Der Raum, in dem ich einen Monat später die Prüfung absolvieren musste, war eine der beiden Turnhallen. Im Umkehrschluss bedeutete das, dass ich um halb neun Uhr morgens in der Morgenfrische des Junis stehen und darauf warten musste, dass der Lehrer, der bei mir die Aufsicht haben würde, endlich erscheinen würde. In meiner Gruppe war keiner meiner Freunde, ich kannte viele der anderen gar nicht. Ich hatte mir meinen Block, eine Trinkflasche, meinen Taschenrechner und mein Etui unter den Arm geklemmt, die Hände in die Hosentaschen zurückgezogen und starrte gedankenverloren ins Leere, während um mich herum letzte Dinge einstudiert und fleißige Unterhaltungen geführt wurden.
Ich machte mir gar nicht erst die Mühe, jetzt noch zu versuchen, mir die letzten Sachen einzuprägen, denn was ich noch nicht wusste, würde ich auch nicht mehr lernen. Ich hatte im letzten Monat sehr viel gelernt, weil ich unbedingt besser abschneiden wollte als im letzten Jahr. Immerhin fanden dieses Jahr keine praktischen Prüfungen statt, sodass ich meinen Schnitt zumindest dadurch nicht ruinieren konnte.
Aus dem Augenwinkel erkannte ich eine Bewegung, doch anstelle einer Lehrkraft erkannte ich Will, der mutterseelenallein auf uns, beziehungsweise mich, zukam.
„Guten Morgen", begrüßte ich ihn, „na, musst du auch hier hin?"
Will erwiderte den Gruß nicht (das hatte ich auch nicht anders erwartet), sondern stellte sich nur wortlos neben mich. Nach einigen Augenblicken ergriff er dennoch das Wort.
„Du beschäftigst dich mit den falschen Dingen."
Ich sah verwundert zu dem größeren Jungen hin.
„Wie meinst du das?", wollte ich wissen, „ich habe gleich meine Prüfung, ich beschäftige mich gerade nur damit, nicht durchzufallen."
„Du beschäftigst dich mit den falschen Dingen", wiederholte Will, was mich dazu veranlasste, laut zu stöhnen.
„Meine Güte, Will", seufzte ich, „ich habe gerade echt andere Dinge im Kopf, also entweder sagst du mir bitte, was dein Problem ist, oder du lässt mich in Ruhe."
„Wenn sich der Fokus verschiebt, verschieben sich auch die Prioritäten", verkündete Will bedeutungsschwanger, „doch nur, weil dein Fokus sich verschoben hat, bedeutet das nicht, dass es anderen genauso geht."
„Mein Fokus liegt momentan auf der Prüfung, also kann der ja so falsch nicht sein", gab ich leicht patzig zurück. Ich wollte doch einfach nur in Ruhe meine Prüfung ablegen, wieso konnte Will mich nicht einmal in Ruhe lassen oder sich zumindest klar und verständlich ausdrücken?Meine Gebete wurden wohl erhört – teilweise – denn just in diesem Moment näherte sich der Lehrer, der bei uns die Aufsicht haben würde: Mrs. Graves. Der große, ernsthafte Mann schob sich an den Schülern vorbei und schloss die Tür zur Turnhalle auf, betrat den Raum zuerst und schaltete das Licht ein, bevor er uns Schüler hineinwinkte. Als ich mich umdrehte, um Will noch tschüss zu sagen, auch wenn ich dazu eigentlich weder Grund noch Lust hatte, war der Dunkelhaarige bereits wie vom Erdboden verschluckt. Ich seufzte, betrat gemeinsam mit den anderen Schülern die Turnhalle und sah mich um. Es waren rund 30 Einzeltische mit Stühlen aufgestellt worden, damit wir alle platzfanden und ich suchte mir einen Platz ziemlich in der Mitte.
Mr. Graves stellte sich vorne hin und brachte uns mit einem lauten Klatschen zum Schwiegen.
„Guten Morgen", begrüßte der große Mann uns, „ich hoffe, ihr seid alle für die Prüfungen vorbereitet. Bitte räumt eure Tische bis auf etwas zu trinken, einen Taschenrechner, eure Stifte und einige Extrapapiere leer. Ihr dürft Kaugummi kauen, solange ihr nicht so laut darauf herumkatscht. Ich teile die Bögen gleich aus und dann beginnen wir alle zusammen. Wer vorher umdreht oder anderweitig schummelt, wird von der Prüfung ausgeschlossen und ist automatisch durchgefallen – aus Sicherheitsgründen müsst ihr jedoch die komplette Zeit hier absitzen."
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Feuerkampf
FantasyFaye kommt nach den Weihnachtsferien zurück auf das Internat, genau wie alle anderen Schüler auch. Doch die Situation hat sich zugespitzt. Nach dem Tod einer Mitschülerin ist nun nichts mehr, wie es war. Merkwürdige Ereignisse geschehen und es werde...