Seelenpuzzle #Slowbrick

Sintflut an Emotionen

Sein gesamter Körper war im Ausnahmezustand. Das Herz raste und stolperte, die Atmung fiel ihm plötzlich schwerer sodass er regelrecht um Luft ringen musste, heiß-kalte Schauer jagten über seinen Rücken, Arme und Beine begnnen zu zittern und sein Magen drehte sich förmlich auf links. Um irgendwie wieder Herr seiner Sinne zu werden ließ sich Simon wieder auf den Rand der Bühne sinken. Das er aufgestanden war hatte er nicht einmal realisiert. Ein Gefühl der Sehnucht packte ihn im Nacken und um ein Haar hätte er sich in Taddls Arme geworfen, wenn er in der Lage dazu wäre sich vernünftig zu bewegen. Jener beobachtete ihn mit einem amüsierten Grinsen auf den Lippen und beobachtete die Reaktion des Blonden auf ihn einfach stumm. Vermutlich fand er diese Situation unheimlich komisch, während sie dem Jüngeren förmlich die letzten Nerven raubte. "Was...was machst du hier?" presste er irgendwie hervor, seine Stimme klang heiser und ein dicker Kloß machte sich in seinem Hals bemerkbar. "Wenn mich nicht alles täuscht wolltest du doch mit mir reden oder nicht?"
"Also ja schon..aber naja ich..das war vor 4 Monaten."
"Vorher hatte ich weder Zeit noch Bock drauf mit dir zu reden, wenn ich ganz ehrlich bin. Jetzt bin ich sogar extra hergekommen. Also mach den Mund auf Kleiner." Der erste Satz trafen ihn wie ein Schlag ins Gesicht. Auch wenn es Simon im Grunde nicht überraschen sollte so etwas von ihm zu hören, es war beinahe schon typisch. Der Ältere schien Spaß daran zu haben eine ordentliche Portion Salz in offene Wunden zu streuen. Kräftig räusperte sich der Jüngere von beiden bevor er, sich darum bemühend seine Stimme fest klingen zu lassen, zu einer Antwort ansetzte: "Es tut mir leid ok? Der Kommentar da an dem Abend hätte nicht sein müssen, aber ich lass auch nicht alles mit mir machen. Und das du mich danach so gemieden hast hat mich extrem genervt, um auch mal ehrlich zu sein. Ich dachte wir reden wie erwachsene Leute drüber und dann ist gut." Ein leises Lachen entwich Taddl daraufhin bevor er sich neben Simon setzte. "Und deswegen machst du so einen Aufstand? Das hättest du mir auch einfach kurz texten können."
"Ist mir zu unpersönlich. Und ich wollte auch mit dir über...naja..."
"Darüber reden das ich dich flachgelegt hab?" Taddls Grinsen wurde nur noch breiter, doch es hatte nichts positives an sich. Es war fies, er verhöhnte ihn damit bis aufs Äußerste. "Weißt du was? Vergiss es einfach wieder. Das Thema ist eh abgehakt."
"Ist es das Simon? Ist es das wirklich?"
"Ja ist es. Ich will darüber nicht mehr nachdenken." Der Ältere zuckte gleichgültig die Schultern, schien damit augenscheinlich kein Problem zu haben. Stattdessen wechselte er überraschenderweise das Thema. "Also hast du dich doch zu einem Auftritt breitquatschen lassen? Ich bin überrascht. Dachte das ist nicht so dein Ding."
"Ist es auch nicht. Trotzdem krieg ich das irgendwie hin."
"Und? Mit oder ohne Kostüm?" Ernsthaftes Interesse war aus Taddls Stimme zu hören, was Simons Augenbraue kurz skeptisch nach oben zucken ließ. "Eren Jäger. Ivan und Niko helfen mir auch damit."
"Wie passend. Was Dämlichkeit angeht nehmt ihr euch ja nicht viel."
"Falls du mich tatsächlich für dämlich hälst kennst du mich nicht genug."
"Du warst dumm genug dich von mir durchnehmen zu lassen und dann zu glauben es würde irgendeine Rolle spielen. Mehr muss ich nicht wissen."
"Würde es dich nicht weiter interessieren würdest du jetzt nicht versuchen darauf rumzuhacken Taddl. Also, ganz dünnes Eis mein Freund." Sein Gegenüber schwieg daraufhin für einen Moment, da er tatsächlich aus dem Konzept geworfen wurde. '1:0 für mich.' dachte Simon zufrieden.
"Bullshit."
Danach war es ruhig. Der Ältere schien plötzlich mit den Gedanken ganz weit weg zu sein, fixierte einen imaginären Punkt in der Luft und machte den Eindruck, als wäre sein Körper eingefroren. Nicht das die Stille prinzipiell unangenehm war, aber sie trieb den Jüngeren in genau diesem Moment trotzdem in den Wahnsinn. Er hatte oft genug darüber nachgedacht was passieren könnte, wenn sie sich wiedersehen würden. Und in jeder dieser Vorstellungen hatte sich eine Sintflut an Emotionen zwischen ihnen entladen, die sich in den vergangenen Monaten angestaut hatten. Aber das hier war nichts von all dem, es fühlte sich regelrecht bedeutungslos an. Vorallem weil all die Dinge, welche Simon vorher auf der Seele gebrannt hatten, all die Worte welche er Taddl an den Kopf hatte werfen wollen schier nicht mehr zu existieren schienen. All die Wunden, die sein Herz hatte erleiden müssen, fühlten sich auf einen Schlag besser an, als würde ihre Heilung bereits begonnen haben. Und aus irgendeinem Grund machte es den Blonden plötzlich unfassbar wütend. Worauf genau konnte er selbst nicht sagen. Vielleicht darauf, dass jemand so sehr die Kontrolle über seine Gefühle hatte, dass er es nicht hinbekam die Karten auf den Tisch zu legen und endlich auszusprechen wie sehr ihn die letzte Zeit belastet hatte oder schlicht und ergreifend weil das Wiedersehen regelrecht emotionslos abgelaufen war konnte er selbst nicht sagen. Irgendwie alles, irgendwie nichts. Die Hände ballten sich zu Fäusten, der Kiefer verkrampfte sich und der Körper wurde von einem wütenden Zittern erfasst. Die Wut auf sich selbst, den Blauhaarigen neben sich, einfach auf alles und jeden breitete sich wie Gift in seinen Adern aus und er musste mit Mühe einen Aufschrei unterdrücken.
Der kleine heisern klingende Ton, der Simon dabei entwich holte den Anderen ins Hier und Jetzt zurück. Mit überraschtem Blick fixierte er den Jüngeren. "Was ist denn jetzt los? Gehts dir gut Simi?" Dieser elende Spitzname. Normalerweise nannte ihn niemand so, aber aus Taddls Mund klang es einfach perfekt. Dieser Spitzname war wie geschaffen für diese tiefe Stimme.
Und irgendwie mischten sich plötzlich Schmerz, Angst und Verzweiflung zu der Wut, ausgelöst durch diese paar Buchstaben. Schmerz, weil alles an Intimität was die Verniedlichung seines Namens vermittelte, sowieso nur in seinem Kopf stattfand. Niemals würde er das haben können, was er sich wünschte. Angst, weil ihn der Gedanke der Ältere könnte etwas von seinen Empfindungen bemerken, ihn in Panik versetzte, Panik vor der Reaktion darauf. Verzweiflung, weil er nicht wusste wie er all das aushalten sollte.
Simon verlor urplötzlich die Kontrolle über sich selbst und konnte die hochkochenden Tränen nicht zurückhalten. Sie flossen unaufhaltsam über seine Wangen und sein gesamter Körper wurde von Schluchzern durchgeschüttelt. Übelkeit stieg in ihm hoch und er war kurz davor in sich zusammenzusacken, als Taddl ihn wie aus dem Nichts in seine Arme nahm, ihn sanft wiegte und ihm beruhigend ins Ohr flüsterte. Der Jüngere klammerte sich wie ein Ertrinkender an ihn, presste sich gegen die warme Brust und krallte seine Finger in das Shirt des Älteren. Und nach einigen Sekunden konnte er auch endlich hören, was genau ihm der Ältere überhaupt zuflüsterte. "Es ist alles ok Kleiner, ich bin hier." Er wiederholte den Satz immer wieder, wie ein Mantra, beruhigte den Jüngeren damit sogar irgendwie genug, dass dieser den Kopf heben konnte.
Schon fast zärtlich strichen Taddls Finger über Simons Gesicht, um die restlichen Tränen wegzuwischen. In der nächsten Sekunde platzierte er einen hauchzarten Kuss auf der Stirn des Blonden. Dann auf jeder Schläfe, auf den Wangenknochen, der Nasenspitze. Dieser errötete mit jeder Berührung ein kleines Stück mehr. "Küss mich doch endlich!" Erst als es schon zu spät war realisierte Simon, dass er gerade laut gedacht hatte.