die Arenen zu besetzen und gegen andere zu verteidigen, was sich in dieser Version von Pokemon in barer Münze auszahlen sollte.

Marcus und mich überkam ein kleiner Hype. Recht schnell stiegen unsere XP und brachten uns Level für Level höher. Unser Belohnungszentrum wurde stark stimuliert und wir konnten einfach nicht aufhören. Brüteten beim kilometerlangen hin und her laufen Eier aus. Schlossen Freundschaften, vergaßen das Essen und Trinken, sowie den Schlaf. Das Spiel hatte uns in seiner Gewalt und da wir nicht ans Arbeiten gebunden waren, zockten wir durch... bis.

„Oh mein Gott, meine Füße bringen mich um!" Ich zog die Brille ab und pflanzte mein Hinterteil auf den Bürgersteig. Es ging gar nichts mehr. Weder vor noch zurück, weder hoch noch runter. Neben mir „plumpste" Marcus zu Boden.

„Du sagst es. Wie spät haben wir es?" Er blickte auf seine Smartwatch. Im Display der Brille waren Datum und Uhrzeit auch zu sehen, aber wir hatten es natürlich ignoriert. „Moment. Wir haben zwei Tage durchgespielt?" Er sah zu mir herüber. Sanft glitt sein Blick über meine Visage. „Ja, wir haben zwei Tage durchgespielt. Man siehst du fertig aus!" Jetzt sah ich ihn auch an. Seine sonst so schönen großen blauen Augen sahen aus wie klitzekleine Schweineäuglein nachdem Saufen einer 6er Kiste Rotwein. Bartstoppeln zierten seine Wangen und würden sicherlich gut auf der Haut....lassen wir das. „Du solltest ihn wachsen lassen, den Bart", bemerkte ich. Seine Hand wanderte in sein Gesicht. „Hm, wenn du meinst. Der könnte gut kratzen auf der deiner...Lassen wir das."

„Wir müssen in die Tardis." Ich schnüffelte an mir. „Ich brauch ne Dusche und ne Mütze voll Schlaf." Just als ich begann in meinem Shopper nach der Funkfernbedienung zu angeln, fiel ein bedrohlicher Schatten auf uns.

„Garde. Sie wissen, dass sie nicht gesetzmäßig gekleidet sind? Sie wissen, dass man nicht auf dem Bürgersteig sitzen darf? Sie wissen, dass man nicht durchspielen darf um sich einen Vorteil zu verschaffen?"

Zwei graue Männer standen vor uns und sahen uns verächtlich an. Ich kam mir vor wie ein Schwerverbrecher.

„Entschuldigen sie bitte, wir sind Touristen. Wir wussten das nicht", versuchte ich zu erklären.

„Das ist uns vollkommen egal. Sie kommen mit zur Wache. Dort wird über ihre Strafe entschieden." Grob packten die zwei uns und eskortierten uns vier Straßen weiter bis zur Polizeiwache.

Mein Shopper inklusive Schallschrauber, Marcus Smartwatch und unsere Brillen wurden uns abgenommen. Sodann wurden wir in eine Arrestzelle gesperrt. Unser Meutern machte die Sache nicht gerade besser. An den Gitterstäben hängend, starrte ich dem Beamten hinterher. Außer uns war hier niemand. Marcus legte sich auf die Pritsche.

„Kannst du jetzt schlafen?", fragte ich ihn entnervt.

„Ich versuchs. Wenn wir verhört werden und müde sind, könnte es vielleicht in die Hose gehen..." Er drehte sich mit dem Gesicht zur Wand. „Wir brauchen einen klaren Kopf später. Schlaf du auch."

Ich sah mich in der kleinen Zelle um. Abgetrennt gab es ein Klo und ein Waschbecken. Pritsche gab es nur eine. Verdammt! Der Boden war nicht der sauberste. Was soll's. Ich hatte keine andere Wahl. Meine Chucks quietschten, als ich mich mit dem Rücken an der Wand hinunter ließ. Schon gleich sackte mein Kopf auf die Brust und ich war weg.

Schlüsselgeklapper weckte uns. Die beiden grauen Männer holten uns aus der Zelle und brachten uns in einen kargen, grauen Verhörraum.

Wir wurden auf zwei Klappstühlen postiert.

„Sie wissen, was ihnen vorgeworfen wird?", fragte der eine.

„Ja", maulte ich. „Falsche Kleidung, Sitzen auf dem Bürgersteig und Dauerspielen."

„So ist es. Ihre Ausweisdokumente sind auch nicht gültig. Bis wir das abgeklärt haben, werden sie hier bleiben. Es sollte nicht länger als 24 Stunden dauern", informierte uns einer der Männer, die nicht wirklich auseinander zu halten waren. Ich seufzte lautstark.

„Das nützt ihnen auch nichts", sagte der andere. „Wir holen gleich unsere Vorgesetzte. Sie hat noch ein paar Fragen." Die beiden Herren verließen den Raum. Sekunden, Minuten vergingen, bis sich endlich die Tür wieder öffnete und Miss Japan im Raum stand.

„Sie?!", fragte sie entsetzt.

„Sie?!", äußerten wir entsetzt.

„Hätte ich mir ja denken können", knurrte sie und setzte sich. „Also, dann verklickern sie mir doch mal, wo sie herkommen. Ihre Papiere, mit denen stimmt was nicht. Ich lese jedes mal einen anderen Namen darauf." Ihr Blick war grimmig. Sie zu besänftigen war eine harte Nummer. Ich hoffte auf Marcus Charme.

„Also, versuchen wir es am besten mir der Wahrheit", säuselte er, währender ihr tief in die Augen sah und seinen Kopf auf die verschränkten Finger der angewinkelten Arme stützte. „Hier neben mir sitzt die Doctoress und ich bin ihr Assistent. Wir sind hier, um einen Fall aufzuklären, der mit Pokemon zu tun hat." Er bluffte, aber er tat es ausgezeichnet. Sie sah interessiert aus, was sicherlich zum Teil an seinem eindringlichen Blick lag, der mehr verhieß, als er ihr geben würde.

„So ist das? Sie sind von der Regierung? Undercover unterwegs?", hakte sie nach.

Er seufzte theatralisch: „Ihnen kann man aber auch nichts verheimlichen oder?"

Ihre Hand knallte auf den Tisch. „Sie glauben wohl, mit ihrem Augengeklimper alles erreichen zu können oder? Nicht mit mir Freundchen. Ich mache meinen Job nicht erst seit gestern." Sie sprang energisch auf und lief umher. „Sie sind doch bestimmt diese Wissenschaftler, von denen hier alle munkeln..."

„Ich glaube kaum, dass hier von uns gemunkelt wird. Und überhaupt. Sie dürften ruhig etwas freundlicher zu uns sein", schritt ich ein, um ihr eine Grenze aufzuzeigen. Seit wann war Sitzen auf dem Bürgersteig ein Schwerverbrechen?

Ihre Augen blitzen: „Ja, da haben sie vielleicht recht. Sowas wie sie will ich hier gar nicht haben. Verschwinden sie, aber sofort und vergessen sie nicht ihren ganzen Krempel mitzunehmen", schnarrte sie uns äußerst unfreundlich an, zwinkerte aber mit dem Auge. Sie geleitete uns nach draußen und wisperte mir zu. „Kleiner Dank für die Brille, darf aber niemand wissen." Ihre Hand glitt in die Tasche meiner Kostümjacke. „Meine Adresse. Gehen sie bitte direkt dorthin."

An die beiden grauen Männer gewandt sagte sie: „Verwechslung. Die Beiden haben hier nichts zu suchen. Diplomaten-Status."

„Jawohl, Commander!", salutierten die beiden Herren und wir konnten die Wache schon bald verlassen.

The Doctoress - Go! (9)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt