It's a cold and it's a broken Hallelujah

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Drei Tage nach der Operation war Sakura am Morgen schlecht. Sie wachte auf und ihr Magen zog sich zusammen, als würde er wie ein Schwamm ausgewrungen werden. Ihr Hals brannte, als würde jemand mit einen Schürhacken in ihm rumwühlen und ihre Lunge schien nicht mehr in der Lage zu sein den Sauerstoff aus der Luft zu schöpfen.
Mit einem erstickten Keuchen stolperte sie aus ihrem Bett Richtung Bad, knallte gegen den Türrahmen und kam gerade noch rechtzeitig zum Waschbecken, bevor sie sich übergab. Mit tränenden Augen sah sie, wie sich Blut und Magensäure im Waschbecken mischten, ehe sie den Wasserhahn aufdrehte und der Inhalt langsam im Abfluss verschwand. Sie hatte allerdings nicht mal Zeit sich vom Becken abzuwenden, als sie schon wieder anfing zu würgen.
Irgendwann spürte sie eine Hand auf ihrer Schulter, während sie immer noch zitternd den Kopf gesenkt hielt. Sie musste sich nicht umdrehen, um zu wissen, dass es Itachi war. Mist, sie hatte ihn geweckt.
„Mann, Pinky, ehrlich gesagt denke ich nicht, dass wir dich umbringen müssen, das schaffst du auch allein."
Und Kisame hatte sie auch geweckt.
„Fick di-...", setzte sie an, ehe die Kotzerei weiterging.
Nachdem sie sich sicher war, dass es vorbei war, ließ sie sich auf den Boden nieder, obwohl ihr eiskalt war und sie zitterte wie eine Oma mit Parkinson. Itachi reichte ihr schweigend ein feuchtes Handtuch. Aus den Augenwinkeln sah sie Kisame immer noch im Türrahmen stehen und er sah sie mit einem Blick an, den sie wirklich nicht deuten konnte. Während sie auf dem Boden saß, sah sie die beiden Männer an und musste beinahe schmunzeln.
Wer hätte je gedacht, dass sie der Anblick von zwei Akatsuki nur mit einer Boxershorts am Leib nicht mehr überraschen würde? Früher hätte sie sich über diese Frage kaputtgelacht. Aber jetzt...
„Geht es dir jetzt besser?", fragte Kisame.
„Seit wann so fürsorglich?", murmelte sie.
„Ich will das nur wissen, um sicher zu gehen, dass du nicht gleich wieder loskotzt. Falls du es vergessen hast, die Operation ist drei Tage her."
Sie schluckte schwer und sah zu Itachi. Sein Gesicht hatte sich kaum merklich verzerrt.
„Nein, das habe ich nicht." Ihre Stimme war nur ein Hauchen.
Kisame nickte und drehte sich dann um. „Ich gebe euch beiden Zeit euch umzuziehen. Dann hole ich Pain."
Er verschwand aus dem Badezimmer und schloss die Tür. Sakura drückte sich das feuchte Tuch gegen den Mund und sah zu Itachi. Der Verband um seinen Kopf schimmerte weiß durch seine schwarzen Haare. Gleich würde sie ihn abnehmen, seine Augen sehen.
Vielleicht würden auch seine Augen sie endlich erblicken.
Und dann...
„Es ist schon komisch.", sagte sie leise. „Als mich Kisame am Anfang geholt hat, da kam mir jede Minute wie eine Stunde vor und eine Stunde wie ein Tag. Alles ging so langsam voran. Und jetzt geht alles viel zu schnell." Sie lachte leise. „Ich habe dich gehasst. Wegen eines Jungen, der mich nie gemocht, geschweige denn geliebt hat. Ich habe mich nie für einen Menschen mit Vorurteilen gehalten, aber die erste Begegnung mit dir war nur so davon geprägt."
Sie merkte erst, dass sie weinte, als ihr heiße Tränen über die Wangen liefen. Itachis Gesicht verschwamm vor ihren Augen, alles wirkte wie in einem schlecht gedrehten Film. Eigentlich kam ihr alles was sie erlebt hatte, wie ein schlechter Film vor. Eine total kitschige Liebesgeschichte, wie in einem Roman. Mann verliebt sich in Mädchen, Mädchen in Mann, aber beide sagen es sich nicht und wenn sie es endlich tun, denkt jeder „Na endlich!". Oh, nebenbei bemerkt, das Mädchen ist totkrank und der Mann blind. Aber kein Problem, beide werden wieder gesund und leben glücklich bis an ihr Lebensende.
Warum konnte es nicht so sein?
Itachis Hand strich ihr über das Haar, ehe er sie an sich drückte. Ihren Kopf an seine Schulter gelegt schluchzte sie lautlos, nur darauf aus den Körperkontakt nicht zu unterbrechen. Jede Sekunde, die sie damit verbrachte, war eine Sekunde zu wenig.
„Als du mir damals gesagt hast, dass ich mithilfe meiner anderen Sinne leben sollte, habe ich gedacht, dass du mich auf den Arm nehmen willst."
Seine Stimme war leise, aber so ruhig wie immer. Sie hatte so etwas abgrundtief Beruhigendes an sich, was besser wirkte als jede Schmerztablette auf der Welt.
„Sehen war eigentlich schon immer eine Qual für mich.", erzählte er. „Ich habe zu viel gesehen, meine Augen schmerzten von den Dingen, die sie gesehen und angerichtet hatten. Dennoch habe ich mich nie auf das Hören, Riechen, Schmecken oder Fühlen konzentriert. Bis ich gemerkt habe, was man alles damit tun kann."
Er zog sie näher an sich heran, sodass sie halb auf seinem Schoss lag. Eine Hand lag auf ihrem Rücken, während die andere ihr weiter über das Haar strich.
„Ich konnte Leben hören, wie das Rascheln der Bäume oder Dinge riechen, die einem sonst gleichgültig sind, wie Regen oder Wasser. Schmecken war noch nie so intensiv und fühlen war das kostbarste Gefühl von allen."
Stille legte sich einen Moment zwischen sie. Sakuras Schluchzen hörte auf, aber zittern tat sie trotzdem noch. Jetzt wo sie wusste, dass es soweit war, bekam sie Angst.
Sie wollte nicht gehen. Sie wusste, dass sie sterben würde, aber sie wollte weder an dem Krebs noch durch einen Akatsuki sterben. Nicht jetzt, nicht wo sie endlich gemerkt hatte, dass sie für den Mann vor ihr etwas wirklich Aufrichtiges und Tiefes empfand. Es war nicht fair, wenn ihr das schon wieder nach so kurzer Zeit entrissen wurde.
„Lass dir so viel Zeit, wie du willst.", sagte Itachi nach einer Weile leise. „Ich bin nebenan."
Sie nickte schwach und zusammen mit ihm stand sie auf. Ihre Knie fühlten sich wie Wackelpudding an, und insgeheim wünschte sie sich, dass sie wenigstens gleich ein wenig Haltung bewahren würde.
Ohne ein Wort schloss sie die Tür hinter sich ab, nachdem er ihr ihre Sachen gereicht hatte und lehnte sich an die Wand. Sie spürte ihr Herz lautstark in ihrer Brust pochen, wie das eines Kolibris. Oh Gott, sie wollte das nicht!
Die Dusche, die sie nahm, dauerte mindestens eine halbe Stunde. Sie verbrachte davon fünfundzwanzig Minuten damit auf die Stelle zu starren, wo sie das erste Mal mit Itachi geschlafen hatte. Sie musste beinahe schmunzeln. Das erste Mal unter der Dusche. Eigentlich hatte sie sich immer ein romantisches erstes Mal in Kerzenschein, Rosenblättern und dem ganzen Kitsch ausgedacht und nicht in einer Dusche. Aber sie bereute es kein bisschen.
Auch nicht die anderen Male, wo sie mit ihm geschlafen hatte.
Mit zitternden Finger trocknete sie sich ab und zog sich ihre Sachen an. Jetzt erst bemerkte sie, dass es die Klamotten waren, in denen Kisame sie hergebracht hatte. Sie waren nicht gewaschen worden, die Sachen waren braun vor Schlamm und so steif wie ein Brett. Ein bisschen getrockneter Dreck landete auf dem Boden, als sie sich die Sachen anzog. Sie atmete ein paar Mal tief ein und aus, dann noch einmal und noch mal, bevor sie endlich die Tür öffnete.
Itachi saß auf dem Bett und schien gerade irgendetwas unter es zu schieben, bevor er sich zu ihr umdrehte. Er sah unnatürlich blass aus, fand sie. Hatte er auch Angst? Empfand er irgendetwas?
Vorsichtig setzte sie sich neben ihn und strich ihm eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
„Ich hoffe so sehr für dich, dass es klappt.", flüsterte sie. „Es würde mich wahnsinnig glücklich machen. Und ich..."
Sie stockte, als er mit den Fingern ihren Handrücken berührte. Er sagte immer noch kein Wort.
„Danke, dass du mir noch einmal das Gefühl von Liebe gegeben hast.", schloss sie leise.
Für einen Moment sah es so aus, als wollte er etwas darauf sagen, sie sah, wie sein Mund zum sprechen ansetzte. Aber dann näherten sich Schritte.
Und keine fünf Sekunden später standen Pain, Konan und Kisame in der Tür, während die anderen auf dem Flur stehen blieben.
Es war soweit.
Sakura spürte einen unheimlich dicken Kloß in ihrem Hals, als sie in die kalten Augen von Pain sah.
„Bist du soweit?", fragte er Itachi.
Irgendwie schaffte Itachi es zu nicken. Mit seinem Nicken kehrte der Schmerz in ihrer Brust zurück, ihre Hände fingen an zu beben.
„Fang an!" Pains Aussage war ein unwiderruflicher Befehl.
Sie schloss kurz die Augen, ehe sie schluckte. „Macht die Tür zu, bitte. Und macht das Licht aus."
Sie hörte wie jemand, wahrscheinlich Konan, die Tür schloss und das Licht löschte, ehe sie ihre volle Aufmerksamkeit Itachi zuwandte. Er wirkte so angespannt wie ein Bogen. Sie drehte sich kurz zum Nachtisch um, um die Lampe darauf anzumachen. Dämmriges Licht erfüllte den Raum.
„Ich nehme dir jetzt Bandage für Bandage den Verband vom Kopf.", erklärte sie mit leiser Stimme. „Lass wenn möglich die Augen nur einen Spalt breit auf oder am besten ganz zu."
Eine kurze Bewegung mit dem Kopf zeugte von seinem Einverständnis. Mit einer Schere schnitt sie vorsichtig den Verband vorne durch, sodass zwei Enden des Verband von seinen Augen auf seine Schultern fielen. Langsam nahm sie ein Ende und fing es an von seinem Kopf zu wickeln. Sie machte es sehr langsam, um ihn nicht zu verletzten oder weh zu tun.
Mit jeder Schicht Verband, die auf dem Boden landete, ballte Itachi seine Fäuste etwas mehr. Sie konnte die scharfen Blicke von Pain und Kisame im Rücken spüren, aber sie machte unbeirrt weiter.
Endlich war nur noch eine Schicht übrig. Sie nahm die Lampe vom Tisch und drehte sie noch etwas schwächer.
„Mach die Augen zu.", sagte sie.
Er gab ein ersticktes Zischen von sich, in der sie hoffte, dass er es tat. Dann nahm sie ihm die letzte Schicht ab.
Er hatte die Augen geschlossen, um seine Lieder waren noch winzige Rückstände von dem Desinfektionsmittel. Mit einem feuchten Lappen wischte sie es vorsichtig ab. Ihr Herzschlag pochte in ihren Ohren, hinter ihr konnte sie hören, wie die Anwesenden im Raum näher traten.
„Und jetzt ganz langsam öffnen."
Itachis Lider zuckten leicht. Mit dem Zucken öffneten sie sich ein wenig. Sofort kniff er sie wieder zusammen und drehte den Kopf weg. Sakuras Herz machte einen Satz.
Er drehte sich von der Lampe weg!
Mit einem weiteren Zucken öffneten sich seine Augen einen Spalt breit, kaum zwei Millimeter. Ganz langsam drehte er wieder den Kopf zu ihr. Sakura konnte hören, wie sich seine Atmung veränderte und schneller wurde. Er öffnete die Augen etwas mehr, blinzelte ununterbrochen, aber mit jeder Sekunde öffneten sich seine Augen etwas mehr. Bis sie ganz offen waren.
Itachis Körper war wie erstarrt, als er auf die Lampe vor sich starrte. Seine schwarzen Augen leuchteten im schwachen Licht, während seine Hände kaum merklich anfingen zu zittern. Sakura hielt die Luft an, als sie die Lampe ein klein wenig mehr aufdrehte. Augenblicklich kniff er wieder die Augen zusammen, bevor sie sich nach gut einer halben Minute wieder an das stärkere Licht gewöhnt hatten. Langsam stellte Sakura die Lampe auf dem Tisch ab und beobachtete wie Itachi die Lampe mit den Augen verfolgte. Sakura musste beinahe auflachen, so eine Erleichterung brach über sie ein.
Er konnte sehen. Itachi konnte wieder sehen!
Wie in Zeitlupe drehte er seinen Kopf zu ihr. Der Blick seiner schwarzen Iris hielt sie sofort fest. Ihr Herz machte einen Satz, als sich seine Augen weiteten, als er zum ersten Mal ihr Gesicht erblickte. Sie fragte sich, was er an ihr sah.
Ein dürres, klappriges Ding, dem die Erwartung und Angst im Gesicht geschrieben stand?
Das Mädchen, mit dem er die letzten Monate verbracht hatte und auf das er angewiesen gewesen war?
Oder sah er womöglich diejenige, die er sich durch ihre Stimme, ihren Geruch, ihre Art zu reden immer vorgestellt hatte?
„Du kannst sehen."
Sie hatte beinahe vergessen, dass noch andere Personen im Raum waren. Konans Stimme klang feststellend aber auch erleichtert. Sie drehte sich um.
Konan lächelte, Kisame grinste, Pains Miene hatte sich nicht verändert. Es war so leicht festzustellen, wer von den Anwesenden sich wirklich für Itachi zu freuen schien. Sie merkte, dass er auf Konans Worte hin endlich zu ihnen sah.
Und Pain damit unweigerlich bestätigte, dass Sakura ihren Job getan hatte.
„Gut gemacht, Haruno.", sagte er leise. „Sehr gut gemacht."
Damit drehte er sich um und ging zur Tür. Als er sie aufmachte, sah sich Sakura den restlichen Akatsuki gegenüber, die neugierig in den Raum sahen. Sie brachten auch nicht lange um zu schnallen, dass der Blinde unter ihnen diese Kategorie der Behinderung verlassen hatte.
„Nette Zombieaugen.", sagte Hidan lachend. „Wird wohl noch eine Weile brauchen, bis die wieder normal aussehen."
„Itachi-san kann wieder sehen!", kreischte Tobi. Aus irgendeinem Grund lief Sakura dabei ein ziemlich unangenehmer Schauer über den Rücken. Sie hatte das Gefühl, dass dieser aufgedrehte Jemand, der hier immer den Clown zu spielen schien, sie mit einem Blick anschaute, der wortwörtlich töten konnte.
Ihr Blick fiel auf Deidara, der wunderlicherweise nichts sagte und Itachi auch nicht ansah. Sein Blick galt ihr und er wirkte wie ein Buch mit sieben Siegeln, nichts war in seinem Gesicht zu lesen. Der gleiche Blick, den Kisame ihr eben zugeworfen hatte.
„Itachi!"
Sakura zuckte zusammen, als Pain sich noch einmal zu ihnen umdrehte.
„Du weißt, was du zu tun hast."
Damit schloss sich die Tür hinter ihnen und sie waren allein. Sakura war mehr oder weniger sofort klar gewesen, was der Satz zu bedeuten hatte. Sie lachte leise auf.
„Sie wollen, dass du derjenige bist, der mich umbringt?"
Sofort hörten ihre Hände auf zu zittern, aber sie hustete leise los. Das Brennen in ihrem Innern nahm zu.
„Das war so klar.", kicherte sie heiser. „Ist klar, dass Pain seinen Superkiller wieder haben will, nachdem die liebe, nette Ärztin ihn weichgekocht hat."
Sie verzog das Gesicht und krallte eine Hand in ihr T-Shirt. Dann sah sie ihm ins Gesicht und wurde von seinen Augen fixiert. In ihnen lag ein so tiefer Schmerz, dass ihr die Tränen kamen.
„Sehe ich..." Sie hustete wieder. „Sehe ich so aus, wie du es dir vorgestellt hast?"
Seine Arme schlangen sich um ihren Körper und drückten sie an ihn. Sie konnte sein klopfendes Herz in seiner Brust hören.
„Es tut mir so leid.", flüsterte er heiser. „Es tut mir so leid, Sakura. Alles, was ich dir und was die anderen dir zugemutet haben. Du bist das erstaunlichste Mädchen, dass ich je getroffen habe, ich habe keine Person in meinem Leben kennengelernt, die so viel zustande gebracht hat."
Seine Worte verstärkten nur das Brennen in ihrer Brust. Sie hatte das Gefühl, dass ihr Herz jeden Moment explodieren würde.
„Itachi, ich..." Sie stockte, als ein unvorstellbarer Schmerz in ihrer Brust explodierte. „I-ich wollte dir sagen..."
„Es tut mir so leid."
„...i-ich..." Sie bekam keine Luft mehr. Nein, sie wollte ihm noch was sagen! Nicht jetzt, bitte keinen Anfall!
Er bückte sich leicht und zog etwas unter dem Bett hervor. „Vergib mir, Sakura."
Sie sah das Messer in seiner Hand und...
„I-Itachi...", schluchzte sie.
Das letzte, was sie sah, bevor der Schmerz in ihrer Brust und in ihrem Hals explodierte, waren seine blutroten Augen.
Und dann war da nichts mehr.

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