(20) - Durcheinander der Gefühle...

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"David?", fragte ich, als er das Telefonat annahm. Ich war wieder in meiner Wohnung und hatte eine Krankschreibung für den Rest der Woche.
"Ja?" Er klang nicht sonderlich freundlich.
Ich beschloss, nicht gleich mit der Tür ins Haus zu fallen.
"Wie... geht es dir?", fragte ich ruhig.
Ein Schnauben kam vom anderen Ende der Leitung. "Der Arsch hat mir ziemlich übel eine runtergehauen. Cut über dem Auge. Kopfschmerzen. Aber geht", sagte er kurz angebunden. Er schien auf das Thema nicht gut anzusprechen zu sein. Aber ich wollte das jetzt mal klarmachen.
"Wieso bist du so ausgerastet?", fragte ich deshalb ins Blaue hinein.
"Weil der Typ dich angepackt hat, deshalb. Was gibt es da zu fragen?" Davids Stimme bebte bedrohlich.
Ich atmete kurz durch. "Aber du weißt, dass das nicht richtig war, oder? Ich meine, wegen sowas eine Prügelei, das ist doch..." Ich suchte nach Worten.
"Nimmst du ihn in Schutz oder was?", fauchte David nun und ich war plötzlich sehr froh, gerade nicht in seiner Nähe zu sein. "Nimmst du ihn in Schutz? Wer ist dein Freund? Er oder ich? Was läuft da zwischen euch, Talessa?" Seine Stimme war pures Gift. Und seine Worte schneidend wie scharfe Messer in mein Herz.
Ich schnappte nach Luft. Allein die Tatsache, dass er sowas für möglich hielt, dass er mir sowas unterstellte, machte mich gerade sprachlos. Und es trieb mir Tränen in die Augen. David war mein Freund, er war der, den ich liebte. Er, der immer für mich da war, wenn ich ihn brauchte. Gerade erkannte ich ihn kaum wieder.
"Zwischen uns läuft nichts", brachte ich schließlich in einem jämmerlichen Versuch hervor, meine Stimme stark wirken zu lassen. "Das weißt du auch. Du weißt es, Dave. Aber siehst du denn nicht, dass man das anders hätte machen können? Dass wir einfach hätten reden können?" Ich wurde zum Ende hin immer verzweifelter.
Von David kam nur ein verächtlicher Laut. "Reden. Du immer mit deinem reden. Manchmal geht es halt nicht mit reden, Talessa." Allein die Art, wie er meinen Namen sagte, klang so stechend und höhnend.
"Aber-", setzte ich wieder an, ohne zu wissen, was ich wirklich sagen wollte.
"Lass gut sein, Talessa. Wir reden wann anders. Das bringt jetzt nichts."
Damit legte er einfach auf. Eine dröhnend laute Stille breitete sich um mich herum aus; rauschte in meinen Ohren.
Entgeistert starrte ich auf mein Handy, während ich mitten in meinem Wohnzimmer stand. Ich konnte mich gar nicht erinnern, aufgestanden zu sein. Musste in der Verzweiflung, David zu beruhigen, passiert sein.
Ich legte mein Handy auf dem Couchtisch ab. Meine Hände zitterten, während ich mich auf das Sofa sinken ließ.
Und plötzlich brachen all die Dinge auf mich ein, die ich außen vor gelassen hatte. Mailin. Meine Mutter. Ich hatte mich nicht um sie gekümmert, mich nicht einmal gemeldet.
Und obwohl ich das Gefühl hatte, wenigstens meine Mutter noch kurz anrufen zu müssen, konnte ich mich nicht dazu überwinden. Ruhe. Ich wollte Ruhe. Pause. Freiheit. Wenigstens für einen Augenblick.

Kurzentschlossen nahm ich meinen Schlüssel und zog die Tür hinter mir zu. Ich trat in die von orangen Laternen in Dämmerlicht getauchte Straße und wurde von der dunklen Nacht umhüllt. Die kühle Luft fraß sich in meine Haut, als ich mich auf den Bordstein sinken ließ.
Stille. Es war ruhig. Nur in der Ferne konnte man ein paar fahrende Autos hören. Meine wild umherwirbelnden Gedanken kamen zur Ruhe und sortierten sich etwas.
Ich zog meine dünne Strickjacke enger um mich und umschloss meine Beine mit meinen Armen. Ich wollte den Moment, an dem ich wieder reingehen würde, noch so lange wie möglich herauszögern. Mich noch einen Moment lang von der Realität fernhalten.
Ich hatte einen Streit mit David. Das war noch nie vorgekommen. Und so sehr ich auch versuchte, ihn zu verstehen, kam ich immer wieder zu dem Schluss, dass ich im Recht stand.
Und dieses Gefühl, dass diese Magie zwischen uns gerade nicht vorhanden oder zumindest verblasst war, war bedrückend. Würde es je wieder genauso werden wie zuvor?
Seufzend stand ich schließlich auf und ließ mich in meiner Wohnung auf die Couch fallen.

Mein Handy vibrierte leise.
Paula hatte mir geschrieben. Überrascht öffnete ich den Chat.
»Hi, lange nichts mehr geschrieben. Alex hat mir erzählt, was passiert ist. Wollen wir uns mal treffen? Einfach so?«
Meine Finger schwebten über der Tastatur. Gegen meinen Willen sammelten sich in meinem Kopf Gegenargumente an.
Ich wollte meine Ruhe haben. Ein bisschen die Zeit für mich nutzen. Meine Gedanken sortieren. Das mit David ins Reine bringen. Mich um Mailin und meine Mutter kümmern.
Doch eine starke Stimme aus meinem Unterbewusstsein überwog: Ich wollte mich ablenken, mal was anderes machen. Zeit mit einer tollen Freundin verbringen.
»Ist es okay, wenn meine kleine Schwester mitkommt?«, schrieb ich schließlich Paula.
Wenige Momente später war ihre Antwort da.
»Ja, natürlich, kein Problem. Freue mich darauf, dass ihr kommt. 14 Uhr bei mir? :)«
»Gerne, bis morgen :)«
Und irgendwie wusste ich, dass meine Entscheidung richtig war.

Am nächsten Tag stand ich halb Zwei vor der Wohnung meiner Mutter.
Schon von außen hörte ich die fröhliche Stimme meiner Schwester, welche sich der Tür näherte.
"Hallo Tessa!", sagte Mailin dann strahlend und umarmte mich umständlich mit ihrem gebrochenen Arm.
"Hier, schau mal, der ist jetzt grün", sagte sie begeistert und deutete auf ihren Gips. "Und ich kann damit jetzt auch baden gehen. Der war vorher weiß, das war echt langweilig, aber dafür haben meine Freunde darauf malen können. Ich durfte den Gips sogar behalten, ich kann den dir zeigen, wenn du mitkommst", plapperte Mailin munter weiter und griff nach meiner Hand.
Die leichte, unbesorgte Stimmung, die sie verbreitete, war einfach ansteckend. Ich grinste zu ihr runter.
"Später, okay? Ich schau mir deinen Gips noch an", versprach ich ihr, "Aber jetzt wartet doch Paula auf uns."
"Na schön", gab sich Mailin geschlagen und zog sich mit einigen Umständen - aber ohne erwünschte Hilfe - ihre Schuhe an.
Ich sah zu unserer Mutter. Sie stand im Türrahmen gelehnt und lächelte uns leicht zu.
"Wann denkst du, dass ihr wieder da seid?", fragte sie an mich gewandt.
"Um neunzehn Uhr spätestens", sagte ich und sie nickte.
"Gehen wir?" Mailin sah zu mir hoch.
"Ja, los geht's", sagte ich und grinste ihr zu. "Bis heute Abend", fügte ich noch in Richtung meiner Mutter hinzu, bevor ich die Tür hinter uns zuzog.

"Werdet ihr wieder so Elterngespräche führen?", kam es plötzlich von meiner Schwester, während ich das Auto durch die Straßen steuerte.
Ich prustete los. "Elterngespräche? Ich bin doch noch keine Mutter."
"Nein, aber du weißt schon. So zwischen Erwachsenen halt, wo ich nur daneben sitze." Mailin starrte missmutig geradeaus.
Einen Moment lang dachte ich an früher zurück, wo es mir selbst so ging. Mittlerweile war ich erwachsen. Gruselig, wie schnell die Zeit vergangen war.
"Ach, das wird schon. Außerdem ist Paulas Tochter da, mit ihr kannst du dich ja dann beschäftigen", schlug ich vor.
Mailins Blick hellte sich etwas auf.
"Dann geht's ja", sagte sie eine Spur fröhlicher. "Wie alt war Louisa nochmal?" Etwas unbeholfen nahm Mailin ihre Hände zur Hilfe, kam jedoch auf kein wirkliches Ergebnis.
Grinsend schielte ich kurz zu ihr. "Sie wird in etwas mehr als zwei Monaten fünf. Und freut sich sicherlich, wenn du mit ihr spielst."
"Stimmt, da war was." Sie schob nachdenklich ihre Unterlippe etwas vor. "Wann habe ich sie denn das letzte Mal gesehen? Das muss auch schon wieder Jahre her sein", überlegte sie laut, während ich gerade den Wagen parkte.
"Na ja, Jahre sind das nun nicht", berichtigte ich schmunzelnd und zog den Schlüssel. "Aber bestimmt drei Monate."
"Knapp daneben", zischte Mailin und sprang voller Freude aus dem Auto.

Paula stand schon in der Tür und schien auf uns zu warten.
Sie zog mich in eine herzliche Umarmung.
"Ich freue mich wirklich, dass ihr kommen konntet. Wir haben echt lange nichts mehr zusammen gemacht", sagte sie lächelnd.
"Das ist wohl wahr", bestätigte ich, während Paula sich Mailin zuwandte.
"Ach Mäuschen", sagte sie mit Blick auf den Gips.
"Ich bin den bald los", versicherte meine Schwester und nickte wissend. Paula lachte.
"Süß", kommentierte sie. "Na dann kommt doch rein. Bitte." Sie trat einen Schritt zur Seite. "Louisa ist schon gar nicht mehr zu..."
Aus dem Wohnzimmer kam eine kleine Gestalt angerannt. Ihre braunen Haare, die in Phils unverwechselbaren, leichten aber gleichmäßigen Locken hingen, wurden zu einem Pferdeschwanz gebunden.
"Maaaaayyyyy", quietschte Louisa und fiel ihr in die Arme.
"Nicht mehr zu halten", vervollständigte Paula lachend. "Pass auf, Süße. Mailin hat einen gebrochenen Arm. Ihr könnt heute nicht allzu doll toben."
Seufzend betrachtete ich meine kleine Schwester, wie sie Louisas Umarmung fest erwiderte. "Noch macht ihnen der Altersunterschied nichts aus. Aber ich grusele mich jetzt schon vor der Zeit, in der Mailin nur noch Augen für Jungs hat."
Paulas ebenfalls tiefer Seufzer bestätigte mich. "Phil hat jetzt schon damit gedroht, die Türen auszuhängen, wenn sie ihren ersten Freund mit nach Hause bringt."
Ich stimmte in ihr Lachen ein. "Hat ja nun doch noch etwas Zeit. Aber sag mal, hat Phil Schicht?"
Ich bekam ein Nicken als Antwort. "Komm, lass uns mal ins Wohnzimmer gehen. Ich hab uns schon unseren Lieblingstee gekocht."

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Einen schönen Morgen, Tag oder Abend noch, macht etwas daraus :)

Scars || ASDSWo Geschichten leben. Entdecke jetzt