- 𝕷𝖆𝖓𝖉𝖔𝖓 -
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Der Brunch war toll, aber alles was ich danach machen wollte, war alleine sein. Mom und Dad haben uns mit fragen gelöchert und um ehrlich zu sein, hat mir das im Nachhinein ganz und gar nicht gefallen. Also habe ich mich in meinen Zimmer verkrochen, zumindest bis vor einer halbe Stunde. Solange diskutieren meine Eltern nämlich schon lautstark mit Kanaye über rechtliche Schritte, die wir gehen sollten. Und solange hocke ich schon auf der Treppe und belauschen die drei. Dass meine Eltern sich dabei anschreien und nicht mal vor Kanaye halt machen, der die ganze Zeit höflich und ruhig bleibt, hat schon wieder dazu geführt, dass eine unendliche Wut in mir kocht. Auch wenn sie es nur gut meinen, sind meine Worte, dass sie alles schlimmer machen, höchstwahrscheinlich wahr.
,,Kanaye, du kennst unseren Sohn nicht so wie wir es tun! Wenn wir der Meinung sind, er braucht einen Psychologen, dann ist das so und dann kann die ach so tolle Familie von Henry auch die Kosten übernehmen!", ruft mein Vater und schlägt zu allem übel auch noch auf den Tisch, zumindest den Geräuschen nach zu urteilen.
,,Das möchte ich auch nicht bestreiten.", beteuert Kanaye, ,,Ich finde lediglich, dass Sie vorher mit ihrem Sohn über einen solchen Schritt reden müssten. Wenn er selbst nicht mit einem Psychologen reden will, bringt es auch nichts, ihn da einfach hinzusetzen, so stur wie er sein ka-" ,,Und wie soll der arme Junge dann darüber hinweg kommen?!", ruft meine Mutter nahezu hysterisch, ,,Er ist ein seelisches Wrack!" ,,Er hat seit Jahren keine Träne vor unseren Augen verloren und dann kommt dieser Nichtsnutz und hat nichts besseres zu tun als unseren Jungen zu vergewaltigen!", schreitet nun mein Vater wieder ein. ,,Wenn ihm jetzt einer helfen kann, dann ein Psychologe! Der soll ihm auch sofort eintrichtern, dass er sich nicht nochmal mit so einen abscheulichen Jungen abgeben soll! Dann wäre das alles nicht passiert!", beschwert er sich weiter. Mein Mund klappt auf und ohne es zu wollen stauen sich Tränen in meinen Augen. Wie kann er es so darstellen, als wäre es meine Schuld? Woher hätte ich ahnen sollen, dass Henry so ein mieses Arschloch wird?Völlig unbedacht stürme ich die restliche Treppe herunter, in den Flur um dort so schnell es geht in ein paar Sneaker zu schlüpfen und lautstark das Haus zu verlassen. Den leichten Regen ignorierend, flüchte ich vor dem Streit der drei, solange meine Beine mich tragen. In meinen Kopf herrschen dabei nur laute Auseinandersetzungen, die zwischen mir und meinen Eltern geherrscht haben. Schon oft meinten sie, ich solle mich von Henry trennen und dass er einen schlechten Einfluss auf mich hat, aber Kanaye hat wohl recht und ich war wirklich blind vor Liebe. Er hat mich belogen und ich dachte es wäre okey. Er hat mich geschlagen und beleidigt und wieder dachte ich es wäre okey. Selbst bei den Misshandlungen war ich der Meinung, alles wäre gut und ich hätte es verdient. Er hat mich glauben lassen, ich sei Schuld, aber das bin ich nicht! Mein Vater hat Unrecht! Ich bin nicht daran Schuld!
Am Ende meiner Kräfte hocke ich mich auf den Bordstein einer wenig befahrenen Straße und weine. Ich weine einfach weiter, kümmer mich nicht um den schrecklich kalten Regen oder die jämmerlichen Laute die ich von mir gebe. Alles was zählt ist der Schmerz und die Angst; die Ungewissheit, was passieren wird.
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,,Oh mein Gott, Landon!" Kanaye's starke Arme schlingen sich um meinen nassen, zitternden Körper, als würde sein Leben davon abhängen. Noch immer liegt mein Blick aber starr auf der Straße, dessen Asphalt mühe hat, mit dem stärker gewordenen Regen zurechtzukommen. ,,Landon, ich habe gefühlt die ganze scheiß Stadt abgesucht!", flucht der Ältere und drückt mein Gesicht ein wenig nach rechts, sodass ich ihn gezwungenermaßen ansehen muss. Seine vorwurfsvollen Worte bringen binnen einer Sekunde ein schlechtes Gewissen zum Vorschein, sodass ich mich bloß heiser entschuldige und meinen Kopf direkt wieder senke. ,,Nein, hör auf damit.", bittet er mich und drückt mein Kinn sanft in die Höhe, ,,Dir muss nichts leid tun, hörst du? Du musst jetzt erstmals ins Warme, komm ich hab in meinem Auto eine Decke-" ,,Ich will nicht.", sage ich schnell, sodass sich Kanaye tatsächlich seufzend auf den nassen Bürgersteig vor mich kniet. ,,Was ist los?", fragt er leise, sieht mir dabei so eindringlich in die Augen, dass ich meinen Blick kaum abwenden mag. ,,I-Ich habe doch gesagt, sie machen alles schlimmer.", hauche ich. ,,Deine Eltern sorgen sich bloß um dich und wollen, dass es dir wieder gut geht.", erklärt er und lächelt schwach, doch ich schüttel weiter meinen Kopf. ,,Sie haben dich angeschrien." ,,Weil sie beunruhigt sind und ihre Gefühle verrückt spielen. Genau wie deine und meine. Wir sind alle aufgebracht." Leise schluckend quiettiere ich seine Antwort. Vielleicht hat er recht. Doch ich kann gar nicht darüber nachdenken, da er wie heute morgen seine Stirn an meine lehnt, diesmal aber auch seine warmen Hände an meine, wahrscheinlich eiskalten, Wangen legt. ,,Ich hab mir solche Sorgen gemacht.", murmelt er leise, ,,Und deine Eltern fühlen sich unfassbar mies." ,,Tut mir doch leid..." ,,Ich weiß.", haucht er und atmet einmal tief ein und aus, ,,Du machst mich ganz verrückt." ,,Wie meinst du das?", frage ich verwirrt, worauf Kanaye leicht schmunzelt und seine Augen schließt. ,,Wenn ich es dir zeige, kommst du mit nach Hause?" Leicht, so gut es eben in dieser Position geht, nicke ich und warte gespannt auf seine Erklärung. Überraschenderweise greift er nach meiner Hand und legt sie langsam, aber bestimmt, auf seine Brust. Sein Herz schlägt schneller als sonst und ich habe auch das Gefühl, es pocht richtig. Schwer schluckend ziehe ich meine Hand zurück und entferne auch meinen Kopf von seinem. ,,Ich wollte dir nicht so viele Sorgen bereiten-" ,,Das hat nichts mit deinen Weglaufen zu tun.", hängt er schnell dran und zieht mich mit seiner anderen Hand, die noch an meiner Wange liegt, wieder zu sich. ,,Sondern?-" Doch kaum habe ich dieses Wort ausgesprochen, liegen Kanaye's Lippen auf meinen und lösen eine angenehme Wärme in meinen Körper aus. Ganz leicht übt er Druck auf meine Lippen aus und hebt auf seine andere Hand wieder an meine Wange. Ein wenig überrumpelt starre ich ihn an, was er aber nicht sieht, da seine Augen geschlossen sind, doch ich kann gar nicht anders, als meine Augen ebenfalls zu schließen und den leichten Druck mit einer gewissen Unwissenheit zu erwidern.
Dieser Kuss erscheint mir fast wie ein Traum, dabei spüre ich ganz deutlich, wie diese zärtliche Geste meinen, von Regen tauben und klammen Körper, etwas Wärme und Leben spendet.Eine halbe Ewigkeit hockt er vor mir, attackiert mich mit seinen göttlichen Lippen und streicht erst über meine Wangen, dann aber über meine Hände. ,,Tut mir leid.", haucht er leise, als wir unsere leicht geschwollenen Lippen voneinander trennen, ,,Ich konnte mich nicht zusammenreißen." Am liebsten hätte ich ihm jetzt gesagt, dass er sich für nichts entschuldigen muss und ich fast schon dankbar für den Kuss bin. Nach dem ganzen Müll habe ich mich tatsächlich wieder aufrichtig geborgen gefühlt. Aber mein Mund verlässt kein Wort, stattdessen nicke ich bloß leicht und lasse mich von den Größeren auf die Beine ziehen. Die wenigen Schritte zu seinen Auto trägt er mich mit einer gewissen Vorsicht. Er muss wohl vermuten, dass meine Gelenke das lange hocken nicht mal eben so vergessen können. Bevor ich mich allerdings auf den Beifahrersitz setzen kann, schlingt er eine Decke um meinen zitternden Körper und schenkt mir einen so hauchzarten Kuss auf die Schläfe, dass ich fast denke, ich hätte mir diesen eingebildet. Nur sein Lächeln verrät mir, dass es nicht so war.
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exclusive guard✿
Novela Juvenil,,Ich werde dir helfen, da raus zu kommen.", flüstert er mir zaghaft ins Ohr und streicht sanft mit seinen Fingerkuppen über meinen Oberarm, während ich mich schon seit Minuten nicht mehr bewegt habe und meine Augen geschlossen halte. ,,Du musst dic...