1. Kapitel

50 2 0
                                    

Dornen bohrten sich in ihren Pelz, als sich Rankensee einen Weg durch eine Gruppe von Sträuchern bahnte. Ein dichtes Gewirr kahler Äste bedeckte diesen Abschnitt der Grenze und obwohl seit einem halben Mond jeden Tag die Grenzpatrouillen hier vorbei kamen, würde es wohl noch eine Weile dauern, bis sich ein kleiner Trampelpfad gebildet hatte. Bis dahin mussten die Katzen sich wohl oder übel umständlich durch die Masse an Sträuchern quetschen und aufpassen, dass sie nicht an irgendwelchen Brombeerranken hängen blieben, die sich hierher verirrt hatten - so wie es Rankensee gerade passiert war. Vorsichtig versuchte sie sich zu befreien, was gar nicht so einfach war, wenn man nicht darauf aus war, sich das Fell büschelweise auszureißen. Als sie es endlich geschafft hatte, duckte sie sich noch unter ein paar weiteren Ästen hindurch, schlängelte sich durch eine Ansammlung von Stämmen und hatte endlich das Labyrinth aus Sträuchern hinter sich gelassen.

»Da bist du ja endlich!« Borkensprung tigerte zwischen den Wurzeln zweier uralter Eichen auf und ab.

Seine Schwester Birkensee, ihr Gefährte Kieselfang, sowie die ehemalige Streunerin Kleestaub und eben auch Borkensprung selbst waren vor knappen zwei Monden zu ihnen gestoßen. Der BlattClan war noch immer klein, bestand aus nicht einmal halb so vielen Mitgliedern wie der NachtClan oder der FederClan. Natürlich hatte Blattstern nicht lange gezögert, die vier Streuner - damals noch unter den Namen Borke, Birke, Kiesel und Klee - aufzunehmen, zumal sie gerade erst Blue und Cloud fortgeschickt hatte. Letztere hatten nämlich während ihrer Zeit im Clan nichts zur Jagd oder zu den Grenzpatrouillen beigetragen, hatten sich lieber den ganzen Tag lang in den Zweibeinerort zurückgezogen, um sich dort mit Hauskätzchenfutter zu versorgen. Es war nur eine Frage der Zeit gewesen, bis Blattstern sie vor die Wahl gestellt hatte: Clan oder Zweibeiner. Die Anführerin mochte zwar in ihrem Clan die Kriegerprüfung bei der Geisterkatze in den Bergen abgeschafft haben, aber andere Regeln aus dem Gesetz der Krieger nahm sie dafür umso ernster. Trotz allem vermisste Rankensee die beiden.

»Rankensee?« Inzwischen war Borkensprung schon eine Baumlänge voraus gelaufen und warf nun einen Blick zu der Kriegerin zurück. »Kommst du?«, schnurrte er.

Schnell schloss Rankensee zu ihm auf. Sie erinnerte sich noch ganz genau an den Sonnenaufgang, an dem Birkensee, Borkensprung, Kieselfang und Kleestaub zum ersten Mal das BlattClan-Lager betreten hatten. Mit ihrem ungewohnten Geruch und den ebenso fremden Stimmen hatten sie Rankensee geweckt und für einen Herzschlag hatte sie gedacht, das Lager würde überfallen werden.

Als Blattstern den vier Neuankömmlingen schließlich ihre Kriegernamen verliehen hatte, hatte das wieder einmal die Diskussion darüber angefacht, ob nicht auch die übrigen BlattClan-Katzen ihre Streunernamen ablegen und Clannamen annehmen sollten. Einige hatten gehofft, durch diesen Schritt mehr Anerkennung unter den anderen Clans zu erlangen, Anerkennung, die sie als so junger und kleiner Clan mehr als gut gebrauchen konnten. Andere hatten das schlichtweg als Unsinn bezeichnet, man könne ja den Jungen Clannamen geben, aber sie seinen eben mit ihren jetzigen Namen aufgewachsen und würden die jetzt auch nicht mehr ändern wollen.
Daraufhin hatte natürlich jeder seine Position verteidigen wollen. Es war Rankensee so vorgekommen, als würden sie sich niemals einig werden…
…allerhöchstens in dem Punkt, dieses ewige Hin und Her bis in die Unendlichkeit fortsetzen zu wollen, wie Birkensee scherzhaft angemerkt hatte. Rankensee selbst hatte daneben gesessen und nicht so recht gewusst, was sie von all dem halten sollte.

Doch dann, eine Ewigkeit später, als sie sowieso nur noch auf halbem Ohr zugehört hatte, war es im Lager plötzlich  still geworden. Die Blicke der Katzen waren ausnahmslos auf Blattstern gerichtet gewesen, die die ganze Zeit über auf einem Felsen am Lagerrand gesessen hatte und dem Streit gelauscht hatte, ohne selbst auch nur ein einziges Wort dazu zu verlieren.

Verworrene Pfade ~ Finstere Sterne // Band 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt