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»I can't be the only one who's lonely tonight
No, I can't be the only
Yeah, if you made a list of people that you trusted
Would you put your name down?
Do you know who you are?«

Only - NF & Sasha Sloan

Schon wieder treffe ich mich nach der Arbeit mit Aaron, dieses Mal aber an der Uni, weil er noch eine Vorlesung hat. Was ich bisher so mitbekommen habe, trifft sich Aaron nur mit Anna und mir in seiner Freizeit. Nicht einmal hat er jemand anderen erwähnt. Na gut, vielleicht ist Aaron was sowas angeht verschlossen, aber trotzdem ist es schon seltsam, dass er wirklich niemanden erwähnt hat, nichtmal nur so nebenbei.

„Aaron, was ist nur los mit dir?", spreche ich meine Gedanken in Teilen aus und merke es erst, als er mich fragt, was ich da gesagt habe.

Er schaut mich verwirrt an. „Was soll denn seil?"

Ich schüttle den Kopf. „Nicht so wichtig. Ich frage mich nur, was du so für Freunde hast... du kennst Sophie und Alex, warst bei der Party und ich habe von Anna eigentlich nur von dir gehört und du hast sie mir nicht vorgestellt. Ansonsten hab ich nicht mal einen Plan, ob du Freunde hast."

„Ich habe keine Zeit für Freunde." Das klingt schon eigenartig. Aaron macht auf mich den Eindruck, wie jemand sehr soziales. Etwas, dass ich nicht von mir behaupten kann.

Diese Aussage kann ich nicht einfach so im Raum stehen lassen. „Komm, sogar ich habe Freunde. Na gut, ich habe auch Zeit, aber ich bin sowas von antisozial. Du kennst mich. Nicht mal ich kann verstehen, wie du keine Zeit hast."

Aaron atmet tief durch. „Lucas, glaub mir. Die Zeit die ich habe investiere ich lieber in meine wenigen Freunde. Wie dich. Ich habe vier Geschwister, die müssen versorgt werden. Da will ich keine Last sein."

Das verstehe ich nicht. Wir haben in Deutschland doch ein einigermaßen akzeptables Sozialsytem. „Was ist mit Bafög und Kindergeld und so?"

„Das kriege ich. Meine Eltern verdienen nicht viel, müssen jeden Monat die Miete für unser Haus zahlen und das ist in Frankfurt echt alles andere als günstig, das Essen für uns und neue Klamotten für die Kinder, vieles von mir haben wir weggegeben und Andrea und Matteo brauchen andauern neue Sachen weil die wachsen wie sonst was. Elena zum Beispiel liebt Musik und ich will nicht mit ansehen, wie sie das aufgeben muss, weil wir nicht genug Geld haben. Und nur weil ich Zuhause wohne, heißt das nicht, dass ich keine laufenden Kosten habe. Außerdem habe ich kein Problem damit zu arbeiten. Vor allem, wenn es dadurch meinen Geschwistern gut geht."

Was er sagt nehme ich ihm nicht so wirklich ab. Finanziell komme ich aus einer anderen Welt, natürlich gibt es da einiges, was ich nicht nachvollziehen kann. Und dazu kommt noch, dass ich ein Einzelkind bin. Aber Aaron kann doch einfach nicht glücklich sein, sich komplett hinten anzustellen. Wie er sich um seine Geschwister sorgt macht ihn unheimlich attraktiv und zugleich tut es weh zu hören, dass er sich wirklich so gar nicht für sich interessiert. Er verdient eine Pause. Wenn ich ihn mir so anschaue ist er ziemlich blass. „Deine Familie kann glücklich sein, dich zu haben. So einer tollen Person wie dir begegnet man nicht oft. Brauchst du nicht mal Zeit für dich?"

„Ich habe alles unter Kontrolle, ich bin mit meinem Leben zufrieden. Wirklich." Dafür klingt er aber sehr agressiv. Besser ich widerspreche ihm nicht. Wegen so etwas will ich mich nicht mit ihm streiten.

***
Immer wenn ich in Französisch sitze, frage ich mich, warum ich so blöd bin und es noch nicht abgewählt habe. Sophie leidet wenigstens mit mir.

„Weißt du noch, als ich damals gesagt habe, dass ich hier raus will und dann der Feueralarm losgegangen ist? Ich brauch sowas nochmal."

Sie lacht. „Absolut. Dieses ‚en français, s'il vous plaît, Mademoiselle Sophie' geht mir so was von auf die Nerven."

Plötzlich ertönt aus den Lautsprechern das Klingeln für eine Durchsage. Es ist Jessicas Stimme. „Ein Schulsanitäter bitte zu Raum 23."

„Mein Einsatz", sagt Sophie uns springt auf. Wie gerne ich jetzt auch einen Grund hätte, einfach das Klassenzimmer zu verlassen... Moment mal. Hat Jessica Raum 23 gesagt? Das ist doch der Hausmeisterraum. Ist was mit Herr Grimaldi? Oder Aaron? Der Unterricht geht weiter, aber ich kann mich einfach nicht konzentrieren. Was, wenn mit Aaron was ist? Auch seinen Vater kann ich wirklich gut leiden.

Das hat so keinen Sinn und Zweck. „Pardon, Madame Piotrowski... äh je me... sens... malad? Ach mein Französisch will grad nicht. Mir geht's nicht so gut, kann ich kurz raus und frische Luft schnappen?"

„Oui. Kommen Sie aber gleich wieder. Wenn es ihnen nicht besser geht, fahren Sie nach Hause und ruhen sich aus. Am Dienstag schreiben wir eine Klausur, da sind Sie besser wieder fit." Immer diese Lehrer die einen gleich nach Hause schicken wollen...

„Danke", sage ich und verlasse den Raum. Auf direktem Wege laufe ich zu Raum 23. Wenn etwas mit Aaron ist, will ich es wissen.

Vielleicht ist es ein wenig unangebracht, dass ich einfach so in den Raum hereinplatze, aber der Gedanke, dass Aaron sich verletzt haben könnte, dominiert meinen Kopf.

„Lucas?!", fragt Aaron verwundert, der von Sophie gerade eine stark blutende Stelle an seiner Stirn verarztet bekommt.

„Oh fuck, was hast du gemacht? Ich wollte wissen, ob mit dir alles in Ordnung ist... du..." Es sieht schrecklich aus.

Sophie macht weiter ihre Arbeit als Schulsani, während sie mich mahnend anschaut. „Du kannst hier nicht einfach so reinplatzen. Aber gut. Dein Problem, Faru Piotrowski wird dich umbringen, wenn sie rauskriegt, dass du hier bist. Die Wunde ist weniger schlimm als es aussieht. Das Blut, was du hier siehst ist alles alt. Aaron, du fährst aber trotzdem gleich mit deinem Vater ins Krankenhaus. Ich weiß, dir ist nicht schlecht oder so und da du jemanden zum fahren hast, ist ein Krankenwagen nicht nötig, aber lass dich unbedingt in der Notaufnahme abchecken. Ich bin kein Arzt. Die werden dich auch sicherlich nähen, es sei denn du willst eine hässliche Narbe."

„Kann ich irgendwie helfen? Und wie genau hast du es geschafft dir diese Wunde zu holen?", frage ich und mache bevor irgendwer was sagt ein Tuch am Waschbecken des Raums nass, um Aarons Blut aufzuwischen.

„Ich denke meinem Vater und den Putzfrauen machst du gerade eine Freude." Aaron grinst und verzieht dann vor Schmerzen das Gesicht. „Wollte eine Kiste vom hohen Regal holen. Ich war wohl unkonzentriert. Die Leiter ist umgekippt und die Kiste hat meinem Kopf hallo gesagt. Es war eine leichte Kiste. Wirklich."

Autsch. Das klingt nicht so ungefährlich. So wie er das sagt... ‚unkonzentriert'. Ich würde eher zu ‚überarbeitet' tendieren, so wie ich ihn die Tage schon erlebt habe, aber als ich ihn darauf angesprochen habe, hat er ja nicht so gut reagiert, das sollte ich jetzt lassen. Besonders da er sich verletzt hat und wir uns dann besser nicht streiten sollten.

Als ich den Boden grob gewischt habe, ist Sophie soweit fertig mit Aaron, dass er zum Arzt kann. Ich sollte langsam zurück ins Klassenzimmer. Mittlerweile habe ich genug ‚Luft geschnappt'. Wenn ich nicht will, dass rauskommt, dass ich nicht draußen bin, sollte ich schon ein wenig vor Sophie wieder im Klassenzimmer sein. Am liebstem würde ich ja bei Aaron blieben und persönlich aufpassen, dass er sich ordentlich behandeln lässt und ein Auge darauf werden, dass er sich auch wirklich den Rest des Tages ausruht. Eigentlich ist das aber nicht mein Problem, nur mit diesem Gedanken mache ich mir auch nicht weniger Sorgen um ihn. Jetzt da ich weiß, wie es ihm geht, kann ich mich vielleicht wenigstens ein kleines bisschen auf den Unterricht konzentrieren. In den sollte ich wirklich zurück, eine nicht so schlaue Aktion, bei der ich mich erwischen lassen habe reicht für das Halbjahr. Zwar ist das hier weniger gravierend, als mein kleiner Ausflug in Wien, aber trotzdem wäre mein Vater sauer auf mich. „Ich geh dann mal zurück in den Unterricht. Frau Piotrowski wartet und ich will keinen Stress. Gute Besserung, Aaron. Ruh dich heute aus. Bitte. Und jag mir nicht nochmal so einen Schreck ein. Ich muss los. Wir telefonieren. Bis dann!"

Fehlkonstruktion [boyxboy]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt