(13) - Taghell & Nachtschwarz

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Ich war vollkommen überzeugt davon, dass ich dieses Unwohlsein am Tag des Unfalls in der Apotheke nur verspürt hatte, weil ich ein paar Stunden zuvor genau in diesen Räumlichkeiten den Anruf bekam.
Doch leider musste ich in den nächsten Tagen und Wochen feststellen, dass sich die Atmosphäre nicht verbesserte - im Gegenteil.
Das Ende meines Dienstes kam mir immer so elendig weit entfernt vor. Als würde die Zeit automatisch langsamer vergehen. Sich ziehen wie alter, geschmackloser Kaugummi.
Erreichten die Zeiger der Uhr endlich die herbeigesehnten Zahlen, flüchtete ich praktisch aus der Apotheke. Danach kümmerte ich mich hauptsächlich um Mailin und traf mich, wenn es die Zeit erlaubte, mit David. Der Kontakt zu Alex bestand leider größtenteils über das Handy, da seine Dienste und meine Freizeit einfach keinen gemeinsamen Nenner fanden.

Und neben all diesen kleinen Dingen, die meinen Alltag schon in einen grauen Umhang voll Stress hüllten, kam meine Mutter hinzu. Nicht umsonst war Mailin fast durchgängig bei mir, wenn es meine Arbeit zuließ - der Jahrestag, an dem die letzte Nachricht meines Vaters kam, rückte näher. Und ich wusste leider viel zu gut, wie meine Mutter darauf reagierte.
An diesem Tag war gar nichts mehr zu machen, weshalb ich immer voller Bemühungen war, sie irgendwie abzulenken. Bemühungen ohne Erfolg, Anstrengungen ohne Wirkung, doch ich wusste, dass ich wenigstens bei ihr sein musste. Alles andere würde mich in eiskalter Angst schwimmen lassen. In eiskalter Angst, die eine Gänsehaut über meinen Körper wandern ließ und mich zu ertränken drohte.

Ich fühlte mich, als hätte mich in der Nacht ein LKW überrollt. Die Erinnerungen waren schwach, doch das Datum vor meinen Augen präsenter denn je. Ich konnte nicht schlafen, weil morgen der Tag war. Warum musste ich auch immer schon Wochen davor schlaflose Nächte erleiden?
Panisch tastete meine Hand nach rechts und löste somit ein Grummeln aus. David war da. Ich atmete einen Ticken entspannter aus. Er war mir in diesen Zeiten die größte Stütze, die ich mir vorstellen konnte.
"Ich muss zur Arbeit", flüsterte ich schwermütig, als David mich aus verschlafenen Augen ansah.
Ich beugte mich zu ihm runter, gab ihm einen schnellen Kuss und verließ mein Schlafzimmer. David hatte es gut, er konnte sich jetzt einfach umdrehen und weiterschlafen.

Das Klingeln, welches durch das Öffnen der Ladentür ausgelöst wurde, war wie ein Tritt in den Magen. Dieses Geräusch bereitete mir mittlerweile wirklich Bauchschmerzen. Keine, die man auf irgendwelche physischen Beschwerden zurückführen konnte, nein. Eher ein anhaltendes, drückendes Gefühl, welches sich in mir ausbreitete und wie ein schwerer, glatter Stein in meinem Magen lag.

Doch als ich auf meine Kollegin Lisa im hinteren Bereich traf, hielt ich kurz inne.
"Was machst du denn hier?", fragte ich wirklich mehr als überrascht.
"Bert ist kurzfristig ausgefallen. Ich springe für ihn ein", erklärte sie und umarmte mich zur Begrüßung. Sie war eine sehr gute Kollegin und mit der Zeit auch eine Freundin von mir geworden. Doch da sie bereits Familie und ich viel mit Mailin zu tun hatte, fiel kaum Zeit für uns an.
Unwillkürlich entspannte sich meine Körperhaltung und es schien sich das große Knäul, welches sich in meinem Magen gebildet hatte, langsam aufzulösen. Ich spürte regelrechte Erleichterung, dass ich die nächsten acht Stunden nicht mit Bert in den gleichen vier Wänden verbringen musste.
Lisa musterte mich verwundert. "Alles okay mit dir?" Sie zog eine Augenbraue hoch. "Du wirkst so..."
"Alles bestens", unterbrach ich sie und meinte es auch so. Wenigstens für die nächsten acht Stunden war es mir möglich, meine Arbeit mal wieder zu genießen, wie es einst mal war.
Und das tat ich auch in vollen Zügen. Ich klammerte mich beinahe an das Gefühl der einstigen Normalität und hielt mich wie ein Ertrinkender an den Momenten fest, die eigentlich den einfachen Alltag darstellten.

Anscheinend wirkte ich auch am Abend deutlich entspannter, denn als ich Alex anrief, fragte er direkt was mich denn so glücklich machte.
Darauf antworten konnte ich nicht wirklich.
"Ich hatte irgendwie einen schönen Tag", sagte ich bloß. Alex nahm das so hin, ohne weiter darauf einzugehen.
Darüber, dass ich mich teilweise von Bert oder einfach nur seiner Anwesenheit bedrängt fühlte, sprach ich mit keinem. Ich wollte auch nicht darüber reden. Wahrscheinlich war es eh nur ein eingebildetes Gefühl von mir, welches weder auf Tatsachen beruhte, noch der Wahrheit entsprach. Und sich sicherlich wieder geben würde. Ich erklärte den Stress meinerseits in den letzten Tagen und Wochen zur Ursache und schob alle anderen Gedanken beiseite.
Zumindest solange, wie ich nicht mit Bert in einem Raum war.
Und heute mit Lisa gearbeitet zu haben, hatte echt ein ungewohntes Glücksgefühl in mir ausgelöst. Auch wenn dieser einfache, routinierte, sich in sich wiederholende Alltag kein wirklich besonderer war.
Dennoch war die Atmosphäre in der Apotheke viel leichter gewesen und ich hatte nicht das Gefühl, die pure Luft würde schwer auf mir liegen, mich zu Boden drücken und ersticken.
Nicht so, wie es bei Bert war. Ich verbannte diesen Gedanken. Wollte mich jetzt nicht damit befassen.

"Du Tessa, ich muss bald los, Nachtschicht", fiel es Alex dann auf. Ich nahm überrascht mein Handy vom Ohr und sah auf das Display. Tatsächlich. Schon wieder so spät.
"Oh, klar", sagte ich dann. Meine Worte blieben einen Moment im Raum hängen.
"Und warum sagtest du gleich nochmal, konnte David nicht mit dir telefonieren?", wollte Alex dann erneut wissen.
"Er meinte, er würde sich mit Kumpels treffen", wiederholte ich die Worte, die ich zu Beginn unseres Telefonates gesagt hatte in ruhiger Stimmlage.
"Okay gut", sagte Alex, "Dann bis... später mal."
"Ja, ruhige Schicht, bis bald."
"Danke, dir noch einen schönen Abend. Tschau."
"Tschau."

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Einen schönen Morgen, Tag oder Abend noch, macht etwas daraus :)

Scars || ASDSWo Geschichten leben. Entdecke jetzt