house of salt and sorrows - erin a. craig

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Triggerwarnung: horror, drug abuse, blood, gore, graphic deaths

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4 von 5 Sternen – Eine spannende, dunkle Neuerzählung eines alten Klassikers

Wie man vielleicht weiß, stehe ich ziemlich auf Märchenneuerzählungen. Nicht umsonst ist Quinns Geschichte meine eigene Version des Cinderella-Märchens. Man kann einhundert Sachen und noch mehr damit anstellen. Man kann sie in die Neuzeit packen, man kann einen Fantasy-Twist einbauen, man kann alles ändern und nur eins beibehalten. Der Fantasie bei Märchenneuerzählungen sind eigentlich kaum Grenzen gesetzt. Deswegen war ich ziemlich schnell dabei, mir House of Salt and Sorrows von Erin. A. Craig zu bestellen, eine düstere Erzählung der zwölf tanzenden Prinzessin im YA-Dark-Fantasy-Style.

(Wer das Märchen der zwölf tanzenden Prinzessin nicht kennt: Ein König hat zwölf Töchter, die jede Nacht durch eine geheime Tür in ihrem Schloss in ein verwunschenes Reich entkommen, um zu tanzen. Weil ihr Verschleiß an Schuhen dadurch so hoch ist, setzt der König die Hand seiner ältesten Tochter als Preis für den Mann, der herausfindet, was die Prinzessinnen mit ihren Schuhen anstellen. Ein alter Ritter findet durch eine kleine Scharade und einen Unsichtbarkeitstrank heraus, was die zwölf jungen Frauen jede Nacht machen.)

Autorin Erin Craig legt ihren eigenen, gänzlich düsteren Stil über dieses alte Märchen und erfindet die Geschichte neu. Im Haus Thaumas lebten eins zwölf aufgeweckte, hübsche junge Frauen, die Jüngste gerade einmal sechs Jahre alt. Doch der Tod hat seine dunklen Klauen nach den Mädchen ausgestreckt und vier von ihnen niedergestreckt. Die vier ältesten der Schwestern, Ava, Octavia, Elizabeth und Eulalie sind bereits tot als die Geschichte mit Eulalies Beerdigung beginnt, die nur wenige Tage zuvor entdeckt wurde – tot und mit gebrochenen Körper auf den Felsen der Klippe aufgeschlagen. Damit beginnt die Zeit des Trauerns auf ein neues im Hause Thaumas und ach nach fünf Jahren kann der schwarze Schleier nicht gelüftet werden, der sich um die Familie gelegt hat, seitdem die Mutter der zwölf Schwestern bei der Geburt von Verity vor sechs Jahren ums Leben kam. Protagonistin Annaleigh ist die zweite in der Rangfolge der Erbschaft und sie und die nun älteste Schwester Camille sind betrübt über den Verlust ihrer engen Freundin und Schwester. Doch Morella, die neue Frau vom Familienoberhaupt Ortun hat gute Neuigkeiten an diesem schwarzen Tag der Beistattung. Sie ist schwanger und erwartet einen Jungen.

Damit beginnt die Geschichte. Craig zeichnet mit ihren malerischen Beschreibungen und realistischen Dialogen eine schöne aber zugleich auch gefährliche Welt. Die Inseln, auf denen die Schwestern leben, werden bildlich beschrieben, die fiktionalen Gottheiten individuell eingeführt, die Länder in der Ferne werden wie im Geschichtsunterricht angerissen. Alles bekommt ein sehr realistisches Gefühl und als Annaleigh im Hafen in den Seefahrer Cassius läuft, will nicht nur sie mit ihm auf dem Schiff in die Ferne reisen und alle Länder der Welt erkunden.

Morella und drei der Schwestern, Drillinge, wollen die Zeit der Trauer endlich beenden. Der sechzehnte Geburtstag von Rosalie, Ligeia und Lenore steht bevor und sie wollen ausschweifend feiern und tanzen. Vater Ortun stimmt nach langer Überlegung zu und spendiert all seinen Töchtern neue Tanzschuhe – Feenschuhe, wie sie die kleine Verity tauft.

Verity hat in der Geschichten einen sehr speziellen Platz inne und ich übertreibe nicht, wenn ich sie ab der ersten Seite ihrer Auftritts geliebt habe. Die jüngste der Thaumas Dutzend erzählt ihrer großen Schwester Annaleigh von Streichen ihrer gerade verstorbenen Schwester Eulalie, die ihre Bettdecke weckzieht und sie anstarren würde. Verstörende Aussagen von einer sechsjährigen, die Annaleigh sowie der Leser zuerst als Hirngespinste oder Albträume beiseiteschieben. Aber ein Blick in Veritys Zeichenbuch zeigt: Sie hat nicht nur Eulalie gesehen. Auch Ava, Octavia und Elizabeth, die alle zuvor starben und von denen sie – in Avas Fall – nicht einmal das Gesicht kennen dürfte, weil sie viel zu klein war, als sie starb, tauchen in Veritys Zeichenbuch auf. Alle in ihren Todespositionen, alle grotesk und geisterhaft gezeichnet. Details, die die kleine Schwester nicht wissen kann, sind haargenau gemalt worden. Avas fieberhafter Blick als die Pest sie geholt hat, Elizabeths leere Augen, als man sie Tod in der Wanne gefunden hat, Octavias gebrochene Gliedmaßen, als sie von der Leiter in der Bibliothek fiel, Eulalies zerbrochener Körper auf den harten Felsen, als sie von der Klippmauer fiel. Annaleigh und der Leser bekommen es mit echten Geistern zu tun, als Annaleigh ab diesem Moment ebenfalls von ihren Schwestern heimgesucht wird.

Erin Craig kann mit so mit Worten umgehen, dass man die Angst durch seine Venen kriechen fühlt, als die Protagonistin die toten Augen ihrer Schwestern sieht, als Annaleigh voll Panik von dem Fluch redet, der ihre Familie befallen hat, als die Schwestern allesamt fürchten, eine von ihnen sei die Nächste, die sterben wird. Die ganze Zeit über fühlt man die Angst und die Panik und die Spannung bringt einen ironischerweise um. Man will wissen, wie es weiter geht, will wissen, ob der Fluch wirklich echt ist!

Und dann kommen die Tänze. Die Schwestern erfahren von der geheimen Tür und schongleich werden sie zu einem glänzenden Ball eingeladen, werfen sich in ihre schönsten Kleider und können für eine Nacht ihre Sorgen hinwegtanzen. Und für noch eine Nacht. Und noch eine. Und noch eine. Bis Annaleigh ein schrecklicher Verdacht heimsucht. Vielleicht ist ihre Schwester gar nicht gefallen. Vielleicht wurde sie ermordet? Und wenn das stimmt, dann ist der Mörder noch auf der Lauer und wartet auf sein nächstes Opfer.

Als man tiefer und tiefer in die Geschichte eintaucht, wird einem erst bewusst, wie düster und gefährlich die Welt geschrieben ist. Jemand mit einem leichten Magen sollte dieses Buch vielleicht eher aussetzen, auch wenn er dann eine düster-magische Geschichte verpassen muss, die einen von der ersten Seite an in den Bann zieht.

Annaleigh und ihre Schwestern, Kindheitsfreund Fisher und der mysteriöse Cassius nehmen einen mit auf eine Reise in funkelnde Paläste, intime Gespräche und melancholische Trauer. Das Buch heißt nicht umsonst das Haus von Salz und Trauer. Obwohl man die vier verstorbenen Schwestern keinen Moment im Buch lebend trifft, nehmen einen ihre Tode mit. Man leidet mit Annaleigh, sucht mit ihr nach dem Mörder, verstrickt sich in Angelegenheiten, die fernab ihrer Auffassungsgabe sind.

Dieses Buch hat mir von der ersten bis zur letzten Seite wahnsinnig gut gefallen. Nicht nur der einfache und doch detailreiche, düstere Schreibstil und die lebendige Welt haben mich mitgerissen, auch die vielschichtigen und unterschiedlichen Charaktere haben es mir angetan. Die acht Schwestern sind alle in verschiedenen Farben gemalt, jede hat ihre eigene Stimme, jede will etwas sagen. Und man hat Angst, dass eine oder mehrere von ihnen die Geschichte nicht überlebt. Dass der Flucht vielleicht doch echt ist und irgendjemand oder irgendetwas den Thaumas Schwestern etwas antun will. Die dunklen, albtraumhaften Sequenzen, mit denen Annaleigh zu kämpfen hat, sind ein weiteres, deutliches Indiz dafür, dass es hier um Leben und Tod geht. Ich habe mit jeder Seite, mit jedem Kapitel gefiebert und gehofft, dass es alle schaffen.

Ich sage nicht, ob jemand gestorben ist oder das Ende nicht erlebt hat, aber ich sage, dass dieses Buch einem das Herz bricht und den Magen umdreht. Mehrmals war ich beinahe froh, dass meine Zugfahrt vorbei war und ich das Buch beiseite packen musste, weil es in Territorien gedrungen ist, die einem das Frühstück wieder hochkommen lassen wollte.

Der einzige Grund, wieso ich dem Buch nur vier von fünf Sternen geben kann, ist das Ende. Alles an diesem Buch ist zwar fantastisch erzählt, aber das Ende fühlte sich für meinen Geschmack zu forciert hat, zu schnell abgeschlossen. Die große Erklärung, wer oder was denn nun hinter den Toden steckte und was es mit Veritys Zeichnungen und den Albträumen auf sich hatte, war zwar ein wahnsinnig guter Twist, den man kaum erwartet hat, aber die Drahtzieher dahinter waren mir zu schnell beseitigt. Man hatte kaum Zeit, sich damit auseinanderzusetzen, was denn nun wirklich geschehen ist, da waren sie schon wieder weg und das Buch ist in den Epilog gesprungen – der für meinen Geschmack dann auch ein wenig zu kitschig war. In kaum einem YA-Fantasy-Buch kann eine Romanze fehlen und ich mochte das Hauptpaar auch ganz gern, weil sie eine süße Entwicklung hatten, aber die großen Liebesbekundungen und „she means the world to me" kam mir dann doch etwas schnell. Knutscherei schön und gut, aber von der einzig wahren Liebe reden, wenn man kaum ein Viertel des Buches miteinander verbringt, ist mir zu viel. Aber gut, das ist persönliche Kritik, die kann man ignorieren. Andere mögen sowas ja gern.

Wäre das Ende nicht zu schnell geschehen und hätte man vielleicht zuvor ein paar Hinweise darauf bekommen, dann wäre dieses Buch ein klarer Fall von fünf Sternen gewesen. So hat es zwar nur für vier gereicht, aber das hindert nicht vom blutigen, dunklen Lesevergnügen.

House of Salt and Sorrows kann ich eigentlich nur jedem empfehlen, der gerne Fantasy liest, der gerne Märchenadaptionen mag oder der einfach nur mal wieder eine schöne, düstere Geschichte lesen will. Ich verspreche sicherlich nicht zu wenig, wenn ich sage, dass ihr mit jeder Zelle eures Körpers mitfiebern werdet und euch manchmal ein wenig unwohl zumute sein wird.

Aber entscheidet selbst.

Man liest sich,

- Roiben

Boy Meets BookWo Geschichten leben. Entdecke jetzt