Kapitel 10

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Die Datumsanzeige zeigte uns zwei Tage später an. Die Tardis war immer noch auf dem Dach geparkt. Wir verließen sie, um die Umgebung zu inspizieren.

Das Gebäude, auf dem wir standen, war immer noch leer. Die Straßen – wie leer gefegt. Das Cafe geschlossen. Es war totenstill. Wir klingelten an mehreren Häusern, niemand öffnete. Was zur Hölle war hier passiert? Wo waren die ganzen Menschen?

Miyu wollte zum Revier, also gingen wir und dort war ebenfalls niemand. Nicht mal der Strom funktionierte.

„Gut. Ich denke, wir sind zu spät. Wir müssen wieder ein Stück zurück", dachte ich laut und die anderen beiden stimmten zu.

Auf dem Weg zurück zur Tardis hielt uns Miyu schließlich zurück, weil sie etwas gehört hatte. In einer schmalen Gasse hinter einem Container schien jemand zu schluchzen. Miyu deutete uns an zurück zu bleiben und kam wenig später, nach gutem Zureden mit einem achtjährigen Jungen, der Miltank hieß und in das Hunde-Kuh ähnliche pinke Kostüm ebenjenes Pokemon gekleidet war, wieder zu uns.

Ihn hier auf der Straße zu verhör... befragen, hatte keinen Sinn. Der kleine brauchte Sicherheit, etwas zu Essen und musste erst zu uns Vertrauen schöpfen. Wir beschlossen, Miyus Wohnung aufzusuchen.

Dort angelangt wurde der Kleine erstmal mit Milch und Keksen gefüttert und begann langsam wieder zu sich zu kommen.

„Miltank, sag mal. Was ist denn genau passiert, hm?", fragte Miyu ihn liebevoll und strich ihm das verschwitzte Haar aus der Stirn.

„Da, da war ein Elektrobal und das hat alle gefressen." Blicke wurden gewechselt. Sicherlich hatten die kindliche Fantasie und der Pokemon-Hype, der in dieser Zeit vorhielt, einen großen Einfluss auf diese Aussage.

„Ein Elektrobal? Du meinst das Pokemon? Diese runde Kugel mit Augen?" Miyu gab sich interessiert.

„Ja, der ist durch die Straßen, hat böse gegrinst und die Leute gejagt. Ich hab mich versteckt." Die Augen des Jungen waren vor Angst geweitet. Irgendetwas musste tatsächlich dran sein an der Story. „Wo sind Mama und Papa?", fragte er Miyu mit feuchten Augen.

„Die finden wir. Schließlich bin ich bei der Polizei." Sie kramte in ihrer Hosentasche nach einem Abzeichen. Der Junge war beeindruckt.

„Sag mal, Miltank. Weißt du noch, wann das war, dass der Elektrobal durch die Straßen gerollt ist?"

Der Junge dachte angestrengt nach. „Nein. Weiß ich nicht."

„War denn Nacht zwischendurch?", hakte Miyu vorsichtig nach.

Jetzt nickte er. „Ja, ich habe geschlafen."

Die Sache war klar. In der Hoffnung nun endlich den richtigen Zeitpunkt zu erwischen, in dem – was auch immer – passiert war, gingen wir zur Tardis zurück, den Jungen im „Gepäck".

Als wir diesmal die Tardis verließen, war alles und jeder auf der Straße. Wir platzierten uns auf einem Dach, außer Sichtweite für neugierige Augen, aber mit gutem Aussichtspunkt. Laute Musik spielte. Es herrschte Partystimmung. Die Zutrittspunkte für den intergalaktischen Zirkus waren hoffnungslos überrannt. Menschenleiber zwängten sich wie die Ölsardinen darum herum. Über den Gullydeckeln prangte das Logo des Zirkus als Hologramm und verkündete: „Magie, Mystik, Abenteuer und nie Gesehenes." Die Sicherheitsbeamte konnten keine Ordnung ins Chaos bringen, sie waren hoffnungslos überfordert.

„Oh, mein Gott. Dafür, dass alles so perfekt geplant war, sieht es hier ja aus...", seufzte Miyu und schüttelte den Kopf.

„Das Verhalten von Menschen kann man wohl nie planen." Marcus legte ihr sanft die Hand auf die Schulter. Wir beobachteten das Geschehen eine Weile aus sicherer Entfernung. Eine Person trat auf den Deckel, ein Scanner erfasste sie und ihre digitale Eintrittskarte und via Transportertrahl ging es hoch zum Schiff und das in einer rasenden Geschwindigkeit. Miltank stand an meiner Seite und klammerte sich an mich. „Sind Mama und Papa da auch?", fragte er.

„Bestimmt", antwortete ich dem kleinen Mann selbst und sah ihn aufmunternd an. „Wir bringen dich zu ihnen. Da kannst du dir sicher sein." Meine Hand fuhr ihm durch die kurzen, schwarzen Haare.

Nach und nach leerte sich das Chaos auf den Straßen. Zum Glück ohne Tote und Verletzte. Ein paar Menschen – wahrscheinlich welche, deren Level nicht hoch genug war – waren noch auf den Straßen zu finden und spielten Pokemon. Mittlerweile war es schon am Dämmern. Die Stille in dieser großen Stadt war unheimlich und als jetzt langsam aber sicher die Nacht hereinbrach, zeichneten sich auf allen angemieteten Gullydeckeln des Zirkus im Dunkeln deutlich die Transporterstrahlen ab. Allerdings brachten sie niemanden nach oben, sondern etwas herunter.

Mit einem lauten Knirschen schlug die Hülle eines Voltobal auf dem Gullydeckel auf. Seine rollende Bewegung auf dem Asphalt der Straße verursachte das überdimensionierte Geräusch einer rollenden Bowlingkugel, gepaart mit dem mechanischen Zirpen einer Grille, das von wiederkehrenden Stromstößen stammte. Das Voltobal war riesig. Auf seinem Weg durch die Straßen traf es auf einen Passanten. Es hielt an, sein fies grinsendes Gesicht zeigte sich und, während seine Augen böse funkelten, öffnete sich sein Mund und verschlang den Menschen.

Miltank schrie auf, als er das sah. Er presste sein Gesicht an meine Seite und weinte bitterlich. Das Kind war traumatisiert. Wahrscheinlich hatte er das auch bei seinen Eltern gesehen. Ich ging in die Knie und umarmte den weinenden Jungen. „Miltank? Es ist gut, dass du weinst. Lass deinen Schmerz raus. Ich verspreche dir, dass wir deine Eltern finden werden. Du wirst deine Mama und deinen Papa bald wieder umarmen können." „Wirklich?", schniefte er. „Ja, wirklich. Aber ich möchte auch, dass deine Eltern dich wieder in die Arme schließen können und damit dir nichts zustößt, möchte ich, dass du mit Marcus in das Raumschiff gehst und dort bleibst. So wissen wir, wo du bist, und können dich dort auch wiederfinden, verstehst du?" „Jaha."

Ich entliess Marcus mit dem Jungen. Er würde ihn leider einsperren müssen, damit er keinen Schaden an der Tardis anrichten konnte. Aber es ging nicht anders. sein Schicksal rührte mein Herz und hätte ich Zeit meinen Gefühlen nachzugehen, hätte ich mich nicht von dem kleinen Jungen trennen wollen, sondern ihn nur in den Armen halten und ihm Trost spenden.

„Miyu? Bereit für Nahkampf?", fragte ich sie und sah ihr verschwörerisch in die Augen. In dieser Situation mussten wir an einem Strang ziehen und uns aufeinander verlassen können. Noch eine Sache, die nicht anders ging.

The Doctoress - Go! (9)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt