(22) - Rot, die Farbe der Liebe

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"Du bleibst noch hier?" Mailin sah mich mit großen Augen an, während sie ihre Jacke anzog.
"Ja, Phil bringt dich jetzt nach Hause. Du weißt doch, Mama wartet auf dich."
"Na schön", sagte Mailin missmutig und zog ihren Reißverschluss zu. "Aber wir kommen hier nochmal her!"
Ich lächelte. "Natürlich, May", versprach ich ihr. "Jetzt geh schon, Phil wartet am Auto auf dich", fügte ich hinzu und zog sie in eine feste Umarmung.
"Bis später, Tessa."
"Mach's gut."

Ich schloss die Haustür hinter mir und ging wieder zurück in die Küche, wo Paula nach wie vor am Herd stand.

"Kann ich dir noch mit helfen?", fragte ich sie.
Sie sah sich um und schien nachzudenken.
"Nein, eigentlich ist alles gemacht. Nur die Kartoffeln müssen noch kochen", sagte sie und deutete auf den Herd vor sich. "Aber darum kümmere ich mich."

Ich nickte und ließ mich auf die Couch im Wohnzimmer fallen. Allmählich keimte in mir wieder ein beklemmendes Gefühl hoch, was David betraf. Würde er einsehen, dass er falsch lag? Oder hatte ich ihn einfach nur nicht richtig verstanden? Eine unangenehme Kälte breitete sich in mir aus, wenn ich darüber nachdachte, dass es vielleicht zwischen uns nie wieder so sein würde wie zuvor. Das durfte einfach nicht sein.
Aber sollte ich ihn wirklich erneut ansprechen, wenn ich doch schon den ersten Schritt auf ihn zu gemacht hatte? Und er so reagiert hatte?

Und so gern ich auch bei Phil und Paula war – es vermittelte mir immer wieder das Gefühl, dass es zwischen den beiden besser lief als zwischen David und mir. Oder empfand ich das nur gerade so, weil David und ich – und es tat weh, das zuzugeben – einen Streit hatten?

Gefangen in meinem Gedankenmeer merkte ich erst jetzt, dass eine Nachricht von David angekommen war.
Mit vor Aufregung klopfendem Herzen nahm ich mein Handy in die Hand und öffnete den Chat.

»Ich war ein Esel. Und ein Idiot. Können wir uns treffen? Morgen?«

Erleichterung flutete in gigantischen Wellen durch mich und schien mich wie eine leichte Feder zu tragen.
Er wollte sich entschuldigen.
Sich mit mir treffen.
Alles würde gut werden.
Ein Lächeln stahl sich auf mein Gesicht, während ich ihm eine bestätigende Antwort schrieb. Und sollte dabei auch nur ein kleines Gefühl von Unwohlsein in mir gewesen sein - Ich hatte es schnell verdrängt.

Ich starrte noch immer leicht grinsend auf mein Handy, als Paula plötzlich zum Essen rief.
"Da komme ich ja gerade rechtzeitig", kam es schon beinahe erleichtert von Phil, der in diesem Moment zum zweiten Mal an diesem Tag das Haus betrat.
So lang hatte ich damit verbracht, meine Erleichterung zu verarbeiten?
"Wir hätten sonst natürlich ohne dich begonnen", erwiderte ich grinsend.
Von ihm bekam ich nur eine gehobene Augenbraue, die von einem Schmunzeln unterstrichen wurde.

"Händewaschen, bevor wir essen." Phil schnappte sich Louisa, die gerade auf ihren Stuhl springen wollte.
Maulend verdrehte sie ihre Augen. "Och Papa!", protestierte sie und zappelte in Phils Händen. "Warum ist es so anstrengend, ein Kind zu sein? Taza, ich möchte so alt sein wie du."
"Wie ich?", hakte ich interessiert nach. "Nicht wie deine Eltern?"
"Nee, die sind schon so alt. Du hast ja noch keine Kinder", antwortete sie entschlossen.
Paula lachte herzhaft auf. "Wir sind nicht bedeutend älter als Tessa, glaub mir das, mein Schatz."
"Genau", sagte ich grinsend. "Es sind nur vier Jahre. Das ist zwar genau dein Alter, Lou, aber am Ende macht das wirklich keinen Unterschied mehr. Genieß lieber die Zeit als Kind, sie verfliegt unglaublich schnell."
Ich sah zu Paula, die seufzend auf einen unbestimmten Punkt hinter Louisa sah.
"Ich sehe es schon vor mir", sagte sie, "die Zeit vergeht und ehe ich mich versehe, ist mein Kind ein Teenager und dann bald aus dem Haus raus."
Phil legte einen Arm um Paula und sie lehnte sich an ihn.
"Halt, so schnell nicht", widersprach Louisa, "ich esse erstmal."

"Und?", ich spießte ein Stück Kartoffel auf, "hat Mailin sich auf der Fahrt benommen?"
Phil schüttelte ernst den Kopf. "Meine Fensterscheiben sind jetzt alle futsch. Die Kosten darfst du übernehmen."
Paula und ich lachten auf.
"Mailin ist wirklich schon ziemlich reif für ihr Alter, das muss man sagen", fuhr Phil nun ernsthaft fort. "Man kann sich sehr gut mit ihr unterhalten. Und schräg singen kann man mit ihr auch."
Bei dem Gedanken, wie Phil und Mailin schräg singend im Auto sitzen, musste ich grinsen. Wobei ich mein Grinsen jetzt wohl kaum noch aus meinem Gesicht bekam.
Mein Blick wanderte zu Louisa, die glücklich mampfend vor ihrem Teller saß und uns gar nicht zuhörte. Ihre Beine wackelten unruhig unter dem Tisch, was man an ihrem ganzen Körper ausmachen konnte.
Auch bei diesem Anblick verstärkte sich mein Lächeln nur.

"Du wirkst plötzlich irgendwie viel gelöster. Was wurde da denn für ein Schalter umgelegt?", stellte Paula erstaunt fest und löste meine Aufmerksamkeit von Louisa.
Ich hob meine Schultern und sah, dass auch Phil ziemlich überrascht wirkte.
"David hat mir geschrieben. Er möchte sich entschuldigen und sieht wohl ein, dass er idiotisch gehandelt hat." Allein bei diesem Gedanken kam die Erleichterung mit voller Kraft zurück. Meine Zuversicht stieg stetig an.
"Das freut mich. Ihr bekommt das schon wieder hin." Paula nickte wissend. "Das spüre ich."
"Ich bin da auch guter Dinge", warf Phil ein. "Immerhin sind Streitereien auch mal normal. Ihr schafft das."
Plötzlich zog Louisa ihre Augenbrauen zusammen. "Es ist normal, dass Mama dich manchmal ignoriert und dir keinen Gute-Nacht-Kuss geben will, obwohl du einen möchtest? Dann ist normal sein echt blöd. Ohne Gute-Nacht-Kuss kann man doch nicht einschlafen."
Phil und Paula guckten sich an. Über beide Gesichter legte sich ein rötlicher Schimmer.
Und in diesem Moment wurde mir klar, dass selbst bei Paula und Phil nicht immer alles wie in einem Bilderbuch verlief.

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Einen schönen Morgen, Tag oder Abend noch, macht etwas daraus :)

Scars || ASDSWo Geschichten leben. Entdecke jetzt