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- 𝕷𝖆𝖓𝖉𝖔𝖓 -

Der darauffolgende Tag beginnt für mich erst entspannt, wandelt sich dann aber zu einer mehr oder weniger bösen Überraschung. Nachdem ich mich so leise aus Kanaye's Zimmer geschlichen habe, wie ich es in der Nacht auch getan, um wieder neben ihm zu schlafen, habe ich mir bloß Socken angezogen um nach unten zu laufen. Für alles was er getan hat, wollte ich mich mit einem Frühstück bedanken. Jetzt stehe ich allerdings völlig verdattert vor meinen Eltern in der Küche und weiß nicht recht, wie ich reagieren soll. Als meine Mutter mich, nach den Bruchteil einer Sekunde bemerkt, stürmt sie auch schon auf mich zu und drückt mich so fest an sich, wie wahrscheinlich noch nie zuvor. ,,Als wir erfahren haben, was passiert ist, sind wir sofort zurückgeflogen, mein armes Baby.", jammert sich und löst sich kurz darauf von mir, um mein Gesicht zu umrahmen. ,,Henry wird bekommen, was er verdient! Wir werden alles dafür tun!", versichert mir auch mein Vater. Am liebsten hätte ich jetzt einen blöden Kommentar von mir lassen, damit die beiden verstehen, dass es mir gut geht. Doch ihre besorgen Gesichter und Kanaye's Werk, meine Mauer zum Einsturz zu bringen, lassen mich tatsächlich schon wieder Tränen produzieren, die erst in meine Augen steigen und dann langsam aber sicher, ohne dass ich ein einziges Geräusch von mir gebe, aus diesen kullern und über mein Gesicht laufen. ,,Mein Baby.", haucht meine Mutter nochmals und drückt meinen Kopf in ihre Halsbeuge. Wieder schlingt die ihre Arme um mich und diesmal erwidere ich die Geste sogar. ,,Ich rufe unseren Anwalt an.", sagt mein Vater, doch meine Mom hält ihn, vermutlich mit einer Geste, auf, sodass ich wenig später auch einen seiner Arme um mich spüre.

,,Hey, Landon, was hältst du davon, wenn wir Flake- Oh, Guten Morgen- oder Guten Tag - wie viel Uhr haben - Ach egal, guten Morgen Mister und Misses Campbell.", langsam lösen wir uns voneinander und drehen uns zu Kanaye, der nur in Jogginghose vor uns steht. Trotz der Umstände begrüßen meine Eltern ihn freundlich, wobei der warme Blick des jungen Mannes fast durchgehend auf mir liegt. ,,Ich hatte sie nicht so früh erwartet.", lacht mein Aufpasser nervös und verschränkt die Arme vor der Brust, um sich wahrscheinlich nicht ganz so entblößt vorzukommen. Seine nackte Haut stört aber sowieso niemanden hier, oft genug ist auch Henry so herumgelaufen.

,,Ich bin der Meinung, wir kümmern uns jetzt um den Anwalt.", sagt meine Mom und deutet auf sich selbst und meinen Dad, ,,Und ihr macht euch etwas frisch, dann können wir in spätestens einer Stunde irgendwo brunchen gehen." Fragend sieht sie in die Runde und brav wie wir sind, stimme wir natürlich alle zu. ,,Sehr schön.", freut sich Mom, verschwindet im nächsten Moment aber, natürlich in Begleitung von Dad, auch schon im Arbeitszimmer. ,,Du wusstest, dass sie kommen?", frage ich leise und sehe verwirrt zu Kanaye auf. ,,Mh-hm, sie meinten aber eigentlich, dass es später Nachmittag wird." ,,Warum hast du nichts gesagt?" ,,Dachte, dir wäre das vielleicht unangenehm.", murmelt er leise, wirft mir dabei aber einen entschuldigenden Blick zu. ,,Sie machen es bestimmt nur noch schlimmer.", hauche ich mit böser Vorahnung, werde aber sofort davon losgerissen, als Kanaye seine Arme um mich legt. ,,Denk eher daran, wie viel du ihnen verdanken könntest.", murmelt er und lehnt seine Stirn völlig unerwartet gegen meine: ,,Und jetzt darfst du dir aussuchen, ob du freiwillig zurück nach oben gehst, oder ich dir Beine machen muss." ,,Du könntest mich auch tragen.", grinse ich herausfordernd. Was ich allerdings nicht erwartet habe ist, dass er mich dann wirklich über seine Schulter wirft und mit mir die Treppe hochgeht. Obwohl er genug Kraft haben müsste, um mich zu tragen, kralle ich mich an seinem Torso fest und kneife die Augen zusammen. ,,Warum bist du so-" ,,Fantastisch? Bedank dich bei meinen Eltern.", unterbricht er mich. Ich kann sein Grinsen förmlich spüren. ,,Blöd?!", beende ich meinen Satz, werde dann aber auch schon auf mein Bett geschmissen. ,,Habe ich wohl von dir, Hübscher", zwinkert er mir zu und verschwindet schnurstracks im Gästezimmer. Ein wenig geschockt fasse ich an meine Wangen, die förmlich glühen und schließe flehend meine Augen, dass er genau das nicht gesehen hat, aber das war wohl unübersehbar. ,,Wie peinlich.", jammert ich leise und verschwinde voller Scharm in meiner Ankleide. Nie konnte irgendjemand dafür sorgen, dass ich rote Wangen bekomme.

Mit hellblauer Jeans und einen dicken Rollkragenpullover schlender ich eine gute halbe Stunde später nach unten und entdecke Kanaye auf dem Sofa vor dem laufenden Fernseher sitzen. Den Gedanken, dass ich es traurig finde, dass er nicht nach mir gesehen hat, bevor er ins Erdgeschoss gegangen ist, streiche ich schnell aus meinen Kopf. Stattdessen betrachte ich ihn. Gemäß des Kleidungsstils meiner Eltern hat er einen grauen Pullover an, unter dem ein weißes Hemd hevorguckt, sowie eine schwarze Jeans. Das er darin hübsch aussieht, muss man wohl nicht erwähnen, dabei wünschte ich, es wäre nicht so. Komplimente vergeben, auch wenn es nur in meinem Kopf ist, tue ich ungerne.

Als ich mich neben ihn setze schenkt er mir ein Lächeln. ,,Siehst gut aus.", kommentiert er dann. ,,Danke. Du-", ich stoppe und setze ebenfalls ein Lächeln auf, ,,Natürlich nicht." Mein Gegenüber zieht ungläubig eine Augenbraue in die Höhe und schüttelt den Kopf: ,,Ich bin dazu geboren, gut auszusehen." Von dieser abgehobenen Art überrascht blinzel ich ihn unverständlich an und wende meine Blick schnaubend ab. Doch kaum eine Sekunde später spüre ich seinen warmen Atem an meinen Hals. ,,Danke für das Komplinet. Blicke sagen mehr als Worte.", murmelt er dann und schon wieder steigt Hitze in meinen Kopf, ohne dass ich es verhindern kann. ,,Du-", presse ich hervor, kann aber nichts weiter sagen, da ich einfach nicht weiß, was. Beleidigt beiße ich mir auf die Lippe. Warum bringt er mich jetzt so um den Verstand?

,,So, wir können los.", kommt keine Mutter lächelnd ins Wohnzimmer. Stolz nickt sie uns zu: ,,Hübsch hübsch.", scheucht uns aber direkt in den Flur und kurz darauf weiter nach draußen. ,,Wollen wir mit einem Auto fahren oder habt ihr noch Pläne?", fragt mein Vater, bevor er die Haustür schließt. Fragend sieht Kanaye zu mir, aber ich zucke unschlüssig mit den Schultern. Wenn es nach mir ginge, wären wir nach dem Frühstück wieder ins Bett gegangen.

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