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»Honestly I thought your honesty meant something to you, in the end«

Lie to My Face - Alice Merton

Ich stelle meinen Koffer ab und bereue schon alles, obwohl ich noch nicht mal richtig angekommen bin. Allein schon beim Anblick meines Vaters wird mir schlecht, aber ich kann nicht ewig davon laufen, genau wie meine Mutter es gesagt hat. Es kann doch nicht so schwer sein, über meinem Vater zu stehen.

„Lucas, lässt du dich auch mal wieder hier blicken."

Diese Art wie er es sagt, ist unheimlich unangenehm, doch ich lasse mich nicht einschüchtern. Jetzt bin ich hier und hier bleibe ich auch ohne großartig Kontakt Harald Ahrens zu haben. „Glaub ja nicht, dass ich wegen dir hier bin. Lass mich einfach in Ruhe, kapiert?"

Er lacht. „Wie wäre es erstmal mit einem Hallo, mein Sohn? Ich habe dir doch Respekt beigebracht."

„Nenn mich nicht so", sage ich, „Mal abgesehen davon bist du der letzte, der mit was von Respekt erzählen kann. Deine Stärke ist es auf jeden Fall nicht." Wie kann er nur so ein Arsch sein und sich dabei so ruhig verhalten?

„Sei jetzt nicht albern, Lucas. Du bist mein Sohn und an dieser Tatsache kannst du nichts ändern. Hör dir mal zu, was du von dir gibst, das geht teils gar nicht. Ich dachte ja du wärst zur Besinnung gekommen, als du wieder hierher gekommen bist, aber das scheint wohl nicht der Fall zu sein."

Jetzt einmal ganz tief durchatmen. Ich muss mir das nicht anhören. „Rede doch einfach nicht mit mir. Lass mich in Ruhe und wir können hier friedlich gemeinsam existieren. Ich bin hier, um zur Schule zu gehen, da brauche ich die eigentlich nicht für."

„Immerhin weiß deine beste Freundin mich zu schätzen, wenn du das selbst nicht tust."

„Was genau willst du denn jetzt damit sagen?" Es ist doch nicht sein Ernst, dass er Sophie da mit reinziehen will. Das kann einfach nicht wahr sein.

„Natürlich hat sie dir das nicht erzählt, warum sollte sie auch", sagt Harald und von der Genugtuung in seiner Stimme wird mir schlecht, „Sie hat sehr angenehme Lippen."

Mein Magensäure brennt in meinen Hals bei dem, was er da behauptet. Laut dem Mann, der mich großgezogen hat, hat sie sogar mit ihm geschlafen un bessere Noten zu kriegen. Ist das jetzt eine seiner Lügen? Ich habe auch fest geglaubt mein Vater würde keine Schülerinnen belästigen, bis ich vom Gegenteil überzeugt wurde, da kann ich nicht behaupten, dass Sophie sowas nie tun würde.

***
Es ist seltsam wieder in der Schule zu sein, in der mein Vater (zunindst in der Theorie) Schulleiter ist und und wo alles mit dem Skandal verbunden ist. Allein schon die Blicke mit denen ich von manchen Mitschülern wie Jack angestarrt werde, sagen mehr als tausend Worte. Das kann mir aber recht egal sein. Mit ihnen muss ich meine Zeit ja nicht verbringen und meinem Vater will ich keine Macht mehr über mich geben.

„Schön, dass du wieder hier bist. Ich hab dich vermisst, Kumpel", sagt Alex als ich zur ersten Stunde iin den Aufenthaltsraum komme, obwohl ich erst zur zweiten habe, genau wie meine Freunde, die einfach nur ein wenig Zeit mit mir verbringen wollen. Hier werde ich herzlicher begrüßt als Zuhause. Wobei Zuhause auch nur noch die Adresse in meinen Ausweis ist.

Auch von Sophie, die auch gerade reinkommt, werde ich freudig begrüßt. Ich versuche mir nichts von dem anmerken zu lassen, was mein Vater gesagt hat. Solange ich nichts anderes mitbekomme, schenke ich den Worten meiners Vaters lieber kein Vertrauen. Die Karte hat er verspielt.

„Ich hab Kaffee gebracht." Sophie stellt Alex und mir die Becher aus unserer Cafeteria hin. Der letzte Kaffee ist schon viel zu lange her. Früher hab ich hier fast jeden morgen welchen geholt, aber irgendwie ist das verflogen und vor der Sache mit mein Vater habe ich meinen Konsum dann deutlich heruntergeschraubt, was aber nicht am Kaffee der Schule gelegen hat. Der ist tatsächlich sogar besser als in manchen Coffeeshops. Da hat die Schülervertretung ausnahmsweise ganze Arbeit geleistet. Aber halt... wieso hat Sophie vier Becher mitgebracht?

Diese Frage beantwortet sich von selbst im Handumdrehen, als Aaron mir durch das Fenster winkt. Nicht lange muss ich warten, da ist er schon bei uns am Tisch.

„Aaron! Was machst du denn hier?", rufe ich und umarme ihn. Dabei bleibt es auch, obwohl ich ihm gerne einen Kuss geben würde, aber in der Schule kommt das glaub ich nicht so gut, vor allem bei meinem Jahrgang und da ich eh schon von allen Seiten wegen meinem Vater kritische beäugt werde.

Ich bekomme von Aaron sein wunderbares Lächeln geschenkt. „Du bist den ersten Morgen wieder in Frankfurt und ich hab keine Uni. Da lasse ich es mir doch nicht entgegen dir Hallo zu sagen. Schön, dass du wieder hier bist."

„Äh, Leute, ich will unser Wiedersehen, ja nicht stören, aber auf dem Weg hierher hab ich was aufgeschnappt.." Sophie klingt leicht nervös und schaut mich total kritisch an. „Es gibt noch jemanden, der was gegeen deinen Vater gemeldet hat. Die Polizei ist wieder in seinem Büro und ich hab gehört, dass sie Harald herholen wollen."

Es gibt noch jemanden? Oh Mann, wie konnte ich das nicht mitbekommen? Vielleicht hätte ich was verhindern können. Bei dem was ich hier so nach und nach höre, bekomme ich wirklich das Gefühl, mein ganzes Leben in einer Parallelwelt gelebt zu haben. Hoffentlich hilft die zweite Person, genug Beweise gegen meinen Vater zu finden. Er verdient es nicht, davonzukommen.

Fehlkonstruktion [boyxboy]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt