Kapitel 1

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Kapitel 1


Hiral


Den Ort wieder zu betreten, den ich vor so vielen Jahren verlassen hatte, war der traurigste Tag meines Lebens. So viele Erinnerungen wurden wieder wach, die ich am liebsten Tief vergraben lassen wollte.

Doch da waren auch die Erinnerungen, die zwar etwas verschwommen waren aber mich an einige sehr schönen Momente meines Lebens erinnerten. Vor allem wurde die Erinnerung an die eine Person wieder wach, für die ich alles getan habe und immer noch tun würde.

Sie war für mich da, als ich niemanden hatte und ist mit mir durch dick und dünn gegangen. Meine Schwester, die nicht blutsverwandt aber trotzdem einen großen Teil meines Herzens besaß.

Wir waren so jung und naiv. So voller Hoffnung und Vertrauen in diese grausame Welt, die uns eine harte Lebenslektion erteilte.

Ich war nicht älter als sechs Jahre, als mein Vater mich auf dem Bahnhof Mumbais zurückgelassen hatte. Dieser Tag veränderte mein Leben von Grund auf und zwar nicht im positiven Sinne. Ich weiß nicht ob es beabsichtigt hatte mich am Bahnhof zurückzulassen oder ob alles eine spontane Aktion war. Für mich war eins sicher, aus den Augen hatte er mich sicherlich nicht verloren. Schließlich hatte ich mehrere Tage an derselben Stelle gewartet, an der er mich zurückgelassen hatte. Wenn ein Vater zu seinem Kind sagt, dass er bald wiederkommen würde, dann glaubt man seinen Worten. Dies hatte auch ich getan und wurde bitter von ihm enttäuscht.

Trotzdem und obwohl mein Urvertrauen in ihn erschüttert war, ich hoffte und wartete auf ihn. Sobald irgendjemand sich auf dem Bahnhof bewegte der ihm ähnlich sah, spürte ich mein Herz schneller schlagen. Ganz kurz flog ich auf einer Wolke des Glücks und der Hoffnung, nur um dann brutal auf dem Boden der Tatsachen zu landen, sobald ich sah, dass es sich nicht um meinen Vater handelte. Es war eine schreckliche Zeit und fühlte mich sehr einsam.

Bis ich eines schicksalhaften Tages auf Hrithika traf. Sie lief an der Stelle entlang, an der ich auf meinen Vater wartete und sobald sie mich erblickte, ließ sie mich nicht mehr aus den Augen. Nie zuvor hatte ich mit Fremden geredet, noch nicht mal mit unbekannten Kindern. Die Kinder mit denen ich üblicherweise sprach, waren Kinder aus meinem Dorf, mit denen ich immer auf den Feldern spielte, während meine Eltern arbeiteten. Mein Dorf war klein und jeder kannte jeden, deshalb kam ich mit Fremden kaum in Berührung.

Sie schaute in meine Richtung und lächelte. Ich wusste nicht wie ich reagieren sollte auch wenn mir ein Lächeln eines anderen Kindes gut tat. Sollte ich ihre Reaktion erwidern und zurücklächeln, oder sollte ich sie ignorieren? Leider war mein Vater nicht anwesend, sodass ich ihn fragen konnte. Ich war auf mich alleine gestellt und das machte mir wirklich große Angst.

Die Angst, ja diese Angst, an die konnte ich mich noch heute gut erinnern. Dieses Gefühl war ein konstanter Begleiter, seit dem Tag, an dem mich mein Vater zurückgelassen hatte.

Tränen traten in meine Augen und ich vergrub mein Gesicht in meinem Schoß. Pure Verzweiflung ergriff mich, denn ich vermisste meine Familie. Wir hatten nicht viel, aber ich wusste immer, meine Eltern würden mich beschützen, egal was passierte.

Ich spürte etwas Warmes auf meinem Rücken und blickte auf, um zu sehen, was es war. Es war die Hand von dem fremden Mädchen, die mich berührte. Ihr Gesicht war ganz nah, als sie sprach, doch ihre Worte waren die, die ich nicht hören wollte.

>>Weine nicht. Er wird nicht wiederkommen. Das tun sie nie.<<

Die Fragen lagen auf meiner Zunge, doch ich wollte nicht mit dieser Fremden sprechen. Was meinte sie damit? Hieß das, mein Papa wird nicht kommen, um mich abzuholen?

Spark, Bastards of India (Book 4)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt