Entscheide dich

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Den nachfolgenden Morgen als seltsam zu bezeichnen war definitiv die Untertreibung des Jahrhunderts. Keiner von beiden brachte es über sich, auch nur ein Wort mit dem anderen zu wechseln. Stattdessen warfen sie einander undefinierbare Seitenblicke zu und wichen sich ansonsten, so gut es eben in Simons kleiner Wohnung ging, aus. Nacheinander verschwanden beide irgendwann unter der Dusche, ohne sich abzusprechen verstand sich. Simon brauchte mehr als doppelt so lang wie sonst, weil er versuchte irgendwie die Zeit totzuschlagen und seine Gedanken zumindest einigermaßen sortiert zu bekommen. Ein Plan der grandios fehlschlug.
Taddl hätte auch einfach wieder verschwinden können, schließlich lebte er nicht hier, aber irgendwas schien ihn an Ort und Stelle zu halten.
Genervt rührte der Blonde etwa eine halbe Stunde später in seinem schwarzen Kaffee herum, sein Blick musste beinahe so bitter sein wie das Getränk selbst. Und nicht einmal den bekam er so wirklich herunter, von einem richtigen Frühstück ganz zu schweigen. Eigentlich war ihm kotzübel, aber er brauchte das Koffein und den viel zu herben Geschmack auf seiner Zunge um wach zu werden. Vielleicht war diese Kombination in der Lage seinen aufgewühlten Kopf wieder in seine gewohnte Ordnung zu bringen. Freudlos grinste er, als ob ihm dieses Gebräu bei irgendwas helfen konnte, vorallem bei dieser Problematik.
Es war doch unfassbar wie albern sie sich benahmen. Sie schlichen umeinander wie zwei Raubkatzen und warteten nur darauf, dass der andere endlich die Konfrontation suchte. Sie spielten ein Spiel miteinander, warteten nur darauf das der andere endlich einknickte und somit verlor. Simon würde gern den ersten Schritt machen, aber andererseits sah er Taddl in der Pflicht dies zu tun. Eine Erklärung war er ihm schließlich irgendwie schuldig. Einfach weil es immer so ablief, erst wurde er auf Abstand gehalten, dann angesprungen wie ein hilfloses Beutetier nur um schlussendlich wieder weggestoßen zu werden. Fast so als gäbe es die Möglichkeit miteinander darüber zu reden für den Älteren nicht, er versuchte irgendwie künstlich eine Distanz aufrecht zu erhalten, die längst Geschichte war. Spätestens seitdem sie gemeinsam Musik machten war diese endgültig zerstört worden. Sie hatten währenddessen so viel intimeres geteilt, dagegen wirkte der Sex von letzter Nacht beinahe oberflächlich. Auch wenn jetzt definitiv feststand das der Ältere irgendwelche Gefühle für ihn übrig haben musste, es war wie ein stilles Eingeständnis gewesen, als hätte er ihm sagen wollen: 'Ich kann genauso wenig ohne dich wie du ohne mich.' Das sie sich bis weit über die Wolken hinaus provoziert und die Spannung zwischen ihnen bis ins Unendliche getrieben hatten war die eine Sache, aber damit ließen sich all die kleinen zärtlichen Gesten beim besten Willen nicht erklären. Das sanfte Streicheln über seine Wange, die hauchzarten Küsse auf der Stirn, die Fürsorge in seiner Stimme. Diese passten einfach nicht ins Bild. So berührte man jemanden nicht, wenn man einfach nur aus purer Lust miteinander schlief. Zumindest ging er felsenfest davon aus, auch wenn sich seine sexuellen Erfahrungen mit anderen Menschen in Grenzen hielten. Aber er musste kein Sexgott sein, um zu begreifen das es Gesten gab die man nicht bei unkomplizierten Bettgeschichten tauschte, in einer Beziehung hingegen schon. Bettgeschichten waren dazu da den Körper zu berühren, Taddl hingegen hatte währenddessen förmlich seine Seele berührt. Das Abbauen der angestauten Spannung war in den Hintergrund gerückt, stattdessen war es um sein Wohlergehen gegangen.

Simon nahm grummelnd einen Schluck Kaffee. Bitter, wie seine Stimmung, schwarz wie seine Gedanken.
"Ich...sollte dann wohl besser langsam abhauen." Die Worte waren so leise, das der Blonde sie unter normalen Umständen wohl kaum gehört hätte. Aber durch die beinahe beängstigende Stille in seiner Wohnung bekam er das Gefühl, sie würden ihm ins Ohr geschrien werden. "Ja mach doch. Lass uns einfach so tun als wäre das nie passiert und dieses kleine Spielchen weiterspielen."Er war müde, seine Stimme klang hohl. "Welches Spielchen?"
"Dem Spielchen, dass du mit mir und meinen Gefühlen spielst. Sag mir einfach vor der nächsten Runde Bescheid. Dann kauf ich vorher nämlich Sekundenkleber für mein Herz." Simon schnaubte, als er bemerkte wie melodramatisch er gerade geklungen hatte."Warte, wie meinst du das?"
"Du kannst mir nicht erzählen das du so blind bist. Breaking News Mr. Tjarks, ich steh des Todes auf dich. Schon seitdem wir uns das erste Mal gesehen haben. Und ich hab für eine gewisse Zeit echt ziemlich felsenfest dran geglaubt, dass du tatsächlich mein Seelenverwandter sein könntest. Ziemlich albern oder? Naja, keine Ahnung irgendwie würde es nach wie vor Sinn machen wenn ich mir anschaue wie großartig wir uns ergänzen..nur weiß ich ja was du von all dem hälst. Also schieß ich mir damit gerade so ziemlich selbst ins Bein, aber ich habe auch meinen Stolz. Und ich mag nicht die höchste Meinung von mir selbst haben, allerdings ist mir sehr wohl bewusst das ich etwas besseres verdient habe, als mich vielleicht du deinem kleinen Betthäschen degradieren zu lassen." Er hatte geglaubt vorwurfsvoller zu klingen, wütender. Stattdessen schwang keinerlei Emotion in seiner Stimme mit. Er klang einfach nur matt, ausgelaugt, leer. Und genauso fühlte sich Simon auch. Jetzt, da er irgendwie unfreiwillig die Katze aus dem Sack gelassen hatte war da nichts mehr. Er krallte sich an der Tischplatte fest, aus Angst den Halt zu verlieren. Irgendeine Stimme in seinen Gedanken brüllte ihn an, wie er denn dumm genug sein konnte um dem Älteren so unvermittelt zwischen Tür und Angel so ein Geständnis zu machen. Rein taktisch betrachtet gab es auch sicherlich deutlich vorteilhaftere Zeitpunkte als diesen, aber was spielte das schon für eine Rolle. Sollten von Taddls Seite aus tatsächlich Gefühle mit in diesem Spiel sein, dann war das eigentlich der beste Zeitpunkt diese zu offenbaren. Entweder, er ging ebenfalls diesen Schritt auf den anderen zu oder er ließ es bleiben. Entweder öffnete er die rein metaphorische Tür, die nun einen Spalt breit offen stand oder er schlug sie endgültig zu. Endgültig. Simon wollte das jetzt ein für alle mal geklärt haben. Also setzte er seinem Schwall an Worten noch etwas nach, stelle Taddl damit ein Ultimatum:
"Was du jetzt tust bleibt dir überlassen. Entweder du gehst jetzt durch diese Wohnungstür oder du bleibst hier. Wenn du gehst, werden wir uns nicht mehr sehen. Wenn du bleibst will ich Antworten und Erklärungen für dein Verhalten. Entscheide dich. Geh für immer oder bleib bei mir."

Seelenpuzzle #SlowbrickWo Geschichten leben. Entdecke jetzt