Kapitel 19

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"Hi, Ich bin Jamie. Ich komme vom Jugendamt, um euch zwei Wochen lang durch euren Alltag zu begleiten."  Ich strahlte sie an, weil ich mir Horrorvorstellungen gemacht hatte. Ich hatte gedacht die vom Jugendamt wäre ein Drache und nur darauf aus uns Sally weg zu nehmen. Bei der Frau, die vor mir stand, hatte ich genau das Gegenteil im Gefühl, sie sah richtig nett aus und so, als würde sie uns voll und ganz unterstützen. Ich bat sie herein und sie stellte eine riesige Patchworktasche in den Flur. die Tasche war aus vielen Stofffetzen von nicht zueinander passenden Stoffen gemacht worden aber sie sah trotzdem, oder gerade deswegen, perfekt aus. Jamie sah recht normal aus, sie hatte eine übergroße schwarze Handtasche, trug verwaschene Jeans und hatte ein verwegenes lächeln. Sie gab mir ihren Mantel mit einem: "Wenn ich weiß, wo er hin kommt hänge ich ihn auch selber weg, aber bis dahin..." Ich war anscheinend in eine Art Schokstarre gefallen. Konnte es wirklich wahr sein, was ich dachte? Ich würde sie fragen, wenn sie länger bei uns war. Als ich nichts sagte und mich nicht bewegte übernahm Basti rasch: "Ich nehme ihnen schon ihren Mantel ab. Soll ich ihnenn auch gleich ihr Zimmer zeigen?" Jamie lachte, ich erwachte aus meiner Schockstarre und sah Basti fragend an, doch der schaute genauso ahnungslos zuück, wie ich auch war. Als Jamie sich beruhigt hatte sagte sie: "Entschuldigt, aber ich fühle mich immer so alt, wenn mich jemand siezt, der nicht viel jünger ist, als ich. Wie alt seid ihr denn genau? Ich bin leider nicht dazu gekommen mir eure Akten und alles anzusehen, weil ich direkt aus einer anderen Familie komme, wo ich auch schauen musste, ob sie geeignet sind oder nicht. Sorry ihr Süßen, ich rede schon wieder zu viel, das tue ich immer, wenn ich aufgeregt bin." Sie verstummte, weil wir vollkommen überwältigt waren und man es uns anscheinend auch ansah. Wie aufs Stichwort kam Josh rein und fragte: "Ist sie schon da?" Anstelle einer Antwort kreischte Jamie ein: "Josh! Was machst du denn hier?" Ohne dass Josh sich umdrehen musste wusste er, wer hinter ihm stand. Er drehte sich um und breitete die Arme aus. Jamie nahm diese "Einladung" an und rannte in seine Arme. Josh schloss sie an sich, als wäre sie ein kleines verletzliches Reh und er müsste sie beschützen. Ich kam nicht mehr mit und fragte: "Was geht denn hier ab?" Josh hob beschwichtigend die Hände und sagte: "Ich muss dir was beichten, glaube aber, dass dir das nicht sonderlich gefallen wird." Ich wurde langsam ungeduldig, etwas zu schroff antwortete ich: "Rück schon raus mit der Sprache." Josh sah zuerst mich an und dann Jamie, nach einem Blick, dem man deutlich ansah, dass er mit sich rang, sagte er: "Sie... Sie ist deine Schwester Jamie, ich bin hier, weil Mara meine Nichte ist genauso, wie du. Ich wollte immer den Kontakt zu dir erhalten, also habe ich mit deinem Pflegeeltern geredet, damals... Was ich eigentlich sagen will ist: Jamie, du wurdest adoptiert, weil deine und Maras Mutter vollkommen überfordert war mit einem kleinen, so tollen, aber auch anstrengenden Kind. Sie hat dich immer geliebt und hätte dich am liebsten bei sich behalten, aber das Jugendamt hat beschlossen, dass sie nicht geeignet war." Jamie war ganz blass geworden und rang um Fassung. Mir hingegen war es egal, wie ich auf andere wirkte im Moment wollte ich einfach nur weg, raus, laufen. Ich wollte weglaufen vor meinen Problemen. Also ging ich nach oben zog mich aus, um eine Sporthose und ein T-Shirt von Adidas anzuziehen. Unten angekommen sagte ich: "Entschuldigt. Basti kannst du kurz auf Sally aufpassen? Danke." Ich hatte noch nicht mal eine Antwort abgewartet, als ich schon die Tür hinter mir ins Schloss gezogen hatte. Ich musste hier raus. Nach ungefähr zehn Minuten gleichmäßigem Laufens wurde ich ruhiger und bekam einen klaren Kopf. Ich grübelte, was ich jetzt am besten machen sollte. Ich beschloss weiter zu laufen und meine Mutter bei der Arbeit zu überraschen. Es war nicht mehr weit bis ins Krankenhaus und schon nach weiteren zehn Minuten stand ich vor den riesigen Krankenhauseingang. Was, wenn sie mich nicht sehen wollte? Bei meinem Abgang wäre das kein Wunder. Ich hatte mich noch nicht mal gemeldet, indem ich einen Zettel hinter lassen hatte. egal, das hier war wichtiger. Ich ging also durch die große Tür hinein in das Gebäude, bei wessen Anblick ich immer noch eine Gänsehaut bekam, wenn ich daran dachte, dass hier Basti´s Mutter liegt und vermutlich nie wieder ein Auge aufmacht. Basti hielt es nicht davon ab, sie täglich zu besuchen. ich konnte ihn verstehen, auch wenn es mir auch schwer viel, weil ich so von ihm jeden Tag an das Schicksal von seinen Eltern erinnert wurde. Im Inneren empfing mich die angenehme Krankenhaushektik. Als ich kleiner war, war ich immer sehr gerne hier und habe mich von der Hektik anstecken lassen, bis meine Mutter mit arbeiten fertig war und mit mir ins Schwesternzimmer ging. Auch jetzt machte ich mich als erstes auf den Weg ins Schwesternzimmer, um dort auf meine Muttter zu warten. Ich war schon fast an der Tür, als sie vor mir stand und mich überrascht aus, in tiefen Höglen liegenden Augen anschaute. "Was machst du denn hier?", diese Frage kam gepresst aus ihren Lippen, bevor sie einen Schritt vor machte und mich in den Arm nahm. Ich brachte es nicht übers Herz direkt mit der Wahrheit raus zu platzen, auch wenn ich eigentlich vorgehabt hatte ihr eine ordentliche Szene zu machen. " Können wir irgendwo in Ruhe reden Mom?" Sie ließ die Frage unbeantwortet und zog mich mit sich in einen Raum, den sie sorgfältig abschloss, nachdem wir hineingegangen waren. " Mom, heute ist etwas ..." Wie war es eigentlich für mich: schrecklich, verwirrend, schrecklich verwirrend?, "... schrecklich verwirrendes passiert und ich musste einfach mit dir darüber reden." Ich machte eine kurze Pause, in der ich ihr signalisierte, dass es mir wirklich ernst war. "Heute stand eine junge Frau in der Haustür, um zu prüfen, ob Basti und ich... Egal, das ist eine andere Geschichte. Auf jeden Fall heißt diese Frau Jamie und ich glaube sie ist meine Schwester." Mom sah mich mit ganz großen, ganz traurigen Augen an, so als würde sie gleich zu weinen anfangen. Und tatsächlich rollte einen Moment später eine dicke Träne ihre Wange hinunter, sehr bald schon folgte eine weitere und nicht viel Später saß meine Mutter weinend neben mir. Ich war mit der Situation vollkommen überfordert und wusste nicht, was ich sagen sollte. Also saß ich einfach nur neben ihr und streichelte ihr den Rücken. Als sie sich einigermaßen beruhigt hatte sagte sie: "Du hast Recht. Ich wollte sie nicht weggeben, aber sie haben sie mir weggenommen. Ich konnte nichts tun und sie war einfach weg." Ich sah meiner Mutter an, dass sie vollkommen überfordert war und gleich wieder anfangen würde zu weinen. Ich überwand meine Sorge und auch meine Wut und fragte: "Warum hast du mir nie etwas gesagt?" Ich sah meiner Mutter an, dass sie nicht antworten konnte. Es ist nicht so, dass sie nicht gewollt hätte, aber sie konnte es einfach nicht. Es waren zu viele Informationen auf einmal und sie musste die ersten erst einmal verdauen, bevor sie mit anderen reden konnte. Wahrscheinlich war es wie eine Schublade in ihrem Kopf gewesen, wo sie alles rein gepackt und sie dann verschlossen hatte. Ich hatte diese Schublade einfach so ohne Vorwarnung aufgezogen und was herauskam war zu viel für Mom. Um sie zu beruhigen sagte ich: "Schon OK, Mom. Willst du sie sehen und kennen lernen?" Ich sah Mom an und merkte an ihrem Blick, dass sie nicht konnte. Also schob ich hinterher: "Also nur, wenn es fü dich in Ordnung ist." Sie schüttelte leicht den Kopf und ich verstand, dass es einfach zu viel für sie war. Ich wusste nicht was ich tun sollte, also sagte ich: "Mom? Ich muss jetzt wieder zu Sally zurück. Du kannst dich ja mal melden." Ich schob die Tür hinter mir zu, nachdem ich hinausgegangen war. Als ich aus den Krankenhausportal raus an die inzwischen kühle Abendluft getreten war und wieder losrannte ging es mir direkt viel besser. Mein Kopf war frei und es gab nichts außer mir und den immer gleichen Schritten auf dem Boden unter mir. Gleich würde ich Zuhause sein und alles würde sich klären. Ich stand vor der Eingangstür der Livré´s und der Mut verließ mich, während ich meinen Schlüssek hervor kramte. Ich atmete einmal tief durch und ging in den Flur.

My best friends sisterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt