(18) - Davids Temperament

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Ich kannte Davids Temperament. Gerade, wenn es um Dinge ging, die er liebte, ging er wie ein aggressives Tier vor, welches seine Kinder beschützte.
Meine Fingernägel bohrten sich schon jetzt in meine Handflächen, voller Sorge vor diesem Geschehen.

"Sieht man." Bert lachte widerlich auf. "Dann wäre sie ja wohl von besserer Laune."
"Ach ja?" David bewegte sich noch einen Schritt näher auf Bert zu. Und mit jedem Schritt begann mein Herz wilder zu schlagen. Bald würde es schmerzhaft werden, das stand fest.
Ich hätte am liebsten etwas gesagt, hätte am liebsten diese surreale Szene entschärft, doch meine Zunge lag wie ein grober Zementklotz in meinem Mund. Zu schwer, um sich zu bewegen.
"Dass deine Kollegin sich von dir bedrängt fühlt, ist dir wohl noch nicht in den Sinn gekommen, oder?" Davids Stimme wurde lauter. "Dass sie sich in deiner Gegenwart unwohl fühlt. Weil du nicht locker lässt, obwohl sie dir sagt, was Sache ist."
Abwehrend hob Bert seine Hände. "Ich mache mir einfach Gedanken, ist das verboten?"
"Gedanken? Dann müsstest du doch merken, dass sie sich unwohl fühlt!", feuerte David los. "Lass deine Hände von ihr, verstanden?"
"Ich konnte doch nicht wissen, dass sie einen Freund hat", verteidigte Bert sich direkt. Und hatte somit zugegeben, was er beabsichtigt hatte.
"Aha." David holte tief Luft. "Also hattest du wirklich solche Absichten", sprach er das aus, was ich eben dachte.

Der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Das Pünktchen über dem i. Dieser eine kleine Funke, der alles in Brand setzte.
Mein Herz raste, das Zittern breitete sich in meinem gesamten Körper aus und brachte mich zum Beben.
Ich wusste nicht, wie mir geschieht. Hatte meinen Körper nicht mehr unter Kontrolle.
Ich zitterte, das Bild vor meinen Augen begann sich zu drehen. Die Stimmen wirkten verzerrt.
"Kümmer dich ordentlich um deine Freundin, dann würde ihr vielleicht mal geholfen werden!"
Zu viel. Zu viel für David. "Du lässt deine dreckigen Finger von ihr!"
"Sie hätte jemanden verdient, der sich um sie kümmert!"
Falsche Wörter. Alles war falsch. Ich war hier falsch. Diese ganze Situation war falsch.
"Halt deine Fresse, du hast doch gar keinen Plan, was abgeht!", brüllte David zurück. "Wehe, du hast noch einmal deine Hand irgendwo an ihrem Körper! Dann knallts!"
Davids Kopf war rot, als würde er gleich platzen, während ich mich fühlte, als würde ich jeden Moment umkippen. Ich suchte Halt an den Regalen hinter mir.

"Sie gehört dir nicht!"
Ich hatte den Zusammenhang verloren, wusste nicht mehr, wo vorne und hinten war. Es drehte sich, alles drehte sich. Meine Umgebung, mein Magen, mein Herz, welches mir beinahe aus der Brust sprang.
"Sie ist meine Freundin!"
Ich war seine Freundin. Er verteidigte mich. Aber es war kurz vor dem Eskalieren.
"Anscheinend hast du aber kaum Kontrolle, sonst würde sie nicht jeden Tag so fertig aussehen!"
"Weshalb sieht sie wohl so fertig aus?", schrie David. "Weil sie sich von dir bedrängt fühlt. Hast du keine Ahnung, wie man mit Frauen umgeht?"
"Mehr als du, wie es aussieht", sagte Bert in einem ekelhaften Ton von Selbstgefälligkeit.
"Das ist nicht die Art, wie man Frauen behandelt. Wenn sie nicht reden wollen, drängt man sie nicht. Schon gar nicht als einfacher Kollege!" Er schnaubte, war bis zum Zerreißen gespannt. "Ich wiederhole mich gern nochmal. Deine dreckigen Finger haben nichts bei ihr zu suchen!"

Meine Atmung beschleunigte sich. Es rauschte in meinen Ohren, als wäre ich mitten in einem Tornado gefangen.
Ich hörte die Stimmen nicht mehr. Konnte ihnen nicht mehr folgen. Es verlief alles in ein lautes Gemisch, aus dem ich nichts mehr filtern konnte.
"Stopp", wimmerte ich unter dem Geschrei. "Hört auf."
Ich bezweifelte, dass ich gehört wurde.

Und dann passierte es. Ich sah, wie David und Bert ihre Fäuste hoben und ihr Abstand immer enger wurde. Beide dunkelrote, wutverzerrte Gesichter waren nur noch Zentimeter voneinander entfernt. Ich hatte das Gefühl, dass es gleich einen Knall geben würde.
Und in diesem Moment wusste ich nicht mehr, was mit mir passierte. Wie in Zeitlupe sprang ich zwischen Bert und David.
"Stopp", schrie ich dabei laut. Ein herber Faustschlag traf mich am Kinn und hielt mir einen Moment lang die Luft weg. Ein weiterer traf mich am Arm. Ich stolperte nach vorn und fing mich an einer Wand ab. Schwer atmend drehte ich mich zu den beiden und starrte sie an. Ich konnte nicht sagen, wessen Schläge mich getroffen hatten.

Bitte lass das einen Albtraum sein.
Mit einem lauten Schrei riss David Bert zu Boden und mit einem beunruhigend knackenden Geräusch landete seine Faust in Berts Gesicht.
Davids Miene war so anders, als ich sie kannte. Einzelne Strähnen hingen ihm über die wutverzerrten Gesichtszüge. Würde ich ihn nicht kennen, hätte ich gigantische Angst vor ihm. Ich hatte Angst vor ihm. Ich hatte Angst vor meinem eigenen Freund.

"Hört auf!", schrie ich und gestikulierte wild, "Hört auf!"
Sie schienen mich überhaupt nicht wahrzunehmen.
Ich packte Bert an den Schultern, der jetzt über David kniete und auf ihn einprügelte, aber ich wurde nur grob zur Seite geschubst. Wieder rappelte ich mich auf; versuchte, zwischen sie zu gehen.
"Hört auf verdammt nochmal!", schrie ich verzweifelt, meine Stimme überschlug sich fast. Ich sah keinen Ausweg. Wie sollte das hier noch enden?

Das leise Läuten der sich öffnenden Ladentür nahm ich gar nicht wahr. Nur dieses eine, laut gebrüllte Wort einer sehr bekannten Stimme, welches uns alle einen Moment erstarren ließ.
"Polizei!"

Ich fiel nach hinten und blieb an die Theke gelehnt sitzen. Vor mir sah ich vier Polizisten, die Bert und David grob voneinander trennten und zu Boden brachten.
Paul kam auf mich zu.
"Talessa, ist alles okay bei dir?" Fast hätte ich über diese Frage lachen können. Nichts war okay.
Ich brachte nur ein Kopfschütteln zustande und sah Paul mit Blick auf Bert und David zu seinem Funkgerät greifen.
Davids Gesicht war noch immer gerötet und sein dunkler Blick hasserfüllt auf Bert gerichtet, der unweit von ihm am Boden lag. Beiden lief dunkles Blut über das Gesicht. Ich riss meinen Blick von ihnen los und sah zu Paul, der nun vor mir kniete.
"Was ist passiert?", wollte er ernst wissen, "Wir wurden von einer Passantin informiert. Stichwort Schlägerei. Wieso?"
Ich versuchte noch kurz, meinen Atem etwas unter Kontrolle zu bringen. Dann setzte ich an.
"Er, David, ist mein Freund", ich nickte zu ihm, "und er da", nun deutete ich auf Bert, "ist mein Arbeitskollege. David war hier, weil-" Ich wusste nicht ganz, wie ich das erklären sollte. "Das ist 'ne lange Geschichte."
"Mir reicht die Kurzform", sagte Paul ruhig.
"Bert hat in meine Richtung immer so komische Andeutungen gemacht. Das habe ich David gesagt und er kam jetzt in einem Anfall von Eifersucht hierher", schloss ich lahm.
Paul machte sich eine kurze Notiz. "Was genau für Andeutungen? Wie äußerten die sich?", fragte er weiter.
"Ich- später", murmelte ich und griff an meine Stirn. Ein brummender Schmerz breitete sich mit plötzlicher Intensität allmählich in meinem Kopf aus, den ich bisher nicht wahrgenommen hatte. Ein Schmerz, der dröhnend immer lauter zu werden schien und alle Worte übertönte.

In Pauls Gesichtsausdruck breitete sich sofort Besorgnis aus.
"Talessa? Was ist?", fragte er sofort und griff nach meinem Arm, als ich etwas zur Seite kippte.
"Schwindelig", murmelte ich nur und sah ein paar schwarze Punkte in meinem Sichtfeld tanzen.
"Ganz ruhig, der Rettungsdienst ist gleich da", sagte er zu mir und rief etwas nach hinten zu seinen Kollegen. Dann half er mir, mich etwas hinzulegen.
Ich starrte an die weiße Decke der Apotheke, über derer Anstrich dunkle Flecken zu schwimmen schienen. Die Kopfschmerzen wurden immer drückender und ich hatte das Gefühl, sie würden von innen gegen meine Schläfen pochen.

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Falls sich jemand wundert, weil in letzter Zeit seltener Kapitel kommen:
Zwischen uns beiden ist alles okay. Es ist nur aktuell schwer zu organisieren, dass wir beide Zeit haben. (Zudem will Wattpad manchmal auch nicht so, wie wir das wollen. Das Kapitel sollte ursprünglich schon gestern kommen.)
Und wenn einer Urlaub hat, soll er den ja auch genießen können.
Danke für euer Verständnis :)

Und damit - Einen schönen Morgen, Tag oder Abend noch, macht etwas daraus :)

Scars || ASDSWo Geschichten leben. Entdecke jetzt