Kapitel 2

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Ich öffnete die Tür der Tardis äußerst schwungvoll, in freudiger Erwartung. Doch was ich sah, waren Bäume, Bäume, Bäume, Bäume. Wie enttäuschend! Ich hatte einen dieser legendären Schreine erwartet oder ein paar enge Straßenschluchten mit Gar-Küchen oder... Auf jeden Fall keine Bäume.

Ich blickte mich um und trat heraus. Marcus folgte mir in ein paar Schritten Entfernung und untersuchte seine Smartwatch.

„Wir sind hier offensichtlich im Nara-Park. Eine Touristenhochburg. Mit vielen Schreinen und dem Wahrzeichen der Stadt: Sikahirsche." Er blickte von seiner Smartwatch auf und betrachtete die Umgebung. „Schau es hat hier auch Kirschbäume." Er kicherte. „Sind aber keine Mettbällchen dran." Ach ja, Erinnerungen an meine Einhörner keimten auf. Ein Besuch bei ihnen war schon längst überfällig. Aber tatsächlich waren einige Kirschbäume zu erblicken, die in voller Blüte standen. Ein wohliges Gefühl stieg in mir auf.

„Komm, lass uns ein wenig spazieren gehen", lud ich Marcus auf einen kleinen Gang ein, nicht wissend was uns noch begegnen würde.

In der Nähe unseres Parkplatzes befand sich ein See über den eine malerische Holzbrücke führte. Dort stand der Ukimido-Pavillon. Traumhaft schön anzusehen, besonders in der Abenddämmerung, die gerade vorherrschte. Sofort verfiel ich in eine krass romantische Stimmung und musste mich zusammen reißen, mir diese nicht anmerken zu lassen. Meine Hand machte so komische Zuckungen in Richtung seiner Hand, als wir über die Brücke schlenderten. „Was wird das?", fragte er wissend und grinste dieses überlegene Grinsen, bei dem ich dahin schmolz wie ein Gummibär in der 80 Grad-Sauna. „Öhm, öhm....nichts?!" Er blieb stehen und wohl oder übel musste ich ihn ansehen. „Warum kannst du deinen Gefühlen nicht einfach mal freien Lauf lassen? Dein Herz weiß schon ganz genau, was es möchte und du ignorierst es so." Er blickte so mitleidig drein, dass mir beinahe die Tränen kamen, aber zum Glück nur beinahe. Dafür brachte ich kein Wort heraus, er hatte ja Recht. Nur hielt ich es einfach für unangebracht und unvernünftig. Er bemerkte mein Stirnrunzeln und sein Blick wurde sanft. „Du bringst mich noch um den Verstand. Wie kann man nur so sein wie du – und das meine ich NUR und AUSSCHLIEßLICH positiv." Er schnaubte. „Und du merkst es noch nicht einmal." Er strich mir eine Haarsträhne hinter das Ohr und schnappte sich meine Hand. „Komm lass uns weiter gehen."

Ich dachte und dachte nicht. Kein klarer Gedanke wollte sich fassen lassen. Meine Augen nahmen die Umgebung gar nicht wahr und hasteten von einem Punkt auf dem Boden zum anderen. Was für ein Schmerz in meiner Brust. War es die linke oder die rechte Seite? Es war das zweite Herz, das auf der rechten Seite, das sich aufbäumte. Was wollte es mir sagen? Iss weniger Fast Food? Oh, nein. Da machte sich etwas ganz anderes breit. Und es machte mir Angst.

Padauz, da war es dann doch passiert. Ich flog über die offenen Schnürsenkel meiner Chucks, auf die ich trotz Kimono nicht verzichtet hatte. Verflucht! Dass aber auch immer mir solche Sachen passieren mussten! So ist das halt, wenn man mit seinen Gedanken woanders ist. Nun saß ich da wie ein nasser Sack auf der Brücke, während die Sonne unterging und sich im See spiegelte. Marcus bückte sich zu mir herunter. „Du wirst das nicht mehr lange unterdrücken können. Es bringt deine Konzentration durcheinander, Liebes", flötete er. „Was du nicht sagst", schnaufte ich und sah ihn mit einem verzweifelten Blick aus großen Augen an. Er rieb sich fahrig mit der Hand durch das Gesicht und nuschelte: „Oh, mein Gott. Du bringst mich wirklich noch um, Mädchen." Er reichte mir seine Hand und zog mich hoch in seine Arme, umschloss mich fest an seine Brust gedrückt mit diesen, während er seufzend ausatmete. „Versprich mir, dass, was immer dein Herz gedenkt zu tun oder nicht, wir immer zusammenbleiben und sei es als Doctoress und ihr Assistent. Ich will deine Gesellschaft nicht missen, um keinen Preis der Welt."

„Das kann ich dir versprechen sofern es an mir liegt, wenigstens das", brabbelte ich.

Ein Geräusch zog unsere Aufmerksamkeit auf sich. Das leise, rhythmische Trappeln von Hufen auf Holz verriet die sechs Hirsche, die den See über die Brücke überquerten. Drei erwachsene Tiere, zwei halbwüchsige und ein Baby trabten an uns vorüber und beinahe war mir, als ob sie uns zuzwinkerten und sich vor uns verneigten.

Es waren kaum noch Menschen im Park. Lediglich ein paar Fotografen mit immenser Ausrüstung versuchten ein paar coole Bilder zu machen.

Da es zunehmend dunkel wurde, beschlossen wir, zur Tardis zurückzukehren und verloren kein weiteres Wort über die gerade erlebte Situation. Doch unsere Hände sprachen eine andere Sprache, eine eindeutige. Sie suchten sich, sie fanden sich und sie hielten sich fest.

Er hielt mir die Tür auf, ich kochte einen starken Minz-Tee und wir hockten uns im Kaminzimmer auf die Sitzmöbel.

„Marcus?", fragte ich leise.

„Hmm?"Er sah mich an.

„Als ich dir das Blut abgenommen habe. Da..." Ich sah ihn aufmerksam an.„Da war Glimmer, grüner Glimmer. Und ich frage mich, was...wer du bist."

Er seufzte tief und straffte seinen Oberkörper. „Gut, vielleicht ist es besser, wenn ich es dir erzähle. Vielleicht kann es dir auch bei deiner Entscheidung helfen, wie wir beide weiterhin miteinander umgehen wollen." Er stand auf. „Also, meine Geschichte ist nicht so einfach zu erzählen. Ich muss etwas weiter ausholen. Ich habe natürlich eine Mutter und einen Vater. Meine Mutter war eine wunderschöne, schwarzhaarige Frau mit blauen Augen, hochgewachsen und schlank wie eine junge Birke. Mein Aussehen habe ich wohl zum großen Teil von ihr. Sie war eine Erdenbewohnerin." Er machte eine kurze aber sehr dramatisch wirkende Pause. Das einzige, was er damit erreichte, war, dass meine Neugier ins unermessliche wuchs. Gebannt wie ein kleines Mädchen, das einer spannenden Geschichte lauschte, die ihr Großvater ihr vorlas, hang ich an seinen Lippen. „Allerdings lebte sie schon im 3. Jahrhundert v. Chr. in Alba, dem heutigen Schottland."

Jetzt konnte ich nicht anders als ihn zu unterbrechen: „Moment, Moment. Deine Mutter lebte im 3. Jahrhundert v. Chr.? Das heißt..." Ich zählte an meinen Fingern ab und verzählte mich glatt. „Das heißt, du bist wie alt?" Ich sah ihn stirnrunzelnd an.

„Alt. Älter als du. Ne ganze Ecke", brachte er trocken rüber.

„Ja, das sehe ich aber auch so. Und was sagtest du? Alba, Schottland? Dann war sie eine Keltin?"

„Ja, sie war eine Keltin." Seine Stimme klang nun etwas bedrückt. „Aber das ist schon lange her. Sehr lange." Er schlenderte umher und trank Tee. „Sie ist gestorben als ich 19 war. Mit 19 wusste ich noch gar nichts. Nicht, was mit mir los war, nicht, wer mein Vater war. Nichts." Er setzte sich wieder. Diesmal neben mich, seine Tasse in beiden Händen. Er hielt sie so fest, dass sich seine Fingerknöchel weiß abzeichneten. Wahrscheinlich wollte er damit seine Gefühle verbergen. Doch seine Augen sprachen Bände. Zu schmerzlich war die Erinnerung an die Vergangenheit. Ehe ich mich versah, hatte ich meine Hand auf seinen Oberschenkel gelegt und tätschelte diesen tröstend, um sie dann wiederum schnell wegzuziehen. Die Stille und der Schmerz hüllten uns ein, woben ein Nebeltuch um unsere Gedanken und... die Tardis erbebte.

Dann startete sie und wir wurden aus unserer Lethargie gerissen.

„Nicht schon wieder!", stöhnte ich und sah Marcus innig an. „Können wir dieses Gespräch bei Gelegenheit fortsetzen?"

„Wir müssen, Kleines. Sonst holt uns vielleicht die Vergangenheit schneller ein, als wir unsere gemeinsame Zukunft erleben." Er stellte die Tasse auf einem Tischchen ab und wir eilten in den Konsolenraum.

The Doctoress - Go! (9)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt