Lange nicht gesehen

611 34 10
                                    

Die Stille nach Taddls Abgang war erdrückend. Keiner der Anwesenden konnte sich dazu durchrringen irgendetwas zu sagen, nicht einmal anschauen konnten sie Simon. Also gut, es hatte auch sicherlich keiner damit gerechnet jemals etwss derartiges von dem Blonden zu hören. Für gewöhnlich tat er sowas nicht, das war seinen besten Freunden klar. Weder schlief er einfach ohne weiteres mit irgendwem, noch würde er jemals ein Wort darüber verlieren. Letzteres war er selbst sich auch immer ganz sicher gewesen, zumindest bis vor wenigen Minuten. Im Grunde konnte er nur gedanklich de Kopf über sich selbst schütteln. Das war verdammt dumm gewesen.
Ardy war es schlussendlich der die Ruhe mit einem Räuspern durchbrach und es irgendwie zu Stande brachte, eine Unterhaltung zu beginnen welche nicht weiter von dieser "Sache" entfernt war. Innerlich betete Simon ihn dafür gerade an, er war so etwas wie der Retter in der Not. Er warf ihm einen Blick voller Dankbarkeit zu, bevor er sein Weinglas mit einem Zug leerte. Die Intention sich zu Betrinken hatte der junge Student nicht, aber ein bisschen angetrunken zu sein würde ihm jetzt auch nicht allzu sehr missfallen. Nebenbei sendete er Stoßgebete gen Himmel, dass Taddl tatsächlich nach Hause verschwunden war, dem Älteren konnte er jetzt nicht mehr ins Gesicht sehen. Am heutigen Abend jedenfalls nicht.
Das Glück war auf seiner Seite, wie er feststellen musste. Der Platz ihm Gegenüber blieb leer und die Atmosphäre lockerte sich auch so langsam wieder. Sie kamen wieder auf Kims Projekt zu sprechen und Simon gab ihr zum einen das Versprechen, sich mit Niko und Ivan zwecks Promo sowie Unterstützung bei allem was die Gestaltung des Abends anging in Verbindung zu setzen und zum anderen ließ er sich davon überzeugen, vielleicht ja doch 1-2 Songs auf der Bühne zu spielen. Sogar in einem verdammten Kostüm. Aber das sollte ihm recht sein, solange er nicht mit Taddl auftreten musste. Dafür war er sogar bereit dieses Opfer zu bringen, was ihn beinahe selbst ein bisschen überraschte. Auch wenn ihn tasächlich ernsthaft interessierte, was der Blauhaarige denn so drauf hatte. Rein musiktechnisch natürlich, von anderen seiner "Talente" hatte er erst einmal mehr als genug, soviel war sicher.

21. Juni 2020:

Das es tatsächlich soweit kommen würde und Simon sich einige Monate später auf der Bühne zum Proben befand konnte er selbst nicht so ganz fassen. Vor Publikum zu spielen war ein absoluter Alptraum von ihm, seinem introvertierten und schüchternen Wesen sei Dank. Ein Umstand den er in allen anderen Bereichen des Lebens mittlerweile sehr gut überspielen konnte, sodass es mittlerweile nicht mehr so sehr auffiel. Außer jetzt, bei dem Gedanken daran das ihm vermutlich viel zu viele Leute mehr oder weniger ihre Aufmerksamkeit schenken würden, da wurde ihm schlecht und er hatte das Gefühl jeden Moment umzufallen oder sich schwallartig übergeben zu müssen. Die Angst davor jeder noch so kleine Fehler könnte auffallen und dafür sorgen, dass er sich bis auf die Knochen blamierte trieben ihm Tränen in die Augen, welche der Blonde hastig wegblinzelte. Obwohl sonst niemand hier war, der diesen Gefühlsausbruch hätte bemerken können. Kim hatte dafür gesorgt, dass er die Möglichkeit hatte, in den letzten 3 Wochen vor dem geplanten Event, die Seele aus dem Leib zu proben. Schließlich wollte er das alles glatt lief, ohne peinliche Patzer. Die Tontechnik hatte heute gemeinsam mit ihm einen ersten "Sound-Check" vorgenommen. Nun gut viel mehr war das gesamte Equipment auf Herz und Nieren geprüft worden, um zu sehen ob alles noch intakt war oder einzelne Teile ausgetauscht werden mussten. Das ganze lag mittlerweile aber auch schon wieder mindestens 3 Stunden zurück. Seitdem saß Simon am Bühnenrand, zupfte leicht an den Saiten seiner Gitarre und ließ die letzte Zeit in seinem Kopf Revue passieren:

Der restliche Winter war erneut an ihm vorbeigerauscht. Taddl hatte er seit dem Vorfall nicht mehr zu Gesicht bekommen, auf seine paar Whatsappnachrichten, dass er mit ihm reden wolle und ihn diese Funkstille extrem ankotzte, war keine Antwort gekommen, die blauen Häkchen in der rechten unteren Ecke waren fast von Spott gewesen in Simons Augen. Allerdings hatte er sich massiv zusammengerissen und sich nicht erneut in seiner Wohnung verkrochen. Es war verdammt schmerzhaft, der Liebeskummer zerfraß ihn innerlich aber der Blonde ließ es sich nicht anmerken. Und irgendwie hatte er sich damit abgefunden. Damit, dass ihn dieses Gefühl eines dumpfen, schmerzhaften Stechens in der Brust sobald er an den Älteren dachte, vermutlich noch lange Zeit wenn nicht sogar für immer begleiten würde. Kein System war perfekt, nicht einmal dann wenn die Menschen keinen Einfluss auf dieses nehmen konnten. "Manchmal passt es nicht, manche Gegensätze sind nunmal auch nicht kompatibel" hallte es in seinen Gedanken nach. Jedes von Anns Worten war ihm im Kopf geblieben, unabhängig davon das es nun schon etwas her war, seitdem er der jungen Frau am Rhein begegnet war. Genauso wie sein Vorsatz, endlich die Initiative zu ergreifen und um Taddl zu kämpfen. Wie lange hatte das gehalten? Nicht einmal 2 Monate. Er versteckte sich dahinter, dass die Tatsache mit dem Blauhaarigen zu schlafen und ihn dann anschließend bloßzustellen, nicht einkalkuliert war. Aber die Wahrheit war, er war zu feige um sich öfter bei Taddl zu melden, geschweige denn bei diesem aufzutauchen und um eine Aussprache zu bitten. Stattdessen nahm er den Umstand einfach hin und leckte seine Wunden, die sein gebrochenes Herz verursachte.
Der Frühling hatte Einzug in Köln gehalten, die Welt um ihn herum begann in den bunten Farben der Blumen zu blühen, die ihn in Grünanlagen und Parks, am Rhein und in all den Blumengeschäften anstrahlten. Alles um ihn herum war bunt, laut und fröhlich. Pure Lebensfreude, welche die längerwerdenden Tage mit sich brachten, floss durch die Straßen bis in die entlegendsten Ecken der Stadt. Alles war bunt, außer Simons schwarzem Herz. Alles war laut, außer Simons stummer Schrei nach einem jungen Mann der nun seit mehr als 6 Wochen aus seinem Leben verschwunden war. Alles war fröhlich, außer Simons traurige Seele. Aber das wusste niemand, nach außen hin schillerte er förmlich. Es tat weh, sobald er allein war. Also hielt er sich viel unter Leuten auf, traf sich regelmäßig mit Samuel, Kim und Jonas oder hing bei Ivan und Niko rum. Alles hauptsächlich für dieses Event, welches für den Sommer geplant war. Es wurden Ideen besprochen, Pläne geschmiedet, die Austattung der Location geplant, Simons Auftritt bis ins Detail konstruiert. Sogar ein verdammtes Kostüm bekam er, irgendwie hatte Niko es geschafft ihn zu überreden. Indem er ihn eines Abends mit vor den Fernseher gezogen und sie schlussendlich mehrere Tage hintereinander gemeinsam Attack on Titan gesehen hatten. Simon war lange der Meinung gewesen, dass dieser Anime überbewertet und zu sehe gehypt wurde. Aber er hatte sich massiv getäuscht, er war von der Geschichte in eine Achterbahn der Gefühl gerissen worden und konnte selbst nicht genau beschreiben was genau er nun am Ende so sehr daran geliebt hatte. Es war einfach so und sich dagegen zu wehren war sinnlos. Natürlich musste Ivan davon Wind bekommen und war beinahe ausgeflippt. Und so hatte sich der Blonde noch am gleichen Abend, nur eine Stunde nach der letzten Episode, dazu überreden lassen sich von eben jenem in Eren Jäger verwandeln zu lassen. Im Nachhinein eine ziemlich bekloppte Idee, weil Simon selbst so anders war als der Protagonist dieses Meisterwerks. Aber wen interessierte das schon.

Und jetzt saß er hier. Von Taddl hatte er nach wie vor nichts gehört, geschweige denn ihn gesehen. Trotzdem war dieser nach wie vor der Inhalt aller Träume, welche den Jüngeren heimsuchten. Leichte Tagträume, beängstigende Alpträume sowie intensive sexuelle Träume. Sobald er die Augen länger als 5 Sekunden schloss konnte er ihn in seinen Gedanke vor sich sehen und bildete sich beinahe ein, er müsse direkt vor ihm stehen. Simon vermisste ihn. Mit jeder Faser seines Körpers und dieses Gefühl wurde von Tag zu Tag immer intensiver und er fragte sich selbst wie lang es wohl dauern mochte, bis er deswegen vollkommen den Verstand verlor. Wenn das nicht schon längst geschehen war.
Ein Poltern riss ihn aus seinen Gedanken und ruckartig wandte der Blonde seinen Kopf herum. Nur um im nächsten Moment seinen Mund schockiert aufklappen zu lassen. "Hallo Simon. Lange nicht gesehen was?" fragte Taddl spöttisch.

Seelenpuzzle #SlowbrickWo Geschichten leben. Entdecke jetzt