(2) - Lehrer, Arzt und bester Freund

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"Das ist ein Doppelbruch, May, das musst du nacheinander rechnen."
Mailin und ich saßen an dem Küchentisch in meiner Wohnung und sie verzweifelte gerade über ihren Matheaufgaben.
"Warum gibt es überhaupt so was wie Brüche?", sagte Mailin genervt und raufte sich die Haare. Überfordert starrte sie auf das aufgeschlagene Lehrbuch vor sich.
Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen.
"Glaub mir, später gibt es noch viel Schlimmeres", prophezeite ich ihr belustigt.
"Sehr motivierend", entgegnete sie angesäuert.
"Ach komm", sagte ich nun mit unterdrücktem Lachen in der Stimme. "Du bist erst in der sechsten Klasse. Genieß die Zeit doch."
"Genießen", äffte sie mich nach. "Mathe kann man nicht genießen."

Bevor ich darauf etwas antworten konnte, klingelte es an der Tür. Mailin sah mich fragend an, als ich aufstand, um öffnen zu gehen.
"Das wird Alex sein", erklärte ich schnell. Hatte ich wohl vergessen zu erwähnen.
Mailins Miene hellte sich etwas auf.
Schnellen Schrittes lief ich zu meiner Wohnungstür und sah mich einen Augenblick später Alex gegenüber.
"Hi", sagte ich und ließ ihn an mir vorbei. "Wir sind gerade dabei, ihre Matheaufgaben zu machen. Das kannst du gerne übernehmen."
"Au jaaa!", schallte es aus dem Wohnzimmer zurück und einen Augenblick später kam Mailin in den Flur gestolpert.
"Hallo Alex."
"Hallo May."
Sie umarmten sich kurz.

"Meine Schwester erfreut sich meines Leidens." Mailin zog einen Schmollmund, verschränkte ihre Arme vor der Brust und sah mich gespielt böse an.
Alex grinste mich an.
"Nicht doch, Talessa", lachte er. "Was tut sie denn?", wandte er sich dann ganz ernst an Mailin.
Meine Schwester lehnte sich zu Alex und redete gerade noch so laut, dass ich es verstand.
"Sie droht mir damit, dass Mathe noch schlimmer wird", sagte sie todernst.
Alex konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Ich mir auch nicht.
Mailin blickte zwischen uns hin und her.
"Ihr habt euch gegen mich verbündet!", rief sie entrüstet.
"Oh nein, sie hat uns enttarnt!"

Theatralisch warf Alex seine Arme in die Luft, ehe er einen großen Schritt auf die inzwischen zurückgewichene Mailin zuging und sie packte.
Das alles endete in einer einzigen chaotischen Kitzelattacke auf meiner Couch.
"Alex... gleich musst du mich behandeln... lass... das", japste Mailin nach einer Weile. Ihr Gesicht war inzwischen knallrot angelaufen.
Alex ließ sofort von ihr ab, grinste jedoch noch immer bis über beide Ohren.
"Danke." Mailin pustete sich eine Strähne aus dem Gesicht, ehe sie sich wieder aufrecht hinsetzte. Ihr Atem ging schnell, als hätte sie gerade einen 800-Meter-Lauf auf Schnelligkeit hinter sich.
"Kannst du mir jetzt helfen?" Mit einem Nicken deutete sie zur Küche, in der noch immer ihr aufgeschlagenes Mathebuch auf sich warten ließ.
"Klar. Mathe war mein Ding." Alex zwinkerte mir zu und folgte Mailin dann.
Mathe war sein Ding. Bis zur zehnten Klasse vielleicht.
Dann war er genauso verloren wie ich damals. Da erinnerte ich mich nur allzu gut dran.

Ich folgte den beiden kurz danach in die Küche. Das Bild zauberte mir ein Lächeln ins Gesicht. Es war schön, dass May so gut mit Alex klarkam. Wie sie beide mit zusammengesteckten Köpfen über dem Mathebuch hingen, Mailin kaute verzweifelt auf ihrem Stift, während Alex mit ruhiger Stimme Schritt für Schritt erklärte und ihr immer wieder den Stift aus dem Mund zog.
Mit einem leisen Räuspern unterbrach ich die beiden - eher ungern, aber ich war mir ziemlich sicher, dass auch Mailin etwas essen wollte.
Ihre Köpfe schnellten nach oben, wobei beide zusammenstießen und sie ihre Gesichter verzogen, danach jedoch in Gelächter verfielen.

"Soll ich Nudeln kochen?", kämpfte ich schmunzelnd gegen das Lachen an.
Mailin rümpfte ihre Nase. "Schon wieder Nudeln? Das gab es erst gestern. Und vor drei Tagen."
"Dann", suchend sah ich mich in der Küche um, "bleibt wohl nur noch die Tomatensoße?" Leider musste ich feststellen, dass wir nur noch ein sehr spärliches Sortiment an Lebensmitteln hatten.
Von Mailin kam nur noch ein genervtes Brummen.
"Du könntest einkaufen gehen, während ich mit May die Aufgaben löse. Danach kochen wir zusammen was", schlug Alex versöhnlich vor. Er merkte wohl, dass es gleich zu einer Diskussion kommen könnte.
Essen war kein ganz so leichtes Thema, denn ich verpeilte es zwischen allen Gedanken gut und gerne mal, einen ordentlichen Einkauf zu tätigen.
"Super, wirklich lieb von dir", sagte ich erleichtert und nickte ihm dankbar zu.

Die paar Minuten Fußweg zum nächsten Supermarkt brachte ich schnell hinter mich.
Als ich von Regal zu Regal ging, wollte mir partout kein Gericht einfallen, welches wir heute kochen konnten.
Irgendwann gab ich den Kampf auf und entschied mich für selbstgemachte Pizza. Mailin würde sich sicher freuen. Ich war gerade dabei, eine Packung geriebenen Käse in meinen Einkaufswagen zu legen, als ich plötzlich etwas wahrnahm. Oder eher gesagt jemanden.
Augenblicklich breitete sich ein Grinsen auf meinem Gesicht aus und mein Herz schlug etwas höher. Die Packung geriebenen Mozzarella in meiner Hand legte ich ganz langsam und möglichst leise in dem Wagen ab.
Vielleicht hatte er mich ja noch nicht bemerkt.
Ich fühlte mich wie auf geheimer Mission, als ich mich langsam anschlich. Und musste dabei höchst bescheuert aussehen. Aber das war mir in diesem Moment egal.

"Buh!", rief ich dann plötzlich laut und zwackte David in die Seite.
Verstört wirkend fuhr er herum, musste aber augenblicklich mit in mein Lachen einstimmen.
"Tessa, was machst du denn hier?", fragte er grinsend und zog mich in eine Umarmung. Er war vor Verlegenheit etwas rot im Gesicht und eine Strähne hing ihm über die Augen. Und er sah damit echt süß aus. Verdammt süß.
"Dir auflauern, weißt du?", sagte ich ironisch und löste mich von ihm. "Nein, einkaufen natürlich."
Ich deutete auf meinen Wagen, der unweit von uns stand. "Wolltest du heute nicht etwas mit deinen Freunden unternehmen?", setzte ich noch hinzu und sah ihn fragend an.
David zuckte die Schultern. "Dennis konnte nicht kommen. Er ist krank geworden. Wie auch immer man das im Sommer schafft." Er schaute einen Moment skeptisch ins Nichts.

"Aber egal", fügte er fröhlicher hinzu und grinste mich an. "Hast du heute noch was vor?" Er wackelte mit seinen Augenbrauen und lehnte sich lässig an seinen Wagen.
Ich musste etwas grinsen. "Sorry, Schatz. Aber Alex ist heute zu Besuch. Und er kümmert sich gerade um Mailin."
"Och Mann." David schob schmollend seine Unterlippe vor. Ich wollte gerade zu einer Erwiderung ansetzen, doch er schnitt mir das Wort ab. "Nein nein, kein Stress, ich verstehe das ja." Er lächelte mich an.
"Danke", sagte ich ehrlich. "Dann sehen wir uns später mal, nehme ich an?"
"Ja, klar." David beugte sich zu mir vor und gab mir einen Kuss.
"Bis später, hab dich lieb."

Ich führte den restlichen Einkauf viel glücklicher fort. David machte mich mit jeder Sekunde glücklich, die ich bei ihm war. Auch wenn es so eine Begegnung wie gerade war, half mir das manchmal den ganzen Tag über, ein Grinsen im Gesicht zu haben.

"May, heute gibt's Pizza!", rief ich durch die Wohnung, kaum dass ich sie betreten hatte.
Als Antwort kam ein freudiges Jubeln, welches in Schritte überging. Alex' Schritte. Er kam in den Flur und nahm mir die beiden vollen Einkaufstüten ab. Er wandte sich zum Gehen, blieb dann jedoch stehen und sah mich nochmal an.
"Warum grinst du so?"
Ich erzählte ihm, dass ich spontan auf David getroffen bin, was auch Alex ein fröhliches Lächeln entlockte. Ihn machte es anscheinend glücklich, mich so froh zu sehen.

"Wusstest du, dass du eine totale Niete im Erklären bist?", fragte Mailin wie beiläufig, während sie angestrengt den Teig knetete.
Ich schaute zu Alex, der stolz schmunzelte.
"Ihr habt euch abgesprochen", stellte ich fest und kniff gespielt beleidigt meine Augen zusammen.
Mailin zuckte unschuldig mit den Schultern und deutete zu Alex. "Du darfst ausrollen. Und ich wäre dafür, dass Alex fest bei uns angestellt wird. Als Lehrer."
Ich zog eine Augenbraue in die Höhe.
"Er ist doch schon oft bei uns und hilft dir."
"Schon, aber was denkst du, wie gut meine Noten wären, wenn er mir immer alles erklären würde", erwiderte sie ernst.
"Ach ja, Alex, der hinreißende, schlaue Arzt, der alles kann", seufzte ich laut und guckte Alex mit einem Hundeblick an.
"Was eine Ehre, Sie meinen besten Freund zu nennen."
Warnend hob er das Nudelholz, unterbrach sein Grinsen jedoch nicht.
"Du kannst dich wirklich geehrt fühlen."
Von Mailin kam nur noch ein heftiges Nicken. Sie waren beinahe schon ein eingespieltes Team.

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Einen schönen Morgen, Tag oder Abend noch, macht etwas daraus :)

Scars || ASDSWo Geschichten leben. Entdecke jetzt