(17) - Negative Vorahnung

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"Hey David", begrüßte ich ihn an seiner Wohnungstür. Ich war etwas spät dran für unser Treffen.
Er umarmte mich. "Hey, komm rein." Ich folgte ihm nach innen und zog meine Schuhe aus. Auf mein Gesicht, welches wohl aussah, als hätte ich monatelang nicht ein Auge zugetan, ging er nicht ein.
"Wieso kommst du erst jetzt?", wollte David dann wissen, während er zwei Gläser mit Bowle füllte. "Wieder einen nervigen Kunden gehabt?" Er grinste.
"Eher einen nervigen Kollegen", seufzte ich.
"Wie meinst du das?"
"Der Typ heißt Bert, ist vielleicht drei, vier Jahre älter als ich", begann ich, "Ach keine Ahnung, eigentlich will ich da jetzt gar nicht drüber reden. Bin froh, dass ich da jetzt mal weg bin. Jedenfalls... fühle ich mich-" Ich schaute mich im Raum um, als würde ich nach Worten suchen. "Ich fühle mich irgendwie bedrängt von ihm. Seinem Blick. Seiner Anwesenheit", sagte ich dann.

"Wie, 'bedrängt'?", hinterfragte David sofort mit zusammengezogenen Augenbrauen und stellte die Gläser auf dem Couchtisch ab.
"Sagte ich eben. Und das ist wahrscheinlich eh nicht so", versuchte ich es sofort abzuwiegeln. David sollte sich da jetzt bloß nicht reinsteigern. "Empfinde ich bestimmt gerade eh nur wegen Schlafmangel." Ich versuchte es mit einem schiefen Grinsen.
David ging auf das Letzte nicht ein.
"Was macht er denn so?", wollte er jetzt wissen und sah mich an, während wir uns setzten.
"Ich... keine Ahnung, ich kann das nicht beschreiben", sagte ich etwas unwirsch. Verstand er denn nicht, dass ich gerade nicht darüber reden wollte? "Er hat mich heute Morgen festgehalten, als ich gestolpert bin. Für meinen Geschmack deutlich zu lange. Und er schaut mich die ganze Zeit an. Glaub ich. Empfinde ich zumindest so. Wird schon."
Ich hoffte, hiermit das Thema beenden zu können. Aber da hatte ich mich geschnitten.
"Den Typ nehme ich mir vor", grummelte David und nahm mit finsterer Miene einen Schluck aus seinem Glas. "Der soll sich ja nichts einbilden."
"David, das passt schon, wirklich, alles gut jetzt", sagte ich nun fast schon verzweifelt. Ich hatte beinahe schon Angst davor, was David jetzt vorhaben könnte. Und ich hatte ihm noch nicht mal gesagt, dass Bert sich mit mir treffen wollte.
"Wie heißt er nochmal? Bert? Der wird schon sehen", sagte David leise vor sich hin, wieder, ohne auf meine Worte einzugehen.

Das Treffen verlief weiterhin in dieser unangenehm gedrückten Stimmung, obwohl wir nicht mehr länger über Bert redeten. David war noch immer nachdenklich, als ich mich verabschiedete und zu mir nach Hause ging. Ich konnte förmlich spüren, dass er irgendetwas plante. Mich beschlich ein ungutes Gefühl, wenn ich an den nächsten Tag dachte. Wie eine bedrohliche Masse, die bald aufkochen und ungeheuerlichen Schaden anrichten konnte.

Doch als ich am nächsten Morgen in die Apotheke trat, schien Bert unser letztes Gespräch am Vortag beinahe schon vergessen zu haben. Oder er überspielte es ganz gut.
"Na Talessa? Geht es dir besser?"
Ich musste meinen Blick abwenden, zu unerträglich war sein Lächeln für mich. "Mir ging es gestern gut", murmelte ich und machte mich an die Arbeit. Bloß beschäftigt sein, das wollte ich jetzt.
"Aber ehrlich, ich vermisse dein Lächeln und..."
Schwungvoll drehte ich mich um und starrte ihn an. Er war näher gekommen, doch ich hatte keine Chance mehr, wirklich zurückzuweichen.
"Klemm dir das, ehrlich", fauchte ich und drückte mich an ihm vorbei. Die Tablettenschachtel gab ich einfach an ihn weiter, ehe ich mich hinter den Tresen stellte und sehnsüchtig auf einen Kunden wartete. Immer die Angst im Nacken, David könnte etwas geplant haben. Aber größer war die Angst wohl davor, dass Bert etwas Neues auspackte.

Eine verkaufte Packung Schmerztabletten später starrte ich einfach nach draußen. Aus der Apotheke. Wie gern ich jetzt einfach verschwinden würde. Diesem ganzen Gerede einfach entfliehen. Nichts mehr darüber hören und die Zeit mit jemandem genießen. David, wenn er nicht so nachdenklich wäre. Oder mal wieder mit Alex, den ich schon viel zu lang nicht mehr gesehen hatte.
Aber definitiv nicht mit Bert, dessen Stimme mir mittlerweile eine unangenehme Gänsehaut verpasste.
"Talessa."
Allein unter meinem Namen aus seinem Mund zuckte ich zusammen. Langsam drehte ich mich um. Hätte ihm lieber vor die Füße gekotzt, als ihm wieder zuzuhören.
"Wieso leugnest du denn die ganze Zeit, dass mit dir eben nicht alles gut ist? Ich kann nicht oft genug sagen, dass ich für dich da bin." Er machte einen Schritt auf mich zu.
Und wieder wich ich zurück, stieß gegen die Theke. Das kam mir alles viel zu bekannt vor. So bekannt, wie es nicht sein sollte. Bert stand jetzt so nah vor mir, dass ich seinen Atem spüren konnte.
Ich hoffte auf die Klingel, wusste jedoch gleichzeitig auch, dass das ein sinnloses Hoffen war. Wann hatte ich schon mal Glück im Timing? Selten. Sehr...

Die Klingel ließ mein Herz beinahe einen kleinen Hüpfer machen.
Aber die Stimme, die im nächsten Moment durch die Räumlichkeit bellte, ließ mich innerlich zusammenfahren. Eine kalte, kribbelnde Gänsehaut breitete sich auf mir aus.
Der eben gerufene Satz hallte in meinem Kopf nach, verursachte ein unangenehmes Rauschen in meinen Ohren.
Ich wusste in diesem Moment, dass das kein gutes Ende nehmen würde. Dass alles mit David durchgehen würde.
Und ich hatte es geahnt.
Ich hatte geahnt, dass David etwas vorhatte.
Und ich hätte es verhindern müssen.
Doch nun war es zu spät.

Bert war wohl eher weniger beeindruckt, denn er wich keinen Schritt von mir weg.
Ich presste mich vielmehr gegen die Theke, dessen Kante sich beinahe schon schmerzhaft in meinen Rücken drückte, doch das war mir egal.
"Geh von meiner Freundin weg!", schrie David erneut.
Ich schloss meine Augen, atmete tief durch. Es brachte nichts.

Mein Kiefer spannte sich an, ehe ich eine Hand an meinem Oberarm spürte. Ich wusste ohne einen Blick, dass es David war. Ich würde seine Griffe immer erkennen. Er war sanft, jedoch konnte ich unter seinem Griff spüren, wie geladen er war. Wie wütend er war. Wie unberechenbar er nun wurde.
Er zog mich weg, weg von meiner Stütze in meinem Rücken, weg von Bert.
Ich konnte das alles von der Seite betrachten, doch ich wollte es nicht.
Krampfhaft suchte ich nach Worten, die David beruhigen konnten, fand jedoch nichts als leere Floskeln, die an ihm vorbeigebrettert wären.

Sein Gesicht war von einer leichten Röte bedeckt, sein Kiefer angespannt. Nichts war von seinen sonst so sanften Gesichtszügen mehr übrig. Ich erkannte David nicht wieder. Meinen David, mit dem ich schon etliche Dinge durchgemacht hatte. Der immer für mich da war, in dessen Armen ich immer einen geborgenen Platz gefunden hatte. Nichts erinnerte in diesem Moment an all das.

David war ein Stück größer als Bert. Und der Blick, mit dem er auf ihn herabstarrte, sah gefährlich aus.
Mir kam das alles wie in einem schlechten Film vor, in den ich definitiv nicht gehörte. Am liebsten würde ich einfach jetzt diesen Film abschalten und den Fernseher ausmachen. Oder mir die Ohren zuhalten und unter den nächstbesten Tisch krabbeln, um all das zu umgehen. So zu tun, als wäre es nicht da. Einfach der Situation entfliehen.

"Was sollte das werden?" Davids Stimme war gefährlich ruhig. Und so sehr es mich freute, nicht länger Berts Atem im Nacken zu haben, desto mehr wünschte ich mir, dass jemand anderes als David hier wäre.
"Ich habe mich nur nach ihrem Wohlergehen erkundigt", antwortete Bert ebenfalls ruhig. Seine Stimme trieb mir jedoch eine Übelkeit ein, die ich nicht einfach so schlucken konnte.

Meine Hände begannen zu zittern. Ich probierte sie zu verstecken, doch wusste eigentlich, dass das jetzt keinem auffallen würde. Dass mich keiner beachten würde.
"Sie hat dir aber anscheinend keine Antwort gegeben", erwiderte David. Die beiden starrten sich wie zwei Löwen vor dem Kampf an. Gefräßig, mordswütend, ungeheuerlich.
"Hat sie nicht. Aber jeder sieht doch, dass es ihr nicht gut geht. Da wollte ich einfach für sie da sein."
"Für sie da sein", äffte David abschätzig nach. "Wenn jemand für sie da ist, dann bin ich das!"
"Merkt man", schnaubte mein Kollege verächtlich und seine Augen blitzten in vorbehaltenen Provokationen. "Wenn du für deine Freundin da wärst, würde sie wohl nicht so aussehen."
David ging sofort einen deutlichen Schritt auf Bert zu, der keine Anstalten machte, vor ihm zurückzuweichen. "Ich bin für meine Freundin da", flüsterte er gefährlich leise.

In mir brodelte die Angst.
Angst vor allem.
Angst davor, dass das hier alles aus dem Ruder lief.

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Einen schönen Morgen, Tag oder Abend noch, macht etwas daraus :)

Scars || ASDSWo Geschichten leben. Entdecke jetzt