XII

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Einige Tage später saß ich im Englischunterricht, sollte eigentlich einen Aufsatz über tolle Kindheitserinnerungen schreiben und brütete stattdessen tatenlos vor mich hin, als mich jemand von der Seite an stupste. Es war Cole, der sich nervös nach vorne zum Lehrer umsah und dann flüsterte:

„Woran denkst du?"

„Ich glaube, das weißt du", gab ich freundlich zurück und begann, auf dem Ende meines Bleistifts herum zu kauen.

Ich hatte den anderen vor zwei Tagen ebenfalls von dem Dilemma mit der zweiten Person erzählt und hatte ausschließlich positive Reaktionen bekommen. Alle meine Freunde waren interessiert, nicht abgeneigt und hatten mir auf der Stelle versprochen, all das, was ich ihnen anvertraut hatte, geheim zu halten. Außerdem wollten sie mich natürlich unterstützen, wo sie konnten. Wir hatten uns ebenfalls lange über Sam unterhalten und hatten spekuliert, wer wohl hinter ihrem Tod steckte und vor allem, aus welchem Grund. Nachdem wir uns schon länger nicht mehr darüber unterhalten hatten, war es jetzt wieder topaktuell geworden und alle, sogar Noah, hatten ihre Gedanken mitgeteilt.

„Ja, ich kann es mir denken", Cole seufzte und legte den Kopf schräg, „wolltest du denn so gerne Kinder haben?"

„Hm? Oh nein, daran denke ich nicht."

„Ups", Cole errötete leicht, überspielte es jedoch mit einem Lächeln, „woran dann?"

„An Sam", entgegnete ich schlicht, „naja, nicht genau. Ich denke über das eventuelle Motiv nach."

Cole nickte nachdenklich, lächelte mich dann aber beruhigend an.
„Mach dich nicht verrückt damit", riet er mir, „im Endeffekt ist doch alles nur Spekulation. Wir wissen nichts Genaues."

„Aber genau das ist es ja, was mich so verrückt macht", versuchte ich, meine Gefühle zu erklären, „ich drehe durch, wenn ich nicht bald Antworten auf meine Fragen bekomme. Ja, bisher habe ich es auch ohne Antworten ausgehalten, aber jetzt sind da eindeutig zu viele offene Stellen, um es einfach so zu ignorieren. Ich möchte wissen, wieso Sam sterben musste und wieso Beverly die Treppe hinuntergeschubst wurde."

Wenn es Absicht war", wandte Cole ein, dann sah er auf mein Papier, „du hast ja noch gar nichts geschrieben."

„Meine Kindheit war langweilig", entgegnete ich nüchtern, dankbar über den Themenwechsel, „ihr könnt ja alle über tolle Erlebnisse mit euren Elementen oder so schreiben, oder wann ihr euch das erste Mal verwandelt habt, aber ich hatte eine ganz normale, langweilige Kindheit ohne jegliche übernatürlichen Phänomene."

„Das stimmt, das klingt wirklich langweilig", neckte Cole mich feixend, „aber es kann ja nicht jeder den Luxus haben, von Anfang an zu wissen, dass man ein Element bändigen kann."
„Wusstest du es schon von Beginn an?", hakte ich nach und Cole nickte.

„Meine Eltern sind beide Elementbändiger, meine Mutter ist Erdbändigerin, mein Vater Wasserbändiger. Ich bin ja bei meiner Mutter aufgewachsen und es war nie eine Frage, ob ich ein Elementbändiger bin, es ging nur darum, wann ich es herausfinde."

„Und? Wann hast du es gemerkt?"

„Ich glaube mit drei Jahren. Ich kann mich daran nicht mehr erinnern, aber meine Mutter hat erzählt, ich hätte beim Spielen mit anderen Kindern im Sandkasten die Sandförmchen mit Sand gefüllt, der vorher nicht da war – du verstehst", Cole zog schmunzelnd einen Mundwinkel hoch, „die anderen Kinder fanden es wohl toll, ihre Eltern weniger."

„Das klingt niedlich", bestätigte ich, „hat deine Mutter dir viel beigebracht?"

„Ja, sogar sehr viel", Coles Lächeln verschwand für einen Moment, dann sprach er etwas ernster weiter, „aber die Tatsache, dass ich Erdbändiger und kein Wasserbändiger bin, hat den Graben zwischen meinen Eltern noch vertieft. Sie hatten sich schon während Mums Schwangerschaft getrennt und meine Mutter hat es meinem Vater vorgeworfen, dass er als Wasserbändiger mich nicht richtig fordern kann. Sie hat dann auch das Sorgerecht erhalten."
„Oh, das tut mir leid", ich biss mir zerknirscht auf die Unterlippe, „tut mir leid, falls ich zu aufdringlich mit meinen Fragen war."

FeuerkampfWo Geschichten leben. Entdecke jetzt